L 7 AS 4385/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 11 AS 1302/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 4385/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10. November 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung eines Mehrbedarfs für glutenfreie Kost im Rahmen der Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

Der Kläger ist 1968 geboren und bezieht seit 9. August 2013 laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes von dem Beklagten (unter anderem Bewilligungsbescheid vom 27. Dezember 2016 für Februar 2017 bis Januar 2018). Am 29. Dezember 2016 und am 5. Januar 2017 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung.

Der Beklagte holte bei Dr. S. vom ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit ein ärztliches Gutachten über den Kläger ein. Dr. S. kam in seinem Gutachten vom 9. März 2017 zu dem Ergebnis, dass der Kläger für vollschichtige Arbeiten unter Berücksichtigung eines negativen Leistungsbildes leistungsfähig sei. Aus medizinischer Sicht müsse auf eine gesunde, vor allem vegetarische Ernährung geachtet werden, dabei Zusatz von Calcium und Vitamin D. Ansonsten sei keine besondere Ernährung, zum Beispiel eine glutenfreie Kost erforderlich. Am 23. März 2017 teilte der Beklagte dem Kläger das Ergebnis des ärztlichen Gutachtens mit.

Am 24. März 2017 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass er die Feststellungen des Dr. S. nicht akzeptiere, da dieser Arzt nicht mehr praktiziere. Am 5. April 2017 erhob er ausdrücklich Widerspruch gegen das Gutachten des Dr. S ...

Der Beklagte verwarf den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 10. April 2017. Der Widerspruch sei unzulässig. Durch die Stellungnahme des ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit sei unmittelbar keine Entscheidung über etwaige Rechtsansprüche des Klägers getroffen worden. Damit liege kein mit dem Widerspruch anfechtbarer Verwaltungsakt vor.

Hiergegen hat der Kläger am 18. April 2017 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Er begehre die Verurteilung des Beklagten, Mehrbedarf für glutenfreie Kost zu bewilligen. Er hat verschiedene ärztliche Schreiben beigefügt.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid verwiesen.

Der Beklagte hat den Antrag des Klägers auf Gewährung eines Mehrbedarfs für glutenfreie Kost mit Bescheid vom 28. April 2017 abgelehnt. Hiergegen hat der Kläger am 4. Mai 2017 Widerspruch erhoben, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 6. September 2017 zurückgewiesen hat. Hiergegen hat der Kläger beim SG Klage erhoben (S 11 AS 3116/17), die noch anhängig ist.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 10. November 2017 abgewiesen. Die Klage sei zulässig, aber nicht begründet. Gegenstand des Rechtsstreits sei allein der Widerspruchsbescheid vom 10. April 2017, mit dem der Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen das Gutachten des Dr. S. vom 8. März 2017 als unzulässig verworfen habe. Nicht streitgegenständlich sei hingegen die tatsächliche Ablehnung des Antrages auf Gewährung von Mehrbedarf durch Bescheid vom 28. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. September 2017, gegen den ein gesondertes Klageverfahren des Klägers vor dem SG anhängig sei. Der Beklagte habe den Widerspruch des Klägers gegen die Feststellung des Gutachters Dr. S. in seinem Gutachten vom 8. März 2017 zu Recht als unzulässig verworfen. Die Stellungnahme des Dr. S. erfülle nicht die Voraussetzungen eines Verwaltungsaktes. Ein Widerspruch sei jedoch nur gegen Verwaltungsakte zulässig.

Gegen den ihm am 14. November 2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 14. November 2017 beim SG Berufung eingelegt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10. November 2017 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2017 zu verurteilen, ihm einen Mehrbedarf für glutenfreie Kost zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verweist auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Gerichtsbescheid.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtzüge sowie auf die beigezogen Akten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 und Abs. 2 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 124 Abs. 2 SGG), ist auch im Übrigen zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung nach § 144 Abs. 1 SGG. Der Kläger begehrt die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung eines Mehrbedarfs für glutenfreie Kost, ohne diesen zu beziffern, so dass der Senat zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass die Berufung Leistungen von mehr als 750 Euro betrifft (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).

2. Die Berufung des Klägers ist aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Soweit sich die Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 10. April 2017 richtet, ist die Klage zwar zulässig, aber unbegründet (dazu unter a). Soweit der Kläger die Verurteilung des Beklagten begehrt, ihm einen Mehrbedarf für glutenfreie Kost zu gewähren, ist die Klage unzulässig (dazu unter b).

a) Soweit sich die Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 10. April 2017 richtet, ist die Klage zwar zulässig, aber unbegründet.

aa) Die Klage ist insofern als Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 1. Variante SGG statthaft. Bei einer Entscheidung über einen Widerspruch handelt es sich stets um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X (Urteil des Senats vom 29. Juni 2017 – L 7 SO 3128/14 – n.v.; Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 85 Rdnr. 7). Zwar ist gemäß § 95 SGG, wenn ein Vorverfahren stattgefunden hat, Gegenstand der Klage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt des Widerspruchsbescheides. Ein Widerspruchsbescheid kann daher grundsätzlich nicht isoliert Gegenstand einer Klage sein (Urteil des Senats vom 29. Juni 2017 – L 7 SO 3128/14 – n.v.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Januar 2015 – L 4 KR 2482/13 – juris Rdnr. 43; Jaritz in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 95 Rdnr. 18, 27). Dies gilt aber unter anderem dann nicht, wenn dem Widerspruch kein Ausgangsverwaltungsakt vorausgegangen ist (Urteil des Senats vom 29. Juni 2017 – L 7 SO 3128/14 – n.v.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Januar 2015 – L 4 KR 2482/13 – juris Rdnr. 43; Jaritz in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 95 Rdnr. 28 m.w.N.; vgl. auch BSG, Urteil vom 9. Oktober 1984 – 12 RK 18/83 – juris Rdnr. 15).

Dies ist hier der Fall, weil es sich bei dem ärztlichen Gutachten des Dr. S. nicht um einen Verwaltungsakt handelt. Ein Verwaltungsakt ist gemäß § 31 Satz 1 SGB X jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Einem ärztlichen Gutachten fehlt es bereits an der Regelungswirkung (Luthe in jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 31 Rdnr. 40), so dass dem Widerspruchsbescheid vom 10. April 2017 kein Verwaltungsakt vorangegangen ist.

bb) Die Anfechtungsklage gegen den Widerspruchsbescheid vom 10. April 2017 ist unbegründet. Der Beklagte hat den Widerspruch des Klägers gegen das ärztliche Gutachten des Dr. S. zu Recht als unzulässig verworfen. Ein Widerspruch ist nur gegen Verwaltungsakte statthaft (§ 78 Abs. 1 Satz 1 SGG; Gall in jurisPK-SGG, 2017, § 83 Rdnr. 16), so dass der Widerspruch des Klägers gegen das ärztliche Gutachten des Dr. S. nicht zulässig war.

b) Soweit der Kläger die Verurteilung des Beklagten begehrt, ihm einen Mehrbedarf für glutenfreie Kost zu gewähren, ist die Klage unzulässig.

aa) Sachurteilsvoraussetzung für eine Leistungsklage ist die vorherige Verwaltungsentscheidung über das Begehren (vgl. nur BSG, Urteil vom 28. Oktober 2008 – B 8 SO 33/07 R – juris Rdnr. 13; BSG, Urteil vom 21. September 2010 – B 2 U 25/09 R – juris Rdnr. 12; BSG, Urteil vom 17. Dezember 2015 – B 2 U 17/14 R – juris Rdnr. 13; Söhngen in jurisPK-SGG, 2017, § 54 Rdnr. 42). Der mit der Klage verfolgte Anspruch muss auch tatsächlich Gegenstand des Vorverfahrens gewesen sein (Giesbert in jurisPK-SGG, 2017, § 78 Rdnr. 22).

bb) Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Mit dem Widerspruchsbescheid vom 10. April 2017 hat der Beklagte gerade nicht über das Leistungsbegehren des Klägers entschieden. Die Entscheidung über dieses Leistungsbegehren ist erst durch den Bescheid vom 28. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. September 2017 erfolgt, die nicht Gegenstand des vorliegenden Klage- und Berufungsverfahrens, sondern Gegenstand des beim SG anhängigen Klageverfahrens S 11 AS 3116/17 sind. Hierbei werden SG und Beklagter allerdings zu beachten haben, dass die Mehrbedarfe nach § 21 Abs. 5 SGG nach der Rechtsprechung des BSG keinen abtrennbaren Streitgegenstand bilden können (zum Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II BSG, Urteil vom 14. Februar 2013 – B 14 AS 48/12 R – juris Rdnr. 9; zum Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II BSG, Urteil vom 11. Februar 2015 – B 4 AS 27/14 R – juris Rdnr. 10; BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 6/13 R – juris Rdnr. 11 m.w.N.; anders für die Mehrbedarfe nach dem SGB XII BSG, Urteil vom 26. August 2008 – B 8/9b SO 10/06 R – juris Rdnr. 12 ff.), so dass mittelbar Gegenstand des dortigen Verfahrens ist, ob die Leistungsbewilligung für den vom Antrag des Klägers vom 5. Januar 2017 erfassten Zeitraum zu ändern ist.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG

4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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