L 8 SB 4120/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 15 SB 7522/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 4120/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.7.2010 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor Ziffer 1 wie folgt gefasst wird: "Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 10.4.2008 und des Teilhabeabhilfebescheids vom 31.7.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2008 verurteilt, bei dem Kläger einen Grad der Behinderung von 40 seit dem 1.1.2007 festzustellen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen."

2. Außergerichtliche Kosten für das Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 statt des bisher festgestellten GdB von 40.

Der 1945 geborene Kläger beantragte am 11.3.2008 die Feststellung seiner Behinderung beim Beklagten. Er habe Beschwerden am Herzen und an der Wirbelsäule.

In den Akten des Beklagten befinden sich verschiedene Arztunterlagen, aus denen sich ergab, dass der Kläger seit mindestens 1997 wegen Beschwerden in der Lendenwirbelsäule (LWS) in Behandlung war.

Seit dem Jahr 2000 klagte er über Sehstörungen im Sinne von Gesichtsfeldausfällen im Sitzen und nach längerem Stehen. Im Jahr 2003 wurden Herzrhythmusstörungen als Ausdruck eines sog. Sick-Sinus-Syndroms festgestellt und die Indikation zu einer Herzschrittmacherimplantation gestellt (Arztbrief Dr. W.-H. vom 21.03.2003). Der in der Folge implantierte Herzschrittmacher wurde im Jahr 2008 von der Kardiologin Dr. W.-H. (Bericht vom 14.01.2008) als regelrecht funktionsfähig dargestellt.

Mit Bescheid vom 10.4.2008 stellte der Beklagte einen GdB von 20 ab 1.1.2007 fest. Dagegen erhob der Kläger am 24.4.2008 Widerspruch, den der Beklagte zum Anlass nahm, den behandelnden Orthopäden Dr. G. um einen Befundbericht zu bitten. Er teilte mit Bericht vom 9.6.2008 mit, der Kläger sei wegen einer chronischen Cervikobrachialgie bei schwerster Osteochrondrose im Bereich von vier Bandscheiben der Halswirbelsäule (HWS) und Blockwirbelbildung in der oberen HWS in Behandlung. Weiterhin leide er unter einer chronischen Lumboischialgie bei schwerer Osteochondrose im Bereich der drei untersten Bandscheiben der LWS. Es bestehe eine erhebliche Einsteifung im Bereich der HWS, Brustwirbelsäule (BWS) und LWS auf die Hälfte der Beweglichkeit in alle Bewegungsrichtungen. Neurologische Ausfälle seien bisher nicht aufgetreten. Es bestehe außerdem eine Dorsalgie bei degenerativen Veränderungen.

Nach Anhörung des medizinischen Diensts half der Beklagte dem Widerspruch teilweise ab und stellte mit Bescheid vom 31.7.2008 ab 1.1.2007 einen GdB von 30 fest.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.10.2008 wies der Beklagte den Widerspruch im Übrigen zurück.

Dagegen erhob der Kläger am 10.11.2008 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG). Zur Begründung seiner Klage führte er aus, dass die Beschwerden in der Wirbelsäule nicht hinreichend berücksichtigt worden seien. Dr. G. habe eine schwere Osteochondrose der HWS mitgeteilt. Das alleine bedinge schon einen GdB von 30. Dazu komme eine schwere Osteochrondose der LWS, die sich seit 1997 verschlimmert habe. Darüber hinaus bestehe eine Dorsalgie und eine Teileinsteifung der BWS. Insofern sei allein für die Wirbelsäule ein GdB von 40 festzusetzen.

Der Beklagte unterbreitete mit Schriftsatz vom 8.1.2009 ein Vergleichsangebot, mit dem er einen GdB von 40 ab 1.1.2007 anbot. Er ging insofern davon aus, dass die Wirbelsäulenbeschwerden mit einem GdB von 30 zu bewerten seien. Der Kläger nahm das Angebot nicht an.

Das SG hörte zur Aufklärung des Sachverhalts den Orthopäden Dr. G. schriftlich als sachverständigen Zeugen. Er teilte mit (Aussage vom 12.05.2009), dass der Kläger bei ihm am 21.10.2004 und am 27.5.2008 in Behandlung gewesen sei. Bei der letzten Untersuchung habe sich eine erhebliche Einschränkung der HWS mit zunehmenden degenerativen Veränderungen mit Blockwirbelbildung im Bereich C2/C3 ergeben. Die Rumpfwirbelsäulenbeweglichkeit sei deutlich eingeschränkt. Es bestünden paravertebrale Muskelverspannungen. Die Beschwerden in der HWS seien schwergradig, diejenigen in der BWS und LWS mittelgradig. Seines Erachtens bestehe ein GdB von 30 für die Wirbelsäule.

Der Kläger legte ein Attest der Kardiologin Dr. W.-H. vom 21.7.2009 vor. Danach war zwischenzeitlich auch eine koronare Herzerkrankung diagnostiziert worden. Es sei eine Dilatation der linken Kranzarterie durchgeführt worden.

Das SG befragte darauf hin auch Dr. W.-H. schriftlich als sachverständige Zeugin. Sie gab an (Aussage vom 13.10.2009), dass der Kläger nach Dilatation und Stentanlage im Januar 2009 weitgehend Beschwerdefreiheit angebe. Die Belastbarkeit sei wieder gut. Zum GdB äußerte Dr. W.-H. sich nicht. Sie legte den Entlassungsbericht des Klinikums S. vom 22.1.2009 über die stationäre Behandlung der koronaren Herzerkrankung vor, nach dem eine Reststenose von 0% bestand.

Mit Gerichtsbescheid vom 30.7.2010 verurteilte das SG den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 10.4.2006 (gemeint: 10.4.2008) und des Teilabhilfebescheids vom 31.7.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2008 einen GdB von 40 festzustellen. Zur Begründung führte es aus, dass auf orthopädischem Fachgebiet ein GdB von 30 zu berücksichtigen sei, weil der Kläger unter schwergradigen Einschränkungen der HWS und mittelgradigen Einschränkungen der BWS und LWS leide, wie der Aussage von Dr. G. zu entnehmen sei. Auf internistischem Fachgebiet sei ein GdB von 20 ausreichend. Die verbleibenden Beeinträchtigungen im Bereich des Herzens bestünden in der Notwendigkeit eines Schrittmachers, mit dem das Sick-Sinus-Syndrom gut behandelt sei. Die koronare Herzerkrankung führe nur noch zu Beschwerden bei stärkerer körperlicher Belastung, so dass diese Erkrankung an der bisherigen Beurteilung nichts ändere.

Mit Bescheid vom 13.8.2010 hat der Beklagte den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart umgesetzt und einen GdB von 40 seit 01.01.2007 festgestellt.

Gegen den dem Klägerbevollmächtigten am 4.8.2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 1.9.2010 Berufung eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen seinen Vortrag aus dem Verfahren vor dem SG wiederholt.

In der Folge hat er ergänzend ausgeführt, dass sein kardiologischer Zustand sich verschlechtert habe und deshalb auch in diesem Bereich ein höherer GdB zu berücksichtigen sei. Er hat dazu den vorläufigen Entlassungsbericht des Klinikums S. vom 30.3.2011 über eine stationäre Behandlung ab 29.3.2011 vorgelegt. Danach hat der Kläger eine Stenose der Herzkranzgefäße erlitten, die mittels eines Stent versorgt worden sei. Bei einem weiteren Herzkranzgefäß finde sich noch eine Teilstenose.

Er hat am 29.06.2011 ein Attest seines Hausarztes Dr. Ha. - ohne Datum - vorgelegt. Danach hat sich die kardiale Situation seit der ersten kardialen Intervention im Jahr 2009 verschlechtert. Es sei eine Progression zu erkennen und abzuleiten.

Er meint, der Bescheid vom 13.8.2010 sei in Anwendung des § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden.

Das Gutachten von Dr. R. sei unschlüssig, weil er einerseits feststelle, dass die koronare Herzerkrankung verschlimmert und noch Reststenosen vorhanden seien, andererseits aber keine Erhöhung des GdB stattzufinden habe. Auch die morgendliche Müdigkeit und die Tatsache, dass er bei der Belastungserprobung nur 69% der Sollbelastung und nur 88% des Sollwerts der Herzfrequenz erreiche, habe Dr. R. nicht hinreichend gewürdigt. Es sei insofern auch nicht zutreffend, dass er keine Belastungen durch die Einschränkung der Herzfunktion habe. Es sei zwar zutreffend, dass er keine pectangiösen Beschwerden habe, aber er sei ständig müde und könne im Grunde seine früheren sportlichen Aktivitäten nicht mehr ausüben.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.7.2010 zu ändern und den Beklagten unter Abänderung des Ablehnungsbescheids vom 10.4.2008 und des Teilabhilfebescheids vom 31.7.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2008 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 13.8.2010 zu verurteilen, die Schwerbehinderteneigenschaft mit einem GdB von 50 ab 01.01.2007 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.7.2010 zurückzuweisen.

Zur Begründung hat er sich auf den angefochtenen Gerichtsbescheid, den angefochtenen Bescheid vom 13.8.2010 bezogen. Das Gutachten von Dr. R. sei schlüssig. Eine geringe Stenose der rechten Kranzarterie zeige typischerweise keinerlei Beeinträchtigungen im Alltagsleben. Eine Intervention an den Kranzgefäßen erfolge erst ab einem Verschluss von 80%. Die Kritik des Klägers an diesem Gutachten sei deshalb nicht nachvollziehbar.

Der Senat hat zur Aufklärung des Sachverhalts erneut Dr. W.-H. schriftlich als sachverständige Zeugin befragt. Sie hat mitgeteilt (Aussage vom 20.04.2011), dass eine Wiederverengung der linken Kranzarterie bestehe. Die Diagnostik sei noch nicht abgeschlossen. Ein Belastungs-EKG am 12.4.2011 habe zunächst eine Belastbarkeit bis 125 Watt gezeigt.

Später hat sie den Bericht vom 26.05.2011 über eine Stresskardiographie vom 26.5.2011 vorgelegt. Danach ist der Kläger bis 100 Watt, 1,5 min lang sogar über 125 Watt belastbar.

Der Senat hat schließlich (von Amts wegen) ein Gutachten des Internisten und Kardiologen Dr. R. vom Februar 2012 eingeholt. Bei dieser Untersuchung hat der Kläger angegeben, häufig müde zu sein und unter Knieschmerzen zu leiden. Beim Treppensteigen müsse er nach zwei Stockwerken eine Pause machen und durchatmen. Dr. R. hat im Rahmen der Untersuchung eine regelrechte Schrittmacher-Funktion festgestellt. In der Ergometrie hat der Kläger bis zu 104 Watt belasten können, danach ist die Untersuchung wegen muskulärer Erschöpfung und Schmerzen im rechten Knie abgebrochen worden. Es habe beim Kläger keine Einschränkung der Sauerstoffaufnahme ins Blut von Seiten der Lungen oder des Herzens festgestellt werden können. Im Übrigen hat Dr. R. keine pathologischen Befunde feststellen können. Dr. R. ist deshalb zu dem Ergebnis gekommen, dass die Beeinträchtigung durch das Sick-Sinus-Syndrom als gering einzustufen sei. Es liege ein Sinusrhythmus vor, der Schrittmacher setze nur selten ein. Die Folgen der koronaren Herzerkrankung seien ebenfalls gering, der Kläger sei bei alltäglichen Verrichtungen auch bei stärkerer Belastung beschwerdefrei. Der GdB auf internistischem und kardiologischem Gebiet sei deshalb mit 20 zutreffend eingeschätzt.

Die Beteiligten haben übereinstimmend einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf einen Band Schwerbehindertenakten des Beklagten, die Akten des Sozialgerichts Stuttgart und die Akten des Senats hingewiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig.

Der Senat kann gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten dieser Verfahrensweise zugestimmt haben.

Der Bescheid des Beklagten vom 13.08.2011 ist nicht anfechtbar, weil er ausdrücklich in Ausführung des angefochtenen Gerichtsbescheides des SG vom 30.07.2010 ergangenen ist und mangels insofern eigenen Regelungsgehalts kein ersetzender Verwaltungsakt ist (vgl. Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl., § 31 Rn. 30), weshalb § 96 SGG nicht anwendbar ist. Der im Zuge der vorläufigen Vollstreckbarkeit des SG-Urteils (§ 154 SGG) ergangene Ausführungsbescheid wird von der Berufung der Klägerin gegen den diesen Sachverhalt regelnden Gerichtsbescheid mit erfasst, ohne dass es hierzu einer Klage nach §§ 153 Abs. 1, 96 SGG bedarf, über die der Senat gesondert zu befinden hätte (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, § 96 Rn. 7 und 4b, jeweils m.w.N.). Der Senat hat dementsprechend den Berufungsantrag der Klägerin sachdienlich gefasst.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. In diesem Zusammenhang waren bis zum 31.12.2008 die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3 3870 § 4 Nr. 1).

Seit 01.01.2009 ist an die Stelle im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 16 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. In den VG ist ebenso wie in den AHP (BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22) der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Dadurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht (ständige Rechtsprechung des Senats).

Nach diesen Kriterien ist der vom SG ausgeurteilte GdB von 40 zutreffend und ausreichend.

Der Kläger hat Beschwerden auf orthopädischem Fachgebiet. Er leidet unter einer schweren Osteochrondrose der HWS, die in einem Abschnitt der HWS zu einer Blockwirbelbildung geführt hat. Weiterhin leidet er unter Schmerzen in der LWS mit einer Osteochondrose der unteren drei Abschnitte der LWS. Alle drei Wirbelsäulenabschnitte sind in ihrer Beweglichkeit bis auf die Hälfte eingeschränkt und der Kläger hat Schmerzen in der Wirbelsäule. Neurologische Ausfälle wie z.B. Kribbelmissempfindungen, Beinnervenlähmungen o.ä. sind nicht aufgetreten. Das rechtfertigt einen GdB von 30 wie das SG zutreffend festgestellt hat. Nach B Nr. 18.8 VG bedingen mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten einen GdB von 30 bis 40. Bei besonders schweren Auswirkungen, die die VG mit dem Beispiel einer Versteifung großer Teile der Wirbelsäule, anhaltender Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäuleabschnitte umfasst oder bei schwerer Skoliose annimmt, wird ein GdB von 50 und mehr angenommen. Beim Kläger bestehen schwere Einschränkungen in der HWS, die allerdings nicht als besonders schwer zu bezeichnen sind, denn neurologische Ausfälle sind nicht zu verzeichnen. Weiterhin bestehen mittelgradige Auswirkungen in der LWS und leicht- bis mittelgradige Auswirkungen in der BWS, denn hier ist es zwar zu einer Einschränkung der Beweglichkeit auf die Hälfte aber zu keinen weiteren Ausfällen gekommen. Eine Blockwirbelbildung ist hier im Gegensatz zur HWS nicht zu verzeichnen. Es ist deshalb von einem GdB im unteren Bereich des gegebenen Rahmens auszugehen.

Die vom Kläger bei der Untersuchung durch Dr. R. geschilderten Knieschmerzen führen nicht zu einem GdB. Diese Beschwerden waren offenbar bisher nicht behandlungsbedürftig. Besondere Bewegungseinschränkungen hat Dr. R. nicht beschrieben und der Kläger auch nicht behauptet. Insofern sah der Senat sich auch nicht gedrängt, weitere Ermittlungen durchzuführen.

Der Kläger hat weiterhin Beschwerden von Seiten des Herzens. Hier ist ihm ein Schrittmacher implantiert worden und er ist zweimal im Rahmen einer Koronarangiographie mit Stents versorgt worden. Die daraus resultierenden Einschränkungen sind mit einem GdB von 20 ausreichend berücksichtigt. Nach B Nr. 9.1.1 VG bedingt eine Einschränkung der Herzleistung ohne Insuffizienzzeichen wie Atemnot, anginöse Schmerzen selbst bei gewohnter stärkerer Belastung wie z.B. sehr schnellem Gehen von 7 bis 8 km/h einen GdB von 0-10. Eine Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung wie z.B. forschem Gehen, Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung von 75 Watt über wenigstens zwei Minuten einen GdB von 20 bis 40. Nach operativen und anderen therapeutischen Eingriffen am Herzen ist der GdB nach Nr. 9.1.2 VG von der bleibenden Leistungsbeeinträchtigung abhängig. Nach Nr. 9.1.6 sind Herzrhythmusstörungen nach Implantation eines Herzschrittmachers mit einem GdB von 10 zu bewerten. Beim Kläger ist ein Herzschrittmacher implantiert worden, der nach allen vorliegenden ärztlichen Unterlagen einschließlich des Gutachtens von Dr. R. und der Zeugenaussagen von Dr. W.-H. eine gute Funktion aufweist. Zu Herzrhythmusstörungen kommt es dabei nicht mehr. Weiterhin wurde der Kläger zwischenzeitlich zweimal mit einem Stent versorgt. Das erste Stent ist nicht mehr komplett durchgängig, insofern liegt eine leichte Stenose vor. Nach den Befunden von Dr. W.-H. und Dr. R. führt diese Erkrankung aber nicht zu einer Leistungseinschränkung bei den genannten mittelschweren Belastungen. Der Kläger ist bei der Untersuchung durch Dr. R. in der Lage gewesen, bis zu 104 Watt zu belasten, ohne dass pathologische Messdaten von Seiten des Herzens aufgetreten sind. Auch Atemnot in Folge der Beeinträchtigung des Herzens ist bei dieser Belastung nicht aufgetreten, wie Dr. R. mithilfe der Spirometrie festgestellt hat. Auch der Kläger hat erst nach zwei Etagen Treppenlaufen eine verstärkte Atmung berichtet und die Notwendigkeit einer Pause zum Durchatmen dargestellt. Das führt Dr. R. überzeugend auf einen schlechten Trainingszustand zurück. Eine regelrechte Atemnot ist daraus nicht zu schließen. Diese Beschwerden rechtfertigen unter Berücksichtigung der von Dr. R. umschriebenen morgendlichen Müdigkeit keinen höheren GdB als den schon vom SG und dem Beklagten berücksichtigten GdB von 20.

Die vom Kläger geschilderte morgendliche Müdigkeit bedingt – zumindest derzeit – (noch) keinen GdB. Der Kläger hat insofern geschildert, dass er sich um 9.00 Uhr schon sehr müde fühle und dann auch gelegentlich einschlafe. Dr. R. hat eine kardiologische Ursache für diese Beschwerden in seinem Gutachten überzeugend ausgeschlossen. Eine ärztliche Behandlung wegen dieser Müdigkeit ist offenbar bisher nicht notwendig und ist auch von Dr. R. nicht für notwendig gehalten worden. Die Müdigkeit ist durch die Notwendigkeit bis zur viermal nachts zum Wasserlassen aufzustehen und die morgendlichen Rückenschmerzen, die ein Weiterschlafen über 6.30 Uhr hinaus nicht erlauben, erklärbar. Sie bedingt für sich allein nach den VG keinen eigenen GdB. Hinweise auf eine urologische Erkrankung des Klägers ergeben sich nicht und sind von ihm auch nicht vorgetragen worden. Die Schwierigkeit des morgendlichen Schlafens ist durch den GdB von 30 für die Wirbelsäulenbeschwerden hinreichend abgedeckt. Sofern die Müdigkeit zumindest teilweise auf die Beschwerden des Herzens zurückzuführen sind, ist sie in dem mit 20 bereits großzügig bemessenen GdB für diese Beschwerden mit berücksichtigt. Hinweise auf eine weitere Behinderung etwa in Folge einer Schlafapnoe-Symptomatik hat Dr. R. nicht feststellen können. Der Senat sieht sich insofern – auch im Hinblick auf den fehlenden Vortrag des Klägers – nicht gedrängt, hier weitere Ermittlungen im Sinne einer weitergehenden Diagnostik durchzuführen.

Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Teil A Nr. 3 Seite 10 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP).

Die Beeinträchtigungen des Klägers sind mit einem Gesamt-GdB von 40 zutreffend bewertet. Es bestehen Einzel-GdB von 30 und 20. Ausgehend von dem GdB von 30 für die Beschwerden an der Wirbelsäule wird der GdB infolge der Einschränkungen von Seiten des Herzens um 10 auf 40 erhöht. Eine weitere Erhöhung ist nicht gerechtfertigt, denn die Beschwerden von Seiten des Herzens wirken sich nicht in außergewöhnlicher Weise auf die Beschwerden in der Wirbelsäule aus.

Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.7.2010 war deshalb zurückzuweisen.

Der Senat hat zur Klarstellung im Hinblick auf den Schreibfehler betreffend das Ausstellungsdatum des angefochtenen Ausgangsbescheids den Tenor des Gerichtsbescheids vom 30.7.2010 neu gefasst (§ 138 SGG; zur Zuständigkeit des Rechtsmittelgerichts und Zulässigkeit der Berichtigung im Urteil vgl. Keller in Meyer-Ladewig, a.a.O., § 138 Rnr. 4, 4a).

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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