Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 4 U 824/96
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 49/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 11. Oktober 2000 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob der Kläger unter Berufskrankheiten (BKen) im Sinne der Nr. 1302 (Erkrankungen durch Halogen-Kohlenwasserstoffe) und Nr. 1317 (Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische) der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) leidet.
Der 1947 geborene Kläger absolvierte nach seiner Schulausbildung von April 1962 bis Ende September 1965 eine Ausbildung zum Fernmeldehandwerker bei der C., der späteren D. Während dieser Zeit hatte er Metalle zu bearbeiten, Dreh- und Feilarbeiten, Kabellötungen, Bleibearbeitungen von Kabelummantelungen auszuführen und hatte Umgang mit Reinigungsmitteln zur Entfettung von Kabeln. Auch Trichlorethylen, das zum Reinigen der Hände von Teerrückständen verwendet wurde, kam zum Einsatz. Im letzten Lehrjahr wurden Arbeiten an alten und neuen Wählern, Außendiensttätigkeiten, Arbeiten an Muffen und Kabelschächten durchgeführt. Nach der Ausbildung arbeitete der Kläger bis 1980 im Bau- und Außendienst und stellte Anschlüsse für Kunden her. 1980 wechselte er zum Entstörungsdienst in B-Stadt, wo er bis 1994 tätig war. Im Jahre 1981 arbeitete der Kläger fünf Monate in der Ortsverteilerstelle C-Stadt. In dem Gebäude war die Technik mit Kabelsträngen, Kondensatoren, Gleichrichtern, Relais und großem Batterieraum untergebracht. Die Beleuchtung erfolgte durch Neonröhren. Ab Anfang 1982 bis 1993 betreute der Kläger die Vermittlungsstelle DX-Stadt. Nach Arbeitsbeginn hielt er sich ca. 10 bis 20 Minuten im ebenerdigen Technikerraum auf, anschließend arbeitete er im Kellerraum ca. ein bis zwei Stunden pro Tag und vier bis fünf Stunden einmal pro Quartal. Der fensterlose Kellerraum war nur mit Umluft belüftet. In der Vermittlungsstelle DX-Stadt befanden sich Großkondensatoren, Zähler, Hauptverteiler und Kabelaufteilungen. Der Kläger frühstückte in diesem Kellerraum und nahm auch sein Mittagessen dort ein. Die Vermittlungsstellen waren in Plattenbauweise errichtet worden, in den Fugendichtungen zwischen den Fertigteilen wurden polychlorierte Biphenyle (PCB) verwandt. Im Oktober 1992 wurden durch die D. PCB-Messungen in den Vermittlungsstellen veranlasst. Bei den Raumluftmessungen wurden in C-Stadt 9.260 ng/m3, in D-Stadt 1 5.890 ng/m3 und in D-Stadt 8 932 ng/m3 gemessen. Der Kläger lehnte es aufgrund gesundheitlicher Probleme ab, weiter in der Vermittlungsstelle DX Stadt zu arbeiten. Zum 1. Mai 1993 wurde ihm ein Arbeitsplatzwechsel angeboten, der Kläger nahm dieses Angebot an. Eine Erwerbsunfähigkeitsrente bezieht der Kläger seit Ende 1999.
Der Hals-Nasen-Ohren(HNO)-Arzt Dr. E. und der Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. F. erstatteten ärztliche Anzeige über eine BK. Dr. E. teilte unter dem 20. September 1993 mit, der Kläger klage seit Anfang 1991 über Schluckbeschwerden und Brennen der Rachenschleimhaut. Es sei eine Rötung und Trockenheit der Rachenschleimhaut festgestellt worden. Dr. F. berichtete unter dem 20. September 1993, der Kläger klage über ein allgemeines Krankheitsgefühl, z.B. Kopfschmerzen, Hustenreiz und ein blutiges Nasensekret vor allem morgens. Die Ärzte führten als mögliche Ursache dieser Gesundheitsstörungen eine Schadstoffbelastung mit PCB am Arbeitsplatz des Klägers an. Dr. F. teilte in einem beigefügten Arztbrief außerdem mit, er habe bei dem Kläger ein hyperreagibles Bronchialsystem festgestellt, der Kläger leide verstärkt am Arbeitsplatz unter bronchitischen Beschwerden. In einem beigezogenen Kurentlassungsbericht der Klinik am Südpark in Bad Nauheim vom 29. Juni 1987 werden eine proximale supraventrikuläre Trachikardie bei Vorhofflimmern nach einem Zustand einer toxischen Myokarditis im Oktober 1986 diagnostiziert. Hierzu wird mitgeteilt, die Rhythmusstörungen seien erstmals im Rahmen der toxischen Myokarditis im September 1986 aufgetreten. Als Ursache für die Herzentzündung seien Zahngranulome angenommen worden. Weiter wurde ein Schulter-Arm-Syndrom links diagnostiziert und berichtet, es bestünden Verspannungen der paravertebralen Muskulatur, ansonsten ein regelrechter altersentsprechender Befund. 1980 sei eine Arthrose im linken Schultergelenk festgestellt worden. Die anfänglich bestehende absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern habe sich unter Kordichin-Therapie beseitigen lassen. Es sei ein grenzwertiger Cholesterinwert festgestellt worden, die übrigen Laborparameter lägen im Normbereich. Die anfänglich grenzwertig erhöhten Blutfette hätten sich unter cholesterinarmer Kost normalisiert. In einem Entlassungsbericht der Klinik Sonnenblick in Marburg vom 7. Oktober 1991 wird in der Eigenanamnese mitgeteilt, ab 1983/1984 sei der Blutdruck zu niedrig gewesen, 1987 habe der Kläger auf der Arbeitsstelle Zahn- und Kopfschmerzen verspürt und sei zusammengebrochen. Bei einem stationären Aufenthalt sei wegen absoluter Arrhythmie bei Vorhofflimmern der Verdacht auf eine abgelaufene Myocarditis geäußert worden. Im Februar 1988 sei der Kläger wegen Übelkeit und Schwindel sowie Schweißausbrüchen symptomatisch beim Internisten Dr. G. behandelt worden. Im September 1990 hätten Magenbeschwerden und eine massive Erkältung bestanden. Nebenbefundlich sei durch den Internisten Dr. G. ein Harnblasentumor diagnostiziert worden. Im Elisabeth-Krankenhaus Kassel sei er zur Elektroresektion und Mitomycininstallation in die Blase stationär aufgenommen worden. Nach drei bis vier zytostatischen Installationen habe er diese Therapie wegen symptomatisch erheblicher Beschwerden abgebrochen. Nach der Zytostatikatherapie habe er ein Gefühl bekommen, als ob er ständig im Wasser stünde und ein schwammiges Gefühl in den Händen gehabt. Im Februar 1991 habe sich anlässlich einer CT-Untersuchung eine leichte Protrusion L3 bis L5 sowie degenerative Veränderungen bei L4/5 gezeigt. Über den Befund der Haut wird mitgeteilt: Blasses Integument, zahlreiche kleine bräunliche Naevi und Hämangiome am Stamm und an den Extremitäten. In der Verlaufsbeschreibung wird weiter mitgeteilt, der im September 1990 diagnostizierte Blasentumor habe anscheinend aus neurologisch-psychiatrischem Gesichtswinkel ein somatisiertes Beschwerdebild mit Subdepression bei einer hypochondrisch akzentuierten Persönlichkeit hervorgerufen, dennoch sei auch der Verdacht auf eine beginnende Polyneuropathie unklarer Genese mit in Betracht zu ziehen. Der Nervenarzt Dr. H. berichtete unter dem 8. November 1990 dem Orthopäden Dr. J., "A. wurde wegen Papillome der Blase mit einem Zytostatikum behandelt und hat offensichtlich als Komplikation davon, obwohl es nur in die Blase hinein infundiert wurde, eine Polyneuropathie bekommen mit entsprechenden Parästhesien in Armen und Beinen. Jetzt resultiert noch eine Beeinträchtigung der Nervenwurzel C8 beidseits. Die Beinbeschwerden sind verschwunden. Auffällig ist eine Abschwächung beider TSR. Sonst ist der neurologische Befund unauffällig. Das EMG bleibt stumm, die NLG beider Ulnare liegt im Normbereich, peripher lassen sich keine Besonderheiten fassen. Ob auch die jetzige Symptomatik noch eine Komplikation der Chemotherapie darstellt, wage ich zu bezweifeln." Der HNO-Arzt Dr. E. stellte dem Kläger unter dem 6. Juni 1993 eine Bescheinigung aus, in der er mitteilte, der Kläger klage zeitweise über Hals- und Schluckbeschwerden und über eine wechselnde Behinderung der Nasenatmung. Im Mai 1993 sei im Bereich der Nasengänge eine trockene, gerötete Schleimhaut aufgefallen, auch die Mundhöhlen- und Rachenschleimhäute seien leicht gerötet, der Nasen-Rachen-Raum mäßig verschleimt gewesen, ohne pathologische Veränderungen. Bei Zustand nach bakterieller Pharyngitis habe der Kontrollabstrich Keime der physiologischen Mund- und Rachenflora ohne Pilznachweis ergeben. Eine infektiöse Veränderung der Mund- und Rachenschleimhaut sei somit nicht wahrscheinlich. Ein ähnlicher Befund habe sich auch bei der Voruntersuchung im Januar und Dezember 1992 ergeben. Der Befund sei mit einer Schadstoffbelastung am Arbeitsplatz durch polychlorierte Wasserstoffe vereinbar. Der Chirurg Dr. K. diagnostizierte unter dem 24. September 1993 eine perianale Dermatitis und Hämorrhoiden I und teilte mit, der Kläger sei mit den gleichen Beschwerden bereits im Januar 1992 behandelt worden. Es sei eine Sklerosierung der Hämorrhoiden vorgenommen worden. In einem Arztbrief vom 1. Dezember 1993 teilte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. mit, der Kläger sei im September 1992 wegen Verdacht auf beginnende und rein sensible Polyneuropathie unklarer Genese untersucht worden. Der Kläger leide an Missempfindungen und Kribbelgefühlen beider Unterschenkel und Füße, ohne dass andere Hinweise für neurologische Symptome eruierbar seien. Klinisch hätten keine weiteren manifesten motorischen oder sensiblen Defizite nachgewiesen werden können. Hirnnerven, Kopfgefäße, Koordination, EPS und Vegetativum stellten sich regelrecht dar. Elektromyographisch und elektroneurographisch seien keine auffälligen Befunde erhoben worden. Es bestehe der Verdacht auf eine beginnende sensible Polyneuropathie. Der Internist Dr. G. diagnostizierte seinem Arztbericht vom 5. September 1990 zufolge bei dem Kläger eine erosive Atrumgastritis und eine geringfügig akut streifige Refluxösophagitis im Stadium I und führte diesen Befund auf einen Reizmagen im Rahmen vegetativer Störungen zurück. Die gleiche Diagnose stellte Dr. G. im Oktober 1992. Unter dem 31. Juli 1993 berichtete Dr. G., es bestehe aktuell kein Nachweis von Leberveränderungen bei nachgewiesener PCB-Belastung am Arbeitsplatz. Die Untersuchung habe keine Leberparenchymveränderungen oder Transaminasenaktivierungen ergeben.
Die Zentralstelle Arbeitsschutz des Bundesamtes für Post und Telekommunikation führte unter dem 25. Februar 1994 aus, der Kläger sei für fünf Monate einer PCB-Belastung von 10.000 ng/m3 und für elf Jahre einer PCB-Belastung von ca. 6.000 ng/m3 jeweils etwa zwei Stunden täglich ausgesetzt gewesen. Das Bundesgesundheitsamt habe für die PCB-Exposition Richtwerte aufgestellt, die von den genannten ADI-Werten abgeleitet und zusätzlich mit Sicherheitsfaktoren versehen seien. Der ADI-Wert besage, dass pro Tag und kg Körpergewicht 1.000 ng/m3 PCB aufgenommen werden dürften. 90 % des ADI-Wertes werde über die Nahrung aufgenommen, es verblieben also 100 ng/m3 PCB pro Tag und Körpergewicht, die über die Luft aufgenommen werden dürften. Bei dieser Richtwertfestsetzung seien auch wenig Belastbare wie Kinder, Kranke oder alte Menschen berücksichtigt, wobei von einer lebenslangen, täglichen Exposition gegenüber PCB ausgegangen werde. Ein 70 kg schwerer Erwachsener dürfe täglich neben seiner PCB-Aufnahme über die Nahrung noch 7.000 ng/m3 PCB über die Luft aufnehmen. Bei einem Atemvolumen von etwa 500 l Luft pro Stunde würden diese 7.000 ng/m3 bei einer täglich achtstündigen Exposition bei einer Raumluftkonzentration von 1.750 ng PCB pro m3 Raumluft erreicht. Bei kürzeren Expositionszeiten könnten Zwischenwerte interpoliert werden. Im Falle des Klägers ergebe sich nur für die halbjährige Tätigkeit in der Ortsvermittlungsstelle C-Stadt eine geringfügige Überschreitung der duldbaren Tagesdosis von 7.000 ng/m3. Wegen der beschriebenen kumulativen Wirkung werde diese Überschreitung aber durch die Zeiten geringerer Exposition wieder ausgeglichen. Der Kläger legte eine Bescheinigung des Internisten und Hämatologen Prof. Dr. M., M Stadt, vom 14. Juni 1994 vor. Darin führt dieser u.a. aus, der Lymphozytenstimmulationstest habe eine stark erniedrigte allogene Stimulation als Hinweis auf einen zellulären Immundefekt ergeben. Die PCB-Werte im Blut seien erhöht (PCB Nr. 28 ( 10 ng/l, Nr. 52 ( 10 ng/l, Nr. 101 123 ng/l, Nr. 138 790 ng/l, Nr. 153 1.013 ng/l, Nr. 180 476 ng/l). Damit in Zusammenhang stehe sicher die gestörte Lymphozyten-Stimulation mit starker gestörter allogener Stimulation als Hinweis auf einen zellulären Immundefekt.
In einem von der Beklagten in Auftrag gegebenen HNO-ärztlichen Gutachten des Prof. Dr. N., N-Stadt, vom 22. Juli 1994 gelangte dieser zu dem Ergebnis, die Behinderung der Nasenluftpassage sei durch die Nasenscheidewanddeviation nach links sowie durch die hyperplastischen hinteren Muschelenden in erster Linie zu erklären. Eine chronische Pharyngitis sei bei Zustand nach Tonsillektomie nichts Ungewöhnliches. Die angegebenen Beschwerden seien somit in erster Linie durch die anatomisch vorgegebenen Verhältnisse bei normaler Riech- und Schmeckfunktion als wahrscheinlich bedingt anzusehen. Bei dem Kläger liege eine BK nach Ziffer 4302 (chronisch obstruktive toxische Atemwegserkrankung) oder BK 1302 (Erkrankung durch Halogen-Kohlenwasserstoffe) im HNO-Bereich nicht vor.
Mit ohne Rechtsmittelbelehrung versehenem Bescheid vom 8. Mai 1995 teilte die Beklagte dem Kläger mit, die Voraussetzungen zur Anerkennung einer BK seien in seinem Falle nicht gegeben. Die Arbeitsplatzanalyse der Zentralstelle Arbeitsschutz des damaligen Bundesamtes für Post und Telekommunikation vom 25. Februar 1994 habe ergeben, dass in seinem Falle nur für die halbjährige Tätigkeit in der Ortsvermittlungsstelle C-Stadt eine geringfügige Überschreitung der duldbaren Tagesdosis von 7.000 ng/m3 vorgelegen habe. Da PCB kein akut toxisches Potential besitze, sondern eine kumulative Wirkung zeige, werde diese geringfügige Überschreitung durch Zeiten geringerer Exposition wieder ausgeglichen. Das Gutachten des Prof. Dr. N. und die abschließende Stellungnahme des Arbeitsschutzärztlichen Dienstes der Unfallkasse Post und Telekom vom 28. März 1995 hätten ergeben, dass eine BK nicht vorliege. Der Kläger legte im Widerspruchsverfahren einen Befundbericht des Nervenarztes Dr. O. vom 8. Juni 1995 vor. Darin führte Dr. O. unter dem neurologischen Befund die von dem Kläger vorgetragenen Beschwerden auf und diagnostizierte eine "Polyneuropathie, Myopathie, Leistungs- und Wesensänderung bei dringendem Verdacht auf Entstehung durch toxische Arbeitsstoffe". Der Hautarzt Dr. P. diagnostizierte in einem Bericht vom 21. März 1995 ein seborrhoisches Ekzem mit Lokalisation am behaarten Kopf sowie der Schulterregion und dem Rücken. Weiter werden zahlreiche Leberflecke an Armen und Stamm erwähnt. In einem Befundbericht des Leitenden Arztes der Neurologischen Klinik der Städtischen Kliniken Kassel, Prof. Dr. Q., vom 6. Juni 1994 wird eine sensible Polyneuropathie diagnostiziert. Es wird mitgeteilt, insgesamt entspreche der elektrophysiologische Befund einer leichtgradigen Polyneuropathie. Eine ätiologische Zuordnung sei durch umfangreiche Diagnostik nicht gelungen. Insbesondere seien die Werte der polychlorierten Biphenyle nicht als Ausdruck der Belastung am Arbeitsplatz zu verwerten. Die erhaltenen Werte lägen auch nach Rücksprache mit dem Laborleiter Dr. R. noch im Normbereich und eine Aussage über deren Herkunft könne aufgrund dieser Werte nicht getroffen werden.
Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers durch Widerspruchsbescheid vom 15. Mai 1996 zurück. Der Bescheid wurde dem Bevollmächtigten des Klägers am 28. Mai 1996 zugestellt.
Die an das Sozialgericht Kassel (SG) adressierte Klage ging am 28. Juni 1996 beim Arbeitsgericht Kassel ein. Der Eingang beim SG wurde am 3. Juli 1996 dokumentiert. Der Kläger hat mit seiner Klageschrift einen Kurentlassungsbericht der Kinzigtal-Klinik vom 2. Mai 1995 vorgelegt. Es werden eine absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern und der Verdacht auf eine coronare Herzerkrankung geäußert. Außerdem wird ein Halswirbelsäulen(HWS)-Syndrom bei mäßiggradiger Osteochondrose mit begleitender Spondylose C5 bis C7 und eine Enge des ossären Spinalkanals in Höhe von C7 diagnostiziert, sowie eine Hypercholesterinämie vom Phänotyp nach Frederikson IIb. Der Kläger gab u.a. an, er bemerke seit ca. 1990 eine zunehmende Schlappheit und multiple Beschwerden wie Taubheitsgefühl in den Beinen, Kribbeln, Belastungsdyspnoe und linksseitige Hüftbeschwerden. Er fühle sich müde und nicht belastbar. Auch neige er seit Jahren zu Magen-Darm-Beschwerden.
Das SG hat auf Antrag des Klägers von dem Facharzt für Innere Medizin und Umweltmedizin, Dozent Dr. S., S-Stadt, ein Gutachten zur Zusammenhangsfrage eingeholt. Dozent Dr. S. teilte mit, eine Genanalyse der für die Entgiftungsphasen zuständigen Enzyme habe ergeben, dass der Kläger unter zwei Entgiftungsschwächen leide. Die eine Schwäche sei bei ca. 30 % der Bevölkerung zu finden, die andere Schwäche bei ca. 16 % der Bevölkerung nachweisbar. Bei der vorgefundenen Entgiftungsschwäche handele es sich folglich nicht um eine seltene (exotische) Enzymausstattung, sondern um eine normale Variation. Geringe Entgiftungskapazitäten könnten zu Organschäden führen. Für Personen mit eingeschränkter Entgiftungskapazität gälten deshalb keine Richt- oder Grenzwerte, ebenso nicht die aus der Literatur bekannten Halbwertzeiten. Für den Kläger sei entscheidender, dass er PCB gegenüber exponiert gewesen sei, nicht so sehr die tatsächlichen PCB-Konzentrationen. Zu den klinischen Auswirkungen einer unzureichenden PCB-Entgiftung führte der Sachverständige aus, bei Anfall toxischer Zwischenprodukte der Phase-I-Reaktion entstünden Epoxide und bis zu 60 Methylsulfon-Metabolite. Sie reicherten sich selektiv in den Schleimhäuten der Atemwege wie Nase-, Rachenraum, Bronchialwege, Lungengewebe, im Darm, der Leber und Niere an, praktisch in allen Organen. Fehle die Glutathion-Transferase Pi, die im Organismus außer der Leber in allen Organen vorkomme, würden Symptome, Störungen und Erkrankungen auftreten. Im Falle des Klägers reagierten gerade die Organe sensibel auf PCB, die auf die Pi-Transferase zur Entgiftung angewiesen seien. Dies seien Herz, Hirn, Hautimmunsystem, Magen, Darm, Harnblase und Gelenkhäute. Alle die von dem Kläger angegebenen Symptome seien wissenschaftlich erklärbar. Sie seien Ausdruck dafür, dass alle sog. einzelnen Organerkrankungen und -beschwerden eine Einheit darstellten und nicht als schicksalhafte Einzelerkrankungen gelten könnten. Hirn und Herz enthielten die Transferasen Pi und M1 (My, µ) als Entgiftungsenzyme. Fehle nur ein Enzym, könne wegen seiner überlappenden Funktion das andere kompensatorisch einspringen. Fehlten beide Enzyme, wie bei dem Kläger, sei das Erkrankungsrisiko beider Organe unter Schadstoffbelastung sehr hoch. PCB-Konzentrationen, die durch gute Entgifter komplikationslos vertragen und ausgeschieden werden könnten, müssten bei dem Kläger mit großer Wahrscheinlichkeit zu Erkrankungen des Hirnes und Herzens führen. Der Kläger sei 1986 an Herzrhythmusstörungen erkrankt, damals sei er erst 39 Jahre alt gewesen. Bakterielle, virologische oder andere entzündliche Hinweise hätten nicht vorgelegen. Da ein Granulom an der Zahnwurzel vorgelegen habe, sei dieses als Auslöser angesehen worden. Anamnestisch falle aber auf, dass schon 1982 Herzschmerzen, -jagen und niedrige obere Blutdruckwerte von 80 bis 90 Torr aufgetreten seien. Dieser für einen 35jährigen sporttreibenden Mann ungewöhnliche Befund signalisiere die toxische, nicht entgiftungsfähige PCB-Belastung. Die vier Jahre später einsetzenden Herzrhythmusstörungen seien das Endglied der Kette. Auch das zentrale Nervensystem mit dem gleichen Transferasenmuster habe schon 1980 mit ersten Symptomen der mentalen Leistungsfähigkeit (Sprachstörung) und vegetativen Symptomen (Schwitzen, Schwäche, Erschöpfbarkeit) reagiert. Die Toxizität der einzelnen PCB-Kongenere, von denen es 209 gebe, hänge von der Anzahl der Chloratome und ihrer Position im Biphenylring ab. Besonders toxisch, weil dioxinähnlich, seien die PCB 77, 126 und 169. In einer Luftanalyse vom 6. Januar 1993 seien diese jeweils mit Konzentrationen von 41,3 ng/m3 nachgewiesen worden. Diese drei sog. koplanaren PCB stimulierten sehr stark die Phase-I-Reaktion, also die Entgiftungsreaktion über den Ah-Rezeptor. Andere PCB wie die Gruppe der di- und polyortho-substituierten seien wiederum neurotoxischer, da sie die Übertragung der Hirnbotenstoffe (Neurotransmitter) blockierten. Die D2-Rezeptor-Szintigraphie bei dem Kläger habe eine solche Störung nachgewiesen. Aus der Literatur bekannte Daten belegten folgende PCB-Wirkungen: 1. Koplanare PCB: hepatotoxisch, immuntoxisch und karzinogen. 2. andere di-ortho- und poly-ortho-substituierte PCB-Kongenere: neurotoxische Wirkungen und eine Sensibilitätssteigerung der Katecholaminrezeptoren durch Beeinflussung der Katecholamine. Bei dem Kläger liege eine berufsbedingte chronische PCB-Intoxikation mit den Folgekrankheiten vor:
Encephalo-, Neuropathie Stadium IIb,
Arthromyopathie (Gelenk-, Muskelerkrankung),
chronisch rezidivierende Blasenentzündung mit Ausbildung eines Papilloms,
chronische Magen-, Darmschleimhautentzündung,
toxische Myokarditis mit Hypotonie,
Erschöpfungs-Syndrom,
Hypercholesterolämie,
chronische Dermatose (Hauterkrankung),
Immunschwäche-Syndrom,
Sicca-Syndrom der Schleimhäute,
hyperreagibles Bronchialsystem,
Entgiftungsschwäche in der Phase-II-Entgiftung.
Keine dieser Erkrankungen sei spezifisch für PCB. Sie könnten, bezogen auf die Organe, auch durch andere Ursachen wie Lösemittel, Holzschutzmittel, zum Teil durch Genussmittel und andere Ursachen ausgelöst worden sein. Das Krankheitsspektrum, die chronologische Krankheitskette, die entsprechend der Who-Empfehlungen analysierten Entgiftungsparameter und die Organverteilung der Entgiftungsenzyme sprächen mehr für die PCB-Exposition als Ursache als für das Auftreten schicksalhafter Einzelerkrankungen. Bei dem Kläger liege die BK nach Ziffer 1302 ab 1980 und nach Ziffer 1317 seit 1984 vor. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) des Klägers betrage insgesamt seit 1993 40 v.H. und seit 1998 70 v.H.
Auf Empfehlung des Dozenten Dr. S. hat das SG von Amts wegen ein toxikologisches Gutachten von Prof. Dr. T., T-Stadt, vom 29. August 1999 eingeholt. Dieser bejahte das Vorliegen einer BK im Sinne der Ziffer 1302 der Anlage zur BKV und führte u.a. aus, das Auftreten von Blasentumoren werde bisher nur mit der Einwirkung von aromatischen Aminen, also Stickstoffverbindungen in Verbindung gebracht. Die neurotoxische Potenz der PCB, insbesondere die bei dem Kläger gefundenen Kongenere, sei bei der neurologischen Entwicklung von Kleinkindern und sogar Neugeborenen, deren Mütter PCB-exponiert gewesen seien, eindeutig nachgewiesen. Es seien mentale Effekte und sinkende bzw. herabgesetzte visuelle und Kurzzeitgedächtnisleistungen besonders aufgefallen. Die gleichen Symptome seien bei dem Kläger deutlich geworden. Auch ein erhöhtes Krebsrisiko sei in epidemiologischen Studien beschrieben worden. Die MdE des Klägers sei mit 70 v.H. zu bewerten. Mit den geschilderten Ausfällen auf kognitiver Ebene und den unberechenbaren Verhaltensweisen anderen Personen gegenüber sei zunächst von einer äußerst begrenzten Einsatzfähigkeit auszugehen. Da eine erneute Exposition zu einer weiteren Verschlechterung Anlass geben könne, sei jede Beschäftigung in einem Umfeld, in dem Einwirkungen nicht auszuschließen seien, z.B. in Bürogebäuden, nicht statthaft.
Die Beklagte hat eine Stellungnahme ihres Medizinischen Beraters Dr. U. vom 17. Dezember 1999 vorgelegt, der erklärte, bei einer täglich zweistündigen Exposition gegenüber 6.000 ng PCB könnten solche schweren Erkrankungen nicht verursacht werden, denn andere Arbeitnehmer blieben bei einer achtstündigen Exposition gegenüber 500.000 bzw. 1.000.000 ng PCB im Allgemeinen ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen. Zudem seien die Nahrungsmittel-PCB, die beim Kläger im Blut festgestellt worden seien, auffälliger als die Atemluft-PCB, was ebenfalls gegen eine berufliche Verursachung der Erkrankungen des Klägers spreche.
Prof. Dr. T. führte daraufhin unter dem 18. März 2000 aus, es sei spekulativ davon auszugehen, dass 90 % der PCB aus der Nahrungskette stammten. Im Übrigen stellten diese 90 % bereits eine Belastung dar, kämen Belastungen am Arbeitsplatz hinzu, handele es sich hierbei um eine typische geeignete Mitursache. Im Übrigen gebe es keine Belege dafür, dass unterhalb des Grenzwertes keine spezifischen Störungen, Schädigungen oder Krankheiten aufträten. Hinzu komme, dass eine einmalige Blutwertbestimmung wegen gewisser Fehlerbreiten des Laborwertes nicht so aussagekräftig seien, dass sie mit Mittelwerten aus größeren Untersuchungsreihen direkt in Beziehung gesetzt werden könnten.
Das SG hat durch Urteil vom 11. Oktober 2000 die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, "beim Kläger die Voraussetzungen der BK-Nr. 1302 und Nr. 1307 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen sowie eine Verletztenrente ab dem 1. Juni 1993 nach einer MdE von 40 % und ab dem 1. Januar 1998 nach einer MdE in Höhe von 70 % zu zahlen". Soweit der Kläger bereits ab Mai 1993 Entschädigungsleistungen begehrt hatte, hat es die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat sich das SG den Beurteilungen des Dozenten Dr. S. und des Prof. Dr. T. angeschlossen.
Gegen das ihr am 17. November 2000 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 11. Dezember 2000 am 12. Dezember 2000 beim SG Berufung eingelegt und zur Begründung ihrer Berufung eine Stellungnahme des Facharztes für Pharmakologie und Toxikologie Prof. Dr. V., V-Stadt, vom 4. April 2001 vorgelegt. Dieser hat ausgeführt: Die akute Toxizität der PCB sei gering. Dementsprechend lägen für mögliche toxische Auswirkungen einer akuten Exposition von PCB auf den Menschen keine Angaben vor. Über die toxischen Wirkungen hoher Dosen von PCB nach wiederholter subakuter Zufuhr beim Menschen lägen Daten aus einer Massenvergiftung des Jahres 1968 in Yusho in Japan vor, bei der über 10.000 Personen über den Genuss von Speiseöl erkrankt seien, das wegen eines Lecks in einer Reisölfabrik mit PCB verunreinigt gewesen sei und rund 430 mg/l PCB enthalten habe. Diese Vergiftung habe sich in Form von Chlorakne und anderen ähnlichen Hautveränderungen, einer Hyperpigmentierung einzelner Hautpartien, in Haarausfall, Verdickung und Verfärbung der Finger- und Zehennägel, Entzündungen der Augenbindehaut und Schwellung der Augenlider, diversen subjektiven Beschwerden in Zusammenhang mit neuronalen Schädigungen, respiratorischen Problemen, Leberschädigungen, Fortpflanzungsstörungen und immunologischen Defekten gezeigt. Schätzungen hätten ergeben, dass die Betroffenen 200 bis 800 mg PCB aufgenommen hätten, die tägliche Aufnahmemenge habe weit mehr als das Tausendfache dessen betragen, was im Allgemeinen die Bevölkerung hier zu Lande aufnehme. Zu einer ähnlichen Massenvergiftung sei es zehn Jahre später auf der Insel Taiwan gekommen. Die hier geschätzten Werte der Gesamtaufnahme von PCB hätten 700 bis 1.840 mg betragen, die Aufnahmedauer habe sich über einige Wochen bis Monate erstreckt. Die Vergiftungserscheinungen seien gleicher Art gewesen wie in Japan. Berufliche Belastungen mit PCB seien seit Ende der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts vor allem in der Elektroindustrie bei der Herstellung und Reparatur von Kondensatoren und Transformatoren vorgekommen. Die betroffenen Arbeiter hätten vielfach auch intensiven Hautkontakt mit dem Stoff gehabt und PCB nicht nur aufgrund einer Exposition über die Luft aufgenommen. Auch Bergleute seien durch den Umgang mit Hydraulikölen und Arbeiter, die in der Produktion von PCB tätig gewesen seien, gegenüber diesem Stoff exponiert gewesen. Die Luftkonzentrationen an PCB hätten, soweit sie bestimmt worden seien, zwischen 70.000 bis 11.000.000 ng/m3 und 48.000 bis 275.000 ng/m3 betragen. Bei den am Arbeitsplatz belasteten Personen seien die PCB-Konzentrationen im Serum, Blut und teilweise auch im Fettgewebe bestimmt worden. Die Werte hätten bei diesen Personen dreifach höher, aber auch zehn- bis hundertfach höher gelegen als bei nicht PCB-belasteten Vergleichskollektiven. Von James et al. (1993) seien 31 Studien über berufsbedingte, höhere Belastungen durch PCB bei Menschen dargestellt und beurteilt worden. Diese Studien stammten aus den USA, Japan, Australien, Italien und Schweden und umfassten insgesamt 20.966 Personen. Bei kritischer Auswertung all dieser Daten kämen James et al. zu dem Schluss, dass nur Veränderungen der Haut eindeutig auf eine gewerbliche Belastung mit PCB zurückgeführt werden könnten, nämlich Dermatitis, zeitweise Entzündungen oder Ödeme der Haut und der Augen, eine Verdickung der Haut und der Fingernägel und Chlorakne. Diese Veränderungen träten auch nur bei Arbeitsgruppen mit einer relativ hohen dermalen oder inhalativen Exposition auf. Alle übrigen vermuteten Schadwirkungen von PCB wie Störungen der Leberfunktion, Beeinträchtigungen des Fettstoffwechsels, des Immunsystems und des Nervensystems seien nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die im beruflichen Bereich aufgetretenen Belastungen mit PCB zurückzuführen. Zum gleichen Ergebnis kämen Swanson et al. (1995) nach einer zusammenfassenden Beurteilung von 39 Studien über berufsbedingte höhere Belastungen durch PCB bei Menschen. Diese Ansicht werde bis heute in wissenschaftlichen Schriften geteilt. In Deutschland seien die Auswirkungen von extrem hohen PCB-Raumluftbelastungen in Schulen untersucht worden. Die Studien seien zu dem Ergebnis gelangt, dass selbst extrem hohe PCB-Raumluftbelastungen, denen die Betroffenen über viele Jahre hinweg ausgesetzt gewesen seien, nicht zu einer nachweisbar erhöhten PCB-Körperbelastung geführt hätten. Über Gesundheitsstörungen der diesen Raumluftbelastungen ausgesetzten Personen werde weder in der Studie von Ewers et al. (1998) noch in den übrigen Studien irgendetwas berichtet. Ewers et al. wiesen darauf hin, dass die nach der PCB-Richtlinie zu ergreifenden Maßnahmen weit im Bereich der Gesundheitsvorsorge lägen und nicht der Abwendung konkret toxischer Gefahren dienten. Bei der Beurteilung der toxischen Gefahren von PCB sei zu unterscheiden zwischen der Belastung durch einen direkten Umgang mit diesen Verbindungen bei deren Produktion und Verarbeitung und einer PCB-Belastung durch Emissionen durch Baumaterialien oder anderen Quellen, wie dies im Falle des Klägers der Fall gewesen sei. Die Maximalkonzentration an PCB, der der Kläger während seiner Berufstätigkeit ausgesetzt gewesen sei, habe knapp 1 % des MAK-Wertes für chlorierte Biphenyle mit einem Chlorgehalt von 42 % und knapp 2 % des MAK-Wertes für chlorierte Biphenyle mit einem Chlorgehalt von 54 % betragen. Der Nummern-Code der PCB gebe Aufschluss über den Chlorierungsgrad. Je höher die Nummer, desto höher sei dieser und schwer flüchtiger die Verbindung. Üblicherweise würden bei PCB-Bestimmungen die sechs Kongeneren Nrn. 28, 52, 101, 138, 153 und 180 bestimmt und aus diesen nach einem bestimmten Verfahren die PCB-Gesamtsumme errechnet. Die niedriger nummerierten Kongenere seien flüchtiger als die höher nummerierten, Raumluftverunreinigungen durch PCB hätten eine Kongenerenverteilung hin zu den leichter flüchtigen Typen, da die leichter flüchtigen Komponenten vermehrt an die Raumluft abgegeben würden. Diese Tatbestände seien für die Beurteilung der bei dem Kläger vorgenommenen Blutanalysen auf PCB von Bedeutung. Die erste Analyse während des stationären Aufenthaltes in der Neurologischen Klinik Kassel im März 1994 hätten auch nach Aussage des Laborleiters Dr. R. noch im Normbereich gelegen, eine Aussage über ihre Herkunft könne aufgrund dieser Werte nicht getroffen werden. Die leicht flüchtigen Kongenere 28, 52 und 101 hätten unterhalb der Nachweisgrenze gelegen. Messbare Konzentrationen hätten sich nur bei den drei höher chlorierten Kongeneren Nrn. 138, 153 und 180, die vorwiegend mit der Nahrung aufgenommen würden, gefunden. Die zwei Monate später erfolgte zweite Blutbestimmung auf PCB im Labor von Dr. W. in W-Stadt am 18. Mai 1994 habe für die niederchlorierten Kongenere entsprechende Ergebnisse erbracht, die Werte für die Kongenere 138, 153 und 180 hätten deutlich niedriger gelegen. Dennoch seien die Werte von dem W-Stadter Labor oberhalb des Referenzbereiches eingestuft worden. Eine zweite Untersuchung des gleichen Labors am 3. November 1994 habe deutlich niedrigere Werte ergeben. Nur die Nrn. 183 und 153 hätten um 12 bzw. um 17 % den Referenzbereich überschritten. Die von dem W-Stadter Labor zugrunde gelegten Referenzwerte lägen jedoch höher als die Referenzwerte, die in einer Laborvergleichsuntersuchung von Kappos et al. (1998) ermittelt worden seien. Es sei festzustellen, dass die bei dem Kläger festgestellten Konzentrationen an PCB, wenn überhaupt, nur geringfügig erhöht gewesen seien und keinesfalls die Werte annähernd erreichten, die bei Arbeitnehmern mit PCB-bedingten Schadwirkungen erreicht worden sind. Die Ergebnisse der PCB-Analysen in der Arbeitsplatzluft des Klägers sowie die in seinem Blut festgestellten Werte machten folglich eine schädigende Einwirkung nicht wahrscheinlich (haftungsbegründende Kausalität). Die für eine PCB-Einwirkung typischen Gesundheitsstörungen, Veränderungen der Haut und der Nägel sowie Entzündungen der Augenbindehaut und Schwellungen der Augenlider seien bei dem Kläger nicht festgestellt worden. Die übrigen diagnostizierten Erkrankungen und Erkrankungserscheinungen des Klägers wie Schluckbeschwerden, Brennen der Rachenschleimhaut, bronchiale Hyperreagibilität, supraventrikuläre Tachykardie bei Vorhofflimmern, Myokarditis, Schulter-Arm-Syndrom, Harnblasenpapillom, Lendenwirbelsäulen(LWS)-Syndrom, somatisierte Depression, sensible Neuropathie, Hypochondrie, rezidivierende Gastritis, Hämorrhoiden, Verdauungsstörungen, Myopathie, Leistungs- und Wesensänderungen, mäßiggradige Osteochondrose und Hypercholesterinämie ließen sich mit der im BK-Recht erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht auf eine PCB-Belastung zurückführen (haftungsausfüllende Kausalität), auch wenn diese so hoch gewesen wäre, dass Schädigungen durch sie hätten verursacht werden können. Eine BK im Sinne der Nr. 1317 der Anlage zur BKV (Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische) komme im Falle des Klägers nicht in Betracht, weil polychlorierte Biphenyle nicht zu den organischen Lösungsmitteln zu zählen seien, PCB seien keine Lösungsmittel und könnten dies allein schon wegen ihrer Konsistenz nicht sein.
Der Senat hat von Amts wegen von Prof. Dr. X., Abteilung Pharmakologie und Toxikologie an der Universität Ulm, ein Gutachten eingeholt. Im toxikologischen Zusammenhangsgutachten vom 8. August 2004 ist Prof. Dr. X. zu der Beurteilung gelangt, trotz einer bekanntermaßen hohen Toxizität der PCB und trotz der relativ hohen Raumluftkonzentrationen an diesen Schadstoffen im früheren Arbeitsbereich des Klägers seien die in seinem Organismus festgestellten Konzentrationen an PCB nicht geeignet, die beim Kläger vorliegenden Erkrankungen auszulösen. Weiterhin stimme das Muster der in der Raumluft ermittelten Kongenere nicht mit demjenigen kongeneren Muster überein, das im Organismus des Klägers festgestellt worden sei. Die PCB-Exposition, welcher der Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit für die C. bzw. D. ausgesetzt gewesen sei, sei mit Wahrscheinlichkeit nicht geeignet, die von Dozent Dr. S. diagnostizierten Erkrankungen des Klägers zu verursachen. Den Ausführungen des Prof. Dr. V. stimmte Prof. Dr. X. hinsichtlich des Inhalts und der Schlussfolgerungen ausdrücklich zu.
Der Senat hat von Prof. Dr. T. und Dozent Dr. S. zu den Ausführungen des Prof. Dr. V. und dem Gutachten des Prof. Dr. X. Stellungnahmen eingeholt. Prof. Dr. T. hat unter dem 25. November 2004 u.a. ausgeführt, die Interpretation der bei dem Kläger ermittelten Messwerte als "im Normbereich" könne schon deshalb nicht zutreffen, weil es für Menschen keinen Normbereich gebe, es gebe keine Möglichkeit, die Wirkungen der nicht gemessenen Verbindungen der insgesamt 209 existierenden Kongeneren generell auszuschließen, da nur einige bestimmt worden seien, was einer Konvention entspreche, aber sich im Einzelfall gerade als untauglich für Bewertungen erweise. Der gravierende Fehler der toxikologischen Bewertung bestehe darin, dass immer von im zirkulierenden Blut gemessenen Werten auf die Belastung des Körpers und sogar des Nervensystems geschlossen werde. Zu berücksichtigen sei, dass nicht zirkulierende PCB im Fettgewebe insbesondere des Nervensystems auch dann wirksam seien, wenn kein Nachweis im Blut möglich sei. Dies komme hauptsächlich in Fällen vor, bei denen aufgrund einer durch toxische Wirkungen gestörten bzw. genetisch bedingten mangelhaften Ausscheidung die metabolische Konjugierung nicht erfolge, so dass die Substanzen dann doch im Körper verblieben und vor Ort schädigend wirkten. Sie seien dann auch nicht im Blut zu finden. Der wesentliche Nachweis eines prinzipiellen Wirkungsmechanismus erfolge durch deutsche Wissenschaftler im Tierversuch mit Frettchen. Bei Frettchen sei nach fünf Jahren Einwirkung niedriger Konzentration von PCB in einem Hirnnerven hohe Mengen der ausschließlich inhalierten PCB akkumuliert gefunden worden. Die Untersuchungen hätten belegt, dass Werte im zirkulierenden Blut die Belastung des Nervengewebes nicht widerspiegeln könnten. Die Untersucher hätten hierfür ausdrücklich die schützende Rolle der Blut-Hirn-Schranke angeführt. Im Falle des Klägers sei wegen der fehlenden Hautsymptome eher davon auszugehen, dass für solche schweren Erscheinungen notwendige Expositionen tatsächlich nicht vorgekommen seien, während die Kongeneren mit kurzer Halbwertzeit – im Blut nicht auffindbar – inzwischen bereits im Nervensystem gespeichert worden seien und dort zu den wesentlichen Symptomen geführt hätten, die im Falle des Klägers im Vordergrund stünden und sämtlich zu einer versagenden Gesamtregulation des vom biologischen Alter noch jugendlichen Körpers geführt hätten. Seegal (1996) und Angus (1996) hätten berichtet, dass wiederholte PCB-Expositionen – wie am Arbeitsplatz wahrscheinlich – die Botenstoffe des Gehirns (brain-Transmitters) bei Tier und Mensch beeinträchtigten. Dies führe zu Veränderungen der Hirn-Neurochemie. Hierdurch seien nicht nur Wesensänderungen, sondern auch die multiplen Störungen infolge gestörter Selbstregulation des Körpers (autonomes Nervensystem) in Form der von dem Kläger geschilderten Symptomen erklärbar, wie Schleimhautbefunde (Sicca-Syndrom), hyperreagibles Bronchialsystem, Immunschwächesyndrom, Erschöpfungssyndrom, Herzrhythmusstörungen, aber auch Polyneuropathie, mit der Folge von rezidivierenden Entzündungen im Magen-, Darm- und Harnblasenschleimhautbereich, die von den Toxikologen nicht gewürdigt worden seien.
Dozent Dr. S. hat in seiner Stellungnahme vom 5. September 2005 seine Aussage nochmals bekräftigt, dass das Fehlen von Entgiftungsenzymen die Toxizität eines Stoffes erhöhen könne. So sei bei Patienten mit Morbus Parkinson ein erhöhtes Risiko gegen neurotoxische Pestizide gefunden worden, wenn ihnen die Glutathion Transferase M1 fehlte. Das Fehlen dieses Enzyms erhöhe auch das Erkrankungsrisiko bei lösemittelexponierten Personen für toxische Enzephalopathien. Ob ein Individuum erkranke, hänge nicht in entscheidender Weise von der Expositionshöhe und –dauer ab. Chlororganische Substanzen seien in der Lage, oxidativen Stress auszulösen. Dieser habe stets Auswirkungen auf die Mitochondrienfunktion, erst recht, wenn diese an Polyenfettsäuren in der inneren Mitochondrienmembran verarmten. Hierzu zählten das chronische Müdigkeits- und Erschöpfungssyndrom. Die niedrige Blutdrucklage und die Reaktion auf Speiseeis seien bei dem Kläger Ausdruck einer vegetativen Nervenstörung infolge der PCB-Toxizität. Multisystemerkrankungen würden meist wegen mangelhafter umweltmedizinischer Kenntnisse nicht auf berufsbedingte Gewerbegifte bezogen. Grundlegende Diagnosen würden als schicksalhafte Einzelerkrankungen zergliedert oder dem psychosomatischen Formenkreis zugeordnet.
Die Beklagte hat zur Zusammenhangsfrage eine Stellungnahme des Priv.-Doz. Dr. Y., Kommissarischer Leiter des Instituts in der Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der Justus-Liebig-Universität Gießen, vom 18. Juli 2005 vorgelegt. Dieser gelangte zu der Beurteilung, der Kläger sei während seiner beruflichen Tätigkeit einer PCB-Belastung ausgesetzt gewesen, die deutlich über derjenigen der Allgemeinbevölkerung gelegen habe. Deshalb sei die haftungsbegründende Kausalität für die BK-Nr. 1302 der Anlage zur BKV gegeben. Jedoch könne die haftungsausfüllende Kausalität nicht mit Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Bei PCB-Exponierten stünden akneähnliche Hautveränderungen wie Chlorakne im Vordergrund. Als weitere Beschwerden und Erkrankungen würden Appetitlosigkeit, Übelkeit mit Brechreiz, Ödeme an Gesicht und Händen, häufig Leberschädigungen mit Nekrosen, Hämaturie, Impotenz und vereinzelt Gedächtnisstörungen genannt. Auch sensorische Nervenschäden würden beobachtet. Die Expositionsintensitäten bei den in der Literatur beschriebenen Erkrankungsfällen seien jedoch nicht mit der beruflichen PCB-Belastung am Arbeitsplatz des Klägers gleichzusetzen. Die einzelnen Erkrankungen seien nach einer Exposition von einer wesentlich höheren Dosis aufgetreten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 11. Oktober 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für rechtens und sieht seine Auffassung bestätigt durch die gutachterlichen Stellungnahmen des Dozenten Dr. S. und des Prof. Dr. T.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die zum Verfahren beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Urteil des SG war aufzuheben und die Klage abzuweisen, denn das Vorliegen einer BK kann bei dem Kläger nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden.
Eine BK nach Ziffer 1317 der Anlage zur BKV, eine Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische, kommt bei dem Kläger schon deshalb nicht in Betracht, weil PCB kein organisches Lösungsmittel ist. Dies hat Prof. Dr. V. unwidersprochen dargelegt.
Das Vorliegen einer BK im Sinne der Ziffer 1302 der Anlage zur BKV, Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe, konnte nicht nachgewiesen werden, weil die bei dem Kläger diagnostizierten Gesundheitsstörungen und die von ihm geklagten Beschwerden nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die PCB-Exposition während der beruflichen Tätigkeit des Klägers zurückgeführt werden können.
Der Kläger war während seiner Tätigkeit im Bezirk des Fernmeldeamtes B-Stadt gegenüber PCB exponiert. In den Gebäuden der einzelnen Vermittlungsstellen wurden 1992 und 1993 PCB-Messungen durchgeführt. In der Vermittlungsstelle C-Stadt, in der sich der Kläger über fünf Monate aufhielt, wurden PCB-Raumluft-Konzentrationen von 9.260 ng/m3 Raumluft gemessen. In der Vermittlungsstelle DX-Stadt wurden Werte von bis zu 5.890 ng/m3 ermittelt. Dort hat der Kläger elf Jahre gearbeitet. Sein Arbeitsplatz befand sich in einem fensterlosen Kellerraum, der nur mittels Umluft belüftet wurde. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger während seiner Tätigkeit in den Vermittlungsstellen beim Fernmeldeamt B-Stadt einer PCB-Exposition in der Raumluft von bis zu 10.000 ng/m3 ausgesetzt war. Nach Auskunft des Priv.-Doz. Dr. Y. wurden in der sog. "Reinluft" im Außenbereich von ländlichen Gebieten PCB-Konzentrationen von ca. 0,03 bis 20 ng/m3 Atemluft nachgewiesen. In Innenräumen sind Messwerte von 0,03 bis 200 ng/m3 Raumluft üblich. Die PCB-Konzentrationen können auf Werte von 10.000 ng/m3 und darüber ansteigen, wenn in den Räumen Kondensatoren oder PCB-haltige Dichtungsmassen vorhanden sind. In Deutschland nehmen Erwachsene über die Nahrung im Durchschnitt etwa 100 ng PCB pro kg Körpergewicht auf. Der ADI-Wert (acceptable daily intake) liegt bei 1.000 ng pro kg Körpergewicht. Der Kläger war folglich während seiner beruflichen Tätigkeit bis zum 1. Mai 1993 einer PCB-Raumluftkonzentration ausgesetzt, die eindeutig über der PCB-Exposition lag, der die Allgemeinbevölkerung durch die Raumluft ausgesetzt ist.
Nach Auskunft des Prof. Dr. V. und des Priv.-Doz. Dr. Y. wurden Erkenntnisse über die chronische Toxizität von PCB gewonnen, nachdem 1968 in Japan und 1979 in Taiwan Massenvergiftungen durch PCB kontaminiertes Reisöl hervorgerufen worden waren. Charakteristische Gesundheitsstörungen nach PCB-Exposition waren verschiedene Formen der Leberschädigung, eine Chlorakne, eine Hyperpigmentierung der Haut, Haarausfall, Verdickung und Verfärbung der Nägel, Entzündungen der Augenbindehaut, Ödeme an Gesicht und Händen. Außerdem traten sensorische Neuropathien, Beschwerden wie Müdigkeit, Schwächegefühl, Übelkeit mit Brechreiz, Impotenz und eine Hämaturie auf. Bei 28 von 2.000 Personen, die in Taiwan mit PCB intoxitiert worden waren, kam es zu neurologischen Erkrankungsmanifestationen. Bei nach vier Jahren durchgeführten Kontrolluntersuchungen litten von diesen Personen 54 % unter peripheren sensorischen Neuropathien.
Ausweislich der zu den Akten gelangten ärztlichen Befundberichte wurden bei dem Kläger keine für die Einwirkung von PCB typischen Hautveränderungen, Veränderungen an den Nägeln, den Augen oder ödematöse Erscheinungen an Gesicht und Händen festgestellt. Es ergaben sich auch keine Hinweise auf eine Leberschädigung, die leberspezifischen Blutwerte waren jeweils im Normbereich. Bei abdominalen Untersuchungen zeigten sich keine Besonderheiten. Der Internist Dr. G., der den Kläger nach Bekanntwerden der PCB-Belastung am Arbeitsplatz auf Leberschäden speziell untersucht hatte, hat in seinem Bericht vom 31. Juli 1993 mitgeteilt, dass weder die Blutuntersuchungen noch eine Sonographie des Abdomens Nachweise von Leberveränderungen erbracht haben. Die bei dem Kläger aufgetretenen Harnblasenpapillome sind nach Auskunft des Prof. Dr. T. und des Priv.-Doz. Dr. Y. nicht mit einer erhöhten PCB-Aufnahme assoziiert. Prof. Dr. T. teilt mit, das Auftreten von Blasentumoren werde bisher mit der Einwirkung von aromatischen Aminen, d.h. Stickstoffverbindungen, in Verbindung gebracht. Auch die bei dem Kläger diagnostizierte bronchiale Hyperreagibilität, die supraventrikuläre Tachykardie bei Vorhofflimmern und die Myokarditis, das Schulter-Arm-Syndrom und LWS-Syndrom, die Hämorrhoiden, die Hypercholesterinämie und die erosive Atrumgastritis mit Refluxösophagitis sind keine Gesundheitsstörungen, die für PCB spezifisch sind. Dies räumt auch Dozent Dr. S. ein.
Dies gilt auch für das von Dozent Dr. S. bei dem Kläger diagnostizierte Erschöpfungssyndrom. Hierzu hat Priv.-Doz. Dr. Y. ausgeführt, Symptome wie Müdigkeit, Schwächegefühl und Kopfschmerzen seien unspezifischer Art und in ihrer Ausprägung subjektiv empfunden. Mit diesen Symptomen könnten verschiedene medizinische Diagnosen einhergehen. Im Falle des Klägers finden sich nach Aussage des Priv.-Doz. Dr. Y. als organisch fassbare Ursachen der verminderten körperlichen Belastbarkeit ein Zustand nach Myokarditis sowie die absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern. Anlässlich eines stationären Aufenthaltes des Klägers in der Neurologischen Klinik der Städtischen Kliniken Kassel im März 1994 wurde eine sensible Polyneuropathie diagnostiziert. An objektiven Befunden wurde eine pathologisch verminderte Nervenleitgeschwindigkeit der beiden Schienbeinnerven und des Wadenbeinnervs rechts nachgewiesen. Die bei dem Kläger diagnostizierten und von ihm beschriebenen neurologischen Symptome als auch die von dem Kläger berichteten Allgemeinsymptome können nach übereinstimmender überzeugender Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. X. und der von der Beklagten gehörten Beratungsärzte Prof. Dr. V. und Priv.-Doz. Dr. Y. nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die berufliche PCB-Belastung des Klägers zurückgeführt werden, weil die Stärke der PCB-Vergiftung abhängig ist von der aufgenommenen Menge und die Höhe der Gefahrstoffexposition am Arbeitsplatz des Klägers als auch die Höhe der PCB-Gehalte im Blut des Klägers nicht geeignet waren, die bei dem Kläger festgestellten Erkrankungen zu verursachen. Die bei den Massenvergiftungen in Japan und Taiwan pro Person aufgenommenen PCB-Mengen wurden nach Auskunft des Prof. Dr. V. insgesamt auf 200 bis 800 ng bzw. auf 700 bis 1.840 ng PCB geschätzt. Im letzteren Fall wurden im Blut der Betroffenen PCB-Konzentrationen zwischen 3.000 und 1.156.000 ng/l gemessen. Auch die im Tierversuch beobachteten Erkrankungen, wie z.B. neurogene Demyelinisierungen, wurden bei deutlich höheren Dosen beobachtet. Nach Auskunft des Priv.-Doz. Dr. Y. lagen diese im Allgemeinen bei etwa 100 mg/kg Körpergewicht und damit um mehr als den Faktor 10.000 oberhalb der im Falle des Klägers gemessenen Blutwerte. Er führt aus, PCB-spezifische Symptome seien bei Patienten beobachtet worden, die einer um mehr als den Faktor 1.000 höheren PCB-Einwirkung ausgesetzt gewesen seien, als der Kläger. Dies gelte sowohl für die Höhe der Gefahrstoffkonzentration am Arbeitsplatz als auch für die Höhe der PCB-Gehalte im Blut. Priv.-Doz. Dr. Y. weist ebenso wie Prof. Dr. V. darauf hin, dass die Summe der bei dem Kläger im Blut gemessenen Werte der PCB-Kongenere unter dem Referenzwert für die Summe der PCB liegt, den die Wissenschaftler Kappos et al. bei ihrer Untersuchung für einen 47jährigen Mann ermittelt haben.
Die Ansicht des Dozenten Dr. S. und des Prof. Dr. T., im Falle des Klägers sei wegen des Vorliegens einer Entgiftungsschwäche die Exposition gegenüber PCB als solche und nicht die Höhe der Gefahrstoffexposition entscheidend, konnte den Senat nicht überzeugen. Zum einen ist unstreitig, dass es sich bei der bei dem Kläger vorgefundenen Enzymausstattung lediglich um eine normale Variante handelt, die sich auch in einem hohen Prozentsatz der Bevölkerung findet. Deshalb kann, worauf Prof. Dr. V. und Prof. Dr. X. hinweisen, nicht davon ausgegangen werden, dass bei Personen mit von der Norm abweichender Enzymausstattung die allgemeinen Richt- und Grenzwerte nicht gelten. Außerdem haben Prof. Dr. V. und Prof. Dr. X. dargelegt, dass die Annahme, der Ausfall eines Enzyms führe zwangsläufig zu einer Erhöhung der toxischen Wirkung eines Schadstoffes, nicht allgemein wissenschaftlich anerkannt ist, vielmehr kann der Ausfall eines fremdstoffmetabolisierenden Enzyms unter Umständen sogar zu einer Veränderung der toxischen Wirkung eines Schadstoffes führen die die Giftigkeit nicht verstärkt, sondern abschwächt. Der Fundamentalansatz der Toxikologie, wonach die toxische Wirkung im Einzelfall in entscheidender Weise von der Expositionshöhe und dauer abhängt, ist folglich auch im Falle des Klägers nicht außer Kraft gesetzt.
Der Senat ist deshalb unter Berücksichtigung der von den einzelnen Sachverständigen vorgetragenen Argumente zu dem Ergebnis gelangt, dass zwar einzelne bei dem Kläger vorhandene Symptome (die sensible Neuropathie und die Allgemeinsymptome) auch infolge einer PCB-Vergiftung auftreten können, dies jedoch eine wesentlich höhere PCB-Exposition als im Falle des Klägers voraussetzt und auch die bei dem Kläger im Blut gemessene PCB-Konzentration eine andere Bewertung nicht zulässt, weil die Referenzwerte allenfalls gering überschritten worden sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG), die über die Nichtzulassung der Revision aus § 160 SGG.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob der Kläger unter Berufskrankheiten (BKen) im Sinne der Nr. 1302 (Erkrankungen durch Halogen-Kohlenwasserstoffe) und Nr. 1317 (Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische) der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) leidet.
Der 1947 geborene Kläger absolvierte nach seiner Schulausbildung von April 1962 bis Ende September 1965 eine Ausbildung zum Fernmeldehandwerker bei der C., der späteren D. Während dieser Zeit hatte er Metalle zu bearbeiten, Dreh- und Feilarbeiten, Kabellötungen, Bleibearbeitungen von Kabelummantelungen auszuführen und hatte Umgang mit Reinigungsmitteln zur Entfettung von Kabeln. Auch Trichlorethylen, das zum Reinigen der Hände von Teerrückständen verwendet wurde, kam zum Einsatz. Im letzten Lehrjahr wurden Arbeiten an alten und neuen Wählern, Außendiensttätigkeiten, Arbeiten an Muffen und Kabelschächten durchgeführt. Nach der Ausbildung arbeitete der Kläger bis 1980 im Bau- und Außendienst und stellte Anschlüsse für Kunden her. 1980 wechselte er zum Entstörungsdienst in B-Stadt, wo er bis 1994 tätig war. Im Jahre 1981 arbeitete der Kläger fünf Monate in der Ortsverteilerstelle C-Stadt. In dem Gebäude war die Technik mit Kabelsträngen, Kondensatoren, Gleichrichtern, Relais und großem Batterieraum untergebracht. Die Beleuchtung erfolgte durch Neonröhren. Ab Anfang 1982 bis 1993 betreute der Kläger die Vermittlungsstelle DX-Stadt. Nach Arbeitsbeginn hielt er sich ca. 10 bis 20 Minuten im ebenerdigen Technikerraum auf, anschließend arbeitete er im Kellerraum ca. ein bis zwei Stunden pro Tag und vier bis fünf Stunden einmal pro Quartal. Der fensterlose Kellerraum war nur mit Umluft belüftet. In der Vermittlungsstelle DX-Stadt befanden sich Großkondensatoren, Zähler, Hauptverteiler und Kabelaufteilungen. Der Kläger frühstückte in diesem Kellerraum und nahm auch sein Mittagessen dort ein. Die Vermittlungsstellen waren in Plattenbauweise errichtet worden, in den Fugendichtungen zwischen den Fertigteilen wurden polychlorierte Biphenyle (PCB) verwandt. Im Oktober 1992 wurden durch die D. PCB-Messungen in den Vermittlungsstellen veranlasst. Bei den Raumluftmessungen wurden in C-Stadt 9.260 ng/m3, in D-Stadt 1 5.890 ng/m3 und in D-Stadt 8 932 ng/m3 gemessen. Der Kläger lehnte es aufgrund gesundheitlicher Probleme ab, weiter in der Vermittlungsstelle DX Stadt zu arbeiten. Zum 1. Mai 1993 wurde ihm ein Arbeitsplatzwechsel angeboten, der Kläger nahm dieses Angebot an. Eine Erwerbsunfähigkeitsrente bezieht der Kläger seit Ende 1999.
Der Hals-Nasen-Ohren(HNO)-Arzt Dr. E. und der Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. F. erstatteten ärztliche Anzeige über eine BK. Dr. E. teilte unter dem 20. September 1993 mit, der Kläger klage seit Anfang 1991 über Schluckbeschwerden und Brennen der Rachenschleimhaut. Es sei eine Rötung und Trockenheit der Rachenschleimhaut festgestellt worden. Dr. F. berichtete unter dem 20. September 1993, der Kläger klage über ein allgemeines Krankheitsgefühl, z.B. Kopfschmerzen, Hustenreiz und ein blutiges Nasensekret vor allem morgens. Die Ärzte führten als mögliche Ursache dieser Gesundheitsstörungen eine Schadstoffbelastung mit PCB am Arbeitsplatz des Klägers an. Dr. F. teilte in einem beigefügten Arztbrief außerdem mit, er habe bei dem Kläger ein hyperreagibles Bronchialsystem festgestellt, der Kläger leide verstärkt am Arbeitsplatz unter bronchitischen Beschwerden. In einem beigezogenen Kurentlassungsbericht der Klinik am Südpark in Bad Nauheim vom 29. Juni 1987 werden eine proximale supraventrikuläre Trachikardie bei Vorhofflimmern nach einem Zustand einer toxischen Myokarditis im Oktober 1986 diagnostiziert. Hierzu wird mitgeteilt, die Rhythmusstörungen seien erstmals im Rahmen der toxischen Myokarditis im September 1986 aufgetreten. Als Ursache für die Herzentzündung seien Zahngranulome angenommen worden. Weiter wurde ein Schulter-Arm-Syndrom links diagnostiziert und berichtet, es bestünden Verspannungen der paravertebralen Muskulatur, ansonsten ein regelrechter altersentsprechender Befund. 1980 sei eine Arthrose im linken Schultergelenk festgestellt worden. Die anfänglich bestehende absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern habe sich unter Kordichin-Therapie beseitigen lassen. Es sei ein grenzwertiger Cholesterinwert festgestellt worden, die übrigen Laborparameter lägen im Normbereich. Die anfänglich grenzwertig erhöhten Blutfette hätten sich unter cholesterinarmer Kost normalisiert. In einem Entlassungsbericht der Klinik Sonnenblick in Marburg vom 7. Oktober 1991 wird in der Eigenanamnese mitgeteilt, ab 1983/1984 sei der Blutdruck zu niedrig gewesen, 1987 habe der Kläger auf der Arbeitsstelle Zahn- und Kopfschmerzen verspürt und sei zusammengebrochen. Bei einem stationären Aufenthalt sei wegen absoluter Arrhythmie bei Vorhofflimmern der Verdacht auf eine abgelaufene Myocarditis geäußert worden. Im Februar 1988 sei der Kläger wegen Übelkeit und Schwindel sowie Schweißausbrüchen symptomatisch beim Internisten Dr. G. behandelt worden. Im September 1990 hätten Magenbeschwerden und eine massive Erkältung bestanden. Nebenbefundlich sei durch den Internisten Dr. G. ein Harnblasentumor diagnostiziert worden. Im Elisabeth-Krankenhaus Kassel sei er zur Elektroresektion und Mitomycininstallation in die Blase stationär aufgenommen worden. Nach drei bis vier zytostatischen Installationen habe er diese Therapie wegen symptomatisch erheblicher Beschwerden abgebrochen. Nach der Zytostatikatherapie habe er ein Gefühl bekommen, als ob er ständig im Wasser stünde und ein schwammiges Gefühl in den Händen gehabt. Im Februar 1991 habe sich anlässlich einer CT-Untersuchung eine leichte Protrusion L3 bis L5 sowie degenerative Veränderungen bei L4/5 gezeigt. Über den Befund der Haut wird mitgeteilt: Blasses Integument, zahlreiche kleine bräunliche Naevi und Hämangiome am Stamm und an den Extremitäten. In der Verlaufsbeschreibung wird weiter mitgeteilt, der im September 1990 diagnostizierte Blasentumor habe anscheinend aus neurologisch-psychiatrischem Gesichtswinkel ein somatisiertes Beschwerdebild mit Subdepression bei einer hypochondrisch akzentuierten Persönlichkeit hervorgerufen, dennoch sei auch der Verdacht auf eine beginnende Polyneuropathie unklarer Genese mit in Betracht zu ziehen. Der Nervenarzt Dr. H. berichtete unter dem 8. November 1990 dem Orthopäden Dr. J., "A. wurde wegen Papillome der Blase mit einem Zytostatikum behandelt und hat offensichtlich als Komplikation davon, obwohl es nur in die Blase hinein infundiert wurde, eine Polyneuropathie bekommen mit entsprechenden Parästhesien in Armen und Beinen. Jetzt resultiert noch eine Beeinträchtigung der Nervenwurzel C8 beidseits. Die Beinbeschwerden sind verschwunden. Auffällig ist eine Abschwächung beider TSR. Sonst ist der neurologische Befund unauffällig. Das EMG bleibt stumm, die NLG beider Ulnare liegt im Normbereich, peripher lassen sich keine Besonderheiten fassen. Ob auch die jetzige Symptomatik noch eine Komplikation der Chemotherapie darstellt, wage ich zu bezweifeln." Der HNO-Arzt Dr. E. stellte dem Kläger unter dem 6. Juni 1993 eine Bescheinigung aus, in der er mitteilte, der Kläger klage zeitweise über Hals- und Schluckbeschwerden und über eine wechselnde Behinderung der Nasenatmung. Im Mai 1993 sei im Bereich der Nasengänge eine trockene, gerötete Schleimhaut aufgefallen, auch die Mundhöhlen- und Rachenschleimhäute seien leicht gerötet, der Nasen-Rachen-Raum mäßig verschleimt gewesen, ohne pathologische Veränderungen. Bei Zustand nach bakterieller Pharyngitis habe der Kontrollabstrich Keime der physiologischen Mund- und Rachenflora ohne Pilznachweis ergeben. Eine infektiöse Veränderung der Mund- und Rachenschleimhaut sei somit nicht wahrscheinlich. Ein ähnlicher Befund habe sich auch bei der Voruntersuchung im Januar und Dezember 1992 ergeben. Der Befund sei mit einer Schadstoffbelastung am Arbeitsplatz durch polychlorierte Wasserstoffe vereinbar. Der Chirurg Dr. K. diagnostizierte unter dem 24. September 1993 eine perianale Dermatitis und Hämorrhoiden I und teilte mit, der Kläger sei mit den gleichen Beschwerden bereits im Januar 1992 behandelt worden. Es sei eine Sklerosierung der Hämorrhoiden vorgenommen worden. In einem Arztbrief vom 1. Dezember 1993 teilte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. mit, der Kläger sei im September 1992 wegen Verdacht auf beginnende und rein sensible Polyneuropathie unklarer Genese untersucht worden. Der Kläger leide an Missempfindungen und Kribbelgefühlen beider Unterschenkel und Füße, ohne dass andere Hinweise für neurologische Symptome eruierbar seien. Klinisch hätten keine weiteren manifesten motorischen oder sensiblen Defizite nachgewiesen werden können. Hirnnerven, Kopfgefäße, Koordination, EPS und Vegetativum stellten sich regelrecht dar. Elektromyographisch und elektroneurographisch seien keine auffälligen Befunde erhoben worden. Es bestehe der Verdacht auf eine beginnende sensible Polyneuropathie. Der Internist Dr. G. diagnostizierte seinem Arztbericht vom 5. September 1990 zufolge bei dem Kläger eine erosive Atrumgastritis und eine geringfügig akut streifige Refluxösophagitis im Stadium I und führte diesen Befund auf einen Reizmagen im Rahmen vegetativer Störungen zurück. Die gleiche Diagnose stellte Dr. G. im Oktober 1992. Unter dem 31. Juli 1993 berichtete Dr. G., es bestehe aktuell kein Nachweis von Leberveränderungen bei nachgewiesener PCB-Belastung am Arbeitsplatz. Die Untersuchung habe keine Leberparenchymveränderungen oder Transaminasenaktivierungen ergeben.
Die Zentralstelle Arbeitsschutz des Bundesamtes für Post und Telekommunikation führte unter dem 25. Februar 1994 aus, der Kläger sei für fünf Monate einer PCB-Belastung von 10.000 ng/m3 und für elf Jahre einer PCB-Belastung von ca. 6.000 ng/m3 jeweils etwa zwei Stunden täglich ausgesetzt gewesen. Das Bundesgesundheitsamt habe für die PCB-Exposition Richtwerte aufgestellt, die von den genannten ADI-Werten abgeleitet und zusätzlich mit Sicherheitsfaktoren versehen seien. Der ADI-Wert besage, dass pro Tag und kg Körpergewicht 1.000 ng/m3 PCB aufgenommen werden dürften. 90 % des ADI-Wertes werde über die Nahrung aufgenommen, es verblieben also 100 ng/m3 PCB pro Tag und Körpergewicht, die über die Luft aufgenommen werden dürften. Bei dieser Richtwertfestsetzung seien auch wenig Belastbare wie Kinder, Kranke oder alte Menschen berücksichtigt, wobei von einer lebenslangen, täglichen Exposition gegenüber PCB ausgegangen werde. Ein 70 kg schwerer Erwachsener dürfe täglich neben seiner PCB-Aufnahme über die Nahrung noch 7.000 ng/m3 PCB über die Luft aufnehmen. Bei einem Atemvolumen von etwa 500 l Luft pro Stunde würden diese 7.000 ng/m3 bei einer täglich achtstündigen Exposition bei einer Raumluftkonzentration von 1.750 ng PCB pro m3 Raumluft erreicht. Bei kürzeren Expositionszeiten könnten Zwischenwerte interpoliert werden. Im Falle des Klägers ergebe sich nur für die halbjährige Tätigkeit in der Ortsvermittlungsstelle C-Stadt eine geringfügige Überschreitung der duldbaren Tagesdosis von 7.000 ng/m3. Wegen der beschriebenen kumulativen Wirkung werde diese Überschreitung aber durch die Zeiten geringerer Exposition wieder ausgeglichen. Der Kläger legte eine Bescheinigung des Internisten und Hämatologen Prof. Dr. M., M Stadt, vom 14. Juni 1994 vor. Darin führt dieser u.a. aus, der Lymphozytenstimmulationstest habe eine stark erniedrigte allogene Stimulation als Hinweis auf einen zellulären Immundefekt ergeben. Die PCB-Werte im Blut seien erhöht (PCB Nr. 28 ( 10 ng/l, Nr. 52 ( 10 ng/l, Nr. 101 123 ng/l, Nr. 138 790 ng/l, Nr. 153 1.013 ng/l, Nr. 180 476 ng/l). Damit in Zusammenhang stehe sicher die gestörte Lymphozyten-Stimulation mit starker gestörter allogener Stimulation als Hinweis auf einen zellulären Immundefekt.
In einem von der Beklagten in Auftrag gegebenen HNO-ärztlichen Gutachten des Prof. Dr. N., N-Stadt, vom 22. Juli 1994 gelangte dieser zu dem Ergebnis, die Behinderung der Nasenluftpassage sei durch die Nasenscheidewanddeviation nach links sowie durch die hyperplastischen hinteren Muschelenden in erster Linie zu erklären. Eine chronische Pharyngitis sei bei Zustand nach Tonsillektomie nichts Ungewöhnliches. Die angegebenen Beschwerden seien somit in erster Linie durch die anatomisch vorgegebenen Verhältnisse bei normaler Riech- und Schmeckfunktion als wahrscheinlich bedingt anzusehen. Bei dem Kläger liege eine BK nach Ziffer 4302 (chronisch obstruktive toxische Atemwegserkrankung) oder BK 1302 (Erkrankung durch Halogen-Kohlenwasserstoffe) im HNO-Bereich nicht vor.
Mit ohne Rechtsmittelbelehrung versehenem Bescheid vom 8. Mai 1995 teilte die Beklagte dem Kläger mit, die Voraussetzungen zur Anerkennung einer BK seien in seinem Falle nicht gegeben. Die Arbeitsplatzanalyse der Zentralstelle Arbeitsschutz des damaligen Bundesamtes für Post und Telekommunikation vom 25. Februar 1994 habe ergeben, dass in seinem Falle nur für die halbjährige Tätigkeit in der Ortsvermittlungsstelle C-Stadt eine geringfügige Überschreitung der duldbaren Tagesdosis von 7.000 ng/m3 vorgelegen habe. Da PCB kein akut toxisches Potential besitze, sondern eine kumulative Wirkung zeige, werde diese geringfügige Überschreitung durch Zeiten geringerer Exposition wieder ausgeglichen. Das Gutachten des Prof. Dr. N. und die abschließende Stellungnahme des Arbeitsschutzärztlichen Dienstes der Unfallkasse Post und Telekom vom 28. März 1995 hätten ergeben, dass eine BK nicht vorliege. Der Kläger legte im Widerspruchsverfahren einen Befundbericht des Nervenarztes Dr. O. vom 8. Juni 1995 vor. Darin führte Dr. O. unter dem neurologischen Befund die von dem Kläger vorgetragenen Beschwerden auf und diagnostizierte eine "Polyneuropathie, Myopathie, Leistungs- und Wesensänderung bei dringendem Verdacht auf Entstehung durch toxische Arbeitsstoffe". Der Hautarzt Dr. P. diagnostizierte in einem Bericht vom 21. März 1995 ein seborrhoisches Ekzem mit Lokalisation am behaarten Kopf sowie der Schulterregion und dem Rücken. Weiter werden zahlreiche Leberflecke an Armen und Stamm erwähnt. In einem Befundbericht des Leitenden Arztes der Neurologischen Klinik der Städtischen Kliniken Kassel, Prof. Dr. Q., vom 6. Juni 1994 wird eine sensible Polyneuropathie diagnostiziert. Es wird mitgeteilt, insgesamt entspreche der elektrophysiologische Befund einer leichtgradigen Polyneuropathie. Eine ätiologische Zuordnung sei durch umfangreiche Diagnostik nicht gelungen. Insbesondere seien die Werte der polychlorierten Biphenyle nicht als Ausdruck der Belastung am Arbeitsplatz zu verwerten. Die erhaltenen Werte lägen auch nach Rücksprache mit dem Laborleiter Dr. R. noch im Normbereich und eine Aussage über deren Herkunft könne aufgrund dieser Werte nicht getroffen werden.
Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers durch Widerspruchsbescheid vom 15. Mai 1996 zurück. Der Bescheid wurde dem Bevollmächtigten des Klägers am 28. Mai 1996 zugestellt.
Die an das Sozialgericht Kassel (SG) adressierte Klage ging am 28. Juni 1996 beim Arbeitsgericht Kassel ein. Der Eingang beim SG wurde am 3. Juli 1996 dokumentiert. Der Kläger hat mit seiner Klageschrift einen Kurentlassungsbericht der Kinzigtal-Klinik vom 2. Mai 1995 vorgelegt. Es werden eine absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern und der Verdacht auf eine coronare Herzerkrankung geäußert. Außerdem wird ein Halswirbelsäulen(HWS)-Syndrom bei mäßiggradiger Osteochondrose mit begleitender Spondylose C5 bis C7 und eine Enge des ossären Spinalkanals in Höhe von C7 diagnostiziert, sowie eine Hypercholesterinämie vom Phänotyp nach Frederikson IIb. Der Kläger gab u.a. an, er bemerke seit ca. 1990 eine zunehmende Schlappheit und multiple Beschwerden wie Taubheitsgefühl in den Beinen, Kribbeln, Belastungsdyspnoe und linksseitige Hüftbeschwerden. Er fühle sich müde und nicht belastbar. Auch neige er seit Jahren zu Magen-Darm-Beschwerden.
Das SG hat auf Antrag des Klägers von dem Facharzt für Innere Medizin und Umweltmedizin, Dozent Dr. S., S-Stadt, ein Gutachten zur Zusammenhangsfrage eingeholt. Dozent Dr. S. teilte mit, eine Genanalyse der für die Entgiftungsphasen zuständigen Enzyme habe ergeben, dass der Kläger unter zwei Entgiftungsschwächen leide. Die eine Schwäche sei bei ca. 30 % der Bevölkerung zu finden, die andere Schwäche bei ca. 16 % der Bevölkerung nachweisbar. Bei der vorgefundenen Entgiftungsschwäche handele es sich folglich nicht um eine seltene (exotische) Enzymausstattung, sondern um eine normale Variation. Geringe Entgiftungskapazitäten könnten zu Organschäden führen. Für Personen mit eingeschränkter Entgiftungskapazität gälten deshalb keine Richt- oder Grenzwerte, ebenso nicht die aus der Literatur bekannten Halbwertzeiten. Für den Kläger sei entscheidender, dass er PCB gegenüber exponiert gewesen sei, nicht so sehr die tatsächlichen PCB-Konzentrationen. Zu den klinischen Auswirkungen einer unzureichenden PCB-Entgiftung führte der Sachverständige aus, bei Anfall toxischer Zwischenprodukte der Phase-I-Reaktion entstünden Epoxide und bis zu 60 Methylsulfon-Metabolite. Sie reicherten sich selektiv in den Schleimhäuten der Atemwege wie Nase-, Rachenraum, Bronchialwege, Lungengewebe, im Darm, der Leber und Niere an, praktisch in allen Organen. Fehle die Glutathion-Transferase Pi, die im Organismus außer der Leber in allen Organen vorkomme, würden Symptome, Störungen und Erkrankungen auftreten. Im Falle des Klägers reagierten gerade die Organe sensibel auf PCB, die auf die Pi-Transferase zur Entgiftung angewiesen seien. Dies seien Herz, Hirn, Hautimmunsystem, Magen, Darm, Harnblase und Gelenkhäute. Alle die von dem Kläger angegebenen Symptome seien wissenschaftlich erklärbar. Sie seien Ausdruck dafür, dass alle sog. einzelnen Organerkrankungen und -beschwerden eine Einheit darstellten und nicht als schicksalhafte Einzelerkrankungen gelten könnten. Hirn und Herz enthielten die Transferasen Pi und M1 (My, µ) als Entgiftungsenzyme. Fehle nur ein Enzym, könne wegen seiner überlappenden Funktion das andere kompensatorisch einspringen. Fehlten beide Enzyme, wie bei dem Kläger, sei das Erkrankungsrisiko beider Organe unter Schadstoffbelastung sehr hoch. PCB-Konzentrationen, die durch gute Entgifter komplikationslos vertragen und ausgeschieden werden könnten, müssten bei dem Kläger mit großer Wahrscheinlichkeit zu Erkrankungen des Hirnes und Herzens führen. Der Kläger sei 1986 an Herzrhythmusstörungen erkrankt, damals sei er erst 39 Jahre alt gewesen. Bakterielle, virologische oder andere entzündliche Hinweise hätten nicht vorgelegen. Da ein Granulom an der Zahnwurzel vorgelegen habe, sei dieses als Auslöser angesehen worden. Anamnestisch falle aber auf, dass schon 1982 Herzschmerzen, -jagen und niedrige obere Blutdruckwerte von 80 bis 90 Torr aufgetreten seien. Dieser für einen 35jährigen sporttreibenden Mann ungewöhnliche Befund signalisiere die toxische, nicht entgiftungsfähige PCB-Belastung. Die vier Jahre später einsetzenden Herzrhythmusstörungen seien das Endglied der Kette. Auch das zentrale Nervensystem mit dem gleichen Transferasenmuster habe schon 1980 mit ersten Symptomen der mentalen Leistungsfähigkeit (Sprachstörung) und vegetativen Symptomen (Schwitzen, Schwäche, Erschöpfbarkeit) reagiert. Die Toxizität der einzelnen PCB-Kongenere, von denen es 209 gebe, hänge von der Anzahl der Chloratome und ihrer Position im Biphenylring ab. Besonders toxisch, weil dioxinähnlich, seien die PCB 77, 126 und 169. In einer Luftanalyse vom 6. Januar 1993 seien diese jeweils mit Konzentrationen von 41,3 ng/m3 nachgewiesen worden. Diese drei sog. koplanaren PCB stimulierten sehr stark die Phase-I-Reaktion, also die Entgiftungsreaktion über den Ah-Rezeptor. Andere PCB wie die Gruppe der di- und polyortho-substituierten seien wiederum neurotoxischer, da sie die Übertragung der Hirnbotenstoffe (Neurotransmitter) blockierten. Die D2-Rezeptor-Szintigraphie bei dem Kläger habe eine solche Störung nachgewiesen. Aus der Literatur bekannte Daten belegten folgende PCB-Wirkungen: 1. Koplanare PCB: hepatotoxisch, immuntoxisch und karzinogen. 2. andere di-ortho- und poly-ortho-substituierte PCB-Kongenere: neurotoxische Wirkungen und eine Sensibilitätssteigerung der Katecholaminrezeptoren durch Beeinflussung der Katecholamine. Bei dem Kläger liege eine berufsbedingte chronische PCB-Intoxikation mit den Folgekrankheiten vor:
Encephalo-, Neuropathie Stadium IIb,
Arthromyopathie (Gelenk-, Muskelerkrankung),
chronisch rezidivierende Blasenentzündung mit Ausbildung eines Papilloms,
chronische Magen-, Darmschleimhautentzündung,
toxische Myokarditis mit Hypotonie,
Erschöpfungs-Syndrom,
Hypercholesterolämie,
chronische Dermatose (Hauterkrankung),
Immunschwäche-Syndrom,
Sicca-Syndrom der Schleimhäute,
hyperreagibles Bronchialsystem,
Entgiftungsschwäche in der Phase-II-Entgiftung.
Keine dieser Erkrankungen sei spezifisch für PCB. Sie könnten, bezogen auf die Organe, auch durch andere Ursachen wie Lösemittel, Holzschutzmittel, zum Teil durch Genussmittel und andere Ursachen ausgelöst worden sein. Das Krankheitsspektrum, die chronologische Krankheitskette, die entsprechend der Who-Empfehlungen analysierten Entgiftungsparameter und die Organverteilung der Entgiftungsenzyme sprächen mehr für die PCB-Exposition als Ursache als für das Auftreten schicksalhafter Einzelerkrankungen. Bei dem Kläger liege die BK nach Ziffer 1302 ab 1980 und nach Ziffer 1317 seit 1984 vor. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) des Klägers betrage insgesamt seit 1993 40 v.H. und seit 1998 70 v.H.
Auf Empfehlung des Dozenten Dr. S. hat das SG von Amts wegen ein toxikologisches Gutachten von Prof. Dr. T., T-Stadt, vom 29. August 1999 eingeholt. Dieser bejahte das Vorliegen einer BK im Sinne der Ziffer 1302 der Anlage zur BKV und führte u.a. aus, das Auftreten von Blasentumoren werde bisher nur mit der Einwirkung von aromatischen Aminen, also Stickstoffverbindungen in Verbindung gebracht. Die neurotoxische Potenz der PCB, insbesondere die bei dem Kläger gefundenen Kongenere, sei bei der neurologischen Entwicklung von Kleinkindern und sogar Neugeborenen, deren Mütter PCB-exponiert gewesen seien, eindeutig nachgewiesen. Es seien mentale Effekte und sinkende bzw. herabgesetzte visuelle und Kurzzeitgedächtnisleistungen besonders aufgefallen. Die gleichen Symptome seien bei dem Kläger deutlich geworden. Auch ein erhöhtes Krebsrisiko sei in epidemiologischen Studien beschrieben worden. Die MdE des Klägers sei mit 70 v.H. zu bewerten. Mit den geschilderten Ausfällen auf kognitiver Ebene und den unberechenbaren Verhaltensweisen anderen Personen gegenüber sei zunächst von einer äußerst begrenzten Einsatzfähigkeit auszugehen. Da eine erneute Exposition zu einer weiteren Verschlechterung Anlass geben könne, sei jede Beschäftigung in einem Umfeld, in dem Einwirkungen nicht auszuschließen seien, z.B. in Bürogebäuden, nicht statthaft.
Die Beklagte hat eine Stellungnahme ihres Medizinischen Beraters Dr. U. vom 17. Dezember 1999 vorgelegt, der erklärte, bei einer täglich zweistündigen Exposition gegenüber 6.000 ng PCB könnten solche schweren Erkrankungen nicht verursacht werden, denn andere Arbeitnehmer blieben bei einer achtstündigen Exposition gegenüber 500.000 bzw. 1.000.000 ng PCB im Allgemeinen ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen. Zudem seien die Nahrungsmittel-PCB, die beim Kläger im Blut festgestellt worden seien, auffälliger als die Atemluft-PCB, was ebenfalls gegen eine berufliche Verursachung der Erkrankungen des Klägers spreche.
Prof. Dr. T. führte daraufhin unter dem 18. März 2000 aus, es sei spekulativ davon auszugehen, dass 90 % der PCB aus der Nahrungskette stammten. Im Übrigen stellten diese 90 % bereits eine Belastung dar, kämen Belastungen am Arbeitsplatz hinzu, handele es sich hierbei um eine typische geeignete Mitursache. Im Übrigen gebe es keine Belege dafür, dass unterhalb des Grenzwertes keine spezifischen Störungen, Schädigungen oder Krankheiten aufträten. Hinzu komme, dass eine einmalige Blutwertbestimmung wegen gewisser Fehlerbreiten des Laborwertes nicht so aussagekräftig seien, dass sie mit Mittelwerten aus größeren Untersuchungsreihen direkt in Beziehung gesetzt werden könnten.
Das SG hat durch Urteil vom 11. Oktober 2000 die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, "beim Kläger die Voraussetzungen der BK-Nr. 1302 und Nr. 1307 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen sowie eine Verletztenrente ab dem 1. Juni 1993 nach einer MdE von 40 % und ab dem 1. Januar 1998 nach einer MdE in Höhe von 70 % zu zahlen". Soweit der Kläger bereits ab Mai 1993 Entschädigungsleistungen begehrt hatte, hat es die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat sich das SG den Beurteilungen des Dozenten Dr. S. und des Prof. Dr. T. angeschlossen.
Gegen das ihr am 17. November 2000 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 11. Dezember 2000 am 12. Dezember 2000 beim SG Berufung eingelegt und zur Begründung ihrer Berufung eine Stellungnahme des Facharztes für Pharmakologie und Toxikologie Prof. Dr. V., V-Stadt, vom 4. April 2001 vorgelegt. Dieser hat ausgeführt: Die akute Toxizität der PCB sei gering. Dementsprechend lägen für mögliche toxische Auswirkungen einer akuten Exposition von PCB auf den Menschen keine Angaben vor. Über die toxischen Wirkungen hoher Dosen von PCB nach wiederholter subakuter Zufuhr beim Menschen lägen Daten aus einer Massenvergiftung des Jahres 1968 in Yusho in Japan vor, bei der über 10.000 Personen über den Genuss von Speiseöl erkrankt seien, das wegen eines Lecks in einer Reisölfabrik mit PCB verunreinigt gewesen sei und rund 430 mg/l PCB enthalten habe. Diese Vergiftung habe sich in Form von Chlorakne und anderen ähnlichen Hautveränderungen, einer Hyperpigmentierung einzelner Hautpartien, in Haarausfall, Verdickung und Verfärbung der Finger- und Zehennägel, Entzündungen der Augenbindehaut und Schwellung der Augenlider, diversen subjektiven Beschwerden in Zusammenhang mit neuronalen Schädigungen, respiratorischen Problemen, Leberschädigungen, Fortpflanzungsstörungen und immunologischen Defekten gezeigt. Schätzungen hätten ergeben, dass die Betroffenen 200 bis 800 mg PCB aufgenommen hätten, die tägliche Aufnahmemenge habe weit mehr als das Tausendfache dessen betragen, was im Allgemeinen die Bevölkerung hier zu Lande aufnehme. Zu einer ähnlichen Massenvergiftung sei es zehn Jahre später auf der Insel Taiwan gekommen. Die hier geschätzten Werte der Gesamtaufnahme von PCB hätten 700 bis 1.840 mg betragen, die Aufnahmedauer habe sich über einige Wochen bis Monate erstreckt. Die Vergiftungserscheinungen seien gleicher Art gewesen wie in Japan. Berufliche Belastungen mit PCB seien seit Ende der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts vor allem in der Elektroindustrie bei der Herstellung und Reparatur von Kondensatoren und Transformatoren vorgekommen. Die betroffenen Arbeiter hätten vielfach auch intensiven Hautkontakt mit dem Stoff gehabt und PCB nicht nur aufgrund einer Exposition über die Luft aufgenommen. Auch Bergleute seien durch den Umgang mit Hydraulikölen und Arbeiter, die in der Produktion von PCB tätig gewesen seien, gegenüber diesem Stoff exponiert gewesen. Die Luftkonzentrationen an PCB hätten, soweit sie bestimmt worden seien, zwischen 70.000 bis 11.000.000 ng/m3 und 48.000 bis 275.000 ng/m3 betragen. Bei den am Arbeitsplatz belasteten Personen seien die PCB-Konzentrationen im Serum, Blut und teilweise auch im Fettgewebe bestimmt worden. Die Werte hätten bei diesen Personen dreifach höher, aber auch zehn- bis hundertfach höher gelegen als bei nicht PCB-belasteten Vergleichskollektiven. Von James et al. (1993) seien 31 Studien über berufsbedingte, höhere Belastungen durch PCB bei Menschen dargestellt und beurteilt worden. Diese Studien stammten aus den USA, Japan, Australien, Italien und Schweden und umfassten insgesamt 20.966 Personen. Bei kritischer Auswertung all dieser Daten kämen James et al. zu dem Schluss, dass nur Veränderungen der Haut eindeutig auf eine gewerbliche Belastung mit PCB zurückgeführt werden könnten, nämlich Dermatitis, zeitweise Entzündungen oder Ödeme der Haut und der Augen, eine Verdickung der Haut und der Fingernägel und Chlorakne. Diese Veränderungen träten auch nur bei Arbeitsgruppen mit einer relativ hohen dermalen oder inhalativen Exposition auf. Alle übrigen vermuteten Schadwirkungen von PCB wie Störungen der Leberfunktion, Beeinträchtigungen des Fettstoffwechsels, des Immunsystems und des Nervensystems seien nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die im beruflichen Bereich aufgetretenen Belastungen mit PCB zurückzuführen. Zum gleichen Ergebnis kämen Swanson et al. (1995) nach einer zusammenfassenden Beurteilung von 39 Studien über berufsbedingte höhere Belastungen durch PCB bei Menschen. Diese Ansicht werde bis heute in wissenschaftlichen Schriften geteilt. In Deutschland seien die Auswirkungen von extrem hohen PCB-Raumluftbelastungen in Schulen untersucht worden. Die Studien seien zu dem Ergebnis gelangt, dass selbst extrem hohe PCB-Raumluftbelastungen, denen die Betroffenen über viele Jahre hinweg ausgesetzt gewesen seien, nicht zu einer nachweisbar erhöhten PCB-Körperbelastung geführt hätten. Über Gesundheitsstörungen der diesen Raumluftbelastungen ausgesetzten Personen werde weder in der Studie von Ewers et al. (1998) noch in den übrigen Studien irgendetwas berichtet. Ewers et al. wiesen darauf hin, dass die nach der PCB-Richtlinie zu ergreifenden Maßnahmen weit im Bereich der Gesundheitsvorsorge lägen und nicht der Abwendung konkret toxischer Gefahren dienten. Bei der Beurteilung der toxischen Gefahren von PCB sei zu unterscheiden zwischen der Belastung durch einen direkten Umgang mit diesen Verbindungen bei deren Produktion und Verarbeitung und einer PCB-Belastung durch Emissionen durch Baumaterialien oder anderen Quellen, wie dies im Falle des Klägers der Fall gewesen sei. Die Maximalkonzentration an PCB, der der Kläger während seiner Berufstätigkeit ausgesetzt gewesen sei, habe knapp 1 % des MAK-Wertes für chlorierte Biphenyle mit einem Chlorgehalt von 42 % und knapp 2 % des MAK-Wertes für chlorierte Biphenyle mit einem Chlorgehalt von 54 % betragen. Der Nummern-Code der PCB gebe Aufschluss über den Chlorierungsgrad. Je höher die Nummer, desto höher sei dieser und schwer flüchtiger die Verbindung. Üblicherweise würden bei PCB-Bestimmungen die sechs Kongeneren Nrn. 28, 52, 101, 138, 153 und 180 bestimmt und aus diesen nach einem bestimmten Verfahren die PCB-Gesamtsumme errechnet. Die niedriger nummerierten Kongenere seien flüchtiger als die höher nummerierten, Raumluftverunreinigungen durch PCB hätten eine Kongenerenverteilung hin zu den leichter flüchtigen Typen, da die leichter flüchtigen Komponenten vermehrt an die Raumluft abgegeben würden. Diese Tatbestände seien für die Beurteilung der bei dem Kläger vorgenommenen Blutanalysen auf PCB von Bedeutung. Die erste Analyse während des stationären Aufenthaltes in der Neurologischen Klinik Kassel im März 1994 hätten auch nach Aussage des Laborleiters Dr. R. noch im Normbereich gelegen, eine Aussage über ihre Herkunft könne aufgrund dieser Werte nicht getroffen werden. Die leicht flüchtigen Kongenere 28, 52 und 101 hätten unterhalb der Nachweisgrenze gelegen. Messbare Konzentrationen hätten sich nur bei den drei höher chlorierten Kongeneren Nrn. 138, 153 und 180, die vorwiegend mit der Nahrung aufgenommen würden, gefunden. Die zwei Monate später erfolgte zweite Blutbestimmung auf PCB im Labor von Dr. W. in W-Stadt am 18. Mai 1994 habe für die niederchlorierten Kongenere entsprechende Ergebnisse erbracht, die Werte für die Kongenere 138, 153 und 180 hätten deutlich niedriger gelegen. Dennoch seien die Werte von dem W-Stadter Labor oberhalb des Referenzbereiches eingestuft worden. Eine zweite Untersuchung des gleichen Labors am 3. November 1994 habe deutlich niedrigere Werte ergeben. Nur die Nrn. 183 und 153 hätten um 12 bzw. um 17 % den Referenzbereich überschritten. Die von dem W-Stadter Labor zugrunde gelegten Referenzwerte lägen jedoch höher als die Referenzwerte, die in einer Laborvergleichsuntersuchung von Kappos et al. (1998) ermittelt worden seien. Es sei festzustellen, dass die bei dem Kläger festgestellten Konzentrationen an PCB, wenn überhaupt, nur geringfügig erhöht gewesen seien und keinesfalls die Werte annähernd erreichten, die bei Arbeitnehmern mit PCB-bedingten Schadwirkungen erreicht worden sind. Die Ergebnisse der PCB-Analysen in der Arbeitsplatzluft des Klägers sowie die in seinem Blut festgestellten Werte machten folglich eine schädigende Einwirkung nicht wahrscheinlich (haftungsbegründende Kausalität). Die für eine PCB-Einwirkung typischen Gesundheitsstörungen, Veränderungen der Haut und der Nägel sowie Entzündungen der Augenbindehaut und Schwellungen der Augenlider seien bei dem Kläger nicht festgestellt worden. Die übrigen diagnostizierten Erkrankungen und Erkrankungserscheinungen des Klägers wie Schluckbeschwerden, Brennen der Rachenschleimhaut, bronchiale Hyperreagibilität, supraventrikuläre Tachykardie bei Vorhofflimmern, Myokarditis, Schulter-Arm-Syndrom, Harnblasenpapillom, Lendenwirbelsäulen(LWS)-Syndrom, somatisierte Depression, sensible Neuropathie, Hypochondrie, rezidivierende Gastritis, Hämorrhoiden, Verdauungsstörungen, Myopathie, Leistungs- und Wesensänderungen, mäßiggradige Osteochondrose und Hypercholesterinämie ließen sich mit der im BK-Recht erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht auf eine PCB-Belastung zurückführen (haftungsausfüllende Kausalität), auch wenn diese so hoch gewesen wäre, dass Schädigungen durch sie hätten verursacht werden können. Eine BK im Sinne der Nr. 1317 der Anlage zur BKV (Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische) komme im Falle des Klägers nicht in Betracht, weil polychlorierte Biphenyle nicht zu den organischen Lösungsmitteln zu zählen seien, PCB seien keine Lösungsmittel und könnten dies allein schon wegen ihrer Konsistenz nicht sein.
Der Senat hat von Amts wegen von Prof. Dr. X., Abteilung Pharmakologie und Toxikologie an der Universität Ulm, ein Gutachten eingeholt. Im toxikologischen Zusammenhangsgutachten vom 8. August 2004 ist Prof. Dr. X. zu der Beurteilung gelangt, trotz einer bekanntermaßen hohen Toxizität der PCB und trotz der relativ hohen Raumluftkonzentrationen an diesen Schadstoffen im früheren Arbeitsbereich des Klägers seien die in seinem Organismus festgestellten Konzentrationen an PCB nicht geeignet, die beim Kläger vorliegenden Erkrankungen auszulösen. Weiterhin stimme das Muster der in der Raumluft ermittelten Kongenere nicht mit demjenigen kongeneren Muster überein, das im Organismus des Klägers festgestellt worden sei. Die PCB-Exposition, welcher der Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit für die C. bzw. D. ausgesetzt gewesen sei, sei mit Wahrscheinlichkeit nicht geeignet, die von Dozent Dr. S. diagnostizierten Erkrankungen des Klägers zu verursachen. Den Ausführungen des Prof. Dr. V. stimmte Prof. Dr. X. hinsichtlich des Inhalts und der Schlussfolgerungen ausdrücklich zu.
Der Senat hat von Prof. Dr. T. und Dozent Dr. S. zu den Ausführungen des Prof. Dr. V. und dem Gutachten des Prof. Dr. X. Stellungnahmen eingeholt. Prof. Dr. T. hat unter dem 25. November 2004 u.a. ausgeführt, die Interpretation der bei dem Kläger ermittelten Messwerte als "im Normbereich" könne schon deshalb nicht zutreffen, weil es für Menschen keinen Normbereich gebe, es gebe keine Möglichkeit, die Wirkungen der nicht gemessenen Verbindungen der insgesamt 209 existierenden Kongeneren generell auszuschließen, da nur einige bestimmt worden seien, was einer Konvention entspreche, aber sich im Einzelfall gerade als untauglich für Bewertungen erweise. Der gravierende Fehler der toxikologischen Bewertung bestehe darin, dass immer von im zirkulierenden Blut gemessenen Werten auf die Belastung des Körpers und sogar des Nervensystems geschlossen werde. Zu berücksichtigen sei, dass nicht zirkulierende PCB im Fettgewebe insbesondere des Nervensystems auch dann wirksam seien, wenn kein Nachweis im Blut möglich sei. Dies komme hauptsächlich in Fällen vor, bei denen aufgrund einer durch toxische Wirkungen gestörten bzw. genetisch bedingten mangelhaften Ausscheidung die metabolische Konjugierung nicht erfolge, so dass die Substanzen dann doch im Körper verblieben und vor Ort schädigend wirkten. Sie seien dann auch nicht im Blut zu finden. Der wesentliche Nachweis eines prinzipiellen Wirkungsmechanismus erfolge durch deutsche Wissenschaftler im Tierversuch mit Frettchen. Bei Frettchen sei nach fünf Jahren Einwirkung niedriger Konzentration von PCB in einem Hirnnerven hohe Mengen der ausschließlich inhalierten PCB akkumuliert gefunden worden. Die Untersuchungen hätten belegt, dass Werte im zirkulierenden Blut die Belastung des Nervengewebes nicht widerspiegeln könnten. Die Untersucher hätten hierfür ausdrücklich die schützende Rolle der Blut-Hirn-Schranke angeführt. Im Falle des Klägers sei wegen der fehlenden Hautsymptome eher davon auszugehen, dass für solche schweren Erscheinungen notwendige Expositionen tatsächlich nicht vorgekommen seien, während die Kongeneren mit kurzer Halbwertzeit – im Blut nicht auffindbar – inzwischen bereits im Nervensystem gespeichert worden seien und dort zu den wesentlichen Symptomen geführt hätten, die im Falle des Klägers im Vordergrund stünden und sämtlich zu einer versagenden Gesamtregulation des vom biologischen Alter noch jugendlichen Körpers geführt hätten. Seegal (1996) und Angus (1996) hätten berichtet, dass wiederholte PCB-Expositionen – wie am Arbeitsplatz wahrscheinlich – die Botenstoffe des Gehirns (brain-Transmitters) bei Tier und Mensch beeinträchtigten. Dies führe zu Veränderungen der Hirn-Neurochemie. Hierdurch seien nicht nur Wesensänderungen, sondern auch die multiplen Störungen infolge gestörter Selbstregulation des Körpers (autonomes Nervensystem) in Form der von dem Kläger geschilderten Symptomen erklärbar, wie Schleimhautbefunde (Sicca-Syndrom), hyperreagibles Bronchialsystem, Immunschwächesyndrom, Erschöpfungssyndrom, Herzrhythmusstörungen, aber auch Polyneuropathie, mit der Folge von rezidivierenden Entzündungen im Magen-, Darm- und Harnblasenschleimhautbereich, die von den Toxikologen nicht gewürdigt worden seien.
Dozent Dr. S. hat in seiner Stellungnahme vom 5. September 2005 seine Aussage nochmals bekräftigt, dass das Fehlen von Entgiftungsenzymen die Toxizität eines Stoffes erhöhen könne. So sei bei Patienten mit Morbus Parkinson ein erhöhtes Risiko gegen neurotoxische Pestizide gefunden worden, wenn ihnen die Glutathion Transferase M1 fehlte. Das Fehlen dieses Enzyms erhöhe auch das Erkrankungsrisiko bei lösemittelexponierten Personen für toxische Enzephalopathien. Ob ein Individuum erkranke, hänge nicht in entscheidender Weise von der Expositionshöhe und –dauer ab. Chlororganische Substanzen seien in der Lage, oxidativen Stress auszulösen. Dieser habe stets Auswirkungen auf die Mitochondrienfunktion, erst recht, wenn diese an Polyenfettsäuren in der inneren Mitochondrienmembran verarmten. Hierzu zählten das chronische Müdigkeits- und Erschöpfungssyndrom. Die niedrige Blutdrucklage und die Reaktion auf Speiseeis seien bei dem Kläger Ausdruck einer vegetativen Nervenstörung infolge der PCB-Toxizität. Multisystemerkrankungen würden meist wegen mangelhafter umweltmedizinischer Kenntnisse nicht auf berufsbedingte Gewerbegifte bezogen. Grundlegende Diagnosen würden als schicksalhafte Einzelerkrankungen zergliedert oder dem psychosomatischen Formenkreis zugeordnet.
Die Beklagte hat zur Zusammenhangsfrage eine Stellungnahme des Priv.-Doz. Dr. Y., Kommissarischer Leiter des Instituts in der Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der Justus-Liebig-Universität Gießen, vom 18. Juli 2005 vorgelegt. Dieser gelangte zu der Beurteilung, der Kläger sei während seiner beruflichen Tätigkeit einer PCB-Belastung ausgesetzt gewesen, die deutlich über derjenigen der Allgemeinbevölkerung gelegen habe. Deshalb sei die haftungsbegründende Kausalität für die BK-Nr. 1302 der Anlage zur BKV gegeben. Jedoch könne die haftungsausfüllende Kausalität nicht mit Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Bei PCB-Exponierten stünden akneähnliche Hautveränderungen wie Chlorakne im Vordergrund. Als weitere Beschwerden und Erkrankungen würden Appetitlosigkeit, Übelkeit mit Brechreiz, Ödeme an Gesicht und Händen, häufig Leberschädigungen mit Nekrosen, Hämaturie, Impotenz und vereinzelt Gedächtnisstörungen genannt. Auch sensorische Nervenschäden würden beobachtet. Die Expositionsintensitäten bei den in der Literatur beschriebenen Erkrankungsfällen seien jedoch nicht mit der beruflichen PCB-Belastung am Arbeitsplatz des Klägers gleichzusetzen. Die einzelnen Erkrankungen seien nach einer Exposition von einer wesentlich höheren Dosis aufgetreten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 11. Oktober 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für rechtens und sieht seine Auffassung bestätigt durch die gutachterlichen Stellungnahmen des Dozenten Dr. S. und des Prof. Dr. T.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die zum Verfahren beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Urteil des SG war aufzuheben und die Klage abzuweisen, denn das Vorliegen einer BK kann bei dem Kläger nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden.
Eine BK nach Ziffer 1317 der Anlage zur BKV, eine Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische, kommt bei dem Kläger schon deshalb nicht in Betracht, weil PCB kein organisches Lösungsmittel ist. Dies hat Prof. Dr. V. unwidersprochen dargelegt.
Das Vorliegen einer BK im Sinne der Ziffer 1302 der Anlage zur BKV, Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe, konnte nicht nachgewiesen werden, weil die bei dem Kläger diagnostizierten Gesundheitsstörungen und die von ihm geklagten Beschwerden nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die PCB-Exposition während der beruflichen Tätigkeit des Klägers zurückgeführt werden können.
Der Kläger war während seiner Tätigkeit im Bezirk des Fernmeldeamtes B-Stadt gegenüber PCB exponiert. In den Gebäuden der einzelnen Vermittlungsstellen wurden 1992 und 1993 PCB-Messungen durchgeführt. In der Vermittlungsstelle C-Stadt, in der sich der Kläger über fünf Monate aufhielt, wurden PCB-Raumluft-Konzentrationen von 9.260 ng/m3 Raumluft gemessen. In der Vermittlungsstelle DX-Stadt wurden Werte von bis zu 5.890 ng/m3 ermittelt. Dort hat der Kläger elf Jahre gearbeitet. Sein Arbeitsplatz befand sich in einem fensterlosen Kellerraum, der nur mittels Umluft belüftet wurde. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger während seiner Tätigkeit in den Vermittlungsstellen beim Fernmeldeamt B-Stadt einer PCB-Exposition in der Raumluft von bis zu 10.000 ng/m3 ausgesetzt war. Nach Auskunft des Priv.-Doz. Dr. Y. wurden in der sog. "Reinluft" im Außenbereich von ländlichen Gebieten PCB-Konzentrationen von ca. 0,03 bis 20 ng/m3 Atemluft nachgewiesen. In Innenräumen sind Messwerte von 0,03 bis 200 ng/m3 Raumluft üblich. Die PCB-Konzentrationen können auf Werte von 10.000 ng/m3 und darüber ansteigen, wenn in den Räumen Kondensatoren oder PCB-haltige Dichtungsmassen vorhanden sind. In Deutschland nehmen Erwachsene über die Nahrung im Durchschnitt etwa 100 ng PCB pro kg Körpergewicht auf. Der ADI-Wert (acceptable daily intake) liegt bei 1.000 ng pro kg Körpergewicht. Der Kläger war folglich während seiner beruflichen Tätigkeit bis zum 1. Mai 1993 einer PCB-Raumluftkonzentration ausgesetzt, die eindeutig über der PCB-Exposition lag, der die Allgemeinbevölkerung durch die Raumluft ausgesetzt ist.
Nach Auskunft des Prof. Dr. V. und des Priv.-Doz. Dr. Y. wurden Erkenntnisse über die chronische Toxizität von PCB gewonnen, nachdem 1968 in Japan und 1979 in Taiwan Massenvergiftungen durch PCB kontaminiertes Reisöl hervorgerufen worden waren. Charakteristische Gesundheitsstörungen nach PCB-Exposition waren verschiedene Formen der Leberschädigung, eine Chlorakne, eine Hyperpigmentierung der Haut, Haarausfall, Verdickung und Verfärbung der Nägel, Entzündungen der Augenbindehaut, Ödeme an Gesicht und Händen. Außerdem traten sensorische Neuropathien, Beschwerden wie Müdigkeit, Schwächegefühl, Übelkeit mit Brechreiz, Impotenz und eine Hämaturie auf. Bei 28 von 2.000 Personen, die in Taiwan mit PCB intoxitiert worden waren, kam es zu neurologischen Erkrankungsmanifestationen. Bei nach vier Jahren durchgeführten Kontrolluntersuchungen litten von diesen Personen 54 % unter peripheren sensorischen Neuropathien.
Ausweislich der zu den Akten gelangten ärztlichen Befundberichte wurden bei dem Kläger keine für die Einwirkung von PCB typischen Hautveränderungen, Veränderungen an den Nägeln, den Augen oder ödematöse Erscheinungen an Gesicht und Händen festgestellt. Es ergaben sich auch keine Hinweise auf eine Leberschädigung, die leberspezifischen Blutwerte waren jeweils im Normbereich. Bei abdominalen Untersuchungen zeigten sich keine Besonderheiten. Der Internist Dr. G., der den Kläger nach Bekanntwerden der PCB-Belastung am Arbeitsplatz auf Leberschäden speziell untersucht hatte, hat in seinem Bericht vom 31. Juli 1993 mitgeteilt, dass weder die Blutuntersuchungen noch eine Sonographie des Abdomens Nachweise von Leberveränderungen erbracht haben. Die bei dem Kläger aufgetretenen Harnblasenpapillome sind nach Auskunft des Prof. Dr. T. und des Priv.-Doz. Dr. Y. nicht mit einer erhöhten PCB-Aufnahme assoziiert. Prof. Dr. T. teilt mit, das Auftreten von Blasentumoren werde bisher mit der Einwirkung von aromatischen Aminen, d.h. Stickstoffverbindungen, in Verbindung gebracht. Auch die bei dem Kläger diagnostizierte bronchiale Hyperreagibilität, die supraventrikuläre Tachykardie bei Vorhofflimmern und die Myokarditis, das Schulter-Arm-Syndrom und LWS-Syndrom, die Hämorrhoiden, die Hypercholesterinämie und die erosive Atrumgastritis mit Refluxösophagitis sind keine Gesundheitsstörungen, die für PCB spezifisch sind. Dies räumt auch Dozent Dr. S. ein.
Dies gilt auch für das von Dozent Dr. S. bei dem Kläger diagnostizierte Erschöpfungssyndrom. Hierzu hat Priv.-Doz. Dr. Y. ausgeführt, Symptome wie Müdigkeit, Schwächegefühl und Kopfschmerzen seien unspezifischer Art und in ihrer Ausprägung subjektiv empfunden. Mit diesen Symptomen könnten verschiedene medizinische Diagnosen einhergehen. Im Falle des Klägers finden sich nach Aussage des Priv.-Doz. Dr. Y. als organisch fassbare Ursachen der verminderten körperlichen Belastbarkeit ein Zustand nach Myokarditis sowie die absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern. Anlässlich eines stationären Aufenthaltes des Klägers in der Neurologischen Klinik der Städtischen Kliniken Kassel im März 1994 wurde eine sensible Polyneuropathie diagnostiziert. An objektiven Befunden wurde eine pathologisch verminderte Nervenleitgeschwindigkeit der beiden Schienbeinnerven und des Wadenbeinnervs rechts nachgewiesen. Die bei dem Kläger diagnostizierten und von ihm beschriebenen neurologischen Symptome als auch die von dem Kläger berichteten Allgemeinsymptome können nach übereinstimmender überzeugender Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. X. und der von der Beklagten gehörten Beratungsärzte Prof. Dr. V. und Priv.-Doz. Dr. Y. nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die berufliche PCB-Belastung des Klägers zurückgeführt werden, weil die Stärke der PCB-Vergiftung abhängig ist von der aufgenommenen Menge und die Höhe der Gefahrstoffexposition am Arbeitsplatz des Klägers als auch die Höhe der PCB-Gehalte im Blut des Klägers nicht geeignet waren, die bei dem Kläger festgestellten Erkrankungen zu verursachen. Die bei den Massenvergiftungen in Japan und Taiwan pro Person aufgenommenen PCB-Mengen wurden nach Auskunft des Prof. Dr. V. insgesamt auf 200 bis 800 ng bzw. auf 700 bis 1.840 ng PCB geschätzt. Im letzteren Fall wurden im Blut der Betroffenen PCB-Konzentrationen zwischen 3.000 und 1.156.000 ng/l gemessen. Auch die im Tierversuch beobachteten Erkrankungen, wie z.B. neurogene Demyelinisierungen, wurden bei deutlich höheren Dosen beobachtet. Nach Auskunft des Priv.-Doz. Dr. Y. lagen diese im Allgemeinen bei etwa 100 mg/kg Körpergewicht und damit um mehr als den Faktor 10.000 oberhalb der im Falle des Klägers gemessenen Blutwerte. Er führt aus, PCB-spezifische Symptome seien bei Patienten beobachtet worden, die einer um mehr als den Faktor 1.000 höheren PCB-Einwirkung ausgesetzt gewesen seien, als der Kläger. Dies gelte sowohl für die Höhe der Gefahrstoffkonzentration am Arbeitsplatz als auch für die Höhe der PCB-Gehalte im Blut. Priv.-Doz. Dr. Y. weist ebenso wie Prof. Dr. V. darauf hin, dass die Summe der bei dem Kläger im Blut gemessenen Werte der PCB-Kongenere unter dem Referenzwert für die Summe der PCB liegt, den die Wissenschaftler Kappos et al. bei ihrer Untersuchung für einen 47jährigen Mann ermittelt haben.
Die Ansicht des Dozenten Dr. S. und des Prof. Dr. T., im Falle des Klägers sei wegen des Vorliegens einer Entgiftungsschwäche die Exposition gegenüber PCB als solche und nicht die Höhe der Gefahrstoffexposition entscheidend, konnte den Senat nicht überzeugen. Zum einen ist unstreitig, dass es sich bei der bei dem Kläger vorgefundenen Enzymausstattung lediglich um eine normale Variante handelt, die sich auch in einem hohen Prozentsatz der Bevölkerung findet. Deshalb kann, worauf Prof. Dr. V. und Prof. Dr. X. hinweisen, nicht davon ausgegangen werden, dass bei Personen mit von der Norm abweichender Enzymausstattung die allgemeinen Richt- und Grenzwerte nicht gelten. Außerdem haben Prof. Dr. V. und Prof. Dr. X. dargelegt, dass die Annahme, der Ausfall eines Enzyms führe zwangsläufig zu einer Erhöhung der toxischen Wirkung eines Schadstoffes, nicht allgemein wissenschaftlich anerkannt ist, vielmehr kann der Ausfall eines fremdstoffmetabolisierenden Enzyms unter Umständen sogar zu einer Veränderung der toxischen Wirkung eines Schadstoffes führen die die Giftigkeit nicht verstärkt, sondern abschwächt. Der Fundamentalansatz der Toxikologie, wonach die toxische Wirkung im Einzelfall in entscheidender Weise von der Expositionshöhe und dauer abhängt, ist folglich auch im Falle des Klägers nicht außer Kraft gesetzt.
Der Senat ist deshalb unter Berücksichtigung der von den einzelnen Sachverständigen vorgetragenen Argumente zu dem Ergebnis gelangt, dass zwar einzelne bei dem Kläger vorhandene Symptome (die sensible Neuropathie und die Allgemeinsymptome) auch infolge einer PCB-Vergiftung auftreten können, dies jedoch eine wesentlich höhere PCB-Exposition als im Falle des Klägers voraussetzt und auch die bei dem Kläger im Blut gemessene PCB-Konzentration eine andere Bewertung nicht zulässt, weil die Referenzwerte allenfalls gering überschritten worden sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG), die über die Nichtzulassung der Revision aus § 160 SGG.
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