L 7 AS 881/10

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AS 2698/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 881/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 4/12 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Verweigerte Vorlage von Kontoauszügen
Wenn ein Antragsteller die Vorlage von Kontoauszügen und gegenüber dem Gericht eine Schweigepflichtsentbindung für die Bank verweigert, sind die Möglichkeiten der Amtermittlung zur Feststellung von Kontobewegungen erschöpft. Dann ist auch eine Ablehnung des Antrags auf Arbeitslosengeld II in der Sache möglich.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München
vom 16. November 2010 wird zurückgewiesen.

II. Die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens sind
nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger in der Zeit vom 28.06.2007 bis 10.10.2007einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II hat, insbesondere ob der Kläger in dieser Zeit hilfebedürftig war.

Der 1964 geborene Kläger bezog bis September 2006 Arbeitslosengeld II von der Arge A-Stadt, danach bezog er bis März 2007 Arbeitslosengeld II von der Arge O ... Ab 01.04.2007 war er bei der Firma SC erwerbstätig.

Der Kläger übermittelte dem Beklagten im Juni oder Juli 2007 einen Leistungsantrag. Dieser trägt den Eingangsstempel 03.07.2007, als Tag der Antragstellung ist der 02.07.2007 vermerkt und bei der Unterschrift des Klägers findet sich die Datumsangabe 28.06.2007. Nach dem Anschreiben und einem Sendungsstatus der Deutschen Post wurde der Leistungsantrag als Einschreiben übersandt, das der Beklagte am 02.07.2007 bei der Post abholte.

Im Antrag gab der Kläger an, circa 20.000,- Euro Schulden zu haben und ein neues Konto bei der Dresdner Bank. Die Kosten der Unterkunft betrugen einschließlich Neben- und Heizkosten (mit Warmwasserkosten) monatlich 230,- Euro.

Der Kläger legte eine Kündigung seines Arbeitgebers SC vor, bei dem er vom 01.04.2007 bis 17.05.2007 beschäftigt war. Zugleich legte er im Juli 2007 Verdienstabrechnungen für April und Mai 2007 vor. Danach erhielt er für April und Mai jeweils 1.555,75 Euro in bar ausgezahlt.

Auf Anfrage des Beklagten übermittelte der ehemalige Arbeitgeber ebenfalls Verdienstabrechnungen für die Monate April und Mai 2007. Danach wurde der Lohn auf ein anderes Konto (künftig Konto 633) bei der Dresdner Bank ausgezahlt und der Verdienst hatte im April netto 3.041,91 Euro und im Mai netto 1.694,71 Euro betragen.

Der Kläger wurde daraufhin schriftlich aufgefordert, die Kontoauszüge zum Konto 633 vorzulegen. Er teilte dazu lediglich mit, dass dieses Bankkonto nicht sein Konto sei und er dementsprechend auch nicht über Kontoauszüge verfüge. Auch bei einer Vorsprache am 15.08.2007 beantwortete der Kläger die Fragen zu den Lohnabrechnungen nicht.

Mit Bescheid vom 29.08.2007 lehnte der Beklagte die Gewährung von Leistungen ab wegen nicht feststellbarer Hilfebedürftigkeit.

Der Kläger zog zum 11.10.2007 nach A-Stadt um.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 11.10.2007 als unbegründet zurückgewiesen. Klage sei beim Sozialgericht Düsseldorf zu erheben. Der Widerspruchsbescheid konnte erst beim dritten Versuch in A-Stadt zugestellt werden.

Eine vom Kläger bereits am 17.08.2007 zum Sozialgericht Düsseldorf erhobene Klage auf laufende Leistungen nahm der Kläger zurück. Die nachfolgende Rücknahme dieser Klagerücknahme blieb erfolglos (LSG NRW, Urteil vom 19.05.2008, L 19 AS 60/07).

Am 04.08.2008 erhob der Kläger erneut Klage zum Sozialgericht Düsseldorf auf Leistungen für die Zeit vom 28.06.2007 bis 10.10.2007. Die Klage wurde an das Sozialgericht München verwiesen. Der Kläger legte ein Schreiben von Frau K. aus Berlin an das Sozialgericht Düsseldorf vom 07.09.2007 vor. Darin erklärt Frau K., dass das strittige Konto 633 "wirtschaftlich ihrer Person zuzurechnen sei". Sie habe dem Kläger lediglich erlaubt, sein Gehalt hierauf zu überweisen, weil er kein eigenes Girokonto gehabt habe. Zwei Ladungen von Frau K. als Zeugin scheiterten mangels einer zutreffenden Anschrift.

Aufgrund einer allgemeinen Schweigepflichtentbindung holte das Sozialgericht eine schriftliche Zeugenaussage der Bank ein. Die Bank teilte mit, dass unter der Kontonummer 633 von November 2006 bis September 2007 ein Gemeinschaftskonto für den Kläger und Frau K. geführt wurde. Der Kläger und Frau K. waren laut Kontounterlagen jeweils einzelverfügungsberechtigt. Die beiden Kontoinhaber hatten mit Schreiben vom 24.08.2007 bzw. 26.08.2007 um die Umstellung des Kontos in ein Einzelkonto für Frau K. gebeten. Diese beiden Schreiben - das des Klägers mit dessen Unterschrift - wurden übermittelt. Die Bank lehnte mit Schreiben vom 29.08.2007 an die beiden Kontoinhaber diese Umstellung aber ab.

Mit Urteil vom 16.11.2010 wies das Sozialgericht die Klage ab. Die Hilfebedürftigkeit des Klägers sei nicht nachgewiesen. Die Finanzstrukturen seien unklar. Es gehe nicht nur um die Zahlungen des letzten Arbeitgebers.

Am 01.12.2010 hat der Kläger Berufung gegen das Urteil eingelegt. Der Kläger sei hilfebedürftig und habe alles in seinen Kräften Stehende unternommen, den Sachverhalt darzulegen. Die Anschrift von Frau K. kenne der Kläger nicht. Die Anschrift von Frau K. konnte auch durch Meldeanfragen des Gerichts nicht ermittelt werden. Der Kläger legte dem Gericht ein Schreiben der Bank vor, wonach Ersatzkontoauszüge nur für die Zeit von März bis Ende Mai 2007 übermittelt werden könnten, weil der Kläger nur bis 31.05.2007 Mitverfügungsberechtigter des Kontos gewesen sei. Nach den für diese Zeit vom Kläger übermittelten Kontoauszügen wurden die Gehälter für April und Mai 2007 am Ende dieser Monate ausgezahlt.

Das Gericht wies auf die Widersprüche hin, dass der Kläger nach den von ihm übermittelten Unterlagen für das Konto 633 nur bis 31.05.2007 und nach den von der Bank übermittelten Unterlagen aber bis September 2007 verfügungsberechtigt gewesen sei und dieses Konto erst Ende August 2007 gekündigt habe. Zur Aufklärung dieser Widersprüche wurde unter Hinweis auf die objektive Beweislast eine Entbindung von der Geheimhaltungspflicht für Geldinstitute angefordert. Diese Erklärung wurde vom Kläger "aus rechtlichen Gründen" abgelehnt, er würde sonst möglicherweise Rechte von Frau K. verletzen.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 16.11.2011 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 29.08.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.10.2007 zu verurteilen, den Kläger Arbeitslosengeld II für die Zeit von 28.06.2007 bis 10.10.2007 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die Akte des Beklagten, die Akte der Sozialgerichte Düsseldorf und München sowie die Akte des Berufungsgerichts verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Berufungssumme von 750,- Euro wird überschritten (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Die Berufung ist aber nicht begründet, weil das Sozialgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat.

Streitgegenstand ist der Ablehnungsbescheid vom 29.08.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.10.2007 und Ansprüche auf Arbeitslosengeld II nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) die Zeit von 28.06.2007 bis 10.10.2007.

Das Sozialgericht durfte in der Sache entscheiden, weil die am 04.08.2008 erhobene Klage fristgerecht war. Der Widerspruchbescheid vom 11.10.2007 hatte eine falsche Rechtsbehelfsbelehrung, da er auf eine Klageerhebung beim Sozialgericht Düsseldorf verwies, statt auf das nach dem zum 11.10.2007 erfolgten Umzug örtlich zuständige Sozialgericht München, § 57 Abs. 1 SGG. Es lief deshalb gemäß § 66 Abs. 2 SGG eine einjährige Klagefrist, die der Kläger eingehalten hat.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Antrag am 28.06.2007 oder am 02.07.2007 eingegangen ist. Der Ablehnungsbescheid vom 29.08.2007 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, weil die Leistungsvoraussetzung der Hilfebedürftigkeit nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 9 Abs. 1 SGB II trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht bejaht werden kann. Die übrigen Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II lagen in der strittigen Zeit vor.

Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt und seine Eingliederung in Arbeit nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

Das Gericht konnte die Hilfebedürftigkeit des Klägers nicht bejahen, weil keine Informationen zu dem Konto 633 gewonnen werden konnten, auf das die letzten Lohnzahlungen des Klägers gegangen sind und für das der Kläger nach der eindeutigen Auskunft der Bank gegenüber dem Sozialgericht bis September 2007 Verfügungsbefugnis hatte.

Der Kläger war im März 2007 aus dem vorherigen Leistungsbezug ausgeschieden. Die letzten Lohnzahlungen sind nach den vom Kläger vorgelegten Kontoauszügen Ende April (3.041,91 Euro) und Ende Mai 2007 (1.694,71 Euro) zugeflossen. Wenn diese Zahlungen tatsächlich so erfolgten, dann handelt es sich bei diesen Zahlungen nach der Zuflusstheorie um Vermögen. Dieses Vermögen - sofern kein weiteres vorhanden war - läge unter dem Vermögensfreibetrag nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr.- 1 und 4 SGB II (43 x 150,- Euro plus 750,- Euro = 7.200,- Euro). Dies genügt jedoch nicht, um die Hilfebedürftigkeit zu bejahen.

Der Kläger hatte dem Beklagten im Juli 2007 Verdienstabrechnungen vorgelegt, von denen er wusste, dass diese hinsichtlich Zahlungsart und Zahlungshöhe falsch waren. Er hatte eben keine Barzahlungen erhalten und er wusste aufgrund der Überweisungen auf das gemeinsame Konto von den tatsächlichen Zahlungen. Natürlich kannte der Kläger auch das vereinbarte Monatsgehalt. Damit ist offenkundig, dass der Kläger das Konto 633 und die Höhe der Zahlungen vor dem Beklagten verbergen wollte.

Der Beklagte konnte die notwendigen Informationen nicht ohne den Kläger ermitteln. Insbesondere reichten die Ermittlungsmöglichkeiten nach § 93 Abs. 8 Abgabenordnung und § 60 Abs. 2 Satz 1 SGB II nicht aus, um Kontostand und Kontobewegungen festzustellen (vgl. BSG Urteil vom 19.02.2009, B 4 AS 10/08 R, Rn. 19). Somit war die Amtsermittlung ausgeschöpft und eine Ablehnung in der Sache möglich (vgl. BSG Urteil vom 01.07.2009, B 4 AS 78/08 R, Rn. 17).

Nach der Auskunft der Bank gegenüber dem Sozialgericht konnte der Kläger bis September 2007 neben Frau K. einzeln über das Konto 633 verfügen. Dies belegt auch das Schreiben des Klägers an die Bank vom 24.08.2007, in dem er dieses Konto kündigen wollte und um die Umstellung des Kontos auf Frau K. bat.

Im Berufungsverfahren hat der Kläger dann selbst ein Schreiben der Bank vom 23.01.2011 vorgelegt, wonach der Kläger Ersatzkontoauszüge nur bis 31.05.2007 bekommen könne, weil er nur bis 31.05.2011 Mitverfügungsberechtigter gewesen sei. Dieses Schreiben steht in krassem Gegensatz zu den anderen Schreiben der Bank und dem eigenen Schreiben des Klägers vom 24.08.2007. Das Gericht war deshalb gehalten, diesen Widerspruch zu klären durch eine direkte Anfrage bei der Bank. Der Kläger hatte zuvor Zahlungen von rund 4.700,- Euro auf dieses Konto verschwiegen. Es war notwendig, die Finanzverhältnisse des Klägers so weit als möglich und insbesondere in Hinblick auf das Konto 633 aufzuklären. Dem Kläger wurden die inhaltlichen Widersprüche und deren Klärungsbedürftigkeit unter Hinweis auf seine objektive Beweislast für die Hilfebedürftigkeit vom Gericht eingehend dargelegt. Trotzdem hat der Kläger die für die Anfrage bei der Bank erforderliche Schweigepflichtsentbindung nicht abgegeben. Dabei kann dahin gestellt bleiben, ob die vom Kläger in Bezug auf Frau K. behaupteten rechtliche Hindernisse für die Abgabe der Schweigepflichtsentbindung trotz seiner Einzelverfügungsbefugnis über das Konto bestanden. Die Hilfebedürftigkeit des Klägers war nicht feststellbar.

Die Schweigepflichtsentbindung wäre sowohl für die Vorlage von Urkunden und Unterlagen (z.B. Kontoauszüge) nach § 202 SGG i.V.m. §§ 142, 383 Abs. 1 Nr. 6, § 385 Abs. 2 ZPO erforderlich gewesen als auch für eine schriftliche Zeugenaussage nach § 106 Abs. 3 Nr. 4, Abs. 4, § 118 SGG i.V.m. § 383 Abs. 1 Nr. 6, § 385 Abs. 2 ZPO. Das Berufungsgericht konnte schon deswegen nicht auf die dem Sozialgericht erteilte Schweigepflichtsentbindung zurückgreifen, weil in der Ablehnung der Erteilung der Entbindungserklärung auch ein Widerruf der erstinstanzlichen Erklärung zu sehen ist. Eine Anfrage des Gerichts bei der Bank zum Konto 633 und eventuell weiteren Konten war somit nicht möglich.

Frau K. konnte nicht als Zeugin vernommen worden, weil keine ladungsfähige Anschrift ermittelt werden konnte.

Im Endergebnis war die Hilfebedürftigkeit des Klägers nicht zu klären. Ein Leistungsanspruch für die strittige Zeit konnte daher nicht bejaht werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wurde nicht zugelassen, weil keine Gründe nach § 160 Abs. 2 SG ersichtlich sind.
Rechtskraft
Aus
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