Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 14 SO 184/12 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 SO 340/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 31. Oktober 2012 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin, mit der schriftlich beantragt wird,
den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 31. Oktober 2012 abzuändern und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache monatlich Leistungen nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs – Sozialhilfe (SGB XII) in Höhe von 113,66 EUR zu zahlen
hat keinen Erfolg.
Die gemäß § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Der Beschluss des Sozialgerichts ist nicht zu beanstanden.
Die Antragstellerin hat das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht.
Das Sozialgericht hat zutreffend festgestellt, dass eine Hilfebedürftigkeit nach § 2 Abs. 1 SGB XII nicht glaubhaft gemacht ist, weil die Antragstellerin in der Lage ist, ihren Lebensunterhalt durch Einsatz ihres Einkommens zu decken. Ihr monatliches Einkommen übersteigt ihren monatlichen Bedarf.
Rechtsfehlerfrei hat der Antragsgegner mit Bescheid vom 31. Juli 2012 angenommen, dass dem Bedarf der Antragstellerin in Höhe von 956,59 EUR ein bereinigtes Einkommen in Höhe von 1.390,73 EUR gegenübersteht.
Insbesondere ist als Einkommen die Witwenrente nach ihrem am xx. xxx 2012 verstorbenen Ehemann in Höhe des ausgezahlten Betrags (1.083,90 EUR) abzüglich 9,02 EUR für die Haftpflicht- und Hausratsversicherung zu berücksichtigen. Im Gegensatz zur Rechtsauffassung der Antragstellerin ist die Witwenrente auch im sog. Sterbevierteljahr (§ 67 Nr. 5, 6 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Rentenversicherung - SGB VI) in voller Höhe anzurechnen. Die Witwenrente ist auch im Sterbevierteljahr keine gem. § 83 Abs. 1 SGB XII anrechnungsfreie zweckbestimmte Leistung. Zwar dient die Witwenrente im Sterbevierteljahr dem abstrakt-generellen Ziel, den während des Sterbevierteljahres zwangsläufig eintretenden besonderen Bedarf des hinterbliebenen Ehegatten zu befriedigen (BSG, Urteil vom 11. Januar 1990 – 7 Rar 128/88). Sie soll nach der Intention des Gesetzgebers dem Hinterbliebenen die Aufwendungen, die mit der letzten Krankheit und dem Todesfall verbunden sind, abnehmen und ihm die Umstellung auf die neuen Lebensumstände finanziell erleichtern (BVerfG, Entscheidung vom 8. März 1972 - 1 BvR 674/70).
Ein solcher abstrakt-genereller Zweck ist für eine Zweckbestimmung gem. § 83 SGB XII jedoch nicht ausreichend. Abstrakt-generelle Zwecke sind jeder Norm immanent (Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf § 83 SGB XII Rdnr. 6). § 83 Abs. 1 SGB XII fordert über einen solchen allgemeinen Zweck einen solchen, der "ausdrücklich genannt" ist.
Erforderlich für eine Zweckbestimmung im Sinne des § 83 Abs. 1 SGB XII ist damit ein konkret-individueller Zweck, der allerdings bei der Witwenrente im Sterbevierteljahr nicht gegeben ist. Nicht zu fordern ist zwar, dass der Empfänger die andere Leistung nur zu dem im Gesetz oder in einer Vereinbarung vorgesehenen Zweck verwenden darf oder dass der Leistende ein Kontrollrecht oder einen Einfluss auf die Verwendung hat. Zweckbestimmt sind daher auch solche Leistungen, die aus einem bestimmten Anlass und in einer bestimmten Erwartung gegeben werden und die der Empfänger zwar im Allgemeinen für den bestimmten Zweck verwenden wird, ohne dass er jedoch dazu angehalten werden könnte (BSG Urteil vom 11. Januar 1990 - 7 Rar 128/88 Rdnr. 25; Söhngen, in: jurisPK-SGB II § 11a SGB II Rdnr. 29). Jedoch ist die Erwartung des Gesetzgebers im Fall der Witwenrente im Sterbevierteljahr nicht derart konkretisiert, dass sie über die abstrakt-generelle Zielrichtung im Sinne der Begründung des Gesetzes hinausgehen würde. Die durch den Tod eines nahen Angehörigen entstehenden Bedarfe und die einer Krankheit folgenden Aufwendungen sind derart unterschiedlich, dass eine konkrete Zweckbestimmung schon aufgrund der Verschiedenheit der Lebenswirklichkeit ausscheidet. Auch das Ziel, die Umstellung auf neue Lebensumstände finanziell zu erleichtern, stellt lediglich eine rein abstrakte Begründung für eine finanzielle Privilegierung dar. Ein Zweck, der ausreichend konkretisiert wäre, um festzustellen, ob ein Empfänger die Leistung im Allgemeinen hierfür einsetzen würde, kann hierin nicht gesehen werden. Ein solcher Zweck könnte bspw. in einem bestimmten Bedarf (so bspw. der Unterhalt des Kindes beim Erziehungsbeitrag gem. § 39 Sozialgesetzbuch Achtes Buch - Kinder und Jugendhilfe) oder einer vom Gesetzgeber verfolgten Intention (so bspw. bei der sog. "Abwrackprämie") liegen.
Im Hinblick auf das Ziel der Privilegierung im Sterbevierteljahr, die Umstellung auf die neuen Lebensumstände finanziell zu erleichtern, liegt es darüber hinaus nahe, dass die Witwenrente auch in diesem Zeitraum letztlich der Sicherung des Lebensunterhalts - hier allerdings im Sinne eines sich verändernden Lebensstandards - dient und damit demselben Zweck, wie die Sozialhilfe. Auch aus diesem Grund ist eine Anrechnung der Witwenrente in voller Höhe vorzunehmen.
Die zu § 138 Abs. 3 Nr. 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) ergangene Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 11. Januar 1990 - 7 Rar 128/88), dass die Witwenrente im Sterbevierteljahr eine zweckbestimmte Einnahme und nicht anrechenbar ist, kann nach Ablösung der Arbeitslosenhilfe durch das SGB II und das SGB XII nicht auf die heutige Rechtslage übertragen werden. Die frühere Arbeitslosenhilfe wurde durch die Einführung des SGB II (und des SGB XII) vollständig abgeschafft. Die Anrechnungsvorschriften des SGB II und des SGB XII sind nicht der früheren Arbeitslosenhilfe nachgebildet, sondern den entsprechenden Regelungen des Bundessozialhilfegesetzes (Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf § 83 SGB XII Rdnr. 2; Söhngen, in: jurisPK-SGB II § 11 SGB II Rdnr. 10). Aufgrund der Subsidiarität der Sozialhilfe ist hier der Nachranggrundsatz und damit die Anrechenbarkeit anderer staatlicher Leistungen entsprechend stark ausgeprägt (vgl. Söhngen, in: jurisPK-SGB II § 11 SGB II Rdnr. 21, 26). Im Gegensatz zur Sozialhilfe war das Leistungsniveau der früheren Arbeitslosenhilfe dagegen regelmäßig höher und die Anrechnung anderweitigen Einkommens aus Sicht des Leistungsempfängers großzügiger.
An anderslautende fachliche Hinweise der Bundesagentur für Arbeit (fachliche Hinweise der Bundesagentur für Arbeit zur Anwendung der §§ 11, 11a, 11b SGB II, Fassung vom 20. September 2012, Seite 28) sind weder das Gericht noch der Antragsgegner gebunden. Auch im Hinblick auf Art. 3 Grundgesetz (GG) ist das Ergebnis im Gegensatz zur Rechtsauffassung der Antragstellerin aufgrund dieser Hinweise nicht zu korrigieren, weil die durch Verwaltungsvorschriften erzeugte Selbstbindung der Verwaltung nicht über die jeweilige Behörde hinaus wirkt.
Auf das Vorliegen eines Anordnungsgrundes kam es deshalb nicht mehr an. Es kann daher offen bleiben, ob das Eilbedürfnis dadurch entfallen ist, dass nach Ablauf des Sterbevierteljahres zwischenzeitlich die Witwenrente nur noch nach dem verringerten Rentenartfaktor gezahlt wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin, mit der schriftlich beantragt wird,
den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 31. Oktober 2012 abzuändern und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache monatlich Leistungen nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs – Sozialhilfe (SGB XII) in Höhe von 113,66 EUR zu zahlen
hat keinen Erfolg.
Die gemäß § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Der Beschluss des Sozialgerichts ist nicht zu beanstanden.
Die Antragstellerin hat das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht.
Das Sozialgericht hat zutreffend festgestellt, dass eine Hilfebedürftigkeit nach § 2 Abs. 1 SGB XII nicht glaubhaft gemacht ist, weil die Antragstellerin in der Lage ist, ihren Lebensunterhalt durch Einsatz ihres Einkommens zu decken. Ihr monatliches Einkommen übersteigt ihren monatlichen Bedarf.
Rechtsfehlerfrei hat der Antragsgegner mit Bescheid vom 31. Juli 2012 angenommen, dass dem Bedarf der Antragstellerin in Höhe von 956,59 EUR ein bereinigtes Einkommen in Höhe von 1.390,73 EUR gegenübersteht.
Insbesondere ist als Einkommen die Witwenrente nach ihrem am xx. xxx 2012 verstorbenen Ehemann in Höhe des ausgezahlten Betrags (1.083,90 EUR) abzüglich 9,02 EUR für die Haftpflicht- und Hausratsversicherung zu berücksichtigen. Im Gegensatz zur Rechtsauffassung der Antragstellerin ist die Witwenrente auch im sog. Sterbevierteljahr (§ 67 Nr. 5, 6 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Rentenversicherung - SGB VI) in voller Höhe anzurechnen. Die Witwenrente ist auch im Sterbevierteljahr keine gem. § 83 Abs. 1 SGB XII anrechnungsfreie zweckbestimmte Leistung. Zwar dient die Witwenrente im Sterbevierteljahr dem abstrakt-generellen Ziel, den während des Sterbevierteljahres zwangsläufig eintretenden besonderen Bedarf des hinterbliebenen Ehegatten zu befriedigen (BSG, Urteil vom 11. Januar 1990 – 7 Rar 128/88). Sie soll nach der Intention des Gesetzgebers dem Hinterbliebenen die Aufwendungen, die mit der letzten Krankheit und dem Todesfall verbunden sind, abnehmen und ihm die Umstellung auf die neuen Lebensumstände finanziell erleichtern (BVerfG, Entscheidung vom 8. März 1972 - 1 BvR 674/70).
Ein solcher abstrakt-genereller Zweck ist für eine Zweckbestimmung gem. § 83 SGB XII jedoch nicht ausreichend. Abstrakt-generelle Zwecke sind jeder Norm immanent (Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf § 83 SGB XII Rdnr. 6). § 83 Abs. 1 SGB XII fordert über einen solchen allgemeinen Zweck einen solchen, der "ausdrücklich genannt" ist.
Erforderlich für eine Zweckbestimmung im Sinne des § 83 Abs. 1 SGB XII ist damit ein konkret-individueller Zweck, der allerdings bei der Witwenrente im Sterbevierteljahr nicht gegeben ist. Nicht zu fordern ist zwar, dass der Empfänger die andere Leistung nur zu dem im Gesetz oder in einer Vereinbarung vorgesehenen Zweck verwenden darf oder dass der Leistende ein Kontrollrecht oder einen Einfluss auf die Verwendung hat. Zweckbestimmt sind daher auch solche Leistungen, die aus einem bestimmten Anlass und in einer bestimmten Erwartung gegeben werden und die der Empfänger zwar im Allgemeinen für den bestimmten Zweck verwenden wird, ohne dass er jedoch dazu angehalten werden könnte (BSG Urteil vom 11. Januar 1990 - 7 Rar 128/88 Rdnr. 25; Söhngen, in: jurisPK-SGB II § 11a SGB II Rdnr. 29). Jedoch ist die Erwartung des Gesetzgebers im Fall der Witwenrente im Sterbevierteljahr nicht derart konkretisiert, dass sie über die abstrakt-generelle Zielrichtung im Sinne der Begründung des Gesetzes hinausgehen würde. Die durch den Tod eines nahen Angehörigen entstehenden Bedarfe und die einer Krankheit folgenden Aufwendungen sind derart unterschiedlich, dass eine konkrete Zweckbestimmung schon aufgrund der Verschiedenheit der Lebenswirklichkeit ausscheidet. Auch das Ziel, die Umstellung auf neue Lebensumstände finanziell zu erleichtern, stellt lediglich eine rein abstrakte Begründung für eine finanzielle Privilegierung dar. Ein Zweck, der ausreichend konkretisiert wäre, um festzustellen, ob ein Empfänger die Leistung im Allgemeinen hierfür einsetzen würde, kann hierin nicht gesehen werden. Ein solcher Zweck könnte bspw. in einem bestimmten Bedarf (so bspw. der Unterhalt des Kindes beim Erziehungsbeitrag gem. § 39 Sozialgesetzbuch Achtes Buch - Kinder und Jugendhilfe) oder einer vom Gesetzgeber verfolgten Intention (so bspw. bei der sog. "Abwrackprämie") liegen.
Im Hinblick auf das Ziel der Privilegierung im Sterbevierteljahr, die Umstellung auf die neuen Lebensumstände finanziell zu erleichtern, liegt es darüber hinaus nahe, dass die Witwenrente auch in diesem Zeitraum letztlich der Sicherung des Lebensunterhalts - hier allerdings im Sinne eines sich verändernden Lebensstandards - dient und damit demselben Zweck, wie die Sozialhilfe. Auch aus diesem Grund ist eine Anrechnung der Witwenrente in voller Höhe vorzunehmen.
Die zu § 138 Abs. 3 Nr. 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) ergangene Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 11. Januar 1990 - 7 Rar 128/88), dass die Witwenrente im Sterbevierteljahr eine zweckbestimmte Einnahme und nicht anrechenbar ist, kann nach Ablösung der Arbeitslosenhilfe durch das SGB II und das SGB XII nicht auf die heutige Rechtslage übertragen werden. Die frühere Arbeitslosenhilfe wurde durch die Einführung des SGB II (und des SGB XII) vollständig abgeschafft. Die Anrechnungsvorschriften des SGB II und des SGB XII sind nicht der früheren Arbeitslosenhilfe nachgebildet, sondern den entsprechenden Regelungen des Bundessozialhilfegesetzes (Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf § 83 SGB XII Rdnr. 2; Söhngen, in: jurisPK-SGB II § 11 SGB II Rdnr. 10). Aufgrund der Subsidiarität der Sozialhilfe ist hier der Nachranggrundsatz und damit die Anrechenbarkeit anderer staatlicher Leistungen entsprechend stark ausgeprägt (vgl. Söhngen, in: jurisPK-SGB II § 11 SGB II Rdnr. 21, 26). Im Gegensatz zur Sozialhilfe war das Leistungsniveau der früheren Arbeitslosenhilfe dagegen regelmäßig höher und die Anrechnung anderweitigen Einkommens aus Sicht des Leistungsempfängers großzügiger.
An anderslautende fachliche Hinweise der Bundesagentur für Arbeit (fachliche Hinweise der Bundesagentur für Arbeit zur Anwendung der §§ 11, 11a, 11b SGB II, Fassung vom 20. September 2012, Seite 28) sind weder das Gericht noch der Antragsgegner gebunden. Auch im Hinblick auf Art. 3 Grundgesetz (GG) ist das Ergebnis im Gegensatz zur Rechtsauffassung der Antragstellerin aufgrund dieser Hinweise nicht zu korrigieren, weil die durch Verwaltungsvorschriften erzeugte Selbstbindung der Verwaltung nicht über die jeweilige Behörde hinaus wirkt.
Auf das Vorliegen eines Anordnungsgrundes kam es deshalb nicht mehr an. Es kann daher offen bleiben, ob das Eilbedürfnis dadurch entfallen ist, dass nach Ablauf des Sterbevierteljahres zwischenzeitlich die Witwenrente nur noch nach dem verringerten Rentenartfaktor gezahlt wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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