L 3 R 821/17 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 23 R 2907/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 R 821/17 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 27. September 2017 aufgehoben und dem Kläger für das Verfahren vor dem Sozialgericht Berlin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt M B, P.O. Box B/Libanon, Zustellungsbevollmächtigter Sa Se, Cstr., B zu den Bedingungen eines im Bezirk des Sozialgerichts Berlin ansässigen Rechtsanwaltes bewilligt. Kosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet. Denn das Sozialgericht Berlin (SG) hat mit dem angegriffenen Beschluss vom 27. September 2017 seinen Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten zu Unrecht abgelehnt. Dem Kläger ist unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten zu den Bedingungen eines im Bezirk des SG ansässigen Rechtsanwaltes PKH zu gewähren.

Die Voraussetzungen für die Gewährung von PKH liegen nach den hierfür einschlägigen §§ 73a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), 114 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) vor. Nach § 114 Satz 1 ZPO erhält ein Prozessbeteiligter auf Antrag PKH, wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG gelten die Vorschriften der ZPO über die Bewilligung von PKH entsprechend für das sozialgerichtliche Verfahren.

Im Zeitpunkt der erstinstanzlichen PKH-Entscheidung lagen sowohl die persönlichen als auch die sachlichen Voraussetzungen für die Gewährung von PKH vor. Der Rechtsverfolgung des Klägers, der die Kosten der Prozessführung weder aus seinen laufenden Einkünften noch aus seinem Vermögen aufbringen kann, fehlte es nicht an der hinreichenden Erfolgsaussicht. Der unbestimmte Rechtsbegriff der hinreichenden Erfolgsaussicht ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) verfassungskonform auszulegen. Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) gebietet in Verbindung mit dem unter anderem in Art. 20 Abs. 3 GG zum Ausdruck gebrachten Rechtsstaatsprinzip und dem aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG folgenden Gebot effektiven Rechtsschutzes eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Hierbei braucht der Unbemittelte allerdings nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt zu werden, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt. Dementsprechend darf die Prüfung der Erfolgsaussichten jedenfalls nicht dazu führen, über die Vorverlagerung der Rechtsverfolgung oder -verteidigung ins Nebenverfahren der PKH eben dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 28. November 2007 – 1 BvR 68/07, 1BvR 70/07, 1 BvR 71/07 -, zitiert nach juris Rn. 8 ff.). Deshalb dürfen insbesondere schwierige, bislang nicht geklärte Rechts- und Tatfragen im PKH-Verfahren nicht entschieden werden, sondern müssen über die Gewährung von PKH auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung im Hauptsacheverfahren zugeführt werden können (BVerfG a.a.O. und Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Juli 1993 - 1 BvR 1523/92 -, NJW 1994, 241, 242). Demnach ist ausgehend vom für das Hauptsacheverfahren zugrunde zu legenden Sachantrag eine hinreichende Erfolgsaussicht bereits dann gegeben, wenn das Gericht den klägerischen Rechtsstandpunkt aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder für zumindest vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht gegebenenfalls von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (Leitherer in: Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer/ Schmidt, SGG - Kommentar, 12. Auflage 2017, § 73a Rn. 7a).

Der für die Beurteilung der Voraussetzungen der PKH maßgebliche Zeitpunkt ist grundsätzlich der der Entscheidungsreife des Bewilligungsgesuchs, d.h. der Zeitpunkt, in dem alle für die Entscheidung über den Antrag erforderlichen rechtlichen und wirtschaftlichen Tatsachen gemäß §§ 117, 118 ZPO aus dem Vortrag des Antragstellers/Klägers und den Akten zu entnehmen sind (Leitherer, a.a.O., § 73a Rn. 7d). Andernfalls würde der Zweck der PKH verfehlt, auch dem Bedürftigen Rechtsschutz zu ermöglichen. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG gebieten Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (Beschluss vom 26. Juni 2003 - 1 BvR 1152/02 SozR 4 - 1500 § 73a Nr.1).

Abzustellen hatte das SG somit auf die Sach- und Rechtslage im maßgeblichen Prüfungszeitpunkt, der hier im Januar 2017 lag, denn seit dem 12. Januar 2017 lag das vollständig ausgefüllte und mit den geforderten Anlagen versehene Formular des Klägers nach § 117 ZPO (Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse) beim SG vor und die Beklagte hatte bereits mit Schriftsatz vom 09. November 2016 zu der am 03. November 2016 erhobenen kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nebst dem damit verbundenen PKH-Antrag Stellung genommen und deren Abweisung beantragt.

Der auf die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente nach § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) gerichteten Klage konnte in tatsächlicher Hinsicht auch nicht die Möglichkeit der Beweisführung zum Vorliegen einer rentenrechtlich relevanten Minderung der Erwerbsfähigkeit abgesprochen werden, wie sich aus den vom SG aufgenommenen Ermittlungen (Anforderung von Befundberichten der behandelnden Ärzte vom 05. Januar, 09. Januar und 21. Februar 2017, Beiziehung und Auswertung der Akten des Schwerbehindertenverfahrens am 01. Februar 2017) ergibt. Zudem wären hier hinsichtlich des Ausmaßes der psychischen Erkrankung und deren Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit für den allgemeinen Arbeitsmarkt, insbesondere zur Frage der üblichen Arbeitsbedingungen, weitere Ermittlungen im Hinblick auf den Hinweis des behandelnden Psychiaters im Befundbericht vom 21. Februar 2017 zur Notwendigkeit einer gutachterlichen Klärung naheliegend. Dies auch vor dem Hintergrund, dass bei der psychiatrischen Begutachtung im Verwaltungsverfahren einerseits auf die beim Kläger bestehende Problematik unzureichender Deutschkenntnisse ausdrücklich hingewiesen wurde, andererseits die Begutachtung ohne den erforderlichen Sprachmittler erfolgt war, was aber die Grundlage des Begutachtungsergebnisses – die hierfür zu fordernde umfassende psychiatrische Exploration - in Frage stellt.

Die Beiordnung des vom Kläger nach § 121 Abs. 2 ZPO ausgewählten Prozessbevollmächtigten kann nicht mit Hinweis auf den fehlenden inländischen Kanzleisitz abgelehnt werden. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers ist als Rechtsanwalt gemäß den Regelungen der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) in der Bundesrepublik Deutschland zugelassen, gemäß § 31 BRAO im Rechtsanwaltsverzeichnis der Rechtsanwaltskammer Berlin eingetragen und nach §§ 29 Abs. 1, 29a Abs. 2, 30 BRAO unter Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten von der Pflicht zur Eröffnung einer Kanzlei in Deutschland befreit. Als Rechtsanwalt im Sinne der BRAO unterliegt er den Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG, vgl. § 1 Abs. 1). Jedoch kann nach § 121 Abs. 3 ZPO ein nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassener Rechtsanwalt nur beigeordnet werden, wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen. Daraus folgt, dass der PKH in Anspruch nehmende Beteiligte grundsätzlich gehalten ist, einen Anwalt zu wählen, der im Bezirk des zuständigen SG seinen Wohnsitz oder seine Kanzlei hat. Wählt er einen nicht im Bezirk des zuständigen SG niedergelassenen Rechtsanwalt aus, kann dessen Beiordnung grundsätzlich nur zu den Bedingungen eines im Bezirk des zuständigen SG ansässigen Rechtsanwalts erfolgen, denn regelmäßig entstehen allein durch die Anreise des Rechtsanwalts zur Wahrnehmung eines mündlichen Verhandlungstermins Mehrkosten für die Staatskasse gegenüber der Beauftragung eines ortsansässigen Rechtsanwalts. Dies führt im Ergebnis dazu, dass Reisekosten vom Kanzleisitz bis zum Eintritt in den Bezirk des Prozessgerichts nicht, wohl aber Reisekosten innerhalb des Bezirks des Prozessgerichts beansprucht werden können (vgl. hierzu auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. Oktober 2012, L 9 SO 261/12 B, LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 07. Juni 2011, L 8 AY 1/11 B, jeweils zitiert nach juris). Eine Einschränkung der Beiordnung zu den Bedingungen eines im Bezirk des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalts entfällt jedoch nur dann, wenn im konkreten Fall Mehrkosten durch die Beiordnung des auswärtigen Rechtsanwalts offensichtlich nicht zu erwarten sind (vgl. Beschlüsse der LSG Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt, a. a. O.; siehe auch Brandenburgisches Oberlandesgericht (OLG), Beschluss vom 08. Januar 2013, 3 WF 130/12, zitiert nach juris). Dies ist vorliegend schon aufgrund des Kanzleisitzes von Rechtsanwalt B im außereuropäischen Ausland, hier B /L, und der damit bei Wahrnehmung von Terminen am SG Berlin verbundenen Reisekosten (Flugkosten nebst Übernachtungskosten und Abwesenheitsgeld; vgl. §§ 45, 46 RVG i.V.m. dem Vergütungsverzeichnis (VV) Nrn. 7004 bis 7006) im Vergleich zu den nur für die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel in B anfallenden Kosten (z. Zt. beträgt der Preis eines Tagestickets 7,50 EUR) zu verneinen. Von daher war eine Beschränkung der Beiordnung im tenorierten Umfang vorzunehmen.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, da im PKH-Beschwerdeverfahren Kosten nicht zu erstatten sind (§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Der Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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