L 8 SB 4557/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 15 SB 1098/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 4557/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 21.09.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtlichen Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger gegen den Beklagten ein Anspruch auf höhere Feststellung des Grades der Behinderung (GdB; 100 statt 80) sowie auf Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Merkmale für die Feststellung des Nachteilsausgleichs (Merkzeichens) "B" seit 15.07.2015 zusteht.

Bei dem 1963 geborenen, verheirateten Kläger, türkischer Staatsangehöriger, der derzeit eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bezieht, wurde mit Bescheid des Landratsamtes L. (LRA) vom 05.06.2008 (Blatt 34/35 der Beklagtenakte) ein GdB von 30 seit dem 03.03.2008 festgestellt (zugrundeliegende Funktionsbehinderungen: Seelische Störung, depressive Verstimmung: Einzel-GdB 30; zum Antrag vom 03.03.2008 vgl. Blatt 1/4 der Beklagtenakte; zum Bericht der Mittelrhein-Klinik B. S. vom 05.06.2017 vgl. Blatt 10/24 der Beklagtenakte, zur Auskunft des Klinikums L., Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin vom 07.02.2008 vgl. Blatt 26/30 der Beklagtenakte und zur versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. H. vom 01.06.2008 vgl. Blatt 32/33 der Beklagtenakte).

Am 15.07.2013 beantragte der Kläger die höhere (Neu-)Feststellung des GdB sowie die Feststellung der Voraussetzungen sämtlicher Merkzeichen (Blatt 37/39 der Beklagtenakte). Zu seinem Antrag verwies er auf Depressionen, eine Anpassungsstörung, eine Hypertonie, ein LWS-Syndrom, Gonarthrose und PAVK (500 m).

In der Akte findet sich ein von der AOK L.-R.-M. ausgestelltes Vorerkrankungsverzeichnis vom 10.06.2013 (Blatt 41/542 der Beklagtenakte). Das LRA zog einen Befundbericht vom behandelnden Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. T. bei (dazu vgl. Blatt 44/52 der Beklagtenakte) sowie eine Stellungnahme des Versorgungsarztes D. bei. Dieser schätzte in seiner Stellungnahme vom 30.09.2013 (Blatt 54 der Beklagtenakte) den GdB auf 80 (zugrundeliegende Funktionsbehinderungen: Seelische Störung, Depression: Einzel-GdB 50; arterielle Verschlusskrankheit beider Beine: Einzel-GdB 40; Angina pectoris, Bluthochdruck: Einzel.-GdB 20; Funktionsbehinderung der Wirbelsäule: Einzel-GdB 10; Funktionsbehinderung beider Knie: Einzel-GdB 10), befürwortete jedoch lediglich das Merkzeichen "G".

Mit Bescheid vom 11.10.2013 (Blatt 55/58 der Beklagtenakte) stellte das LRA den GdB mit 80 seit 15.07.2013 sowie das Merkzeichen "G" fest. Die Feststellung der übrigen Merkzeichen ("Gl", "B", "H", "aG", "Bl", "RF") wurde abgelehnt.

Den trotz Gewährung von Akteneinsicht (Blatt 64, 65 der Beklagtenakte) ohne weitere Begründung am 17.10.2013 (Blatt 63 der Beklagtenakte) eingelegten Widerspruch wies der Beklagte durch das Regierungspräsidium Stuttgart – Landesversorgungsamt - zurück (Widerspruchsbescheid vom 26.02.2014, Blatt 49/50 der Beklagtenakte).

Der Kläger hat am 24.03.2014 beim Sozialgericht (SG) Heilbronn Klage erhoben. Fehlerhaft bewertet sei die Angina pectoris, der Bluthochdruck sowie die Funktionsbehinderung beider Kniegelenke und der Wirbelsäule. Er sei auf das Merkzeichen "B" angewiesen; er benötige eine Begleitperson. Aufgrund seiner Schwäche sei er regelmäßig auf Hilfe angewiesen, wenn er öffentliche Verkehrsmittel benutze. Er leide auch unter Panikstörungen (Schreiben vom 04.04.2015, Blatt 9/10 der SG-Akte), er habe das Gefühl zu ersticken. Menschenansammlungen müsse er meiden und sei deshalb nicht in der Lage öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, wenn diese voll besetzt seien. Er könne auch nicht mehr alleine Auto fahren. Im Gehirn habe er eine Stelle, die auf einen Tumor hindeuten könne. 2007 habe er mit einem Messer einen Selbstmordversuch unternommen, wobei er wegen des starken Blutverlustes fast gestorben sei. Er sei auch nicht in der Lage, sich zu beherrschen. Wenn er das Gefühl habe, dass man ihn angehe oder anmache, dann raste er aus. 2011 habe er eine bekannte Dame, die ihn auf einen Fehler hingewiesen habe, so stark geschlagen, dass ihn das Amtsgericht Nürtingen verurteilt habe. Er habe die Tat nicht gewollt, aber keine Möglichkeit gehabt, sich zu beherrschen. Er werde von Suizidgedanken beherrscht und er halte sein Leben für sinnlos.

Das SG hat die den Kläger behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Wegen des Inhalts und Ergebnisses wird auf Blatt 19/20 (samt der SG-Akte nachgehefteten Anlagen) und 23/28 der SG-Akte Bezug genommen. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. T. hat in seiner Stellungnahme vom 06.05.2014 ausgeführt, beim Kläger bestünde eine Zwei-Gefäß-Erkrankung der atherosklerotischen Herzkrankheit, eine Ischialgie, eine sonstige näher bezeichnete Bandscheibenverlagerung, eine rezidivierende depressive Störung (gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome), ein Verschluss und eine Stenose der Arteria carotis, eine Zervikalneuralgie, Schwindel und Taumel und eine atherosklerotische Herzkrankheit. Auf Grund der psychischen Leiden mit Suizidversuch und bestehender Suizidgedanken, bestehe seit Jahren eine erhebliche Erschöpfung und schmerzhafte Bewegungseinschränkung. Der GdB sei zu niedrig eingestuft. Dr. M., Nervenarzt, hat dem SG am 15.07.2014 geschrieben, der Kläger leide an einer depressiven Erkrankung, zu Beginn mittelgradiger Ausprägung, seit 2008 müsse man eine schwere Depression feststellen. Vorübergehend sei es auch zu einem schädlichen Gebrauch von Alkohol gekommen. Die Depression äußere sich in allgemeiner Kraftlosigkeit, Schlafstörungen, zeitweiligen Suizidgedanken, Unruhe in Räumen mit vielen Menschen, Engegefühl in der Brust, gedrückter Stimmung und Selbstzweifel. Durch diese Symptomatik sei eine deutliche Reduktion der allgemeinen psychischen und physischen Belastbarkeit eingetreten. Nach seiner Einschätzung sei ein GdB von 70 angemessen, es sei bereits die Grenze zu schweren Anpassungsschwierigkeiten erreicht. Eine ständige Begleitperson sei nicht erforderlich.

Nachdem sich der Kläger (Blatt 32, 34, 35, 36 und 37 der SG-Akte) und die Beklagte (Blatt 38/40 der SG-Akte mit versorgungsärztlicher Stellungnahme von Dr. G. vom 21.11.2014) zur Beweisaufnahme geäußert hatten, hat das SG Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens beim Arzt für Neurologie und Psychiatrie/Psychotherapie Prof. Dr. E ... Dieser hat in seinem Gutachten vom 15.05.2015 (Blatt 49/69 der SG-Akte) beim Kläger eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradiger Episode ohne psychotische Symptome, und einen schädlichen Gebrauch von Alkohol beschrieben und diese mit einem GdB von 50 bewertet. Eine ständige Begleitperson sei nicht erforderlich.

Der Kläger hat mit Schreiben vom 18.06.2015 (Blatt 72/73 der SG-Akte) ausgeführt, er sei - anders als von Prof. Dr. E. angenommen - nicht interesselos. Richtig sei, dass er während des Gesprächs den Eindruck gemacht habe, er könne relativ gelassen mit seiner Erkrankung umgehen. Sein Sohn beschreibe ihn ganz anders. Auch nehme er Alkohol in einer Menge zu sich, die schädlich sei. Außerdem sei er (Schreiben vom 20.07.2015, Blatt 76/77 der SG-Akte) durch die über vier Stunden dauernde Begutachtung mit Unterbrechungen sehr verunsichert und beunruhigt gewesen. Er könne mit Geld nicht umgehen. Seine Frau teile ihm Geld zu. Wenn er Geld habe, kaufe er Alkohol und trinke bis zur Bewusstlosigkeit.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21.09.2015 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von mehr als 80 und auch nicht auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "B".

Gegen den seinem Bevollmächtigten am 22.09.2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 19.10.2015 beim SG (Eingang beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg am 30.10.2015) Berufung eingelegt. Die Einschätzung von Dr. M. werde gestützt durch die Stellungnahme der Psychiatrischen Klinik vom 11.01.2011 und durch Dr. T ... Er befinde sich bereits seit 2005 in der Behandlung des Hausarztes und Internisten Dr. T ... Dieser habe eine Reihe von Diagnosen gestellt, die nicht vollständig erfasst worden seien, so die Zwei-Gefäß-Erkrankung des Herzens. Erwähnt werde auch nur die Angina pectoris. Das Gutachten des SG sei zu Ergebnissen gekommen, die ihm nicht gerecht würden. Aufgrund der Fehleinschätzung eines psychisch Kranken sei Dr. M., die Assistenzärztin, zu der Ansicht gelangt, dass bei ihm eine Anpassungsschwierigkeit an der Grenze zur schweren sozialen Anpassungsschwierigkeit vorliege. Sein Bevollmächtigter habe den Eindruck, dass man von Seiten der Ärzte betroffen gewesen sei, weil er - unter Medikamenten stehend - einen interesselosen Eindruck gemacht habe. Er sei nicht völlig interesselos, sondern stehe unter dem massiven Einfluss von Beruhigungsmitteln. Hinzu komme eine Kombination aus kognitiven Defiziten und möglicher Interesselosigkeit. Durch die Medikamente mache er während des Gesprächs den Eindruck, als ob er relativ gelassen sei und mit seiner Erkrankung umgehen könne. Hiergegen sprächen die Äußerungen seines Sohnes, der ihn zutreffend als einen unberechenbaren Menschen schildere, der über kein Schamgefühl verfüge und der sehr schnell ausflippe. Dies führe zu überschießenden Reaktionen, auch in Fällen, wenn man ihm nur eine bedeutungslose Frage stelle. Der Sohn erwähne zudem, dass er nach wie vor alkoholabhängig sei. Er nehme den Alkohol in einer Menge zu sich, die nicht nur schädlich sei, er könne sich beim Trinken auch nicht kontrollieren. Er trinke praktisch bis zur Bewusstlosigkeit. Er mache den Eindruck einer geladenen Pistole. Seine Gefährlichkeit ergebe sich dann, wenn er vor einer Situation stehe, die er aufgrund seiner geringen Toleranz nicht bewältigen könne. Er leide unter einer schweren sozialen Anpassungsschwierigkeit, die dazu führe, dass der GdB von 100 als erreicht gelten müsse. Auch könne er mit Geld nicht umgehen. Bei Alkohol habe er einen vollständigen Kontrollverlust und trinke solange ihm dies möglich sei. Er reagiere nicht nur in Drucksituationen so. Er könne, wenn ihm Alkohol zugänglich sei, nicht widerstehen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Heilbronn vom 21.09.2015 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 11.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2014 zu verurteilen, bei ihm einen Grad der Behinderung von 100 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs (Merkzeichens) "B" seit dem 15.07.2013 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Aus dem Gutachten ergebe sich, dass der Kläger während der Begutachtung gut in der Lage gewesen sei, seinen freien Willen kund zu tun. Bei ihm sei keine Desorientierung oder Gedächtnisstörungen zu eruieren gewesen, so dass die Einwände nicht nachvollziehbar seien. Die Bewertung der Psyche sei als grenzwertig hoch anzusehen. Es bestehe kein Raum für eine weitere Erhöhung des Gesamt-GdB, zumal bei einem echokardiographischen Normalbefund und einer Belastbarkeit im EKG bis 125 Watt ohne signifikante EKG-Veränderungen auch hier keine Höherbewertung möglich sei.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens beim Facharzt für Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S ... Dr. S. hat in seinem Gutachten vom 14.03.2016 (Blatt 24/70 der Senatsakte) beim Kläger auf seinem Fachgebiet als Diagnosen eine rezidivierende depressive Störung (gegenwärtig leichtgradig ausgeprägt, ICD 10: F 33.1) auf dem Boden chronischer depressiver Verstimmungen (ICD 10: F 34.1) und eine emotional - instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ (ICD 10: F 60.30) mitgeteilt und hierfür einen GdB von 50 angesetzt. Der Kläger sei bei der Benutzung öffentliche Verkehrsmittel beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt nicht regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen.

Der Senat hat des weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens beim Internisten, Betriebsmediziner und Sozialmediziner Dr. S ... Dieser hat in seinem Gutachten vom 21.06.2016 (Blatt 76/88 der Senatsakte) eine vasospastische Angina pectoris (keine stenosierende koronare Herzkrankheit), einen Bluthochdruck, eine Cholesterinerhöhung sowie eine periphere arterielle Verschlusskrankheit ohne Anhalt für funktionsrelevante Durchblutungsstörung beschrieben. Dr. S. hat die vasospastische Angina pectoris und den Bluthochdruck mit einem GdB von 20, die periphere arterielle Verschlusskrankheit mit einem GdB von 10 bewertet und den Gesamt-GdB auf 60 geschätzt. Die Frage, ob der Kläger bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge Behinderungen beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sei, hat er verneint.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Blatt 96,97 der Senatsakte).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG und des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 SGG), ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber unbegründet.

Der angefochtene Bescheid des LRA vom 11.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 26.02.2014 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Denn er hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von mehr als 80 seit 15.07.2013 (dazu vgl. II.) und auch nicht auf Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Merkmale für die Feststellung des Nachteilsausgleichs (Merkzeichens) "B" (dazu vgl. III.). Der Senat konnte zwar im Verhältnis zu dem zuvor maßgeblichen Bescheid des LRA vom 05.06.2008 eine wesentliche Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse feststellen, dieser hat der Beklagte aber mit dem angefochtenen Bescheid vom 11.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.02.2014 ausreichend Rechnung getragen hat.

I.

Rechtsgrundlage für die vom Kläger begehrte höhere (Neu-)Feststellung eines höheren GdB ist § 48 Abs. 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m.w.N.). Die den einzelnen Behinderungen, welche ihrerseits nicht zum so genannten Verfügungssatz des Bescheides gehören, zugrunde gelegten Einzel-GdB-Sätze erwachsen nicht in Bindungswirkung (BSG 10.09.1997 - 9 RVs 15/96 -, BSGE 81, 50 bis 54). Hierbei handelt es sich nämlich nur um Bewertungsfaktoren, die wie der hierfür (ausdrücklich) angesetzte Teil-GdB nicht der Bindungswirkung des § 77 SGG unterliegen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustands mit dem bindend festgestellten früheren Behinderungszustand ermittelt werden.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB-Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die der Zuerkennung eines GdB zugrundeliegende Behinderung wird gemäß § 69 Abs. 1 SGB IX im Hinblick auf deren Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Dabei stellt die Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2009 (BGBl. I, 2412), den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG) – wie auch die zuvor geltenden Anhaltspunkte (AHP) - auf funktionelle Beeinträchtigungen ab, die im Allgemeinen zunächst nach Funktionssystemen zusammenfassend (dazu vgl. Teil A Nr. 2 Buchst. e) VG) und die hieraus gebildeten Einzel-GdB (vgl. A Nr. 3a) VG) nach § 69 Abs. 3 SGB IX anschließend in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen sind. Die Feststellung der jeweiligen Einzel-GdB folgt dabei nicht einzelnen Erkrankungen sondern den funktionellen Auswirkungen aller derjenigen Erkrankungen, die ein einzelnes Funktionssystem betreffen.

Die Bemessung des Gesamt-GdB (dazu s. unten) erfolgt nach § 69 Abs. 3 SGB IX. Danach ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. A Nr. 3 VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der VersMedV einschließlich der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3 3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP). Es ist also eine Prüfung vorzunehmen, wie die einzelnen Behinderungen sich zueinander verhalten und ob die Behinderungen in ihrer Gesamtheit ein Ausmaß erreichen, das die Schwerbehinderung bedingt.

Der Senat ist nach eigener Prüfung zu der Überzeugung gelangt, dass die beim Kläger vorliegenden Funktionsbehinderungen in ihrer Gesamtschau seit dem 15.07.2013 jedenfalls keinen Gesamt-GdB von mehr als 80 (dazu vgl. II.) und auch nicht die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens "B" rechtfertigen (dazu vgl. III.).

II.

Im Funktionssystem der Ohren ist kein höherer Einzel-GdB als 10 (dazu vgl. B Nr. 5 VG) anzunehmen. Gemäß dem Tonaudiogramm vom 23.10.2015 (Blatt 65 der Senatsakte) von Dres. B./P. ergibt sich ein prozentualer Hörverlust rechts von 20 und links von 48, der nach B Nr. 5.2.2 und.2.4 VG einen GdB von 10 bedingt. Im Übrigen besteht ein Zustand nach Hörsturz links Oktober 2015. Insoweit liegen beim Kläger weder Ohrgeräusche noch Gleichgewichtsstörungen, Artikulationsstörungen oder außergewöhnliche psychoreaktive Störungen vor (zum HNO-ärztlichen Bericht von Dr. P. vom 10.12.2015 vgl. Blatt 64/65 der Senatsakte). Damit war mangels überdauernder (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) funktioneller Behinderungen in diesem Funktionssystem ein Einzel-GdB von nicht mehr als 10 anzunehmen. Bestätigt wird dies durch die Angaben von Dr. S. (Blatt 40 der Senatsakte = Seite 17 des Gutachtens), dem der Kläger zwar eine Hörminderung und eine Hörgeräteversorgung angegeben, doch hatte er diese bei der Untersuchung nicht dabei und konnte den Gutachter gut verstehen.

Auch die Hypercholesterinämie, ein zu hoher Cholesterinspiegel, der beim Kläger nicht medikamentenpflichtig ist und auch nicht behandelt wird, führt weder unter Anwendung der Maßstäbe von B Nr. 15 VG noch unter den Maßstäben von B Nr. 16 VG zu einer relevanten funktionellen Beeinträchtigung der Teilhabefähigkeit und war daher nicht mit einem GdB zu bewerten.

Das medikamentös behandelte Prostataleiden ist im Funktionssystem des Geschlechtsapparates (A Nr. 2 Buchst. e) VG; zur Bewertung vgl. B Nr. 13 VG) zu bewerten. Dieses Leiden hat er dem Gutachter Dr. S. mitgeteilt. Der Senat konnte nicht feststellen, dass eine chronische bakterielle Entzündung der Vorsteherdrüse, eine abakterielle Prostatopathie (dazu vgl. B Nr. 13.5 VG) - wesentliche Miktionsstörungen hat der Kläger nicht mitgeteilt – oder ein Prostataadenom (dazu vgl. B Nr. 13.5 VG) vorliegen oder ein maligner Prostatatumor entfernt wurde (dazu vgl. B Nr. 13. 6 VG). So hat der Kläger zwar angegeben "ständig" zur Toilette zu müssen (Gutachten Dr. S., Blatt 32 der Senatsakte = Seite 9 des Gutachtens), doch konnte dies bei keiner der insgesamt drei Begutachtungen z.B. dadurch objektiviert werden, dass häufige, vom Kläger ausgehende Unterbrechungen wegen eines Toilettengangs mitgeteilt worden waren. Darüber hinaus konnte der Senat weder die Unterentwicklung, den Verlust oder Schwund eines oder beider Hoden bzw. Nebenhoden feststellen, noch Zeugungsunfähigkeit (Impotentia generandi) bzw. eine erektile Dysfunktion (Impotentia coeundi). Insoweit hatte der Kläger zwar angegeben (Gutachten Dr. S., Blatt 34 der Senatsakte = Seite 11 des Gutachtens), sexuelle Probleme bzw. Erektionsstörungen zu haben, weswegen er schon Medikamente eingenommen habe, doch konnte der Senat hieraus noch nicht ableiten, dass eine generelle Impotenz bzw. eine Beischlafunfähigkeit (erektile Dysfunktion) in GdB-relevantem Ausmaß besteht. Insoweit ist auch nicht nachgewiesen, dass eine Behandlung nicht erfolgreich ist (B Nr. 13.2 VG).

Die von Dr. S. mitgeteilte Scaphoid-Pseudarthrose (Kahnbeinpseudarthrose) rechts (Zustand nach distaler Radiusfraktur rechts 1986 und Re-Fraktur am 31.05.2014 nach Sturz, operative Versorgung am 18.06.2014) ist im Funktionssystem der Arme (dazu vgl. B Nr. 18.13 VG), wozu auch die Hände gehören, zu bewerten. Nach B Nr. 18.13 VG ist eine Versteifung des Handgelenks in günstiger Stellung (leichte Dorsalextension) mit einem GdB von 20 und in ungünstiger Stellung mit einem GdB von 30 zu bewerten. Eine Bewegungseinschränkung des Handgelenks geringen Grades (z.B. Streckung/Beugung bis 30-0-40) wird mit einem GdB zwischen 0 und 10 und bei Bewegungseinschränkungen stärkeren Grades mit 20 bis 30 bewertet. Nicht oder mit Deformierung verheilte Brüche oder Luxationen der Handwurzelknochen oder eines oder mehrerer Mittelhandknochen mit sekundärer Funktionsbeeinträchtigung werden mit einem GdB von 10 bis 30 bewertet. Der Senat konnte mit den vorliegenden ärztlichen Unterlagen (vgl. z.B. Blatt 62/63 der Senatsakte = Bericht der Klinik für Hand- und Plastische Chirurgie M. vom 18.06.2014) eine Versteifung, eine Bewegungseinschränkung und auch einen nicht oder mit Deformierung verheilten Bruch oder Luxationen der Handwurzelknochen nicht feststellen. Auch konnte der Senat in Folge der ohne Arthrose bzw. Pseudarthrose aber in Fehlstellung verheilten distalen Radiusfraktur bzw. Refraktur weder eine Bewegungseinschränkung noch eine Versteifung im Ellenbogengelenk und auch keine Aufhebung bzw. Einschränkung der Unterarmdrehbeweglichkeit (dazu vgl. Nr. 18.13 VG) feststellen. Zwar hatte der Bericht der Klinik M. (a.a.O.) darauf hingewiesen, dass eine bleibende Einschränkung, auch der Belastungsfähigkeit, auftreten könne, doch war nach Operation eine solche vom Kläger nicht mehr mitgeteilt worden. Auch konnte Dr. S. in seiner sozialmedizinischen Begutachtung (Blatt 84 der Senatsakte = Seite 17 des Gutachtens) die Gelenkkonturen an Armen und Händen als nicht auffällig beschreiben, insbesondere konnte er keine Schwellungen oder Rötungen feststellen. Die Ausbildung der Muskulatur war an beiden Armen seitengleich und konstitutionsentsprechend. Bei der Beweglichkeit konnte Dr. S. in allen Gelenken passiv und aktiv keine wesentliche Einschränkung finden. Auch die Spontanbewegungen beobachtend konnte Dr. S. keine Beeinträchtigungen erkennen. Damit war in diesem Funktionssystem ein Einzel-GdB nicht anzunehmen.

Im Funktionssystem des Rumpfes, zu dem der Senat die Wirbelsäule einschließlich der Halswirbelsäule zählt, war ein Einzel-GdB von allenfalls 10 anzunehmen. Nach den B Nr. 18.9 VG ist bei Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 30 und mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten ein GdB von 30 bis 40 gerechtfertigt. Maßgebend ist dabei, dass die Bewertungsstufe GdB 30 bis 40 erst erreicht wird, wenn mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vorliegen. Die Obergrenze des GdB von 40 ist danach erreicht bei schweren Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten (Senatsurteil 24.01.2014 - L 8 SB 2497/11 - juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de). Erst bei Wirbelsäulenschäden mit besonders schweren Auswirkungen (z.B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst (z. B. Milwaukee-Korsett); schwere Skoliose (ab ca. 70° nach Cobb) ist ein GdB von 50 bis 70 und bei schwerster Belastungsinsuffizienz bis zur Geh- und Stehunfähigkeit ein GdB von 80 bis 100 gerechtfertigt, die jedoch bei der Klägerin nicht vorliegen und auch nicht geltend gemacht werden.

Vorliegend hat alleine Dr. T. in seinem Bericht für das LRA vom 06.08.2013 (Blatt 44 der Beklagtenakte) eine Radikulopathie im Lumbalbereich beschrieben. Es wurde über bewegungsabhängige rezidivierende Schmerzen und eine Bewegungseinschränkung, die lediglich endgradig schmerzhaft ist, berichtet. In seiner späteren Stellungnahme gegenüber dem SG hat er lediglich eine "Ischialgie", eine "sonstige näher bezeichnete Bandscheibenverlagerung" und eine "Zervikalneuralgie" mitgeteilt. Weitere Befunde hat er trotz der ausdrücklichen Befragung durch das SG nicht mitgeteilt. Vor diesem Hintergrund konnte der Senat die vom Kläger angegebene Verschlimmerung nicht als nachgewiesen betrachten. Dr. S. hat bei seiner sozialmedizinischen Begutachtung des Klägers (Blatt 83 RS/84 der Senatsakte = Seite 16/17 des Gutachtens) an der Wirbelsäule keine erkennbare pathologische Schwingung von Relevanz beschreiben können. Beide Schultern stehen auf gleicher Höhe, am Becken lässt sich im Stand keine Kippung erkennen. Die Ausbildung der Rumpfmuskulatur war schmächtig; dauerhafte Anspannungen bzw. lokale Verhärtungen konnte Dr. S. in allen Etagen nicht feststellen. Im Bereich der Dornfortsatzreihe bestanden keine druck- und klopfschmerzhaften Stellen. Bei den Bewegungen der Halswirbelsäule waren keine nennenswerten Einschränkungen zu beobachten, Schmerzen wurden nicht angegeben. Die Bewegungen der Brust- und Lendenwirbelsäule zeigte in allen Ebenen keine Einschränkungen und konnten ohne wesentliche Schmerzangaben ausgeführt werden. Da auch in den anderen ärztlichen Befunden keine Anhaltspunkte für eine Verschlimmerung oder wesentliche Erkrankungen der Wirbelsäule vorhanden sind, musste der Senat auch nicht weiter von Amts wegen ermitteln. Die von Dr. T. beschriebenen funktionellen Gesundheitsstörungen sind nach Überzeugung des Senats lediglich mit geringen funktionellen Auswirkungen in Form geringer schmerzhafter Bewegungseinschränkungen verbunden; es bestehen – auch wenn Dr. S. die im Zusammenhang mit der Verschlusskrankheit beschriebenen Beschwerden einer pseudoradikulären Symptomatik der LWS zuordnen will - keine neurologische bzw. sensomotorisch Ausfälle (vgl. Gutachten Dr. S.). Diese Funktionsbehinderung wurde daher vom Beklagten zutreffend mit einem Einzel-GdB von 10 bemessen. Die Überzeugung des Senats wird dadurch bestätigt, dass z.B. der Gutachter Dr. S. bei seiner Untersuchung berichten konnte (Blatt 82 der Senatsakte = Seite 13 des Gutachtens), der Kläger habe beim Aus- und Ankleiden keine auffälligen Schwierigkeiten gezeigt und dies in angemessener Geschwindigkeit verrichtet. Das Bewegungsmuster beim Hinlegen auf die Untersuchungsliege sei unauffällig gewesen, auch beim Aufrichten sei keine vorübergehende Seitenlage eingenommen worden. Die sonstigen Bewegungen auf der Untersuchungsliege seien im Wesentlichen flüssig vorgenommen worden. Dieser normale Bewegungsablauf deutet nicht auf eine relevante Wirbelsäulenerkrankung hin.

Soweit der Beklagte die von Dr. T. angegebene Gonarthrose beider Kniegelenke, im Funktionssystem der Beine mit einem GdB von 10 bewertet hat, ist diese Bewertung nicht zu Lasten des Klägers rechtswidrig zu niedrig. Dr. T. (Blatt 44 der Beklagtenakte) hat insoweit lediglich bewegungsabhängige Schmerzen bei Belastung und einen Anlaufschmerz beschrieben. Trotz der ausdrücklichen Befragung durch das SG hat er in seiner Stellungnahme dort Kniebeschwerden oder eine Knieerkrankung nicht mitgeteilt, ebenso wenig Befunde zu einer Kniebehinderung. Damit konnte der Senat eine Versteifung, eine Lockerung des Kniebandapparates, einen Kniescheibenbruch, eine habituelle Kniescheibenverrenkung, eine Bewegungseinschränkung im Kniegelenk und auch ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke (z.B. Chondromalacia patellae Stadium II-IV) mit anhaltenden Reizerscheinungen nicht feststellen. So hat Dr. S. in seiner sozialmedizinischen Begutachtung (Blatt 84 der Senatsakte = Seite 17 des Gutachtens) die sichtbaren Gelenkkonturen als überall unauffällig beschrieben. Ein Kapseldruckschmerz wurde vom Kläger nicht angegeben. Auch waren keine Gelenkschwellungen oder typische Ergusszeichen sichtbar. Die Muskulatur der unteren Extremitäten entsprach der Gesamtkonstitution und war symmetrisch entwickelt. Das Gangbild erschien locker. Vor diesem Hintergrund konnte der Senat eine relevante Kniefunktionsbehinderung nicht als nachgewiesen betrachten. Da auch in den ärztlichen Befunden keine Anhaltspunkte für eine wesentliche Erkrankung vorhanden sind, musste der Senat auch nicht weiter von Amts wegen ermitteln. Die von Dr. T. beschriebenen funktionellen Gesundheitsstörungen sind nach Überzeugung des Senats lediglich mit geringen funktionellen Auswirkungen verbunden; der vom Beklagten angenommene Teil-GdB von 10 ist damit jedenfalls nicht rechtswidrig zu Lasten des Klägers zu niedrig.

Im Funktionssystem der Beine war auch die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) zu berücksichtigen, denn dort treten die funktionellen Beeinträchtigungen der pAVK auf. Zwar waren die Fußpulse schlecht tastbar, was ein wichtiges Indiz für eine pAVK darstellt. Doch konnte Dr. S. (Blatt 87/87 RS der Senatsakte = Seite 23/24 des Gutachtens) bei der Doppler-Druckmessung feststellen, dass keine relevanten Druckgradienten vorliegen. Die Tatsache, dass die gemessenen Werte an den Fußarterien teilweise gering unter dem Wert an der Brachialarterie lagen, spricht nach Dr. S. für eine beginnende, noch nicht funktionsrelevante periphere arterielle Gefäßkrankheit vom Unterschenkeltyp. Dies passt zu den vom Kläger berichteten Beschwerden, die nicht typisch sind für eine pAVK und teilweise einer Somatisierung im Rahmen der seelischen Störung entsprechen. Damit konnte der Senat eine periphere arterielle Verschlusskrankheit als objektiviert betrachten. Diese war nach B Nr. 9.2.1 VG zu bewerten. Danach ist für arterielle Verschlusskrankheiten, Arterienverschlüsse an den Beinen (auch nach rekanalisierenden Maßnahmen) mit ausreichender Restdurchblutung, Pulsausfall ohne Beschwerden oder mit geringen Beschwerden (Missempfindungen in Wade und Fuß bei raschem Gehen), ein- oder beidseitig, ein GdB-Rahmen von 0 bis 10 eröffnet, und bei eingeschränkter Restdurchblutung (Claudicatio intermittens) und Schmerzen in Anhängigkeit von der Gehstrecke ein GdB-Rahmen von 20 bis 80 anzunehmen. Beim Kläger konnte bei der Begutachtung vorliegend weder eine eingeschränkte Restdurchblutung festgestellt werden, noch Schmerzen beim Gehen einer Wegstrecke von 500 Metern und mehr. Denn insoweit hat der Kläger selbst eine Wegstrecke von 500 Metern angegeben (vgl. Antrag beim LRA); lediglich Dr. T. hat eine Wegstrecke von unter 500 Metern beschrieben (Bericht vom 06.08.2013, Blatt 44 der Beklagtenakte), was jedoch anhand der von Dr. S. erhobenen Befunde für den Senat nicht objektiviert werden konnte. Da mithin keine relevanten Durchblutungsstörungen festgestellt werden konnten, konnte der Senat den Teil-GdB insoweit lediglich zu Gunsten des Klägers am oberen Rand des für arterielle Verschlusskrankheiten mit ausreichender Restdurchblutung vorgesehenen GdB-Rahmens annehmen mit 10 feststellen. Insoweit konnte sich der Senat auch nicht der zuletzt vom Beklagten vorgenommenen Bewertung der pAVK mit einem Teil-GdB von 40 anschließen.

Nachdem im Funktionssystem der Beine lediglich zwei Teil-GdB von 10 anzusetzen waren und auch keine sich verstärkenden Funktionsbehinderungen vorliegen, war der Einzel-GdB mit 10 festzustellen.

Im Funktionssystem des Herz/Kreislaufs (dazu vgl. B Nr. 9 VG) zu bewerten sind beim Kläger die vasospastische Angina pectoris und die arterielle Hypertonie. Eine stenosierende koronare Herzerkrankung konnte nicht festgestellt werden. Diese Erkrankung konnte Dr. S. ausschließen, ebenso das Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart im Jahr 2010 (Bericht vom 21.07.2010, Blatt 45/46, 47/48 der Beklagtenakte). Auch den Berichten des Klinikums L. vom 07.01.2016 (Blatt 66/68 der Senatsakte) und des Cardio Centrums B. vom 11.01.2016 (Blatt 69/70 der Senatsakte) lässt sich dies entnehmen. Bei der Bewertung dieser Erkrankung hat der Senat auch berücksichtigt, dass mehrfach, zuletzt im Bericht des Cardio Centrums B. (a.a.O.), Koronarspasmen, eine plötzliche und hochgradige Verengung der Herzkranzarterie, beschrieben sind.

Für die Bemessung des GdB bei Herz-/Kreislauferkrankungen ist weniger die Art einer Herz- oder Kreislaufkrankheit maßgeblich als die Leistungseinbuße. Dabei ist zunächst von dem klinischen Bild und von den Funktionseinschränkungen im Alltag auszugehen. Ergometerdaten und andere Parameter stellen Richtwerte dar, die das klinische Bild ergänzen. Elektrokardiographische Abweichungen allein gestatten keinen Rückschluss auf die Leistungseinbuße. Insoweit sind nach B Nr. 9.1.1 VG Einschränkung der Herzleistung wie folgt zu bewerten: 1. keine wesentliche Leistungsbeeinträchtigung (keine Insuffizienzerscheinungen wie Atemnot, anginöse Schmerzen) selbst bei gewohnter stärkerer Belastung (z. B. sehr schnelles Gehen [7-8 km/h], schwere körperliche Arbeit), keine Einschränkung der Solleistung bei Ergometerbelastung: GdB 0 bis 10. 2. Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung (z. B. forsches Gehen [5-6 km/h], mittelschwere körperliche Arbeit), Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 75 Watt (wenigstens 2 Minuten: GdB 20 bis 40. 3. Leistungsbeeinträchtigung bereits bei alltäglicher leichter Belastung (z. B. Spazierengehen [3-4 km/h], Treppensteigen bis zu einem Stockwerk, leichte körperliche Arbeit), Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 50 Watt (wenigstens 2 Minuten) GdB 50 bis 70. mit gelegentlich auftretenden, vorübergehend schweren Dekompensationserscheinungen: GdB 80. 4. Leistungsbeeinträchtigung bereits in Ruhe (Ruheinsuffizienz, z. B. auch bei fixierter pulmonaler Hypertonie) GdB 90 bis 100.

Der Kläger klagt vor allem in Zusammenhang mit nächtlichen Angstgefühlen über zeitweise Engegefühle in der Brust (vgl. seine Angaben im Gutachten Dr. S.). Unter körperlicher Belastung sind Koronarspasmen bisher nicht aufgefallen. Die Ergometrie wies mit 100 Watt eine ordentliche Belastbarkeit auf. Die entsprechende Untersuchung bei Dr. S. wurde auch nicht wegen kardialer Beschwerden abgebrochen wurde, sondern wegen Ermüdung (Blatt 85 der Senatsakte = Seite 19 des Gutachtens). Auch hatte der Kläger Dr. S. gesagt, dass schwerere Attacken von Coranarspasmen nicht häufig aufträten. Er benutzt insoweit sein Nitro-Spray nur selten. Auch bei der Untersuchung durch Dr. S. war auch unter Belastung kein Koronarspasmus aufgetreten. Dem entspricht auch, dass der Kläger im Cardio Centrum B. bei der Untersuchung im Belastungs-EKG 50 und 75 Watt jeweils für zwei Minuten und 100 Watt für 1,5 Minuten leisten konnte, wobei der Blutdruck von 120/70 auf 170/90 mmHg und der Puls von 76 auf 133 Schläge/Min angestiegen war. Höhergradige Rhythmusstörungen waren nicht aufgetreten, die Sauerstoffsättigung war unter Belastung normal geblieben (Blatt 70 der Senatsakte). Eine Angina pectoris oder eine inadäquate Luftnot trat nicht auf. Zwar hatte der Kläger damals die Belastung wegen Schwindel abgebrochen, doch konnten die Ärzte des Cardio Centrums eine typische Angina pectoris nicht feststellen. Auch im Robert-Bosch-Krankenhaus (Bericht vom 21.07.2010, Blatt 47/48 der Beklagtenakte) war der Kläger bis 125 Watt über mehr als sieben Minuten leistungsfähig.

Eine bedeutsame Behinderung im Alltag wird mithin durch die Gesundheitsstörungen am Herz nicht bedingt. Es handelt sich insoweit um eine leicht- bis mittelschwere Störung - der Senat schließt sich insoweit der Beurteilung von Dr. S. an -, weshalb der insoweit eröffnete GdB-Rahmen von 20 bis 40 weder im oberen noch im mittleren Bereich auszuschöpfen und der GdB vielmehr am unteren Rand (Teil-GdB 20) anzusetzen war.

Die Hypertonie (Bluthochdruck) ist nach B Nr. 9.3 VG als - leichte Form, keine oder geringe Leistungsbeeinträchtigung (höchstens leichte Augenhintergrundveränderungen) mit einem GdB von 0 bis 10, - mittelschwere Form mit Organbeteiligung leichten bis mittleren Grades (Augenhintergrundveränderungen - Fundus hypertonicus I-II - und/oder Linkshypertrophie des Herzens und/oder Proteinurie), diastolischer Blutdruck mehrfach über 100 mm Hg trotz Behandlung, je nach Leistungsbeeinträchtigung mit einem GdB von 20 bis 40, - schwere Form mit Beteiligung mehrerer Organe (schwere Augenhintergrundveränderungen und Beeinträchtigung der Herzfunktion, der Nierenfunktion und/oder der Hirndurchblutung) je nach Art und Ausmaß der Leistungsbeeinträchtigung mit einem GdB von 50 bis 100 und als - maligne Form, diastolischer Blutdruck konstant über 130 mm Hg; Fundus hypertonicus III-IV (Papillenödem, Venenstauung, Exsudate, Blutungen, schwerste arterielle Gefäßveränderungen); unter Einschluss der Organbeteiligung (Herz, Nieren, Gehirn) mit einem GdB von 100 zu bewerten.

Vorliegend ist der Bluthochdruck nicht schwer und gut eingestellt, obwohl der Serumspiegel des einzigen vom Kläger eingenommenen Blutdruck-wirksamen Mittels (Verapamil) unter der Nachweisgrenze lag (Gutachten Dr. S., Blatt 85 der Senatsakte = Seite 19 des Gutachtens). Zusammen mit der mäßigen Cholesterinerhöhung, die gar nicht behandelt wird, handelt es sich zwar um Risikofaktoren der kardialen Erkrankung, jedoch nicht um funktionsrelevante Störungen. Auch sind weder Leistungsbeeinträchtigungen noch Organbeteiligungen - insbesondere keine Augenhintergrundveränderungen – dokumentiert. Der Kläger hat solche auch nicht vorgetragen. Damit war für diese Gesundheitsstörung ein Teil-GdB nicht anzusetzen.

Nachdem im Funktionssystem des Herz/Kreislaufs lediglich ein Teil-GdB von 20 anzusetzen war entspricht der Einzel-GdB dem Teil-GdB.

Im Funktionssystem des Gehirns einschließlich der Psyche ist der Einzel-GdB mit 50 zu bewerten. Beim Kläger besteht eine psychische Gesundheitsstörung in Form einer rezidivierende depressive Störung (bei der Untersuchung durch Dr. S. leichtgradig ausgeprägt, ICD 10: F 33.1) auf dem Boden chronischer depressiver Verstimmungen (ICD 10: F 34.1), sowie eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ. Auch konnte der Senat – zumindest zeitweise - einen schädlichen Gebrauch von Alkohol feststellen. Diese Gesundheitsstörungen konnte der Senat dem Gutachten von Prof. Dr. E., für das er durch seine Unterschrift die Verantwortung übernommen und das auch nicht nur von seiner Assistenzärztin Dr. M. erstellt worden war, und dem Gutachten von Dr. S. entnehmen. Sie entsprechen auch den Angaben von Dr. M., wobei die Schwere der depressiven Störungen schwankend war. Darüber hinaus besteht eine neurologische Auffälligkeit in Form einer degenerativ-mikroangiographischen cerebralen Marklagerveränderung (MRT 11/2013; vgl. Bericht des Cardio Centrums B., Blatt 69 der Senatsakte).

Für die Bewertung von Hirnschäden bestimmt B Nr. 3.1 VG, dass ein Hirnschaden nachgewiesen ist, wenn Symptome einer organischen Veränderung des Gehirns festgestellt worden sind. Wenn bei späteren Untersuchungen keine hirnorganischen Funktionsstörungen und Leistungsbeeinträchtigungen mehr zu erkennen sind, beträgt der GdB dann - auch unter Einschluss geringer z.B. vegetativer Beschwerden - 20; nach offenen Hirnverletzungen nicht unter 30. Vorliegend hat eine offene Hirnverletzung nicht stattgefunden, weshalb der GdB mit 20 zu bewerten ist. Bestimmend für die Beurteilung eines höheren GdB ist das Ausmaß der bleibenden Ausfallserscheinungen. Ein höherer GdB kommt so nach B Nr. 3.1.1 VG in Betracht, wenn die Hirnschäden mit zumindest geringer Leistungsbeeinträchtigung einhergehen oder i.S.v. B Nr. 3.1.2 VG jedenfalls mit isoliert vorkommenden bzw. führenden Syndromen verbunden sind.

Beim Kläger konnte zwar die Marklagerveränderung, eine Stelle im Hirngewebe, die in der Untersuchung anders aussieht als normal, im MRT 2013 festgestellt werden. Doch ergeben sich hieraus keinerlei Symptome einer organischen Veränderung; solche konnte der Senat zu keinem Zeitpunkt feststellen. Damit fällt die Marklagerveränderung vorliegend nicht unter die Hirnschäden i.S.v. B Nr. 3.1 VG. Sie ist auch nicht nach anderen Bewertungsmaßstäben von B Nr. 3 VG mit einem Teil-GdB zu bewerten, denn sie ist bislang ohne erkennbares funktionelles Defizit geblieben. Das bestätigen die Gutachten Dr. S. und Prof. Dr. E., die beide auch Neurologen sind. Insoweit war der Kläger in beiden Gutachten als durchgehend konzentriert und ruhig beschrieben worden. Konzentrations-, Durchhalte-, Sprach-, Denk- oder Gedächtnisstörungen konnten beide Gutachter nicht feststellen (vgl. z.B. Blatt 42 der Senatsakte = Seite 19 des Gutachtens Dr. S.; Blatt 62/63 der SG-Akte = Seite 14/15 des Gutachtens Prof. Dr. E.). Auch war auch das Elektroencephalogramm normal (Gutachten Dr. S., Blatt 43 der Senatsakte = Seite 20 des Gutachtens). Vor diesem Hintergrund konnte der Senat weder zumindest geringe Hirnleistungsbeeinträchtigungen noch mit einem Hirnschaden verbundene isoliert vorkommende bzw. führende Syndrome feststellen. Damit war ein Teil-GdB insoweit nicht anzusetzen.

Nach B Nr. 3.7 VG ist bei Neurosen, Persönlichkeitsstörungen oder Folgen psychischer Traumen mit leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen der GdB mit 0 bis 20, bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) der GdB mit 30 bis 40 und bei schweren Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mit 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mit 80 bis 100 zu bewerten.

Soweit der Beklagte für die rezidivierende depressive Störung (bei der Untersuchung durch Dr. S. leichtgradig ausgeprägt, ICD 10: F 33.1) auf dem Boden chronischer depressiver Verstimmungen (ICD 10: F 34.1) sowie eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ einen Teil-GdB von 50 angenommen hat, ist dies nicht zu Lasten des Klägers rechtswidrig zu niedrig. Diese Bewertung der psychischen Gesundheitsstörungen mit einem Teil-GdB von 50 wurde von Prof. Dr. E. und Dr. S. bestätigt.

Bei der Untersuchung durch Dr. S. (Blatt 49/51 der Senatsakte = Seite 26/28 des Gutachtens) hatte sich keine Antriebsminderung oder gar eine psychomotorische Hemmung gezeigt. Der Kläger zeigte eine überwiegend recht lebhafte Gestik. Kognitive oder mnestische Defizite relevanten Ausmaßes konnten nicht erhoben werden. Für eine hirnorganische Symptomatik ergab sich kein Anhalt. In der Grundstimmung war der Kläger dysthym bzw. subdepressiv, innerlich leicht angespannt und unterschwellig reizbar. Eine manifeste depressive Symptomatik lag zum Zeitpunkt der Untersuchung bei Dr. S. nicht vor. Die affektive Resonanzfähigkeit war eingeschränkt und zum negativen Pol hin verschoben, aber nicht aufgehoben. Das Elektroencephalogramm zeigte einen gut ausgeprägten Alpha-Grundrhythmus. Vigilanzschwankungen oder -minderungen lagen nicht vor. Die akustisch evozierten Potentiale waren unauffällig. Das Tibialis-SEP war vereinbar mit einer leicht ausgeprägten inkompletten Läsion der somatosensiblen Afferenzen von beiden Beinen. Die motorische Nervenleitgeschwindigkeit des Nervus peronaeus links und die sensible Nervenleitgeschwindigkeit des Nervus suralis rechts waren unauffällig ohne Hinweise für eine Neuropathie bzw. Polyneuropathie. Bei Prof. Dr. E. hatten sich vergleichbare Befunde gezeigt (Blatt 61/65 der SG-Akte = Seite 13/17 des Gutachtens).

Im Hinblick auf den vom Kläger bei beiden Gutachtern beschriebenen sozialen Rückzug, seine noch immer bestehenden Suizidgedanken und die bestehende Beeinträchtigung in der Alltagsgestaltung konnte der Senat Einschränkungen der Teilhabe am alltäglichen Leben in der Gesellschaft, vor allem durch die Persönlichkeitsstörung bedingt, feststellen. Es besteht eine mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeit, die beim Kläger, der seinen Beruf als Busfahrer aufgeben musste, durch Beeinträchtigungen des Berufslebens, durch deutlichen Kontaktverlust und affektive Nivellierung deutlich wird. Die Beziehungen im engeren sozialen Umfeld sind erheblich gestört. Jedoch ist der Kläger nicht völlig aus dem sozialen Leben ausgegliedert – so hat er z.B. mit seinen Kindern einen guten Kontakt. Auch ist er in das häusliche Leben gut integrier- und dort auch durch die Ehefrau leitbar. Er ist auch nicht völlig emotional abgeflacht. Vor diesem Hintergrund konnte der Senat den GdB lediglich am unteren Rand des für schwere Störungen vorgesehenen GdB-Rahmens, mithin einen Teil-GdB von 50, annehmen.

Der zumindest zeitweise vorhandene schädliche Gebrauch von Alkohol erhöht diesen Teil-GdB nicht. Denn der Kläger ist in der Lage, seinen Alkoholkonsum zu steuern; eine manifeste Abhängigkeit i.S.v. B Nr. 3.8 VG ist nicht objektiviert. Zwar erleidet der Kläger beim Trinken von Alkohol einen Kontrollverlust, doch ist auch in den Gutachten von Prof. Dr. E. und Dr. S. kein typisches Suchtverhalten oder einen krankhaften Zustand beschrieben. Vielmehr kann der Kläger mit der Situation, das Geld von der Ehefrau zugeteilt zu bekommen, und damit keinen oder nur wenig Alkohol kaufen zu können, zurecht kommen. Vor diesem Hintergrund konnte der Senat feststellen, dass die sich insoweit ergebenden funktionellen Beeinträchtigungen vollständig mit dem bereits für die psychische Störung angenommenen Teil-GdB von 50 überschneiden und diesen nicht erhöhen.

Damit war im Funktionssystem des Gehirns einschließlich der Psyche ein Einzel-GdB von 50 anzusetzen. Der Senat konnte insoweit der Einschätzung von Dr. M., der einen GdB von 70 für die psychiatrischen Gesundheitsstörungen angenommen hatte, nicht folgen. Insoweit tragen weder die von ihm mitgeteilten Befunde, noch die im vorliegenden Rechtsstreit erhobenen Befunde seine Einschätzung.

Weitere GdB-relevante Gesundheitsstörungen sind weder vorgetragen, noch konnte der Senat solche feststellen.

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt. Der Senat hält weitere Ermittlungen nicht für erforderlich. Die vorliegenden ärztlichen Unterlagen haben mit den sachverständigen Zeugenauskünften und den Gutachten dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Denn der festgestellte medizinische Sachverhalt bietet die Basis für die alleine vom Senat vorzunehmende rechtliche Bewertung des GdB unter Einschluss der Bewertung der sich zwischen den einzelnen Erkrankungen und Funktionsbehinderungen ergebenden Überschneidungen und Wechselwirkungen. Insoweit ist für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft nach den allgemeinen Beschreibungen in den einleitenden Teilen der VG als Maßstab der Vergleich zu den Teilhabebeeinträchtigungen anderer Behinderungen anzustellen, für die im Tabellenteil ein Wert von 50 fest vorgegeben ist (BSG 16.12.2014 – B 9 SB 2/13 R – SozR 4-3250 § 69 Nr. 18 = juris).

Nach Überzeugung des Senats ist der Gesamt-GdB unter integrierender Bewertung der Funktionsbehinderungen und unter Beachtung ihrer gegenseitigen Auswirkungen der Gesamt-GdB zu bilden aus Einzel-GdB-Werten von - 10 für die Funktionsbeeinträchtigungen im Funktionssystem der Ohren, - 10 für die Funktionsbeeinträchtigungen im Funktionssystem des Rumpfes (Wirbelsäule), - 10 für die Funktionsbeeinträchtigungen im Funktionssystem der Beine (beidseitige Gonarthrose, pAVK), - 20 für die Funktionsbeeinträchtigungen des Funktionssystems des Herz/Kreislaufs vasospastische Angina pectoris/Bluthochdruck), - 50 für die Funktionsbeeinträchtigungen im Funktionssystem des Gehirns einschließlich der Psyche, wobei sich Einzel-GdB-Werte von 10 regelmäßig nicht erhöhend auswirken. Nachdem beim Kläger von einem zu berücksichtigenden höchsten Einzel-GdB von 50 auszugehen ist und lediglich ein Einzel-GdB von 20 sowie zwei weitere Einzel-GdB von 10 vorliegen und auch kein Fall vorliegt, in dem ein Einzel-GdB von 10 ausnahmsweise zu berücksichtigen wäre, konnte der Senat im Anschluss an die Bewertungen der Gutachter Dr. S. und Dr. S. einen Gesamt-GdB i.S.d. § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX von allenfalls 60 feststellen. Soweit der Beklagte zuletzt einen Gesamt-GdB von 80 angenommen hatte, ist dies jedenfalls nicht zu Lasten des Klägers rechtswidrig zu niedrig. Jedenfalls konnte der Senat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren Gesamt-GdB feststellen.

III.

Einen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Merkmale für die Feststellung des Nachteilsausgleichs (Merkzeichens) "B" hat der Kläger nicht.

Zur Mitnahme einer Begleitperson sind schwerbehinderte Menschen berechtigt, die bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf Hilfe angewiesen sind, § 146 Abs. 2 SGB IX. Nach § 145 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX wird eine Begleitperson eines schwerbehinderten Mensch i.S.d. § 145 Abs. 1 SGB IX unentgeltlich im öffentlichen Nahverkehr befördert, wenn die Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson nachgewiesen ist und dies im Schwerbehindertenausweis eingetragen ist. Schwerbehinderte Menschen im Sinne des § 145 Abs. 1 SGB IX sind Personen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, hilflos oder gehörlos sind, denen also das Merkzeichen "G", "H" oder "Gl" zuerkannt ist.

Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG 23.06.1993 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG 09.04.1997 – 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten.

Bislang konnte sich der Beklagte hinsichtlich der Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichen "B" nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht auf die VG (D Nr. 2 VG) berufen. Eine gesetzliche Ermächtigung für den Verordnungsgeber, die Grundsätze für die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleiche durch Verordnung regeln zu können, enthielten nach Auffassung des Senats weder § 30 Abs. 17 BVG in der Fassung bis 30.06.2011 bzw. § 30 Abs. 16 BVG in der ab 01.07.2011 gültigen Fassung, der nicht auf die im Schwerbehindertenrecht im SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche verweist (vgl. Dau, jurisPR SozR 4/2009), noch andere Regelungen des BVG. Eine Rechtsgrundlage zum Erlass einer Verordnung über Nachteilsausgleiche war bislang auch nicht in den einschlägigen Vorschriften des SGB IX vorhanden. Die Regelungen der VG zum Nachteilsausgleich "B" waren damit – wie auch diejenigen des Merkzeichens "G" nach ständiger Rechtsprechung des Senats mangels entsprechender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig (vgl. Senatsurteile 23.07.2010 – L 8 SB 3119/08 - und 14.08.2009 – L 8 SB 1691/08 - , beide veröffentlicht in juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de; so auch der 6. Senat des LSG Baden-Württemberg, 04.11.2010 – L 6 SB 2556/09, unveröffentlicht). Rechtsgrundlage waren daher allein die genannten gesetzlichen Bestimmungen. Zwischenzeitlich hat jedoch der Gesetzgeber mit Wirkung zum 15.01.2015 in § 70 Abs. 2 SGB IX eine Verordnungsermächtigung eingeführt und in § 159 Abs. 7 SGB IX eine Übergangsregelung getroffen (eingefügt durch Art. 1a des am 15.01.2015 in Kraft getretenen Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG vom 07.01.2015; BGBl. II S. 15).

Die Voraussetzungen des Merkzeichens "B" sind weder nach den vor dem 15.01.2015 geltenden gesetzlichen Vorschriften noch nach den danach geltenden Regelungen erfüllt. Zwar ist dem Kläger das Merkzeichen "G" zuerkannt, doch ist er nicht infolge seiner Behinderung bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln regelmäßig auf Hilfe angewiesen. Zunächst gehört der Kläger nicht zum Kreis der Querschnittgelähmten, Ohnhänder, Blinden und Sehbehinderten, Hörbehinderten, geistig behinderten Menschen und Anfallskranken. Dies konnte der Senat den Gutachten von Prof. Dr. E., Dr. S. und Dr. S. entnehmen. Er steht diesen Personengruppen auch nicht gleich, was der Senat sowohl den genannten Gutachten als auch den Mitteilungen der behandelnden Ärzte entnimmt. Auch konnte der Senat nicht feststellen, dass der Kläger bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig auf fremde Hilfe beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels angewiesen ist. So hatte schon Dr. M. auf ausdrückliche Frage des SG die Notwendigkeit einer ständigen Begleitung verneint und Dr. T. auf diese Frage nicht geantwortet. Die Gutachter Prof. Dr. E., Dr. S. und Dr. S. konnten ebenfalls das Erfordernis einer ständigen Begleitung bei Fahrten im Öffentlichen Personennahverkehr nicht bestätigen. Schwierigkeiten beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels, die eine Begleitperson erforderten, konnte der Senat daher nicht feststellen, zumal der Kläger auch nicht konkret dargelegt hatte, welche Schwierigkeiten denn insoweit bestehen. Soweit der Kläger geltend macht, öffentliche Verkehrsmittel nicht benutzen zu können, wenn diese voll besetzt seien, weil er dann Panikattacken bekomme, stellt dies keinen Umstand dar, der eine Begleitperson erfordern würde. Denn insoweit macht der Kläger gerade keine sich aus der Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel ergebenden spezifischen Schwierigkeiten beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels geltend. Vielmehr behauptet er Panikstörungen, die auf die Überfüllung des Verkehrsmittels oder aber anderer Räume und damit nicht auf Schwierigkeiten beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels zurückgeführt werden; im Übrigen haben die Gutachter und auch nicht der behandelnde Arzt Dr. M. solche Störungen bestätigen können. Darüber hinaus konnte der Senat auch nicht feststellen, dass der Kläger eine Begleitung zum Ausgleich von Orientierungsstörungen (z.B. bei Sehbehinderung, geistiger Behinderung) benötigt. Solche Störungen konnten die Gutachter Prof. Dr. E., Dr. S. und Dr. S. gerade nicht feststellen; solche sind auch nicht aus den Befunden der behandelnden Ärzte zu entnehmen. Zudem benötigt der Kläger i.S.d. Voraussetzungen des Merkzeichens "B" auch zur Vermeidung des Alkoholkonsums oder zur Beherrschung der Folgen von Alkoholkonsums nicht der Begleitung bei Fahrten im Öffentlichen Personennahverkehr; eine vorübergehende, nicht krankhafte aber alkoholbedingte Unfähigkeit zur unbegleiteten Benutzung der Verkehrsmittel des öffentlichen Personennahverkehrs stellt darüber hinaus auch keine Behinderung dar, die das Merkzeichen "B" rechtfertigt. Damit hat der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Merkmale für die Feststellung des Nachteilsausgleichs (Merkzeichens) "B".

IV.

Hat der Kläger weder einen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB noch auf Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens "B", so war die Berufung zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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