Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 33 KR 753/08
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 80/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 19. Mai 2011 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Vergütung für eine Krankenhausbehandlung.
Die Beklagte ist Trägerin eines zur Versorgung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassenen Krankenhauses in H.-R. (A. Westklinikum). Dort wurde der bei der Klägerin krankenversicherte R.M. in der Zeit vom 5. bis 12. September 2007 wegen einer Rezessusstenose L4/5 bei instabiler Lendenwirbelsäule in Höhe L 4/5 stationär behandelt. Am 6. September 2007 erfolgten in mikrochirurgischer Technik eine interlaminäre Fensterung und eine ausgedehnte Foraminotomie L 4/5 sowie eine partielle Arthektomie. Es wurde sodann ein Wallis-Interponat zwischen die Dornfortsätze eingebracht und eine Drahtcerclage um die Dornfortsätze herumgelegt.
Mit Rechnung vom 1. Oktober 2007 verlangte die Beklagte von der Klägerin hierfür einen Betrag von EUR 6.783,85. Dieser Abrechnung legte sie unter anderem die Kodierung der Prozedur 5-835.0 (Osteosynthese und Knochenersatz an der Wirbelsäule: durch Drahtcerclage) nach dem Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS, hier: Version 2007) zugrunde und gelangte dadurch zu der Diagnosebezogenen Fallgruppe (Diagnosis Related Group – DRG) I09C (Wirbelkörperfusion ohne äußerst schwere oder schwere CC oder ohne schwere CC mit anderer Kyphoplastie ).
Die Klägerin zahlte auf diese Rechnung am 15. Oktober 2007 EUR 6.715,70, beauftragte aber am gleichen Tag den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung N1 (MDK) mit der Prüfung, ob die Prozedur 5-835.0 zu Recht kodiert worden sei, obwohl keine Prozedur für eine Wirbelkörperfusion angegeben worden sei. Der MDK zeigte der Beklagten seine Beauftragung mit Schreiben vom 17. Oktober 2007 an und forderte die für die Begutachtung erforderlichen Unterlagen an.
Nachdem die Beklagte die Unterlagen trotz wiederholter Erinnerung nicht übersandt hatte, hat die Klägerin am 23. Mai 2008 Stufenklage auf deren Herausgabe an den MDK sowie auf Erstattung des sich nach der Überprüfung durch den MDK ergebenden Differenzbetrages erhoben. Im Laufe des Klagverfahrens hat die Beklagte die angeforderten Unterlagen an den MDK übersandt. Dieser ist daraufhin in seinem Gutachten vom 12. September 2008 zu dem Ergebnis gekommen, dass die streitige Prozedur nicht hätte kodiert werden dürfen, da eine Osteosynthese durch Drahtcerclage nicht stattgefunden habe. Das Einbringen des interspinösen Spreizers sei mit der Prozedur 5-839.b0 (Andere Operationen an der Wirbelsäule: Implantation eines interspinösen Spreizers: 1 Segment) zutreffend abgebildet. Es ergebe sich damit die DRG I53Z (Andere Eingriffe an der Wirbelsäule ohne äußerst schwere CC, mit komplexem Eingriff).
In einem weiteren Gutachten vom 26. August 2009 hat der MDK ausgeführt, der Versicherte habe seit langem unter Rückenschmerzen bei degenerativen Veränderungen der LWS gelitten. Die Höhe der Bandscheiben habe abgenommen, es sei zu einer Höhenminderung der Wirbelsäule gekommen. Intraoperativ sei bei dem Patienten eine Wurzelkompression gesehen worden, weshalb der Operateur ein Auseinanderziehen des Segments durch einen Spreizer für sinnvoll gehalten habe. Der Einbau des Wallis-Spreizers sei dadurch modifiziert worden, dass zur Sicherung des Implantates eine Drahtcerclage über die Dornfortsätze gezogen worden sei. Eine Fusion sei somit weder geplant noch indiziert gewesen. Um eine Fusion durch Osteosynthese, also durch ein Zusammenwachsen von zwei Knochen zu initiieren, brauche es Knochenkontakt und komplette Ruhigstellung. Das Einsetzen eines Spreizers diene aber dazu, den vorderen Teil zwischen den Dornfortsätzen bis hin zur Bandscheibe aufzudehnen und damit den Bandscheibenraum zu entlasten. Die Implantate führten zwar zu einer gewissen Bewegungseinschränkung, dienten aber nicht dazu, die Dornfortsätze zu versteifen oder zu einem Block zusammenzufügen. Der Spreizer verhindere vielmehr jeden für eine Fusion notwendigen Kontakt zwischen den Knochen.
Die Klägerin hat daraufhin ihren Klagantrag auf Herausgabe der Krankenunterlagen für erledigt erklärt und ihren Rückforderungsanspruch auf EUR 2.381,29 beziffert.
Das Sozialgericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts ein fachorthopädisches Gutachten von Dr. N. vom 21. Oktober 2010 eingeholt und sodann die Beklagte durch Gerichtsbescheid vom 19. Mai 2011 verurteilt, an die Klägerin EUR 2.381,29 nebst Zinsen zu zahlen. Es hat ausgeführt, die Voraussetzungen für die Kodierung der Prozedur 5-835.0 seien nicht erfüllt. Eine am Wortlaut orientierte Auslegung könne nur zu dem Ergebnis führen, dass durch die Drahtcerclage eine Osteosynthese und Knochenersatz an der Wirbelsäule habe erreicht werden sollen. Dr. N. habe jedoch anschaulich dargelegt, dass Ziel der Drahtcerclage nicht eine Osteosynthese gewesen sei, denn durch das Einbringen des Wallis-Interponats sei das Aufspreizen des Bewegungssegments mit Vergrößerung des Abstandes zwischen den Dornfortsätzen erreicht worden. Unter diesen Bedingungen könne eine knöcherne Vereinigung gerade nicht stattfinden.
Die Beklagte hat gegen den ihr am 30. Mai 2011 zugestellten Gerichtsbescheid am 29. Juni 2011 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, das Sozialgericht habe unterstellt, dass der streitige Kode nur verwendbar sei, wenn eine Osteosynthese im Sinne eines Zusammenwachsens von Knochen durch die Cerclage beabsichtigt sei. Dies sei jedoch nicht zutreffend, denn Sinn einer Osteosynthese sei eine stabile Verbindung zwischen zwei Knochen, die durch ein Zusammenwachsen von Knochen auf biologischem Weg, ebenso gut aber auch durch mechanische Verbindungen wie Cerclagen, Platten, Schrauben etc., erreicht werden könne. Das eingebrachte Interponat diene dazu, die aufgetretene Höhenminderung auszugleichen, nicht aber dazu, die Verbindung zwischen den Wirbelkörpern zu festigen. Eine feste Verbindung zwischen den Wirbelkörpern werde gerade durch die Drahtcerclage hergestellt, sodass nach wörtlicher Auslegung die Abrechnung der Beklagten korrekt sei.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 19. Mai 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend und bleibt unter Bezugnahme auf die Ausführungen des MDK und das Gutachten von Dr. N. bei ihrer bisherigen Auffassung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG) ist nicht begründet, da das Sozialgericht die Beklagte zu Recht und mit zutreffender Begründung verurteilt hat, an die Klägerin EUR 2.381,29 zu zahlen. Die zutreffend als allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) erhobene Klage ist begründet, denn die Klägerin hat in dieser Höhe einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wegen Überzahlung der Vergütung für die Krankenhausbehandlung des Versicherten R.M. gegen die Beklagte. Die Überzahlung ist erfolgt, weil die Beklagte zu Unrecht die Prozedur 5-835.0 kodiert und damit fehlerhaft die DRG I09C abgerechnet hat. Zutreffend war vielmehr die DRG I53Z abzurechnen, woraus sich der Differenzbetrag von EUR 2.381,29 ergibt.
Rechtsgrundlage des dem Grunde nach unstreitig bestehenden Vergütungsanspruchs der Beklagten ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V, § 17b Abs. 1 Satz 10 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) und § 7 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) in Verbindung mit der hier maßgeblichen Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2007 (Fallpauschalenvereinbarung 2007 – FPV 2007) sowie dem am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Vertrag Allgemeine Bedingungen Krankenhausbehandlung vom 19. Dezember 2002 zwischen der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft e.V. und unter anderem der Beklagten (Vertrag nach § 112 SGB V). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entsteht die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme einer Leistung durch den Versicherten (BSG, Urteil vom 18.09.2008 – B 3 KR 15/07 R – Juris). Nach § 7 S. 1 KHEntgG werden die allgemeinen Krankenhausleistungen gegenüber den Patienten oder ihren Kostenträgern mit verschiedenen, in den Nummern 1 bis 8 abschließend aufgezählten Entgelten abgerechnet. Hier geht es um die Abrechnung von Fallpauschalen nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog (§ 7 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 9 KHEntgG), der FPV 2007.
Der in Anlage 1 zur FPV 2007 enthaltene Fallpauschalenkatalog ist nach Fallgruppen (DRG) geordnet. Maßgebliche Kriterien für die Zuordnung eines Behandlungsfalles zu einer DRG sind die Hauptdiagnose, die Nebendiagnosen, eventuelle den Behandlungsverlauf wesentlich beeinflussende Komplikationen, die im Krankenhaus durchgeführten Prozeduren sowie weitere Faktoren (Alter, Geschlecht etc.). Die Diagnosen werden mit einem Kode gemäß dem vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit herausgegebenen ICD-10 verschlüsselt. Die Prozeduren werden nach dem ebenfalls vom DIMDI herausgegebenen OPS kodiert. Aus diesen Kodes wird sodann zusammen mit den weiteren für den Behandlungsfall maßgeblichen Faktoren unter Verwendung einer bestimmten vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) zertifizierten Software ("Grouper") die entsprechende DRG ermittelt (sog. "Groupierung"), anhand derer die von der Krankenkasse zu zahlende Vergütung errechnet wird (hierzu ausführlich: BSG, Urteil vom 18.09.2008 a.a.O.). Allein streitig ist vorliegend, ob die Beklagte berechtigt war, die Prozedur 5-835.0 zu kodieren. Dies ist nicht der Fall.
Zu Recht hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass die streitige Prozedur nicht immer schon dann kodiert werden kann, wenn eine Drahtcerclage durchgeführt wurde. Vielmehr ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut der im OPS enthaltenen Beschreibung, dass nur eine Drahtcerclage, mit der eine Osteosynthese und Knochenersatz an der Wirbelsäule erreicht werden soll, die Voraussetzungen der streitigen Prozedur erfüllt. Diese kausale Verknüpfung ergibt sich sowohl aus der Verwendung des Wortes "durch" als auch aus dem Umstand, dass es schon nach der Überschrift zu allen unter 5-835 aufgeführten Prozeduren um Osteosynthese und Knochenersatz an der Wirbelsäule geht. Bei den an der fünften Stelle angegebenen Zusätzen geht es stets nur um das hierfür verwendete Material.
Ebenso zu Recht hat das Sozialgericht festgestellt, dass eine Osteosynthese und ein Knochenersatz im vorliegenden Behandlungsfall nicht stattgefunden hat und auch nicht beabsichtigt war. Dies folgt aus den überzeugendenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. N., denen sich das Gericht anschließt.
Dr. N. hat nachvollziehbar und schlüssig und in Übereinstimmung mit den Ausführungen des MDK dargelegt, dass mit einer Osteosynthese ein knöcherner Durchbau im Sinne einer interkorporellen Fusion erreicht werden solle. Ziel einer Osteosynthese sei grundsätzlich die Stabilisierung von Knochen(-fragmenten), also die Erlangung einer knöchernen Vereinigung. Dies sei vorliegend aber gerade nicht Ziel des operativen Eingriffs gewesen, da durch das Einbringen des Wallis-Interponats ein Aufspreizen des Bewegungssegments mit Vergrößerung des Abstandes zwischen den Dornfortsätzen erreicht werde. Unter diesen Bedingungen könne eine knöcherne Vereinigung, also eine Fusion, im Bereich der Dornfortsätze gar nicht erfolgen. Auch einen Knochenersatz stelle das Wallis-Interponat nicht dar, denn Knochenmaterial werde lediglich in einem geringen Umfang so weit abgetragen, dass das Interponat gut sitze.
Aus diesen Ausführungen wird deutlich, dass die Drahtcerclage gerade nicht einer Fusion von Knochen gedient hat, weil Knochen nicht vereinigt oder gegeneinander fixiert wurden, sondern im Gegenteil der Raum zwischen den Dornfortsätzen aufgespreizt werden sollte und die Drahtcerclage dabei nur dem Zweck diente, den Spreizer zusätzlich zu sichern. Eine andere Beurteilung folgt auch nicht aus dem Vortrag der Beklagten, wonach eine Osteosynthese nicht nur durch das Zusammenwachsen von Knochen, sondern auch durch mechanische Verbindungen – wie hier durch eine Drahtcerclage – erfolgen könne. Es kann dahin stehen, ob diesem Definitionsansatz überhaupt gefolgt werden kann, denn auch eine solche mechanische Verbindung war nicht Ziel der Verwendung einer Drahtcerclage. Wie Dr. N. dargelegt hat, führt der eingebrachte Spreizer zwar zu einer gewissen Bewegungseinschränkung des betroffenen Segments, angestrebt sei aber eine dynamische Stabilisierung, sodass die Beweglichkeit insgesamt erhalten bleibe. Eine Fixierung sei ausdrücklich nicht vorgesehen und letztlich sei die Drahtcerclage auch gar nicht in der Lage, die im Rahmen der Rumpfbewegungen auftretenden Kräfte zu neutralisieren. Sie habe daher lediglich einer zusätzlichen Sicherung des Interponats gegen eine mögliche Dorsaldislokation gedient.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 14 des zwischen den Beteiligten geltenden Vertrages nach § 112 SGB V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Revision wurde nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Streitig ist die Vergütung für eine Krankenhausbehandlung.
Die Beklagte ist Trägerin eines zur Versorgung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassenen Krankenhauses in H.-R. (A. Westklinikum). Dort wurde der bei der Klägerin krankenversicherte R.M. in der Zeit vom 5. bis 12. September 2007 wegen einer Rezessusstenose L4/5 bei instabiler Lendenwirbelsäule in Höhe L 4/5 stationär behandelt. Am 6. September 2007 erfolgten in mikrochirurgischer Technik eine interlaminäre Fensterung und eine ausgedehnte Foraminotomie L 4/5 sowie eine partielle Arthektomie. Es wurde sodann ein Wallis-Interponat zwischen die Dornfortsätze eingebracht und eine Drahtcerclage um die Dornfortsätze herumgelegt.
Mit Rechnung vom 1. Oktober 2007 verlangte die Beklagte von der Klägerin hierfür einen Betrag von EUR 6.783,85. Dieser Abrechnung legte sie unter anderem die Kodierung der Prozedur 5-835.0 (Osteosynthese und Knochenersatz an der Wirbelsäule: durch Drahtcerclage) nach dem Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS, hier: Version 2007) zugrunde und gelangte dadurch zu der Diagnosebezogenen Fallgruppe (Diagnosis Related Group – DRG) I09C (Wirbelkörperfusion ohne äußerst schwere oder schwere CC oder ohne schwere CC mit anderer Kyphoplastie ).
Die Klägerin zahlte auf diese Rechnung am 15. Oktober 2007 EUR 6.715,70, beauftragte aber am gleichen Tag den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung N1 (MDK) mit der Prüfung, ob die Prozedur 5-835.0 zu Recht kodiert worden sei, obwohl keine Prozedur für eine Wirbelkörperfusion angegeben worden sei. Der MDK zeigte der Beklagten seine Beauftragung mit Schreiben vom 17. Oktober 2007 an und forderte die für die Begutachtung erforderlichen Unterlagen an.
Nachdem die Beklagte die Unterlagen trotz wiederholter Erinnerung nicht übersandt hatte, hat die Klägerin am 23. Mai 2008 Stufenklage auf deren Herausgabe an den MDK sowie auf Erstattung des sich nach der Überprüfung durch den MDK ergebenden Differenzbetrages erhoben. Im Laufe des Klagverfahrens hat die Beklagte die angeforderten Unterlagen an den MDK übersandt. Dieser ist daraufhin in seinem Gutachten vom 12. September 2008 zu dem Ergebnis gekommen, dass die streitige Prozedur nicht hätte kodiert werden dürfen, da eine Osteosynthese durch Drahtcerclage nicht stattgefunden habe. Das Einbringen des interspinösen Spreizers sei mit der Prozedur 5-839.b0 (Andere Operationen an der Wirbelsäule: Implantation eines interspinösen Spreizers: 1 Segment) zutreffend abgebildet. Es ergebe sich damit die DRG I53Z (Andere Eingriffe an der Wirbelsäule ohne äußerst schwere CC, mit komplexem Eingriff).
In einem weiteren Gutachten vom 26. August 2009 hat der MDK ausgeführt, der Versicherte habe seit langem unter Rückenschmerzen bei degenerativen Veränderungen der LWS gelitten. Die Höhe der Bandscheiben habe abgenommen, es sei zu einer Höhenminderung der Wirbelsäule gekommen. Intraoperativ sei bei dem Patienten eine Wurzelkompression gesehen worden, weshalb der Operateur ein Auseinanderziehen des Segments durch einen Spreizer für sinnvoll gehalten habe. Der Einbau des Wallis-Spreizers sei dadurch modifiziert worden, dass zur Sicherung des Implantates eine Drahtcerclage über die Dornfortsätze gezogen worden sei. Eine Fusion sei somit weder geplant noch indiziert gewesen. Um eine Fusion durch Osteosynthese, also durch ein Zusammenwachsen von zwei Knochen zu initiieren, brauche es Knochenkontakt und komplette Ruhigstellung. Das Einsetzen eines Spreizers diene aber dazu, den vorderen Teil zwischen den Dornfortsätzen bis hin zur Bandscheibe aufzudehnen und damit den Bandscheibenraum zu entlasten. Die Implantate führten zwar zu einer gewissen Bewegungseinschränkung, dienten aber nicht dazu, die Dornfortsätze zu versteifen oder zu einem Block zusammenzufügen. Der Spreizer verhindere vielmehr jeden für eine Fusion notwendigen Kontakt zwischen den Knochen.
Die Klägerin hat daraufhin ihren Klagantrag auf Herausgabe der Krankenunterlagen für erledigt erklärt und ihren Rückforderungsanspruch auf EUR 2.381,29 beziffert.
Das Sozialgericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts ein fachorthopädisches Gutachten von Dr. N. vom 21. Oktober 2010 eingeholt und sodann die Beklagte durch Gerichtsbescheid vom 19. Mai 2011 verurteilt, an die Klägerin EUR 2.381,29 nebst Zinsen zu zahlen. Es hat ausgeführt, die Voraussetzungen für die Kodierung der Prozedur 5-835.0 seien nicht erfüllt. Eine am Wortlaut orientierte Auslegung könne nur zu dem Ergebnis führen, dass durch die Drahtcerclage eine Osteosynthese und Knochenersatz an der Wirbelsäule habe erreicht werden sollen. Dr. N. habe jedoch anschaulich dargelegt, dass Ziel der Drahtcerclage nicht eine Osteosynthese gewesen sei, denn durch das Einbringen des Wallis-Interponats sei das Aufspreizen des Bewegungssegments mit Vergrößerung des Abstandes zwischen den Dornfortsätzen erreicht worden. Unter diesen Bedingungen könne eine knöcherne Vereinigung gerade nicht stattfinden.
Die Beklagte hat gegen den ihr am 30. Mai 2011 zugestellten Gerichtsbescheid am 29. Juni 2011 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, das Sozialgericht habe unterstellt, dass der streitige Kode nur verwendbar sei, wenn eine Osteosynthese im Sinne eines Zusammenwachsens von Knochen durch die Cerclage beabsichtigt sei. Dies sei jedoch nicht zutreffend, denn Sinn einer Osteosynthese sei eine stabile Verbindung zwischen zwei Knochen, die durch ein Zusammenwachsen von Knochen auf biologischem Weg, ebenso gut aber auch durch mechanische Verbindungen wie Cerclagen, Platten, Schrauben etc., erreicht werden könne. Das eingebrachte Interponat diene dazu, die aufgetretene Höhenminderung auszugleichen, nicht aber dazu, die Verbindung zwischen den Wirbelkörpern zu festigen. Eine feste Verbindung zwischen den Wirbelkörpern werde gerade durch die Drahtcerclage hergestellt, sodass nach wörtlicher Auslegung die Abrechnung der Beklagten korrekt sei.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 19. Mai 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend und bleibt unter Bezugnahme auf die Ausführungen des MDK und das Gutachten von Dr. N. bei ihrer bisherigen Auffassung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG) ist nicht begründet, da das Sozialgericht die Beklagte zu Recht und mit zutreffender Begründung verurteilt hat, an die Klägerin EUR 2.381,29 zu zahlen. Die zutreffend als allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) erhobene Klage ist begründet, denn die Klägerin hat in dieser Höhe einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wegen Überzahlung der Vergütung für die Krankenhausbehandlung des Versicherten R.M. gegen die Beklagte. Die Überzahlung ist erfolgt, weil die Beklagte zu Unrecht die Prozedur 5-835.0 kodiert und damit fehlerhaft die DRG I09C abgerechnet hat. Zutreffend war vielmehr die DRG I53Z abzurechnen, woraus sich der Differenzbetrag von EUR 2.381,29 ergibt.
Rechtsgrundlage des dem Grunde nach unstreitig bestehenden Vergütungsanspruchs der Beklagten ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V, § 17b Abs. 1 Satz 10 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) und § 7 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) in Verbindung mit der hier maßgeblichen Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2007 (Fallpauschalenvereinbarung 2007 – FPV 2007) sowie dem am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Vertrag Allgemeine Bedingungen Krankenhausbehandlung vom 19. Dezember 2002 zwischen der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft e.V. und unter anderem der Beklagten (Vertrag nach § 112 SGB V). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entsteht die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme einer Leistung durch den Versicherten (BSG, Urteil vom 18.09.2008 – B 3 KR 15/07 R – Juris). Nach § 7 S. 1 KHEntgG werden die allgemeinen Krankenhausleistungen gegenüber den Patienten oder ihren Kostenträgern mit verschiedenen, in den Nummern 1 bis 8 abschließend aufgezählten Entgelten abgerechnet. Hier geht es um die Abrechnung von Fallpauschalen nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog (§ 7 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 9 KHEntgG), der FPV 2007.
Der in Anlage 1 zur FPV 2007 enthaltene Fallpauschalenkatalog ist nach Fallgruppen (DRG) geordnet. Maßgebliche Kriterien für die Zuordnung eines Behandlungsfalles zu einer DRG sind die Hauptdiagnose, die Nebendiagnosen, eventuelle den Behandlungsverlauf wesentlich beeinflussende Komplikationen, die im Krankenhaus durchgeführten Prozeduren sowie weitere Faktoren (Alter, Geschlecht etc.). Die Diagnosen werden mit einem Kode gemäß dem vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit herausgegebenen ICD-10 verschlüsselt. Die Prozeduren werden nach dem ebenfalls vom DIMDI herausgegebenen OPS kodiert. Aus diesen Kodes wird sodann zusammen mit den weiteren für den Behandlungsfall maßgeblichen Faktoren unter Verwendung einer bestimmten vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) zertifizierten Software ("Grouper") die entsprechende DRG ermittelt (sog. "Groupierung"), anhand derer die von der Krankenkasse zu zahlende Vergütung errechnet wird (hierzu ausführlich: BSG, Urteil vom 18.09.2008 a.a.O.). Allein streitig ist vorliegend, ob die Beklagte berechtigt war, die Prozedur 5-835.0 zu kodieren. Dies ist nicht der Fall.
Zu Recht hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass die streitige Prozedur nicht immer schon dann kodiert werden kann, wenn eine Drahtcerclage durchgeführt wurde. Vielmehr ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut der im OPS enthaltenen Beschreibung, dass nur eine Drahtcerclage, mit der eine Osteosynthese und Knochenersatz an der Wirbelsäule erreicht werden soll, die Voraussetzungen der streitigen Prozedur erfüllt. Diese kausale Verknüpfung ergibt sich sowohl aus der Verwendung des Wortes "durch" als auch aus dem Umstand, dass es schon nach der Überschrift zu allen unter 5-835 aufgeführten Prozeduren um Osteosynthese und Knochenersatz an der Wirbelsäule geht. Bei den an der fünften Stelle angegebenen Zusätzen geht es stets nur um das hierfür verwendete Material.
Ebenso zu Recht hat das Sozialgericht festgestellt, dass eine Osteosynthese und ein Knochenersatz im vorliegenden Behandlungsfall nicht stattgefunden hat und auch nicht beabsichtigt war. Dies folgt aus den überzeugendenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. N., denen sich das Gericht anschließt.
Dr. N. hat nachvollziehbar und schlüssig und in Übereinstimmung mit den Ausführungen des MDK dargelegt, dass mit einer Osteosynthese ein knöcherner Durchbau im Sinne einer interkorporellen Fusion erreicht werden solle. Ziel einer Osteosynthese sei grundsätzlich die Stabilisierung von Knochen(-fragmenten), also die Erlangung einer knöchernen Vereinigung. Dies sei vorliegend aber gerade nicht Ziel des operativen Eingriffs gewesen, da durch das Einbringen des Wallis-Interponats ein Aufspreizen des Bewegungssegments mit Vergrößerung des Abstandes zwischen den Dornfortsätzen erreicht werde. Unter diesen Bedingungen könne eine knöcherne Vereinigung, also eine Fusion, im Bereich der Dornfortsätze gar nicht erfolgen. Auch einen Knochenersatz stelle das Wallis-Interponat nicht dar, denn Knochenmaterial werde lediglich in einem geringen Umfang so weit abgetragen, dass das Interponat gut sitze.
Aus diesen Ausführungen wird deutlich, dass die Drahtcerclage gerade nicht einer Fusion von Knochen gedient hat, weil Knochen nicht vereinigt oder gegeneinander fixiert wurden, sondern im Gegenteil der Raum zwischen den Dornfortsätzen aufgespreizt werden sollte und die Drahtcerclage dabei nur dem Zweck diente, den Spreizer zusätzlich zu sichern. Eine andere Beurteilung folgt auch nicht aus dem Vortrag der Beklagten, wonach eine Osteosynthese nicht nur durch das Zusammenwachsen von Knochen, sondern auch durch mechanische Verbindungen – wie hier durch eine Drahtcerclage – erfolgen könne. Es kann dahin stehen, ob diesem Definitionsansatz überhaupt gefolgt werden kann, denn auch eine solche mechanische Verbindung war nicht Ziel der Verwendung einer Drahtcerclage. Wie Dr. N. dargelegt hat, führt der eingebrachte Spreizer zwar zu einer gewissen Bewegungseinschränkung des betroffenen Segments, angestrebt sei aber eine dynamische Stabilisierung, sodass die Beweglichkeit insgesamt erhalten bleibe. Eine Fixierung sei ausdrücklich nicht vorgesehen und letztlich sei die Drahtcerclage auch gar nicht in der Lage, die im Rahmen der Rumpfbewegungen auftretenden Kräfte zu neutralisieren. Sie habe daher lediglich einer zusätzlichen Sicherung des Interponats gegen eine mögliche Dorsaldislokation gedient.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 14 des zwischen den Beteiligten geltenden Vertrages nach § 112 SGB V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Revision wurde nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
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