L 6 R 1610/10

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 14 R 1751/09
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 R 1610/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Für die Beurteilung der Beweggründe einer Heirat (§ 46 Abs. 2a SGB VI) ist nicht wesentlich, ob das Überleben des Versicherten über ein Jahr nach der Eheschließung wahrscheinlicher war als sein Tod und ob die Eheleute von einer Ehe über ein Jahr ausgehen konnten, denn statistische Wahrscheinlichkeiten sagen hierzu nichts aus.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 25. November 2010 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Anspruch auf eine große Witwenrente hat.

Sie lebte vor der Eheschließung (18. Juni 2008) mit ihrem Ehemann, dem 1940 geborenen Versicherten, über 30 Jahre unverheiratet zusammen. Sie selbst bezog eine monatliche Rente von ca. 800 Euro, der Versicherte von ca. 900 Euro. 2001 wurden bei dem Versicherten im Universitätsklinikum J. Ösophagusvarizen festgestellt.

Am 15. Januar 2007 wurde der Versicherte in der Notaufnahme des Universitätsklinikums J. - Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II - aufgenommen. Im Entlassungsbericht vom 18. Januar 2007 wurden u.a. die Diagnosen Ösophagusvarizen Grad II (I98.20) und alkoholtoxi-sche Leberzirrhose (K70.3) aufgeführt. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. St. vom 30. April 2010 zeigte sich bereits damals eine portalvenös dekompensierte Leberzir-rhose im Child-Pugh Stadium B. Eine erneute stationäre Behandlung erfolgte in der Klinik und Polyklinik für Innere Medizin II vom 24. Mai bis 14. Juni 2008. Der Entlassungsbericht vom 14. Juni 2008 enthält u.a. die Diagnosen ethyltoxische Leberzirrhose Child-Pugh B (K70.3), Ösophagusvarizen Grad II (I98.20), Verdacht auf komplette Pfortaderthrombose (I81) und Neubildung unsicheren oder unbekannten Verhaltens-Leber, Gallenblase und Gal-lengänge (D37.6 DD).

Am 12. Juni 2008 reichte die Klägerin beim Standesamt des Wohnorts J. die für eine Ehe-schließung erforderlichen Unterlagen ein und heiratete den Versicherten am 18. Juni 2008.

Vom 14. bis 15. August 2008 wurde bei dem Versicherte eine suchttherapeutische Abstinenz-abklärung für eine mögliche Lebertransplantation in den H.-B.-Kliniken Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums J. durchgeführt. Im Entlassungsbericht vom 15. August 2008 werden u.a. eine Alkoholabhängigkeit und hepatische Enzephalopathie aufge-führt. Aus psychiatrischer Sicht bestünden auch unter Berücksichtigung der Enzephalopathie starke Zweifel, dass der Versicherte der Verantwortung als potenzieller Organempfänger für einen langfristigen Transplantationserfolg gerecht werden könne; die Transplantation werde als bedenklich eingestuft. Der Arztbrief derselben Klinik vom 16. September 2008 (Aufent-halt 8. bis 12. September 2008) bestätigte dies, führte allerdings aus, es bestehe auch keine Kontraindikation. Der Entlassungsbericht des Universitätsklinikums J. - Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II - vom 9. Oktober 2008 (stationärer Aufenthalt vom 27. August bis 8. September 2008) berichtete über eine dekompensierte äthyltoxische Leberzirrhose (Child-Pugh C) mit hepatischer Enzephalopatie Grad II. Eine Lebertransplantation sei angesichts der Zweifel der Klinik für Psychiatrie nicht vorgesehen.

Nachdem die Eheleute in J. keine Möglichkeit für ein betreutes Wohnen fanden, zogen sie in die neu eröffnete F.-Wohnanlage in G ...

Nach dem Arztbrief des W. G. eGmbH vom 14. April 2009 wurde der Versicherte dort ab 26. November 2008 stationär behandelt (Diagnosen: äthyltoxische Leberzirrhose Child-Pugh C mit hepatoralem Syndrom, spontan bakterielle Peritonitis, Verdacht auf multifokales HCC (Hepatocellular carcinoma)). Er verstarb dort am 10. Januar 2009.

Die Klägerin beantragte am 26. Januar 2009 die Gewährung einer Witwenrente und gab an, ihr und dem Versicherten sei die Unheilbarkeit der Krankheit mit konventioneller Behandlung zum Zeitpunkt der Eheschließung bekannt gewesen. Allerdings seien sie bis August 2008 von der der Möglichkeit einer Lebertransplantation ausgegangen. Zu ihrer Vorbereitung habe sich der Versicherte zweimal in der Klinik für Psychiatrie aufgehalten. Der fortschreitende körper-liche Verfall ab Oktober 2008 habe sie nicht mehr ermöglicht. Der Zeitpunkt des Todes sei aber nicht voraussehbar gewesen. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 25. März 2009 ab. Mit ihrem Widerspruch trug die Klägerin vor, die Ehe habe vor allem die notwendi-gen Pflege in häuslicher Umgebung und ein stabiles Umfeld sichern sollen. Nicht alle Ein-richtungen mit betreutem Wohnen bzw. Pflegeeinrichtungen respektierten eine langjährige Lebenspartnerschaft als Grundlage gemeinsamen Wohnens. Mit Widerspruchsbescheid vom 22. April 2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Im Klageverfahren hat die Klägerin vorgetragen, zum Zeitpunkt der Eheschließung sei sie nicht davon ausgegangen, dass der Versicherte in absehbarer Zeit versterben werde, sondern, dass sich dessen Gesundheit durch die Transplantation erheblich verbessern werde. Eine Not-trauung habe nicht stattgefunden. Das Sozialgericht hat u.a. den Arztbrief des W. G. eGmbH vom 14. April 2009, die Arztbriefe des Universitätsklinikums J. H.-B.-Kliniken Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie vom 15. August und 16. September 2008 sowie die Arztbrie-fe des Universitätsklinikums J. - Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II vom 18. Januar 2007 und 9. Oktober 2008 beigezogen und ein Gutachten des Prof. Dr. St. vom 30. April 2010 eingeholt. Danach beträgt die mediane Überlebenszeit eines Patienten mit Child-Pugh B-Zirrhose zwischen zwei und drei Jahren, bei einer Child-Pugh C-Zirrhose ohne Transplantation etwa ein Jahr. Das Stadium sei allerdings für eine individuelle Prognoseschätzung nur bedingt geeignet. Zum Zeitpunkt der Eheschließung habe eine Leberzirrhose im Stadium Child-Pugh C, aggraviert durch eine Pfortaderthrombose, und ein (ungesicherter) Verdacht auf ein hepatozelluläres Karzinom als Komplikation der Grunderkrankung aufgrund von Ultraschall-untersuchungen und des erhöhten Tumormarkers AFP bestanden. Es sei damals gering wahr-scheinlicher gewesen, dass der Versicherte mindestens ein Jahr nach Eheschließung überleben würde. Er sei über das Fortschreiten der Erkrankung, den Tumorverdacht und die Transplan-tation als einzige kurative Option mit gutem Langzeitüberleben informiert worden.

Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 25. November 2010 zur Zahlung einer gro-ßen Witwenrente ab 1. Februar 2009 verurteilt und ausgeführt, bei einer Zusammenschau würden verschiedene Beweggründe den Versorgungszweck überwiegen. Nach dem Gutachten des Prof. Dr. St. sei es wahrscheinlicher gewesen, dass der Versicherte ein Jahr nach der Eheschließung überlebe. Damit konnten die Eheleute davon ausgehen, ihre Ehe werde länger als ein Jahr dauern. Es sei auch gut nachvollziehbar, dass die Ehe geschlossen wurde um ein stabiles soziales und psychisches Umfeld für eine Lebertransplantation zu schaffen und das Zusammenleben in einer Pflegeeinrichtung zu sichern. Aus den Arztbriefen der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie vom 15. August und 16. September 2008 gehe deutlich hervor, dass dies unabdingbare Voraussetzung für die erfolgreiche Lebertransplantation sei. Es sei kein Grund ersichtlich, dem Vortrag der Klägerin nicht zu glauben.

Gegen die am 12. Dezember 2010 zugestellte Entscheidung hat die Beklagte am 13. Dezem-ber 2010 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, eine nur denkbare Möglichkeit genüge nicht, die gesetzliche Vermutung für das Bestehen einer Versorgungsehe zu widerlegen.

Sie beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 25. November 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, es habe keine Versorgungsehe vorgelegen. Ihr und ihrem Ehemann sei klar ge-wesen, dass die Transplantation die einzige Behandlungsmöglichkeit war und auf sie ein er-heblicher Pflegeaufwand zukommen werde. Im Pflegestützpunkt J. sei ihnen gesagt worden, der vorhandene Pflegeraum sei begrenzt. Tatsächlich würden Verheiratete nicht Verheirateten bei einer gemeinsamen Unterbringung vorgezogen. In den Pflegeheimen in J. habe es erhebli-che Kapazitätsprobleme gegeben. Sie hätten aber in dem neu eröffneten Florentinen-Wohnheim in G. Plätze bekommen. Auf den Verdacht des hepatozellulären Karzinoms könne nicht abgestellt werden; bis zum Zeitpunkt der Eheschließung habe es sich nicht um eine ge-sicherte Diagnose gehandelt. Die Witwenrente habe bei der Entscheidung zur Ehe keine Rolle gespielt. Die Entscheidung habe sie ausschließlich mit dem Versicherten abgesprochen und könne daher keine Verwandten benennen, die Angaben zu den Motiven machen könnten.

Der Senat hat u.a. den Entlassungsbericht der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II vom 14. Juni 2008 beigezogen. Auf Anfrage hat Prof. Dr. St. am 4. Juli 2011 mitgeteilt, Mitarbeiter der Klinik könnten sich nicht verlässlich an die näheren Umstände der Eheschließung erinnern. Unter dem 22. Januar 2013 hat er angegeben, seinen Unterlagen sei nicht zu entnehmen, dass dem Versicherten die Verdachtsdiagnose eines hepatozellulären Karzinoms (Diag-noseschlüssel D37.6) mitgeteilt wurde; dies sei das übliche Verfahren. Die Standesbeamtin des Standesamts J. M. H. hat unter dem 1. September 2011 mitgeteilt, ihr seien Beweggründe und Details zu dem Entschluss, die Ehe kurzfristig zu schließen, nicht mehr erinnerlich.

Auf Anfrage des Senats haben 11 der 12 Pflegeeinrichtungen in J. mitgeteilt, eine gemeinsame Unterbringung von Lebenspartnern sei nicht an eine Ehe geknüpft. In einer Einrichtung ist unabhängig von der rechtlichen Einordnung keine gemeinsame Unterbringung möglich. Nach Mitteilung der F.-Wohnanlage in G. vom 22. Januar 2013 ist eine Unterbringung nicht von einer Ehe abhängig.

Der Senat hat durch den damals zuständigen Berichterstatter am 19. November 2012 einen Erörterungstermin durchgeführt. Insoweit wird auf die Niederschrift (Blatt 180 ff. der Ge-richtsakte) Bezug genommen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozess- und der beigezogenen Ver-waltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Die Klägerin hat entgegen der Auffassung des Sozial-gerichts keinen Anspruch auf eine große Witwenrente aus der Versicherung des Versicherten.

Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten bei Erfüllung der allgemeinen Wartezeit Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente, wenn sie (1.) ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen (2.) das 47. Lebensjahr vollendet haben oder (3.) erwerbsgemindert sind (§ 46 Abs. 2 Satz 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI)). Die Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI liegen bei der Klägerin vor. Dem Anspruch steht aber § 46 Abs. 2a SGB VI entgegen. Hiernach haben Witwen oder Witwer keinen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Die Ehe hat kein Jahr gedauert und es liegen auch keine besonderen Umstände im Sinne des § 46 Abs. 2a Halbs. 2 SGB VI vor.

Die Anknüpfung an die Ehedauer von weniger als einem Jahr enthält die gesetzliche Vermu-tung, dass beim Tod innerhalb dieses Zeitraums die Erlangung der Versorgung regelmäßig Ziel der Eheschließung war (vgl. BT-Drucksache 14/4595 S. 44). Sie kann widerlegt werden, wenn Umstände vorliegen, die trotz kurzer Ehedauer nicht auf eine Versorgungsehe schließen lassen, was nach der Gesetzesbegründung zum Beispiel bei einem Unfalltod angenommen wird. Das Merkmal "besondere Umstände" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der von den Rentenversicherungsträgern und den Sozialgerichten mit Inhalt ausgefüllt werden muss und der vollen richterlichen Kontrolle unterliegt (vgl. BSG, Urteil vom 5. Mai 2009 - B 13 R 55/08 R m.w.N., nach juris). Darunter fallen alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalls, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund für die Heirat schließen lassen. Es kommt auf die Beweggründe, d.h. Motive und Zielvorstellungen beider Ehegatten an. Die Annahme einer Versorgungsehe ist nur dann nicht gerechtfertigt, wenn die Gesamtbetrachtung und Abwägung der Beweggründe beider Eheleute für die Heirat ergibt, dass andere Beweggründe als die Versorgungsabsicht insgesamt den Versorgungszweck überwiegen oder zumindest gleichwertig sind.

In seinem Urteil vom 5. Mai 2009 (B 13 R 55/08 R, nach juris) führt das BSG aus: "Ein gegen die gesetzliche Annahme einer Versorgungsehe sprechender besonderer (äußerer) Umstand iS des § 46 Abs 2a Halbsatz 2 SGB VI ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Tod des Versicherten, hinsichtlich dessen bisher kein gesundheitliches Risiko eines bevorstehenden Ablebens bekannt war, unvermittelt ("plötzlich" und "unerwartet") eingetreten ist (vgl Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, § 46 SGB VI RdNr 53, Stand: November 2005; Kamprad in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 46 RdNr 38, Stand: Sep-tember 2008; Dopheide/Haas/Wagner, Informationen der Regionalträger der Deutschen Ren-tenversicherung in Bayern, 2006, 257, 259 f; Kreikebohm in Beck`scher Online-Komm, § 46 SGB VI RdNr 25, Stand: September 2008). Denn in diesem Fall kann nicht davon ausgegan-gen werden, dass es alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat war, dem Ehegatten eine Hinterbliebenenversorgung zu verschaffen. In der Gesetzesbegründung wird als ein Beispiel hierfür der "Unfalltod" genannt (BT-Drucks 14/4595 S 44). Hingegen ist bei Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten in der Regel der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs 2a Halbsatz 2 SGB VI nicht erfüllt. Jedoch ist auch bei einer nach objektiven Maßstäben schweren Erkran-kung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose und entsprechender Kenntnis der Ehegatten der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet (überwiegend oder zumindest gleichwertig) aus anderen als aus Versorgungsgründen geheiratet wurde. Allerdings müssen dann bei der abschließenden Gesamtbewertung diejenigen besonderen (inneren und äußeren) Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, umso gewichtiger sein, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit eines Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen war. Dementsprechend steigt mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit einer Krank-heit und dem Grad der Offenkundigkeit zugleich der Grad des Zweifels an dem Vorliegen solcher vom hinterbliebenen Ehegatten zu beweisenden besonderen Umstände, die von die-sem für die Widerlegung der gesetzlichen Annahme ("Vermutung") einer Versorgungsehe bei einem Versterben des versicherten Ehegatten innerhalb eines Jahres nach Eheschließung an-geführt werden."

Die besonderen Umstände müssen nach § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 292 der Zivilprozessordnung (ZPO) mit Vollbeweis belegt werden (vgl. BSG, Urteil vom 3. Sep-tember 1986 - 9a RV 8/84, nach juris). Danach ist eine Tatsache bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falls nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 128 Rdnr. 3b). Maßgeblich sind jeweils die Umstände des konkreten Einzelfalls.

Unter Beachtung dieser Grundsätze ist bei der Klägerin der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI nicht erfüllt. Zum Zeitpunkt der Eheschließung am 18. Juni 2008 bestand bei dem Versicherten eine offenkundig lebensbedrohliche Erkrankung mit ungünsti-ger Verlaufsprognose. Dies ergibt sich vor allem aus dem Entlassungsbericht vom 14. Juni 2008 aber auch aus dem Gutachten des Prof. Dr. St. vom 30. April 2010. Die Klinikaufnahme am 24. Mai 2008 erfolgte wegen einer Zunahme des Bauchumfangs, Rückgang der Urinpro-duktion und körperlicher Schwäche. Es wurden Leberhautzeichen, Gelbfärbung der Haut und Skleren, sonographische Zeichen der Leberzirrhose (Oberfläche grobknotig, Parenchym in-homogen grobkörnig), Vergrößerung der Milz und eine ausgeprägte Menge freier Flüssigkeit in der Bauchhöhle nachgewiesen. Es kann dahingestellt bleiben, ob damals eine Leberzirrhose im Child-Pugh Stadium B (so der Entlassungsbericht vom 14. Juni 2008) oder bereits im Child-Pugh Stadium C (so Prof. Dr. St. im Gutachten vom 30. April 2010) vorlag; lebensbe-drohend war die Erkrankung in jedem Fall. Verstärkt wurde sie durch die Pfortaderthrombose. Der MELD-Score (Model of Endstage Liver Disease Score) betrug nach Abschluss der Therapie 16 Punkte. Die allerdings nur eingeschränkt schätzbare mediane Überlebenszeit ohne Lebertransplantation beträgt nach Angaben des Prof. Dr. St. bei einer Child-Pugh B-Zirrhose zwischen zwei und drei Jahren, bei einer Child-Pugh C-Zirrhose etwa ein Jahr. Ein MELD-Score von 16 bis 20 Punkten spricht zu 60 bis 70 v.H. für ein Ein-Jahres-Überleben. Zudem bestand der Verdacht auf ein hepatozelluläres Karzinom als Komplikation der Grunderkrankung mit einer mittleren Überlebenszeit von acht Monaten. Dem Versicherten war die Schwere der Krankheit und ihre langfristige hohe Sterblichkeit mitgeteilt worden. Im Erörterungstermin am 19. November 2012 hat die Klägerin bestätigt, ihr und ihrem verstorbenen Ehemann sei die Schwere der Krankheit bewusst gewesen.

Entgegen der Ansicht der Vorinstanz ist für die Beurteilung der Beweggründe der Heirat nicht wesentlich, ob das Überleben des Versicherten über ein Jahr nach der Eheschließung wahrscheinlicher war als sein Tod und ob die Eheleute von einer Ehe über ein Jahr ausgehen konnten. Über das Motiv für die Ehe sagen statistische Wahrscheinlichkeiten zur Sterblichkeit nichts aus. Überdies hatten die Voruntersuchungen zur Prüfung der Lebertransplantation in den H.-B.-Kliniken Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums J. zur Zeit der Heirat am 18. Juni 2008 noch nicht stattgefunden.

Nach dem Vortrag der Klägerin war Hauptmotiv für die Ehe, dass sie und ihr Ehemann die bevorstehenden schweren Zeiten gemeinsam verbringen und eine gemeinsame Unterbringung in einem Pflegeheim sichern wollten. Der Senat stellt die Verbundenheit der Klägerin und ihres Ehemanns nicht in Frage. Allerdings hat sie nicht mit dem notwendigen Vollbeweis den Nachweis führen können, dass die vorgetragenen Motive überwiegend oder zumindest gleichwertig mit der Versorgung die Gründe der Ehe waren. So haben beide bereits vor der Eheschließung nach eigenen Angaben 30 Jahre unverheiratet zusammen gelebt und hätten ohne ersichtliche Einschränkung auch weiterhin ohne Trauschein zusammen leben können. Die Schwere der Erkrankung allein kann nicht das wesentliche Motiv gewesen sein, denn die Ehe wurde weder beim erstmaligen Erkennen der Krankheit 2001 noch nach der Notaufnahme im Januar 2007 - als bereits deutlich die Schwere ersichtlich war - geschlossen, sondern erst im Juni 2008. Es ist auch nicht nachgewiesen, dass überwiegendes oder gleichwertiges Motiv der Ehe die Sicherung des gemeinsamen Wohnens war. Diese schwer nachvollziehbare Behauptung, die im Rahmen der Beratung beim Pflegestützpunkt J. zur Sprache gekommen sein soll, ist nicht belegt und inhaltlich nicht nachvollziehbar. Nach den Ermittlungen des Se-nats war eine Ehe für die Aufnahme in allen Wohnheimen in J. ohne Bedeutung und verbes-serte somit die Chancen für ein gemeinsames Wohnen oder ein gemeinsames betreutes Woh-nen nicht. Alle befragten Heime haben im Ergebnis einheitlich mitgeteilt, dass es allein auf vorhandene Kapazitäten und die grundsätzliche Möglichkeit einer gemeinsamen Unterbrin-gung von Paaren ankommt. Überdies war auch die Ehe für die Aufnahme in der F.-Wohnanlage in G., in dem die Eheleute zuletzt gemeinsam wohnten, nicht Voraussetzung.

Bei der Würdigung der Gesamtumstände waren die Einkommensverhältnisse der Klägerin zu berücksichtigen. Sie bezog zum Zeitpunkt der Eheschließung nach eigenen Angaben lediglich eine eigene Rente in Höhe von ca. 800 Euro. Dies spricht nicht dagegen, dass die Ehe mit dem Ziel der Erlangung der Hinterbliebenenrente geschlossen wurde.

Der Senat sieht keine weiteren Ermittlungsmöglichkeiten. Die Standesbeamtin des Standes-amts J. hat keine Details der Eheschließung mehr angeben können und die Klägerin hat selbst vorgetragen, die Ehe habe sie nur mit Ihrem Ehemann besprochen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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