L 4 KR 915/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 12 KR 4552/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 915/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 23. Januar 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass sie (auch) seit 01. April 2005 anstelle einer Pflichtmitgliedschaft in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) familienversichert sei.

Die am 1939 geborene Klägerin legte vom 01. September 1953 bis 31. Juli 1956 Pflichtbeitragszeiten in der DDR zurück. Seit 27. August 1956 gehörte sie der Rentenversicherung der Angestellten an. Die durchgängigen Pflichtbeitragszeiten enden mit 31. Dezember 1964. Vom 01. Januar bis 31. Dezember 1967 wurde eine Pflichtbeitragszeit für Kindererziehung zurückgelegt. Sodann entrichtete die Klägerin noch vom 01. Januar 1979 bis 31. Dezember 1992 durchgängig freiwillige Beiträge. Weitere rentenrechtliche Zeiten sind nicht vorhanden.

Die Klägerin ist seit 1957 mit M. R. verheiratet. Er war seit September 1964 freiwilliges Mitglied der damaligen Allgemeinen Ortskrankenkasse S. (AOK) und optierte im April 2002 für die freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung auch nach der Bewilligung einer Altersrente. Nach dem Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung zum 31. Dezember 1964 war die Klägerin über ihren freiwillig versicherten Ehemann bei der AOK familienversichert. Zum 01. Juni 2004 erfolgte ein Wechsel zur Betriebskrankenkasse Conzelmann, die zum 01. Januar 2006 mit der jetzigen Beklagten fusionierte, sowie zum 01. April 2005 zur Betriebskrankenkasse Hochrhein-Wiesenthal, die zum 01. Oktober 2007 mit der Beklagten fusionierte.

Auf den Antrag vom 29. April 2004 bewilligte die damalige Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (hier: Beigeladene zu 2) der Klägerin durch Bescheid vom 05. Oktober 2004 Regelaltersrente ab 01. Februar 2004. Der anfängliche monatliche Bruttobetrag belief sich auf EUR 281,76. Hiervon wurde ein anfänglicher Beitragsanteil zur Krankenversicherung von EUR 14,37 und zur Pflegeversicherung von EUR 2,39 abgezogen, sodass sich ein anfänglicher monatlicher Nettobetrag von EUR 265,00 ergab. Wegen des Wechsels der Krankenkassen und aufgrund der Neubewertung von rentenrechtlichen Zeiten ergingen Neuberechnungsbescheide vom 29. November 2004, 19. Januar 2005, 04. Februar 2005, 14. April 2005, 09. August 2005, 05. Februar 2007, 27. September 2007, 27. November 2007 und vom 06. Februar 2009, in denen die Beigeladene zu 2) jeweils von einer Pflichtversicherung der Klägerin in der gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung ausging. Gegen sämtliche Bescheide erhob die Klägerin aus verschiedenen Gründen Widerspruch, über welchen bisher nicht abschließend entschieden ist. Die Klägerin machte dabei von Beginn an auch geltend, sie sei kein Pflichtmitglied der KVdR, sondern kostenfrei familienversichert. Die Stammversicherung des Ehemannes sei eine freiwillige Versicherung. Dies führe dazu, dass die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 11 Halbsatz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht erfüllt seien. Unstreitig sei sie vor Stellung des Rentenantrags nicht mindestens neun Zehntel der zweiten Hälfte des Zeitraums seit Aufnahme der Berufstätigkeit aufgrund einer Pflichtversicherung Mitglied gewesen. Da die Familienversicherung aufgrund der freiwilligen Versicherung des Ehegatten nach § 9 SGB V bestanden habe, sei sie in dem in § 5 Abs. 1 Nr. 11 Halbsatz 1 SGB V genannten Zeitraum nicht aufgrund einer Pflichtversicherung nach § 10 SGB V versichert gewesen. Sie beantragte auch, die abgezogenen Beitragsanteile zu erstatten.

Die Klägerin erhob auch Widerspruch gegen die Bescheide der Betriebskrankenkasse Conzelmann vom 15. und 19. Oktober 2004, mit dem sie sich ebenfalls dagegen wandte, dass sie als Pflichtmitglied in der KVdR geführt werde, und begehrte die Feststellung, dass sie familienversichert sei. Über diesen Widerspruch ist nach Angaben der Beklagten bislang nicht entschieden.

Am 31. März 2005 ging bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten der Antrag der Klägerin und ihres Ehemannes ein, ab 01. April 2005 neben der Mitgliedschaft in der freiwilligen Krankenversicherung des Ehemannes als Rentner die beitragsfreie Familienversicherung der Klägerin festzustellen. Nur hilfsweise werde die Mitgliedschaft in der Pflichtversicherung beantragt. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten führte den Ehemann der Klägerin ab 01. April 2005 als freiwilliges Mitglied in der Krankenversicherung sowie die Klägerin als pflichtversichertes Mitglied in der KVdR und dementsprechend in der sozialen Pflegeversicherung. Mit Schreiben vom 06. April 2005 sandte die Rechtsvorgängerin der Beklagten der Klägerin eine Versichertenkarte zu, welche die Klägerin als Pflichtmitglied der gesetzlichen Krankenkasse auswies. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und begehrte festzustellen, dass sie familienversichert sei. Dies sah die Rechtsvorgängerin der Beklagten als Antrag auf die Familienversicherung an und lehnte dies mit Bescheid vom 27. Mai 2005 ab. Es bestehe in der KVdR ein eigenständiger Versicherungsschutz gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V, sodass ein Anspruch auf Familienversicherung nicht gegeben sei. Der bereits eingelegte Widerspruch werde als aufrechterhalten behandelt. Der Widerspruchsausschuss erließ den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 2005. Personen, die die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente erfüllt und diese Rente beantragt hätten, seien versicherungspflichtig gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V, wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags mindestens neun Zehntel der zweiten Hälfte des Zeitraums Mitglied gewesen seien oder nach § 10 SGB V familienversichert gewesen seien. Diese erforderliche Vorversicherungszeit sei erfüllt. Die Widerspruchsbegründung der Klägerin beziehe sich auf den bis zum 28. März 2002 geltenden Rechtszustand. § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V sei jedoch in der neuen Fassung der Neun-Zehntel-Belegung anzuwenden. Mithin sei ein Anspruch auf Familienversicherung über den Ehemann nicht zu realisieren.

Mit der am 23. Juli 2005 zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobenen Klage trug die Klägerin vor, die Beklagte gehe von einem unrichtigen Gesetzestext aus. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe durch Beschluss vom 15. März 2000 - 1 BvL 16/96 u.a. BVerfGE 102, 68 = SozR 3-2500 § 5 Nr. 42 - eine Neuregelung des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V bis zum 31. März 2002 angemahnt. Der Gesetzgeber habe jedoch nicht die von der Beklagten in Anspruch genommene Textfassung getroffen. Damit habe der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass er der vom BVerfG gewollten Ausrichtung der Vorschrift nicht folgen wolle. § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V setze nach wie vor eine Pflichtversicherung nach § 10 SGB V voraus, an der es fehle, da sie seit 1965 weder Pflichtmitglied noch freiwilliges Mitglied, sondern über ihren Ehemann familienversichert gewesen sei. Der Ehemann sei nach wie vor freiwilliges Mitglied und nicht Pflichtmitglied. Die weitere Voraussetzung für eine kostenfreie Familienversicherung, dass das monatliche Einkommen ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße nicht überschreite, sei ebenfalls erfüllt. Würde ihr die kostenfreie Familienversicherung versagt, läge ein Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz (GG) vor, weil dies zu einer Schlechterstellung von Beziehern von Renten gegenüber sonstigen Einkommensbeziehern führen würde. Der zitierte Beschluss des BVerfG stehe dem Begehren nicht entgegen. Das BVerfG habe nicht die Möglichkeit der Familienversicherung nach § 10 SGB V einschränken wollen. Es habe nur § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V als mit dem GG unvereinbar erklärt, als Personen nur dann in der KVdR pflichtversichert seien, wenn sie die Neun-Zehntel-Belegung erfüllt hätten. Die Möglichkeit der Familienversicherung für Rentner habe nicht beseitigt werden sollen. Mit dieser Problematik habe sich das BVerfG überhaupt nicht befasst. Durch das Zehnte Gesetz zur Änderung des SGB V vom 23. März 2002 (BGBl. I S. 1169) habe der Gesetzgeber den Zugang zur Rente geregelt, ohne die geltende Fassung des Gesetzes selbst zu ändern. Demgemäß müsse weiter gelten, dass eine Pflichtversicherung in der KVdR lediglich aufgrund einer Pflichtversicherung nach § 10 SGB V entstehe. Die zum 01. April 2007 durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) vom 26. März 2007 (BGBl. I S. 387) erfolgte Änderung von § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V mit der Streichung der Worte "aufgrund einer Pflichtversicherung" zeige, dass zuvor keine Versicherungspflicht bestanden habe, wenn jemand aufgrund einer Pflichtversicherung nach § 10 SGB V versichert gewesen sei. Sie sei nunmehr zwar versicherungspflichtig geworden, der Gesetzgeber habe aber nicht berücksichtigt, dass er durch die angeordnete Versicherungspflicht auch für Bezieher von kleinsten Renten diese schlechter behandele als andere Bezieher kleiner Einkommen, die nach wie vor nach § 10 SGB V von der Versicherungspflicht befreit seien.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Im Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 2005 sei zutreffend auf die aktuelle Fassung des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V hingewiesen worden. Es sei die gültige Gesetzesgrundlage herangezogen worden. Nachdem die mit dem GG unvereinbare Regelung längstens bis 31. März 2002 habe angewandt werden können, richte sich vom 01. April 2002 an der Zugang zur Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V i. d. F. des Gesundheitsreformgesetzes (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I, S. 2477). Damit seien bei der Prüfung der Vorversicherungszeiten auch freiwillige Mitgliedschaftszeiten zu berücksichtigen sowie Zeiten einer Familienversicherung, die auf einer freiwilligen Mitgliedschaft des Stammversicherten beruhten.

Durch Urteil vom 23. Januar 2008 wies das SG die Klage ab. Entsprechend der zutreffenden Auffassung der Beklagten habe der Gesetzgeber die vom BVerfG zum 31. März 2002 gesetzte Frist verstreichen lassen, sodass sich der Zugang zur KVdR wiederum nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 i. d. F. des GRG bestimmt habe. Es genüge für die Erfüllung der Vorversicherungszeit auch, dass die Familienversicherung durch eine freiwillige Versicherung des Stammversicherten begründet werde. Die Klägerin habe seit 02. Mai 1979 (Beginn der zweiten Hälfte seit Aufnahme einer Erwerbstätigkeit) der aus der Stammversicherung des Ehegatten hergeleiteten Familienversicherung angehört. Damit scheide jetzt eine beitragsfreie Familienversicherung aus. Auch die zwischenzeitlich seit 01. April 2007 geltende Fassung des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V bedinge keine abweichende Beurteilung, da der maßgebliche Regelungsinhalt keine Änderung erfahren habe.

Gegen das am 29. Januar 2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 25. Februar 2008 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt. Sie verbleibt dabei, aufgrund der freiwilligen Mitgliedschaft des Ehemannes habe keine die Vorversicherungszeit begründende Familienversicherung bestanden. Durch eine Entscheidung des BVerfG, die eine Bestimmung eines Gesetzes für verfassungswidrig erkläre, könne nicht eine neue Belastung für Dritte entstehen, ohne dass hierzu ein eigenes Gesetz notwendig sei. Das BVerfG habe nicht Unbeteiligte neu belasten können. Dies würde gegen die Gewaltenteilung verstoßen. Welches Gesetz der Bundesgesetzgeber erlassen wolle, entscheide allein dieser. Im Übrigen habe für den vorliegenden Fall keine Gesetzeslücke bestanden. Das BVerfG habe allein denjenigen, denen zuvor der Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung versperrt gewesen sei, die Aufnahme in die Versicherung eröffnen wollen. Der Beschluss des BVerfG betreffe den vorliegenden Fall überhaupt nicht. Sie - die Klägerin - sei durchgängig familienversichert gewesen und ihr habe nicht der Zugang zur Krankenversicherung eröffnet werden müssen. Schließlich sei § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V in der seit 01. April 2007 geltenden Fassung gleichheitswidrig. Es sei nicht nur die Versicherungspflicht für Bezieher kleiner Renten eingeführt worden, sondern auch trotz fehlenden Anspruchs auf Krankengeld keine Beitragsermäßigung (vgl. §§ 241 ff. SGB V). Dies verstoße letztlich auch gegen Vertrauensschutz. Es mute auch sonderbar an, wenn sich die frühere Beteiligung am Solidarsystem in einen Nachteil für Gegenwart und Zukunft verwandle. Ein geringes Einkommen bis zu EUR 400,00 führe zur kostenfreien Familienversicherung, während eine Rente von weniger als EUR 300,00 mit der Pflichtversicherung belastet werde.

An dem im Berufungsverfahren zunächst erhobenen Begehren, die Beklagte zu verurteilen, die seit 01. April 2005 erhobenen Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur sozialen Pflegeversicherung nebst vier v.H. Zinsen seit Rechtshängigkeit zu erstatten, hat die Klägerin nicht festgehalten.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 23. Januar 2008 aufzuheben und unter Aufhebung des Bescheids vom 27. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Juni 2005 festzustellen, dass sie seit 01. April 2005 familienversichert sei, hilfsweise das Verfahren auszusetzen und nach Art. 100 Abs. 1 GG eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen, weiter hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte und die Beigeladene zu 1) beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält entgegen, der Grundsatz der Gewaltenteilung sei nicht verletzt. Das LSG Baden-Württemberg habe durch Urteil (richtig: Beschluss) vom 23. August 2005 - L 11 KR 2494/04 - entschieden, dass die Voraussetzungen der Familienversicherung nicht vorlägen. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz liege nicht vor. Die KVdR solle den Personen offenstehen, die eine angemessene Zeit in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert gewesen seien. Dass eine kleine Rente beitragsbelastet sei, während ein geringes Einkommen bis EUR 400,00 zur Familienversicherung berechtige, sei ebenfalls nicht zu beanstanden.

Der Senat hat die Pflegekasse der Beklagten (Beschluss vom 03. November 2008) und die Deutsche Rentenversicherung Bund (Beschluss vom 25. März 2010) zum Verfahren beigeladen. Die Beigeladene zu 2) hat keinen Antrag gestellt.

Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten, der Akten der Beklagten und der Rentenakten der Beigeladenen zu 2) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist in der Sache unbegründet. Die Klägerin gehört im hier streitigen Zeitraum seit dem 01. April 2005 der Pflichtkrankenversicherung der Rentner an und gelangt deshalb nicht in den Genuss der - nachrangigen - Familienversicherung.

Streitgegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 27. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Juni 2005. Hierin ist nicht vorrangig verfügt, dass die Klägerin der KVdR angehöre, sondern vielmehr, dass sie deshalb nicht familienversichert sei. Der Senat hat keine Bedenken, die Feststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) für einschlägig zu erachten, nicht jedoch eine schlichte Anfechtungsklage wegen der Feststellung der Zugehörigkeit zur KVdR (so bei anderslautender Formulierung LSG Baden-Württemberg im Beschluss vom 23. August 2005 - L 11 KR 2494/04 - in Juris).

Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V ist der Ehegatte versichert, wenn er nicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3 bis 8, 11 oder 12 (SGB V) oder nicht freiwillig versichert ist. Die Versicherung ist beitragsfrei (§ 3 Satz 3 SGB V). Hierin liegt zugunsten des Ehegatten oder sonstigen Familienangehörigen, der keine andere Absicherung vorweisen kann, ein Element des sozialen Ausgleichs (Familienlastenausgleich), das die soziale Krankenversicherung prägt (vgl. etwa Peters in Kasseler Kommentar, § 10 SGB V, Stand Juni 2007, RdNr. 2). Wer in eigener Person einen Tatbestand der Versicherungspflicht erfüllt, gelangt wegen der Subsidiarität der Familienversicherung nicht in den Genuss dieses Vorteils.

Die Klägerin kann nicht familienversichert sein, weil sie im streitigen Zeitraum seit 01. April 2005 - Beginn der Mitgliedschaft bei der Rechtsvorgängerin der jetzigen Beklagten - nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V in der seit 01. Januar 1989 geltenden Fassung des GRG vom 20. Dezember 1988 versicherungspflichtig war und ist.

Die Vorschrift lautete in der seit 01. Januar 1989 geltenden Fassung des GRG vom 20. Dezember 1988: Versicherungspflichtig sind Personen, die die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllen und diese Rente beantragt haben, wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags mindestens neun Zehntel der zweiten Hälfte des Zeitraums Mitglied oder nach § 10 (SGB V) versichert waren. Gemäß Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift stand dieser Mitgliedszeit bis zum 31. Dezember 1988 die Zeit der Ehe mit einem Mitglied gleich, wenn die mit dem Mitglied verheiratete Person nicht mehr als nur geringfügig beschäftigt oder geringfügig selbstständig tätig war.

Die Voraussetzung dieser Fassung von § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V waren seit 01. April 2005 und sind in der Person der Klägerin erfüllt. Sie beantragte am 29. April 2004 Regelaltersrente. Die Anspruchsvoraussetzungen für die Regelaltersrente nach Vollendung des 65. Lebensjahres waren erfüllt. Ebenso war die Neun-Zehntel-Belegung der zweiten Hälfte des Zeitraums von der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags gegeben. Die Klägerin hatte zum 01. September 1953 (in der DDR) erstmals eine Erwerbstätigkeit aufgenommen. Die zweite Hälfte des Zeitraums bis zum Rentenantrag vom 29. April 2004 begann mithin mit Jahresende 1978. Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin nach dem Ende ihrer versicherungspflichtigen Beschäftigung mit 31. Dezember 1964 durchgängig über ihren Ehemann, der freiwilliges Mitglied der AOK war, familienhilfeberechtigt. Die Entrichtung freiwilliger Beiträge vom 01. Januar 1979 bis 31. Dezember 1992 hatte auf diesen Status keinen Einfluss. Da die Bezugnahme auf § 10 SGB V - eigenständige Mitgliedschaft des Familienangehörigen - erst mit Inkrafttreten des GRG am 01. Januar 1989 Platz greift, war für die Erfüllung der Neun-Zehntel-Belegung gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 SGB bis zum 31. Dezember 1988 erforderlich und ausreichend, dass die Klägerin als mit dem Mitglied verheiratete Person nicht mehr als nur geringfügig beschäftigt oder geringfügig selbstständig tätig war. Letzteres ist ausweislich des Versicherungsverlaufs der Rentenbescheide erfüllt, da Zeiten einer mehr als geringfügigen Beschäftigung oder Tätigkeit nach dem 31. Dezember 1964 nicht mehr zurückgelegt wurden.

Durch das Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheitsstrukturgesetz - GSG -) vom 21. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2266) änderte der Gesetzgeber § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V und verschärfte die Voraussetzungen für die Mitgliedschaft in der KVdR dahingehend, dass versicherungspflichtig nur noch waren "Personen, die die Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllen und diese Rente beantragt haben, wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags mindestens neun Zehntel der zweiten Hälfte des Zeitraums aufgrund einer Pflichtversicherung Mitglied oder aufgrund einer Pflichtversicherung nach § 10 (SGB V) versichert waren." Damit waren Zeiten einer Familienversicherung bei freiwilliger Versicherung des Ehegatten ausgeschlossen. Auf dieser Grundlage hätte die Klägerin, deren Ehemann seit dem Beginn der zweiten Hälfte des maßgeblichen Zeitraums (Jahresende 1978) stets nur freiwillig versichert war, die Neun-Zehntel-Belegung nicht erfüllt.

Diese Regelung ist durch den Beschluss des BVerfG vom 15. März 2000 - 1 BvL 16/96 u.a. BVerfGE 102, 68 = SozR 3-2500 § 5 Nr. 42; Entscheidungsformel veröffentlicht in BGBl. I 2000, S. 1300 - für verfassungswidrig erklärt worden. Das BVerfG hat es auf Vorlagebeschlüsse des Bundessozialgerichts (BSG) als Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG angesehen, dass auch solche Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung von der KVdR ausgeschlossen seien, die während des gesamten Versicherungslebens und auch in dessen zweiter Hälfte ganz überwiegend pflichtversichert waren und nur über einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum - etwa wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze - die Voraussetzungen für die Mitgliedschaft nicht mehr erfüllten. Das BVerfG setzte dem Gesetzgeber eine Frist längstens bis 31. März 2002, eine verfassungskonforme Neuregelung herbeizuführen. Bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, längstens bis 31. März 2002, konnte § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V in der Fassung des GSG weiter angewendet werden. Weiter hat das BVerfG entschieden, falls es innerhalb dieser Frist nicht zu einer gesetzlichen Neuregelung komme, bestimme sich ab dem 01. April 2002 der Zugang zur KVdR wieder nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V in der früheren Fassung des GRG. Zum Ablauf der vom BVerfG gesetzten Frist ist es nicht zu einer Neuregelung gekommen, so dass entsprechend der Entscheidung des BVerfG seit 01. April 2002 § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V in der Fassung des GRG galt. Aktiv ist der Gesetzgeber erst mit dem am 01. April 2007 in Kraft getretenen GKV-WSG geworden, mit welchem § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V dahin geändert worden ist, dass die Wörter "auf Grund einer Pflichtversicherung nach § 10 SGB V versichert waren; als Zeiten der Pflichtversicherung gelten auch Zeiten, in denen wegen des Bezugs von Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus (§ 38 Nr. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI ) oder des Bezugs von Überbrückungsgeld aus der Seemannskasse (§ 143 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII -) eine freiwillige Versicherung bestanden hat" durch die Wörter "Mitglied oder nach § 10 (SGB V) versichert waren" ersetzt worden sind. In den Gesetzmaterialien (vgl. BT-Drucksache 16/3100 S. 93/94) ist dargelegt, da der Gesetzgeber keine verfassungskonforme Neuregelung erlassen habe, sei für den Eintritt der Versicherungspflicht als Rentner seit dem 01. April 2002 entsprechend den Beschlüssen des BVerfG wieder die bis zum Inkrafttreten des GSG geltende Rechtslage maßgeblich (gewesen). Als Rentner versicherungspflichtig werde daher seit diesem Zeitpunkt auch, wer die erforderliche Vorversicherungszeit durch eine freiwillige Mitgliedschaft oder eine von einem freiwilligen Mitglied abgeleitete Familienversicherung erfüllt habe. Diese vom BVerfG festgestellte Rechtslage werde im Gesetzestext "redaktionell nachvollzogen. Die geltende Rechtslage wird hierdurch nicht verändert". Die Gesetzgebungsorgane sind mithin zwanglos davon ausgegangen, dass die Rechtslage, wie sie seit Inkrafttreten des GRG am 01. Januar 1989 bestanden hatte, wegen Untätigkeit des Gesetzgebers gegenüber den Direktiven des BVerfG über den 31. März 2002 hinaus bestanden hatte und durch das GKV-WSG zum 01. April 2007 keine Änderung der geltenden Rechtslage eingetreten sei, sondern die vom BVerfG festgestellte Rechtslage lediglich "redaktionell nachvollzogen" werde (so auch die Kommentarliteratur, vgl. etwa Peters a.a.O., RdNr. 124, wo offenbar versehentlich die Rechtslage seit dem 01. April "2004" anstatt richtig 2002 zitiert wird). Mithin ist der Auffassung der Klägerin der Boden entzogen, für sie habe die vom BVerfG als verfassungswidrig erachtete Verschärfung der Voraussetzungen für die Vorversicherungszeiten noch gegolten. Zwar hat der Gesetzgeber innerhalb der vom BVerfG gesetzten Frist insoweit gehandelt, dass durch das Zehnte SGB V-Änderungsgesetz vom 23. März 2002 (BGBl. I S. 1169) § 9 SGB I Nr. 6 SGB V eingefügt wurde. Danach können der freiwilligen Versicherung beitreten innerhalb von sechs Monaten nach dem Eintritt der Versicherungspflicht Bezieher einer Rente der gesetzlichen Rentenversicherung, die nach dem 31. März 2002 nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 (SGB V) versicherungspflichtig geworden sind, deren Anspruch auf Rente schon an diesem Tag bestand, die aber nicht die Vorversicherungszeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 (SGB V) in der seit dem 01. Januar 1993 geltenden Fassung erfüllt hatten und die deswegen zum 31. März 2002 freiwillige Mitglieder waren. Diese Wahlmöglichkeit wurde aus Gründen des Bestands- und Vertrauensschutzes solchen Rentnern eingeräumt, die bereits am 01. April 2002 eine Rente bezogen (Bestandsrentner) und die bisher freiwillig versichert oder familienversichert waren (so auch LSG Baden-Württemberg - Beschluss vom 23. August 2005 - wie zitiert). Zu diesem Personenkreis zählte die Klägerin - anders als ihr Ehemann, der hiervon Gebrauch gemacht hat - nicht. Nach der klaren, erst zum 01. April 2007 redaktionell umgesetzten Direktive des BVerfG ist sie mithin Pflichtmitglied der KVdR geworden und geblieben. Demgegenüber ist, wie ausgeführt, die Familienversicherung gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V nachrangig.

Dies ist entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht verfassungsrechtlich bedenklich. Die Klägerin reklamiert für sich einen Bestandsschutz der kostenfreien Familienversicherung, der nicht durch den Eintritt oder die Schaffung von Tatbeständen der Versicherungspflicht in eigener Person verdrängt werden dürfe. Hierfür gibt es aber keine Begründung. Wenn das BVerfG im zitierten Beschluss vom 15. März 2000 - und der Gesetzgeber durch seine Untätigkeit bis 31. März 2002 - den Personenkreis, zu welchem die Klägerin zählt, wieder in die Versicherungspflicht einbezogen hat, ist dies nicht, wie der klägerische Vortrag nahezulegen scheint, eine unzulässige "Belastung" Dritter, die nicht am Verfahren vor dem BVerfG beteiligt waren, sondern gerade die Begünstigung, die von den Verfahrensbeteiligten beim BVerfG für sich und ihren Personenkreis herbeigeführt werden sollte. Die Belastung mit Pflichtbeiträgen ist gegenüber der kostenfreien Familienversicherung sicherlich ein Nachteil, dieser resultiert jedoch aus dem vorteilhaften Status der Pflichtversicherung.

Dies berücksichtigend ist es auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Rente der Klägerin, auch wenn sie unter dem die Familienversicherung erst ausschließenden Gesamteinkommen eines Siebtels der monatlichen Bezugsgröße oder von EUR 400,00 liegt (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V), der Versicherungspflicht unterliegt. Das BSG hat bereits entschieden, dass es nicht verfassungswidrig ist, dass ein versicherungspflichtiger Rentner nach Einführung einer eigenen Beitragspflicht auch dann in der eigenen Versicherung verbleiben muss, wenn ohne diese für ihn ein Anspruch auf Familienhilfe (jetzt Familienversicherung) bestünde (Urteil vom 23. Februar 1988 - 12 RK 33/87 - SozR 2200 § 165 Nr. 93; Beschluss vom 14. März 2006 - B 12 KR 74/05 B -, veröffentlicht in Juris). Der Gesetzgeber sieht alle versicherungspflichtigen Rentner als schutzbedürftig und schutzwürdig an. Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass in bestimmten Fällen ein Bedarf an solchem Versicherungsschutz nicht bestehe. Daraus, dass bei bestimmten Personengruppen die eigene Versicherungs- oder Beitragspflicht hinter einem Schutz durch die Familienhilfe oder jetzt die Familienversicherung zurücktritt, kann auch nicht hergeleitet werden, bei den versicherungspflichtigen Rentnern müsse ebenso verfahren werden; denn es sind dort jeweils besondere Sachgründe maßgeblich, die für die Rentner nicht zutreffen (BSG SozR 2200 § 165 Nr. 93). Die zitierte Einkommensgrenze soll bewirken, dass insbesondere der Bezug steuerfreier Sozialleistungen nicht zum Ausscheiden aus der Familienversicherung führe (vgl. BT-Drucksache 11/3480 S. 49). Der Gesetzgeber ist nicht verpflichtet, zur Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes Tatbestände der Versicherungspflicht zu hindern oder an Entgeltgrenzen ("Kleinrentner") zu binden, nur weil die Einkommensgrenze für die Familienversicherung über der tatsächlich bezogenen Rentenleistung liegt. Der Gesetzgeber braucht nicht die Möglichkeit vorzusehen, bei der hier gegebenen Konstellation den Nachrang der Familienversicherung zu durchbrechen. Immerhin ist die Beitragshöhe proportional an den Bruttobetrag der Rente gekoppelt.

Vertrauensschutzgründe vermögen ebenfalls nicht durchzuschlagen. Ein durch ein verfassungswidriges Gesetz Begünstigter hat keinen Anspruch darauf, in seinem Vertrauen auf den Fortbestand einer verfassungswidrigen Regelung geschützt zu werden (vgl. nochmals LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 23. August 2005 unter Hinweis auf BVerfGE 38, 61, 83; 68, 193, 221 ff.). Die Klägerin sucht letztlich geltend zu machen, vom durch das GSG von 1992 geschaffenen verfassungswidrigen Zustand Vorteile zu erhalten. Dies ist ihr aus den hier dargelegten Gründen verwehrt.

Da nach Überzeugung des Senats eine Verfassungswidrigkeit nicht besteht, scheidet eine Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
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