Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 75 KR 1737/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 305/10 WA
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erstattung von 3.556,07 EUR.
Er ist 1966 geboren und bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin AOK Berlin (nachfolgend nur noch: "die Beklagte") krankenversichert. Er erlitt im Alter von 34 Jahren bei einem Türkeiaufenthalt am 15. August 2000 einen Herzinfarkt, am 17. August 2000 einen weiteren. Der Kläger wurde von seiner Ehefrau sofort in das Privatkrankenhaus M der I A. ª (""). gebracht, weil diese ganz in der Nähe gewesen war. Vom 19. August 2000 bis 22. August 2000 wurde er im S H (Krankenhaus S) in Adana-Seyhan behandelt. Es wurden unter anderem eine Koronarangiographie, eine PTCA (Erweiterung von verengten Herzkranzgefäßen) und eine Stent-Implantation vorgenommen. Die Kosten der Behandlungen beglich der Kläger selbst. Einen Auslandsbehandlungsschein hatte er nicht vorgelegt, die türkische Sozialversicherungsanstalt SSK wurde nicht eingeschaltet.
Zurück in Berlin beantragte der Kläger bei der Beklagten Erstattung der Kosten. Auf einem entsprechenden Fragebogen der Beklagten gab er dabei an, dass ihm für die medizinische Behandlung im Krankenhaus Kosten i. H. v. 5 Milliarden (alten) türkische Lira entstanden seien. Er reichte eine Kopie der Rechnung des S H über pauschal 4 Milliarden Lira ein, eine des Kardiologen Dr. O über ca. 350 Mio. Lira sowie eine des Privatkrankenhauses M über 649.870.204 Lira.
Die Beklagte erstattete zunächst 8.550,74 DM (4.371,92 EUR).
Auf den Widerspruch des Klägers hin erstattete die Beklagte mit Bescheid vom 09. November 2000 weitere 1.304,92 DM (666,72 EUR). Sie habe ihren Ermessensspielraum ausgeschöpft. Aufgrund des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über soziale Sicherheit vom 30. April 1964 (BGBl. 1965 II Seite 1170; in der Fassung des Änderungsabkommens vom 28. Mai 1969 [BGBl. 1972 II Seite 2], des Zwischenabkommens vom Oktober 1974 [BGBl. 1975 II Seite 374] und des Zusatzabkommens vom 2. November 1984 [BGBl. II 1986 Seite 1040] =deutsch-türkisches Sozialversicherungsabkommen - SVA) bestehe eine Leistungsanspruch bei einem Aufenthalt in der Türkei nur als ein Anspruch auf Sachleistung. Die Krankenhausbehandlung werde nach Maßgabe der türkischen Rechtsvorschriften in dortigen Vertragskrankenhäusern erbracht und kostenlos zur Verfügung gestellt. Kostenerstattung für privatärztliche stationäre Behandlung sehe das Abkommen nicht vor. Die Beklagte sei dem Kläger bereits sehr entgegengekommen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 02. Mai 2001 wies sie den Widerspruch (im Übrigen) zurück.
Der Kläger hat hiergegen Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Er habe sich in einer lebensbedrohlichen Notsituation befunden. Da die weitere Behandlung im zuerst behandelnden Krankenhaus nicht hätte durchgeführt werden können, habe die Behandlung im Privatkrankenhaus in Adana durchgeführt werden müssen.
Das SG hat die auf Zahlung weiterer 6.956,34 DM gerichtete Klage mit Urteil vom 21. Juni 2002 abgewiesen. Nach Artikel 15 Abs. 1 und 2 SVA bestehe ein Anspruch auf Sachleistungen nur nach den für den Träger des Aufenthaltsortes maßgebenden Rechtsvorschriften. Ansprüche gegenüber einem Deutschen Sozialversicherungsträger könnten also nicht geltend gemacht werden. Nach deutschem Recht scheide aufgrund § 16 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) ein Anspruch aus, weil Leistungsansprüche bei Auslandsaufenthalten ruhten. Dies gelte auch für Notfälle.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers.
Der Senat hat die Beteiligten mit Verfügung vom 10. Mai 2006 darauf hingewiesen, die Frage für entscheidungserheblich zu halten, ob es der Beklagten möglich gewesen sei, den Krankenbehandlungsanspruch im Vertragsausland im Wege der Sachleistung zu befriedigen. Entscheidungserheblich sein nach der Rechtssprechung des Senates, ob dem Kläger anhand der örtlichen Gegebenheiten zumutbar gewesen wäre, einen Sachleistungsanspruch - hier spezifisch kardiologische Behandlung - in Anspruch zu nehmen.
Das Verfahren ist auf Antrag der Beteiligten mit Beschluss vom 27. September 2006 bis zur Entscheidung in der Revisionssache Bundessozialgericht (BSG) B 1 KR 18/06 zum Ruhen gebracht worden.
Auf Antrag des Klägers ist es im September 2010 fortgesetzt worden. Er trägt vor, der türkische Sozialversicherungsträger sei angesichts des Notfalles nicht in der Lage gewesen, die lebensnotwendige Behandlung durch Vertragsärzte herzustellen. Der behandelnde Arzt im erstbehandelnden Krankenhaus in Mersin habe die Verlegung in das Privatkrankenhaus nach Adana-Seyhan empfohlen.
Nach einer vom Senat veranlassten Auskunft der türkischen Verbindungsstelle gab es im Jahre 2000 in Mersin und in Adana mehrere Staatskrankenhäuser und ein Krankenhaus der Sozialversicherungsanstalt SSK selbst. Außerdem gab es in Adana eine Universitätsklinik. In den Staatskrankenhäusern sei es unter normalen Bedingungen möglich gewesen, eine Koronarangiographie, eine PTCA und Stent-Implantationen durchzuführen. Ab dem 01. Oktober 2008 werde nicht mehr zwischen Staats- und Privatkrankenhäusern unterschieden. Bis dahin hätten Behandlungen in Privatkrankenhäusern nur dann bezahlt werden dürfen, soweit die Behandlung in den SSK-Krankenhäusern nicht durchführbar gewesen sei. Dies erscheine vorliegend ausgeschlossen. Selbst in einem Notfall, der durch ärztliches Gutachten habe belegt werden müssen, habe die SSK die Kosten eines Privatkrankenhauses nur dann übernommen, wenn diese preisgünstiger gewesen sei als die Behandlung in eigenen Häusern.
Der Senat hat im Erörterungstermin am 29. August 2011 Kopien der Merkblätter T 93 über Leistungen der Krankenversicherung Stand 01. Juli 1991 in das Verfahren eingeführt.
Der Kläger ist der Auffassung, aus der Auskunft der Verbindungsstelle ergebe sich, dass im Notfall der behandelnde Arzt entscheide, wo die Behandlung stattzufinden habe. Zum Beweis dafür, dass weder eine Behandlung in einem Krankenhaus in Mersin möglich gewesen sei, noch dass der Gesundheitszustand des Klägers einen Transport nach Deutschland zugelassen habe, hat er sich auf das Zeugnis seiner Ehefrau berufen. Der Kläger selbst sei zu Gesprächen mit den Ärzten nicht in der Lage gewesen. Ursprünglich sei geplant gewesen, den Kläger nach Deutschland zu transportieren, damit er dort operiert werde.
Er beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Juni 2002 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 11. Oktober 2000 in der Fassung des Bescheids vom 09. November 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. Mai 2001 zu verurteilen, ihm weitere 3.556,72 Euro zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, auf der Grundlage von Artikel 9 der Durchführungsvereinbarung der Verbindungsstellen zum SVA hätten die Verbindungsstellen eine Erstattungsregelung für vom Versicherten selbst bezahlte Sachleistungen vereinbart. Einzige Rechtsgrundlage für die Erstattung in der Türkei selbst bezahlter Sachleistungen biete Ziff. 42 der Vereinbarungen der Verbindungsstellen der Krankenversicherung. Sie, die Beklagte, habe im Falle des Klägers die dort vorgesehene Situation unterstellt.
Entscheidungsgründe:
Der Berufung bleibt Erfolg versagt.
Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, ruht der Anspruch auf Leistungen nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, solange sich Versicherte im Ausland aufhalten, soweit in diesem Gesetzbuch nicht abweichendes bestimmt ist.
Nach § 18 Abs. 1 SGB V haben Versicherte nur dann einen Anspruch auf Auslandskrankenbehandlung im Nicht-EU-Ausland, wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung nur außerhalb Deutschlands und außerhalb des europäischen Wirtschaftsraumes möglich ist. Ein solcher Fall lag hier nicht vor.
Der Kläger kann sich auch nicht auf die dem nationalen Rechts vorrangige, § 16 SGB V ausschließende (vgl. BSG, Urt. v. 24. Mai 2007 - B 1 KR 18/06 Rdnr. 13ff, 27 zum Deutsch-Tunesischen Sozialversicherungsabkommen), Regelungen des SVA berufen:
Artikel 15 Abs. 1 und 2 SVA hat folgenden Inhalt:
(1) Bei Anwendung des Artikels 4 a sind die Sachleistungen in der Bundesrepublik Deutschland von der für den Aufenthaltsort zuständigen Allgemeinen Ortskrankenkasse, in der Türkei von Sosyal Sigortalar Kurumu (Sozialversicherungsanstalt) zu erbringen. (2) Für die Erbringung der Sachleistungen gelten die für den Träger des Aufenthaltsortes maßgebenden Rechtsvorschriften mit Ausnahme der Rechtsvorschriften über die Dauer der Leistungsgewährung, den Kreis der zu berücksichtigenden Angehörigen sowie der sich hierauf beziehenden Rechtsvorschriften über das Leistungsstreitverfahren.
Artikel 4a S. 1 SVA lautet:
Soweit dieses Abkommen nichts anderes bestimmt, gelten die Rechtsvorschriften einer Vertragspartei, nach denen die Entstehung von Ansprüchen auf Leistungen oder die Gewährung von Leistungen oder die Zahlung von Geldleistungen vom Aufenthalt im Gebiet dieser Vertragspartei abhängig ist, nicht für die in Artikel 4 genannten Personen, die sich im Gebiet der anderen Vertragspartei aufhalten.
Der durch die Vorschrift in Bezug genommene Artikel 4 a regelt also eine Gebietsgleichstellung für alle Personen im Sinne des Art. 4 SVA -hier der Kläger als Person mit gewöhnlichem Aufenthalt im Vertragsstaat Deutschland deutscher und/oder türkischer Staatsangehörigkeit-, die jedoch unter dem ausdrücklichen Vorbehalt abweichender Regelungen durch dieses Abkommen steht. Mit der Fassung des Art. 15 SVA regelt das Abkommen eine "Sachleistungsaushilfe" (so das SG im angegriffenen Urteil mit Hinweis auf die ausdrückliche Formulierung in der Denkschrift der Bundesregierung zum Zusatzabkommen, Bundestags-Drucksache 10/6023 vom 18. September 1986). Aus dem eindeutigen Wortlaut der Abkommensvorschrift folgt, dass lediglich ein Anspruch auf Sachleistungen nach den für den Träger des Aufenthaltsortes maßgebenden Rechtsvorschriften bestand, für dessen Erbringung die SSK zuständig war. Für die Geltendmachung eines Anspruchs gegenüber dem deutschen Sozialversicherungsträger bietet das Abkommen weder in Art. 15 SVA noch an anderer Stelle eine Grundlage. Etwas anderes folgt auch nicht aus den Vereinbarungen der Verbindungsstellen, wobei dahingestellt bleiben kann, ob diese Vereinbarungen einen eigenständigen Anspruch überhaupt begründen könnten. In Nr. 42 der Vereinbarung zur Durchführung des Abkommens vom 30. April 1964 ist zwar die Möglichkeit einer Erstattung von Kosten für in der Türkei selbst bezahlte Sachleistungen vorgesehen, diese ist jedoch ausdrücklich nur für den - hier nicht gegebenen - Fall geregelt, dass dem Träger des Aufenthaltsortes eine Anspruchsbescheinigung nicht rechtzeitig übermittelt werden konnte (so wörtlich zutreffend das SG a. a. O.). Dass die Beklagte ungeachtet dessen eine solche Situation unterstellt hat und dem Kläger die Kosten teilweise ersetzt hat, war also keinesfalls zwingend.
Der Kläger hatte ausweislich der Auskunft der Verbindungsstelle Anspruch auf Behandlung einschließlich der erforderlichen Operation in einem staatlichen Krankenhaus bzw. einem des SSK selbst. Eine solche Krankenhausbehandlung wäre danach auch möglich gewesen. Diese Auskunft zur türkischen Rechtslage zur damaligen Zeit deckt sich mit den Hinweisen in der Bescheinigung T/A11 über Anspruch auf Sachleistung bei Aufenthalt in der Türkei. Dort heißt es (Rückseite unter 1):
"Der Anspruchsberechtigte muß sich, um in der Türkei Sachleistungen in Anspruch nehmen zu können, mit dieser Bescheinigung an eine Zweigstelle der Sosyal Sigortalar Kurumu oder an ein Ambulatorium der Sosyal Sigortalar Kurumu wenden. Gegebenenfalls wird ärztliche Hilfe aufgrund dieser Bescheinigung auch von einem Vertragsarzt der Sosyal Sigortalar Kurumu erbracht. Falls sich der Versicherte in einem Ort aufhält, an dem die Sosyal Sigortalar Kurumu kein Ambulatorium oder keinen Vertragsarzt hat, kann ein Arzt des Gemeindeamtes oder, wenn auch ein solcher nicht vorhanden ist, ein Privatarzt in Anspruch genommen werden. Der Versicherte muß in diesem Falle das Honorar nach den amtlichen Tarifen selbst zahlen und sich wegen der Kostenerstattung sofort an die nächste Zweigstelle der Sosyal Sigortalar Kurumu wenden."
Hier ist unstreitig, dass der Kläger weder den internationalen Krankenversicherungsschein (Bescheinigung) vorgelegt hat noch im Nachhinein die SSK eingeschaltet hat. Weiter ist unstreitig, dass der Kläger auch nicht versucht hat, ein staatliches Krankenhaus aufzusuchen. Von einer SVA-widrigen Leistungsverweigerung oder einem Systemversagen durch das türkischen Krankenversicherungssystems, welches zu einem Anspruch nach SVA i. V. m. § 13 Abs. 3 SGB V führen könnte (BSG, a. a. O. Rdnr. 28), kann deshalb nicht ausgegangen werden.
Wie das SG bereits ausgeführt hat, lagen an sich die Voraussetzungen für eine Erstattung nach Nr. 42 des Rundschreibens der Vermittlungsstelle nicht vor. Danach erstattet der zuständige Träger (hier die Beklagte) den Berechtigten von diesem selbst bezahlte Kosten für Sachleistungen (nur dann), wenn dem Träger des Aufenthaltsortes (also die türkische SSK) die Anspruchsbescheinigung nicht rechtzeitig übermittelt werden konnte.
Die Ehefrau des Klägers brauchte nicht vernommen zu werden. Es kann insbesondere als wahr unterstellt werden, dass der behandelnde Arzt im Krankenhaus in Mersin die Privatklinik in Adana-Seyhan empfohlen hatte und der Kläger zum damaligen Zeitpunkt nicht transportfähig war.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erstattung von 3.556,07 EUR.
Er ist 1966 geboren und bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin AOK Berlin (nachfolgend nur noch: "die Beklagte") krankenversichert. Er erlitt im Alter von 34 Jahren bei einem Türkeiaufenthalt am 15. August 2000 einen Herzinfarkt, am 17. August 2000 einen weiteren. Der Kläger wurde von seiner Ehefrau sofort in das Privatkrankenhaus M der I A. ª (""). gebracht, weil diese ganz in der Nähe gewesen war. Vom 19. August 2000 bis 22. August 2000 wurde er im S H (Krankenhaus S) in Adana-Seyhan behandelt. Es wurden unter anderem eine Koronarangiographie, eine PTCA (Erweiterung von verengten Herzkranzgefäßen) und eine Stent-Implantation vorgenommen. Die Kosten der Behandlungen beglich der Kläger selbst. Einen Auslandsbehandlungsschein hatte er nicht vorgelegt, die türkische Sozialversicherungsanstalt SSK wurde nicht eingeschaltet.
Zurück in Berlin beantragte der Kläger bei der Beklagten Erstattung der Kosten. Auf einem entsprechenden Fragebogen der Beklagten gab er dabei an, dass ihm für die medizinische Behandlung im Krankenhaus Kosten i. H. v. 5 Milliarden (alten) türkische Lira entstanden seien. Er reichte eine Kopie der Rechnung des S H über pauschal 4 Milliarden Lira ein, eine des Kardiologen Dr. O über ca. 350 Mio. Lira sowie eine des Privatkrankenhauses M über 649.870.204 Lira.
Die Beklagte erstattete zunächst 8.550,74 DM (4.371,92 EUR).
Auf den Widerspruch des Klägers hin erstattete die Beklagte mit Bescheid vom 09. November 2000 weitere 1.304,92 DM (666,72 EUR). Sie habe ihren Ermessensspielraum ausgeschöpft. Aufgrund des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über soziale Sicherheit vom 30. April 1964 (BGBl. 1965 II Seite 1170; in der Fassung des Änderungsabkommens vom 28. Mai 1969 [BGBl. 1972 II Seite 2], des Zwischenabkommens vom Oktober 1974 [BGBl. 1975 II Seite 374] und des Zusatzabkommens vom 2. November 1984 [BGBl. II 1986 Seite 1040] =deutsch-türkisches Sozialversicherungsabkommen - SVA) bestehe eine Leistungsanspruch bei einem Aufenthalt in der Türkei nur als ein Anspruch auf Sachleistung. Die Krankenhausbehandlung werde nach Maßgabe der türkischen Rechtsvorschriften in dortigen Vertragskrankenhäusern erbracht und kostenlos zur Verfügung gestellt. Kostenerstattung für privatärztliche stationäre Behandlung sehe das Abkommen nicht vor. Die Beklagte sei dem Kläger bereits sehr entgegengekommen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 02. Mai 2001 wies sie den Widerspruch (im Übrigen) zurück.
Der Kläger hat hiergegen Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Er habe sich in einer lebensbedrohlichen Notsituation befunden. Da die weitere Behandlung im zuerst behandelnden Krankenhaus nicht hätte durchgeführt werden können, habe die Behandlung im Privatkrankenhaus in Adana durchgeführt werden müssen.
Das SG hat die auf Zahlung weiterer 6.956,34 DM gerichtete Klage mit Urteil vom 21. Juni 2002 abgewiesen. Nach Artikel 15 Abs. 1 und 2 SVA bestehe ein Anspruch auf Sachleistungen nur nach den für den Träger des Aufenthaltsortes maßgebenden Rechtsvorschriften. Ansprüche gegenüber einem Deutschen Sozialversicherungsträger könnten also nicht geltend gemacht werden. Nach deutschem Recht scheide aufgrund § 16 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) ein Anspruch aus, weil Leistungsansprüche bei Auslandsaufenthalten ruhten. Dies gelte auch für Notfälle.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers.
Der Senat hat die Beteiligten mit Verfügung vom 10. Mai 2006 darauf hingewiesen, die Frage für entscheidungserheblich zu halten, ob es der Beklagten möglich gewesen sei, den Krankenbehandlungsanspruch im Vertragsausland im Wege der Sachleistung zu befriedigen. Entscheidungserheblich sein nach der Rechtssprechung des Senates, ob dem Kläger anhand der örtlichen Gegebenheiten zumutbar gewesen wäre, einen Sachleistungsanspruch - hier spezifisch kardiologische Behandlung - in Anspruch zu nehmen.
Das Verfahren ist auf Antrag der Beteiligten mit Beschluss vom 27. September 2006 bis zur Entscheidung in der Revisionssache Bundessozialgericht (BSG) B 1 KR 18/06 zum Ruhen gebracht worden.
Auf Antrag des Klägers ist es im September 2010 fortgesetzt worden. Er trägt vor, der türkische Sozialversicherungsträger sei angesichts des Notfalles nicht in der Lage gewesen, die lebensnotwendige Behandlung durch Vertragsärzte herzustellen. Der behandelnde Arzt im erstbehandelnden Krankenhaus in Mersin habe die Verlegung in das Privatkrankenhaus nach Adana-Seyhan empfohlen.
Nach einer vom Senat veranlassten Auskunft der türkischen Verbindungsstelle gab es im Jahre 2000 in Mersin und in Adana mehrere Staatskrankenhäuser und ein Krankenhaus der Sozialversicherungsanstalt SSK selbst. Außerdem gab es in Adana eine Universitätsklinik. In den Staatskrankenhäusern sei es unter normalen Bedingungen möglich gewesen, eine Koronarangiographie, eine PTCA und Stent-Implantationen durchzuführen. Ab dem 01. Oktober 2008 werde nicht mehr zwischen Staats- und Privatkrankenhäusern unterschieden. Bis dahin hätten Behandlungen in Privatkrankenhäusern nur dann bezahlt werden dürfen, soweit die Behandlung in den SSK-Krankenhäusern nicht durchführbar gewesen sei. Dies erscheine vorliegend ausgeschlossen. Selbst in einem Notfall, der durch ärztliches Gutachten habe belegt werden müssen, habe die SSK die Kosten eines Privatkrankenhauses nur dann übernommen, wenn diese preisgünstiger gewesen sei als die Behandlung in eigenen Häusern.
Der Senat hat im Erörterungstermin am 29. August 2011 Kopien der Merkblätter T 93 über Leistungen der Krankenversicherung Stand 01. Juli 1991 in das Verfahren eingeführt.
Der Kläger ist der Auffassung, aus der Auskunft der Verbindungsstelle ergebe sich, dass im Notfall der behandelnde Arzt entscheide, wo die Behandlung stattzufinden habe. Zum Beweis dafür, dass weder eine Behandlung in einem Krankenhaus in Mersin möglich gewesen sei, noch dass der Gesundheitszustand des Klägers einen Transport nach Deutschland zugelassen habe, hat er sich auf das Zeugnis seiner Ehefrau berufen. Der Kläger selbst sei zu Gesprächen mit den Ärzten nicht in der Lage gewesen. Ursprünglich sei geplant gewesen, den Kläger nach Deutschland zu transportieren, damit er dort operiert werde.
Er beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Juni 2002 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 11. Oktober 2000 in der Fassung des Bescheids vom 09. November 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. Mai 2001 zu verurteilen, ihm weitere 3.556,72 Euro zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, auf der Grundlage von Artikel 9 der Durchführungsvereinbarung der Verbindungsstellen zum SVA hätten die Verbindungsstellen eine Erstattungsregelung für vom Versicherten selbst bezahlte Sachleistungen vereinbart. Einzige Rechtsgrundlage für die Erstattung in der Türkei selbst bezahlter Sachleistungen biete Ziff. 42 der Vereinbarungen der Verbindungsstellen der Krankenversicherung. Sie, die Beklagte, habe im Falle des Klägers die dort vorgesehene Situation unterstellt.
Entscheidungsgründe:
Der Berufung bleibt Erfolg versagt.
Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, ruht der Anspruch auf Leistungen nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, solange sich Versicherte im Ausland aufhalten, soweit in diesem Gesetzbuch nicht abweichendes bestimmt ist.
Nach § 18 Abs. 1 SGB V haben Versicherte nur dann einen Anspruch auf Auslandskrankenbehandlung im Nicht-EU-Ausland, wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung nur außerhalb Deutschlands und außerhalb des europäischen Wirtschaftsraumes möglich ist. Ein solcher Fall lag hier nicht vor.
Der Kläger kann sich auch nicht auf die dem nationalen Rechts vorrangige, § 16 SGB V ausschließende (vgl. BSG, Urt. v. 24. Mai 2007 - B 1 KR 18/06 Rdnr. 13ff, 27 zum Deutsch-Tunesischen Sozialversicherungsabkommen), Regelungen des SVA berufen:
Artikel 15 Abs. 1 und 2 SVA hat folgenden Inhalt:
(1) Bei Anwendung des Artikels 4 a sind die Sachleistungen in der Bundesrepublik Deutschland von der für den Aufenthaltsort zuständigen Allgemeinen Ortskrankenkasse, in der Türkei von Sosyal Sigortalar Kurumu (Sozialversicherungsanstalt) zu erbringen. (2) Für die Erbringung der Sachleistungen gelten die für den Träger des Aufenthaltsortes maßgebenden Rechtsvorschriften mit Ausnahme der Rechtsvorschriften über die Dauer der Leistungsgewährung, den Kreis der zu berücksichtigenden Angehörigen sowie der sich hierauf beziehenden Rechtsvorschriften über das Leistungsstreitverfahren.
Artikel 4a S. 1 SVA lautet:
Soweit dieses Abkommen nichts anderes bestimmt, gelten die Rechtsvorschriften einer Vertragspartei, nach denen die Entstehung von Ansprüchen auf Leistungen oder die Gewährung von Leistungen oder die Zahlung von Geldleistungen vom Aufenthalt im Gebiet dieser Vertragspartei abhängig ist, nicht für die in Artikel 4 genannten Personen, die sich im Gebiet der anderen Vertragspartei aufhalten.
Der durch die Vorschrift in Bezug genommene Artikel 4 a regelt also eine Gebietsgleichstellung für alle Personen im Sinne des Art. 4 SVA -hier der Kläger als Person mit gewöhnlichem Aufenthalt im Vertragsstaat Deutschland deutscher und/oder türkischer Staatsangehörigkeit-, die jedoch unter dem ausdrücklichen Vorbehalt abweichender Regelungen durch dieses Abkommen steht. Mit der Fassung des Art. 15 SVA regelt das Abkommen eine "Sachleistungsaushilfe" (so das SG im angegriffenen Urteil mit Hinweis auf die ausdrückliche Formulierung in der Denkschrift der Bundesregierung zum Zusatzabkommen, Bundestags-Drucksache 10/6023 vom 18. September 1986). Aus dem eindeutigen Wortlaut der Abkommensvorschrift folgt, dass lediglich ein Anspruch auf Sachleistungen nach den für den Träger des Aufenthaltsortes maßgebenden Rechtsvorschriften bestand, für dessen Erbringung die SSK zuständig war. Für die Geltendmachung eines Anspruchs gegenüber dem deutschen Sozialversicherungsträger bietet das Abkommen weder in Art. 15 SVA noch an anderer Stelle eine Grundlage. Etwas anderes folgt auch nicht aus den Vereinbarungen der Verbindungsstellen, wobei dahingestellt bleiben kann, ob diese Vereinbarungen einen eigenständigen Anspruch überhaupt begründen könnten. In Nr. 42 der Vereinbarung zur Durchführung des Abkommens vom 30. April 1964 ist zwar die Möglichkeit einer Erstattung von Kosten für in der Türkei selbst bezahlte Sachleistungen vorgesehen, diese ist jedoch ausdrücklich nur für den - hier nicht gegebenen - Fall geregelt, dass dem Träger des Aufenthaltsortes eine Anspruchsbescheinigung nicht rechtzeitig übermittelt werden konnte (so wörtlich zutreffend das SG a. a. O.). Dass die Beklagte ungeachtet dessen eine solche Situation unterstellt hat und dem Kläger die Kosten teilweise ersetzt hat, war also keinesfalls zwingend.
Der Kläger hatte ausweislich der Auskunft der Verbindungsstelle Anspruch auf Behandlung einschließlich der erforderlichen Operation in einem staatlichen Krankenhaus bzw. einem des SSK selbst. Eine solche Krankenhausbehandlung wäre danach auch möglich gewesen. Diese Auskunft zur türkischen Rechtslage zur damaligen Zeit deckt sich mit den Hinweisen in der Bescheinigung T/A11 über Anspruch auf Sachleistung bei Aufenthalt in der Türkei. Dort heißt es (Rückseite unter 1):
"Der Anspruchsberechtigte muß sich, um in der Türkei Sachleistungen in Anspruch nehmen zu können, mit dieser Bescheinigung an eine Zweigstelle der Sosyal Sigortalar Kurumu oder an ein Ambulatorium der Sosyal Sigortalar Kurumu wenden. Gegebenenfalls wird ärztliche Hilfe aufgrund dieser Bescheinigung auch von einem Vertragsarzt der Sosyal Sigortalar Kurumu erbracht. Falls sich der Versicherte in einem Ort aufhält, an dem die Sosyal Sigortalar Kurumu kein Ambulatorium oder keinen Vertragsarzt hat, kann ein Arzt des Gemeindeamtes oder, wenn auch ein solcher nicht vorhanden ist, ein Privatarzt in Anspruch genommen werden. Der Versicherte muß in diesem Falle das Honorar nach den amtlichen Tarifen selbst zahlen und sich wegen der Kostenerstattung sofort an die nächste Zweigstelle der Sosyal Sigortalar Kurumu wenden."
Hier ist unstreitig, dass der Kläger weder den internationalen Krankenversicherungsschein (Bescheinigung) vorgelegt hat noch im Nachhinein die SSK eingeschaltet hat. Weiter ist unstreitig, dass der Kläger auch nicht versucht hat, ein staatliches Krankenhaus aufzusuchen. Von einer SVA-widrigen Leistungsverweigerung oder einem Systemversagen durch das türkischen Krankenversicherungssystems, welches zu einem Anspruch nach SVA i. V. m. § 13 Abs. 3 SGB V führen könnte (BSG, a. a. O. Rdnr. 28), kann deshalb nicht ausgegangen werden.
Wie das SG bereits ausgeführt hat, lagen an sich die Voraussetzungen für eine Erstattung nach Nr. 42 des Rundschreibens der Vermittlungsstelle nicht vor. Danach erstattet der zuständige Träger (hier die Beklagte) den Berechtigten von diesem selbst bezahlte Kosten für Sachleistungen (nur dann), wenn dem Träger des Aufenthaltsortes (also die türkische SSK) die Anspruchsbescheinigung nicht rechtzeitig übermittelt werden konnte.
Die Ehefrau des Klägers brauchte nicht vernommen zu werden. Es kann insbesondere als wahr unterstellt werden, dass der behandelnde Arzt im Krankenhaus in Mersin die Privatklinik in Adana-Seyhan empfohlen hatte und der Kläger zum damaligen Zeitpunkt nicht transportfähig war.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
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