Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
18
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 18 U 307/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 U 441/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Feststellung eines Komplexen Regionalen Schmerzsyndroms (CRPS) als Folge des Arbeitsunfalls vom 30.10.2006 und die Gewährung von Verletztengeld über den 10.12.2006 hinaus sowie einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII).
Am 30.10.2006 erlitt die Klägerin einen Wegeunfall, bei dem sie sich nach dem Durchgangsarztbericht vom 31.10.2006 von Dr. T, Abt. Chirurgie/Unfallchirurgie des L-Hospitals gGmbH in V, eine Distorsion der Halswirbelsäule, Schürfwunden am Handgelenk bds., ein stumpfes Thoraxtrauma, ein stumpfes Bauchtrauma sowie beidseitige Knieprellungen zuzog. Aufgrund persistierender Schmerzen im rechten Handgelenk stellte sich die Klägerin im weiteren Verlauf bei diversen Ärzten vor. Diese schlossen einen unfallbedingten Schaden aus und empfahlen eine weitere Behandlung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (Dr. B-N, Bericht vom 22.01.2007; Drs. K/M, Bericht vom 09.03.2007). Erstmals stellte Prof. Dr. T1, Direktor der Neurologischen Klinik und Poliklinik – CRPS / Sudeckprojekt – F, im Bericht vom 19.01.2010 die Diagnose eines Morbus Sudek an der rechten Hand. Aussagen zur Verursachungskausalität machte der Mediziner in dem Bericht hingegen nicht. Im Bericht vom 26.01.2010 teilte der behandelnde Internist Dr. N, niedergelassen in V, mit, dass es sich bei den noch bestehenden Beschwerden im Handgelenk am ehesten um einen Folgezustand der beim Arbeitsunfall erlittenen Prellungen handele.
Der von der Beklagten hinzugezogene Beratungsarzt, der Chirurg und Unfallchirurg Dr. N1, beurteilte im Schreiben vom 03.05.2010, dass ein Morbus Sudek (CRPS = Complex Regional Pain Syndrome = Komplexes Regionales Schmerzsyndrom) nach einer Extremitätenprellung nicht ungewöhnlich sei. Zudem empfahl der Beratungsarzt eine Begutachtung der Klägerin. Die Klägerin reichte im weiteren Verlauf noch ein MDK-Gutachten vom 30.09.2009 und den Auszug eines REHA-Entlassungsberichts vom 30.03.2010 aus der Moorlandklinik C T zu den Akten.
In dem von der Beklagten veranlassten handchirurgischen Gutachten vom 19.08.2010 von Prof. Dr. T2, Direktor der Klinik für Plastische Chirurgie und Schwerbrandverletzte, Handchirurgisches Zentrum des Bergmannsheils C, kam der Mediziner zu dem Ergebnis, dass er Art und Ausmaß des Leidens der Klägerin nicht abschließend beurteilen könne. Für die Abklärung des Morbus Sudek sei ein schmerzmedizinisches Gutachten erforderlich. In dem daraufhin eingeholten schmerzmedizinischen Gutachten vom 10.12.2010 beurteilte Prof. Dr. N1, Leitender Arzt der Klinik für Anaesthesiologie, Intensiv-, Palliativ- und Schmerzmedizin im Bergmannsheil C, dass die erhobenen klinischen Befunde nicht die typischen Symptome eines CRPS zeigten. Zudem riet der Gutachter zu einer neurologisch-psychiatrischen Begutachtung. Es erfolgte dementsprechend eine Begutachtung durch Prof. Dr. U1, Direktor der Neurologischen und Poliklinik des Bergmannsheils C. Dieser kam in dem Gutachten vom 27.06.2011 zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin die Aufrechterhaltung bzw. Verschlimmerung körperlicher Symptome aus psychischen Gründen in Form von noch aktualisierten Entlastungs- und Versorgungswünschen ohne vom Unfall abhängige psychische oder neurologische Störungen von Krankheitswert bestünden. In einer weiteren Stellungnahme vom 08.11.2011 beurteilte Prof. Dr. T2, dass es sich bei der Erkrankung der Klägerin um eine unfallfremde Anlage handele, die allenfalls im Sinne eines Anlassgeschehens durch das Ereignis vom 30.10.2006 symptomatisch geworden sei. Bei dem Anlassgeschehen handele es sich um eine vorbestehende Anlage, die so gering sei, dass sie in naher Zukunft auch ohne das gegenständliche Ereignis symptomatisch geworden wäre.
Mit Bescheid vom 07.12.2011 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 30.10.2006 als Arbeitsunfall mit einer folgenlos ausgeheilten Halswirbelsäulendistorsion und multiplen Prellungen als Unfallfolgen an, lehnte aber die Konzentrationsstörung, die Kopfschmerzen, die Leberbelastung, die seelische Belastung, die Fingerpolyarthrose, die Rhizarthrose bds., die Gonarthrose bds., das chronische HWS-Syndrom, das chronische LWS-Syndrom, das Asthma bronchiale und den Z.n. Contusio cerebri bei Verkehrsunfall 1969 als Unfallfolgen ab. Zudem schloss die Beklagte das Vorliegen eines unfallbedingten CRPS aus. Zur Begründung verwies die Beklagte auf die von ihr eingeholten medizinischen Gutachten.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin insbesondere mit einem Gerichtsgutachten aus dem Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund mit dem AZ.: S 43 SB 2762/10 vom 04.06.2012 in welchem der Oberarzt von Prof. Dr. T1, Dr. N2, zwar keine akute wohl aber eine Residualsymptomatik eines CRPS an der rechten Hand beschrieb. Dieses Gutachten legte die Beklagte dem Nachfolger von Prof. Dr. T2, Prof. Dr. M1 , vor. Dieser kam in der Stellungnahme vom 24.10.2012 zu keiner anderen Auffassung als sein Vorgänger, da sich an der Befundlage nichts geändert habe.
Ein zwischenzeitlich beim SG Dortmund geführtes Eilverfahren, gerichtet auf die Gewährung einer Heilbehandlung im Zusammenhang mit dem von der Klägerin vorgebrachten CRPS, blieb ohne Erfolg (Beschluss des SG Dortmund vom 05.12.2012 – AZ.: S 18 U 781/12 ER).
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.03.2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung verwies sie auf die Stellungnahme von Prof. Dr. M1 , der in Kenntnis des Gutachtens von Prof. Dr. T1 zu keiner anderen Auffassung als sein Vorgänger Prof. Dr. T2 gekommen sei. Ein unfallbedingtes CRPS sei zu Recht abgelehnt worden, da ein entsprechender Unfallzusammenhang nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden könne. Es liege eine unfallfremde Anlage vor, die allenfalls im Sinne einer Gelegenheitsursache durch das Ereignis vom 30.10.2006 symptomatisch geworden sei. Das vorgelegte Gutachten von Prof. Dr. T1 aus dem Schwerbehindertenrecht berücksichtige nicht die Kausalitätsprüfungen nach der Theorie der rechtlich-wesentlichen Bedingung.
Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben.
Während des laufenden Klageverfahrens erließ die Beklagte am 24.01.2014 einen Bescheid, mit dem sie die Gewährung von Verletztengeld aufgrund der Diagnose "Morbus Sudeck rechte Hand" ablehnte. Statt einer Rechtsbehelfsbelehrung fügte die Beklagte dem Bescheid den Hinweis bei, dass der Bescheid zum Gegenstand des laufenden Klageverfahrens geworden sei.
Mit der Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren aus dem Verwaltungsverfahren weiter und verweist zu Begründung auf ein gerichtliches Gutachten von Prof. Dr. L1, niedergelassen in Erfurt, aus einem Verfahren vor dem Landgericht Dortmund (AZ.: 4 O 86/13) gegen die früher behandelnden Ärzte Dr. M3 und Hrn. K wegen einer vermeintlichen Fehlbehandlung (abweisendes Urteil vom 17.02.2016). Der Gutachter sei zu dem Ergebnis gekommen, dass bei der Klägerin ein CRPS vorliege.
Die Klägerin beantragt, unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 07.12.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.03.2013 und unter Einbeziehung des Bescheides vom 24.01.2014 festzustellen, dass die Klägerin unter einem durch den Arbeitsunfall vom 30.10.2006 verursachten Komplexen Regionalen Schmerzsyndrom (CRPS) leidet, und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin wegen der Unfallfolgen Verletztengeld über den 10.12.2006 hinaus sowie eine Verletztenrente zu leisten.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte beruft sich auf die Begründungen in den angefochtenen Entscheidungen sowie die Ausführungen der von ihr beteiligten Mediziner.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einholung von medizinischen Sachverständigengutachten sowie teilweise von ergänzenden Stellungnahmen einerseits auf Antrag der Klägerin von dem Unfallchirurgen und Sozialmediziner Dr. B, niedergelassen in L, und andererseits von Amts wegen von dem Handchirurgen Dr. T3, niedergelassenen in F.
Dr. B hat in seinem Gutachten sowie der ergänzenden Stellungnahme das Vorliegen eines CRPS im Stadium I in einem Residualzustand festgestellt. Aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhangs sei von einer zurechenbaren Verursachung durch das Unfallereignis auszugehen, zumal sich die Klägerin bei dem Unfall auch Verletzungen der Hände zuzog. Die Erkrankung habe eine Bewegungseinschränkung der rechten Hand nach sich gezogen, die mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) i.H.v. 30 v.H. zu bewerten sei.
Dr. T3 hat ausgeführt, dass er die Diagnose CRPS nicht mit der notwendigen Sicherheit stellen könne. Die anerkannten Diagnosekriterien seien dafür nicht im erforderlichen Ausmaß erfüllt. Zudem ließen sich die gesicherten Symptome auch durch eine andere unfallunabhängige Erkrankung in Form einer Polyarthrose an den Händen erklären.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Inhalte der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungs- sowie (unechte) Leistungsklage gegen den Bescheid vom 07.12.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.03.2013 und unter Einbeziehung des Bescheides vom 24.01.2014 ist zulässig.
Der Bescheid vom 20.03.2013 ist dabei nach Auffassung der Kammer gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des laufenden Klageverfahrens geworden.
Nach § 96 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt, der nach Klageerhebung ergeht, nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt.
Entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgericht (BSG) ersetzt der neue Bescheid den alten, wenn der neue Verwaltungsakt ganz an die Stelle des alten tritt und die Beschwer des Klägers vermehrt, in bisherigem Umfang bestätigt oder nur in geringem Umfange beibehält (BSG, Urteil vom 14.02.1989, AZ.: 7 Rar 62/87; Breitkreuz in Breitkreuz/Fichte, "SGG", § 96 Rdnr. 11). Dabei reicht es grundsätzlich, wenn der neue Verwaltungsakt zur Regelung desselben Rechtsverhältnisses – nicht notwendigerweise zu den gleichen Rechtsgrundlagen – ergangen ist (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, "SGG", 11. Auflage).
Der ältere Verwaltungsakt regelt die Anerkennung des Ereignisses vom 30.10.2006 als Arbeitsunfall mit den Unfallfolgen und lehnte die Anerkennung eines unfallbedingten CRPS sowie die Leistung einer Verletztenrente ab. Lediglich in der Begründung wurde eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit bis zum 10.12.2006 aufgeführt. Dabei kann es sich in Bezug auf die dargestellte Arbeitsunfähigkeit nicht um eine Regelung handeln, da dies eine unzulässige Elementenfeststellung wäre. Eine Entscheidung über die Leistung des begehrten Verletztengeldes wäre vorrangig. Mit dem neuen Bescheid wurde die frühere Entscheidung, dass bei der Klägerin kein unfallbedingtes CRPS vorliegt, bestätigt und die Leistung von Verletztengeld über den 10.12.2006 hinaus abgelehnt. Der Regelungsgehalt des Bescheides musste vom Gericht ausgelegt werden, da der ausdrückliche Wortlaut eine unzulässige Feststellung beinhaltet hätte. Die Klägerin kann keinen Anspruch auf Verletztengeld unter Beachtung nur einer bestimmten Erkrankung prüfen. Gemeint kann hier nur sein, dass der Verletztengeldanspruch unter Beachtung aller Unfallfolgen über den im alten Bescheid genannten (aber nicht geregelten) Zeitpunkt des 10.12.2006 hinaus abgelehnt werden sollte. Damit wurde zum einen die Feststellung in Bezug auf die nicht bestehende Unfallfolge eines CRPS wiederholt und zum anderen auch das Ende des Verletztengeldanspruchs – mangels einer anderen bescheidmäßigen Festlegung des Endes des Verletztengeldes am 10.12.2006 – geregelt, was allerdings für einen möglichen Verletzenrentenbeginn nach § 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII von Bedeutung wäre. Damit tangiert diese Regelung auch die Entscheidung der Beklagten über den Verletztenrentenanspruch aus dem früheren Bescheid.
Die Klage ist aber unbegründet.
Die Klägerin ist nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG beschwert, denn der angefochtene Bescheid vom 07.12.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.03.2013 und unter Einbeziehung des Bescheides vom 24.01.2014 ist rechtmäßig und verletzt sie nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Feststellung eines CRPS als Folge des Arbeitsunfalls vom 30.10.2006 oder die Gewährung von Verletztengeld über den 10.12.2006 hinaus bzw. einer Verletztenrente.
Die Klägerin hat durch den Unfall die von der Beklagten festgestellte folgenlos ausgeheilte Halswirbelsäulendistorsion sowie multiple Körperprellungen erlitten. Weitere Unfallfolgen sind nicht festzustellen.
Folgen eines Arbeitsunfalles nach § 8 SGB VII sind alle körperlichen, geistigen und seelischen Gesundheitsstörungen, die durch den Arbeitsunfall zurechenbar verursacht wurden, sich also nach der Theorie der rechtlich-wesentlich Bedingung aus dem Erstschaden ergeben (haftungsausfüllende Kausalität). Dabei müssen die Gesundheitsstörungen voll und der Kausalzusammenhang mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein.
Die Feststellung der Unfallfolgen setzt angesichts der zahlreichen in Betracht kommenden Erkrankungen und möglicher Schulenstreite eine Begründung anhand der üblichen Diagnosesysteme voraus (BSG, Urteil vom 09.05.2006, AZ.: B 2 U 26/04 R hier zwar im Wesentlichen für Erkrankungen aus dem Bereich der Psyche, was sich aber zwanglos auf alle Bereich der medizinischen Wissenschaft übertragen lässt, da generell anerkannt ist, das sich die Beurteilungen an dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft zu orientieren haben). Es ist für die Abschätzung des erforderlichen Kausalzusammenhangs nach Auffassung der Kammer elementar, dass die Erkrankung, die sich aus dem Unfall ergeben haben soll, im Vollbeweis erwiesen ist. Diese eindeutige Zuordnung ist vor allem dann zwingend, wenn verschiedene Diagnosen möglich sind und zumindest bei einer der erforderliche Kausalzusammenhang nicht gegeben ist. Lediglich im Fall einer möglichen Wahlfeststellung bei verschiedenen allein möglichen Erkrankungen, die aber alle nur nach § 8 SGB VII zurechenbar aus einem Arbeitsunfall herrühren können, kann die Entscheidung für eine konkrete Diagnose von verschieden allein möglichen Diagnosen nach Auffassung der Kammer offen bleiben.
Dabei liegt ein Vollbeweis nicht schon dann vor, wenn von mehreren möglichen Diagnosen eine die wahrscheinlichere ist. Ein Vollbeweis liegt zwar nicht erst bei einer absoluten Gewissheit vor, die so gut wie nie möglich ist. Ausreichend ist vielmehr eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Dabei muss der Entscheider persönlich Gewissheit haben – bei der Gewissensentscheidung sich aber mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad der Gewissheit begnügen. Eine Tatsache ist demnach bereits dann bewiesen, wenn sie in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falls nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle Überzeugung zu begründen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 128 Rdnr. 3b m. w. N.; Schönberger/Mehrtens/Valentin "Arbeitsunfall und Berufskrankheit", 8. Auflage, S. 47 m. w. N.).
Nach dem Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme liegt bei der Klägerin kein hinreichend bewiesenes CRPS als Folge des Arbeitsunfalls vom 30.10.2006 vor.
Die Kammer schließt sich insoweit nach eigener Prüfung den Darlegungen des erfahrenen gerichtlichen Sachverständigen Dr. T3 an. Die Darstellungen des gerichtlichen Gutachters lassen Unrichtigkeiten oder Fehlschlüsse nicht erkennen. Sie sind erkennbar auf der Grundlage der heutigen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft erstattet worden. Dabei hat sich der Mediziner mit den erhobenen Befunden, den aktenkundigen Befunden und dem Vorbringen der Beteiligten differenziert auseinander gesetzt. Die Feststellungen decken sich zudem im Wesentlichen mit den Einschätzungen der Gutachter im Verwaltungsverfahren, die im gerichtlichen Verfahren im Wege des Urkundsbeweises nach §§ 128, 118 SGG i. V. m. §§ 415 bis 444 Zivilprozessordnung (ZPO) berücksichtigt werden können.
Nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. T3 bestehen bei der Klägerin im Bereich der Hände unfallunabhängig eine schwere Arthrose mit Destruktionen aller Endgelenke an der rechten Hand (schwere Herberdenarthrose), eine schwere Herberdenarthrose an der linken Hand mit partiell noch erhaltenen Endgelenken, eine schwere beidseitige Arthrose der Daumensattelgelenke und eine Arthrose der Mittelgelenke aller Finger an beiden Händen, die zu einer erheblichen Minderung der Einsatzfähigkeit der rechten Hand bei unvollständigem Faustschluss und eingeschränktem Spitzgriff sowie einer Minderung der groben Kraft rechts mit Muskelminderung geführt haben.
Dem Ergebnis, dass die Klägerin unfallunabhängig unter einer Herberdenarthrose sowie einer Arthrose der Daumensattelgelenke leidet, widerspricht auch der Sachverständige Dr. B nicht. Für diese Auffassung sprechen zudem die eindeutigen radiologischen Befunde und der Umstand, dass die Klägerin auch an anderen Gelenken zunehmende arthrotische Veränderungen ausbildet (so an den Schultergelenken, der HWS, den Kniegelenken). Dieses Leiden hat sich aber schicksalhaft und unabhängig vom Arbeitsunfall entwickelt. Eine Unfallverursachung ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
Neben diesen Leiden kann aber ein unfallbedingtes CRPS nicht nachgewiesen werden.
Es liegen im zeitlichen Querschnitt nicht die notwendigen Symptome für die Diagnose eines CRPS vor. Dabei ist schon zu berücksichtigen, dass nach übereinstimmender Auffassung aller Ärzte die normale Stadienentwicklung des CRPS bei der Klägerin nicht vorliegt. Die Erkrankung soll im ersten Stadium in einen Residualzustand übergewechselt sein. Dieser Umstand könnte schon ein atypischer Verlauf sein. Bei atypischen Verläufen hat aber eine umso genauere Prüfung des Vorliegens der Diagnose überhaupt zu erfolgen. Nimmt man den Residualzustand hingegen nicht als einen atypischen Verlauf an, sondern geht mit der aktuellen Wissenschaft davon aus, dass es regelmäßige Abläufe bei dieser Erkrankung nicht gibt und der Verlauf sehr individuell sein kann, ist ebenfalls eine kritische Prüfung erforderlich, weil eine Diagnose mit höchst wechselhaftem Charakter deutlich schwerer einzugrenzen und zu begründen ist. Dabei ist hier erkennbar, dass nach Auffassung des Sachverständigen Dr. T3 der Verlauf untypisch für ein CRPS aber typisch für eine schwere Hand-Polyarthrose ist.
Dr. T3 prüft das Vorliegen der Erkrankung CRPS anhand der von keiner Seite als unzutreffend bezeichneten Budapest-Kriterien. Nach diesen – rein klinischen – Kriterien kann ein bildgebender Befund die Diagnose eines CRPS noch stützen. Bei einem CRPS wäre eine Schwellung am Handrücken oder den Fingern zu erwarten gewesen, so dass die Hautfalten über den Mittelgelenken der Finger nicht zur Darstellung kommen. Eine solche lag aber bei der Klägerin nicht vor. Es lagen auch keine Veränderungen der Hautfarbe und der Schwellungen vor, die nicht von den arthrotische Veränderungen betroffen waren. Auch eine abnorme Schweißbildung oder eine veränderte Temperatur waren nicht gegeben. Es bestanden auch keine ödematöse Wassereinlagerungen im Bereich des Handrückens und der streckseitigen Handgelenke oder ein seitendifferenter Haarwuchs. Zudem konnte der Sachverständige keine Veränderungen im Nagelwachstum feststellen. Besonders bedeutsam ist, dass nach den Diagnosekriterien ein abnormer Schmerz bestehen muss, der durch das Anfangstrauma oder durch andere Erkrankungen nicht zu erklären ist. In diesem Zusammenhang ist drauf hinzuweisen, dass die von der Klägerin geklagten Schmerzen, insbesondere bei der Palpation, auf die arthrotischen Gelenksdestruktionen zurückgeführt werden können.
Sofern die Klägerin darauf hinweist, dass sie von Dr. T3 nicht zum Nagelwachstum befragt worden sei und sie in der Vergangenheit angegeben habe, dass ihre Nägel an der betroffenen Hand schneller gewachsen sein, vermag dieser Umstand die Kammer zu keinem anderen Ergebnis zu leiten. Bei dem streitigen Nagelwachstum handelt es sich lediglich um eines von vielen Diagnosekriterien. Auch bei Unterstellung eines geänderten Nagelwachstums vermag die Kammer nicht mit der notwendigen Sicherheit, die Diagnose eines CRPS zu erkennen.
Nach den Darstellungen des Sachverständigen T3 lassen sich alle geklagten Beschwerden durch die oben genannten Erkrankungen erklären. Dabei ist – gerichtsbekannt – zu berücksichtigen, dass arthrotische Veränderungen nicht zu zwingend ableitbaren Beschwerden führen. Diesem konkreten Leiden liegt insbesondere keine Mindestgrenze zu Grunde, ab der die Veränderung symptomatisch werden kann oder eine proportionale Zunahme von Beschwerden bei Zunahme der Destruktionen. Regelmäßig führen auch schwere arthrotische Veränderungen zu keinen oder nur leichten Beschwerden und nur geringe arthrotische Veränderungen verursachen – insbesondere nach Aktivierung durch ein Ereignis – regelmäßig umfangreiche Beschwerden. Zudem verweist Dr. T3 darauf, dass sich die ungewöhnlichen Schwellungen der Endgelenke und die leicht veränderte, gespannte Haut auch durch die entzündlichen Begleitreaktionen im Rahmen der Arthrose erklären lassen. Eine entzündliche Aktivierung ist bereits in dem rheumatologischen Befund vom 30.03.2009 geschildert.
Die Darstellungen des gerichtlichen Sachverständigen nach § 109 SGG, Dr. B, überzeugt die Kammer nicht. Dieser schreibt zwar selbst, dass bei der konkreten Erkrankung die neuesten medizinischen Erkenntnisse zu berücksichtigen seien, da die Erkrankung unter verschiedenen Namen (Morbus Sudeck, Sudeckdystrophie und weitere) beschrieben sei. Er verweist selbst aber nicht die einschlägigen Budapest-Kriterien. Eine kritische Prüfung der Kriterien der von der Klägerin vorgetragenen Erkrankung findet nicht statt. Es erfolgt auch keine Abgrenzung der Symptome zu der ebenfalls von ihm gesehenen Hand-Polyarthrose.
Auch das Gutachten von Professor Dr. L1, erstellt für das Landgericht Dortmund, führt zu keiner anderen Sichtweise. In diesem Gutachten werden die Budapester Kriterien ebenfalls nicht dargestellt. Eine kritische Prüfung der Symptome unter Berücksichtigung der sonstigen Erkrankungen der Klägerin erfolgte nicht. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass diesem Sachverständigen die Akten der Beklagten oder die Akte des Sozialgerichtes Dortmund nicht zur Verfügung gestanden haben.
Die Unfallfolgen führten zu keinem Verletztengeldanspruch über den 10.12.2006 hinaus.
Gemäß § 45 Abs. 1 SGB VII i.V.m. § 48 SGB VII wird Verletztengeld erbracht, wenn Versicherte infolge des Versicherungsfalls arbeitsunfähig sind oder wegen einer Maßnahme der Heilbehandlung eine ganztägige Erwerbstätigkeit nicht ausüben können.
Eine Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte wegen der Folgen eines Versicherungsfalls überhaupt nicht oder nur auf die Gefahr hin, sein Zustand alsbald zu verschlimmern, fähig ist, seine bisher ausgeübte Erwerbstätigkeit oder eine gleiche oder ähnlich geartete Tätigkeit auszuüben (Bereiter-Hahn/Mehrtens "Gesetzliche Unfallversicherung", Stand Mai 2016, § 45 Rn. 5).
Unbestritten haben die festgestellten – relativ geringfügigen – Unfallfolgen eine Arbeitsunfähigkeit von ca. einem Monat ausgelöst. Eine längere Arbeitsunfähigkeit wegen der Unfallfolgen ist weder vorgetragen noch erkennbar. Prellungen und Distorsionen heilen regelmäßig innerhalb von wenigen Wochen folgenlos aus.
Mangels einer MdE über die 26. Wochen nach dem Unfall ist auch keine Verletztenrente zu gewähren.
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus den Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII).
Das Ausmaß der wegen der Folgen des Versicherungsfalls bestehenden verminderten Zugangsmöglichkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (MdE) bestimmt sich nach abstrakten Gesichtspunkten (Bereiter-Hahn/Mehrtens "Gesetzliche Unfallversicherung", Stand August 2011, § 56 Rdnr. 10.1). Die Beurteilung der Funktionseinschränkung und die Bemessung der MdE erfolgen dabei unter Berücksichtigung der medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkte (Bereiter-Hahn/Mehrtens a.a.O. Rdnr. 10.2). Um die MdE einzuschätzen sind die Erfahrungssätze zu beachten, die die Rechtsprechung und das versicherungsrechtliche sowie versicherungsmedizinische Schrifttum herausgearbeitet haben. Diese Erfahrungssätze binden das Gericht nicht. Sie bilden aber eine Basis für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis (BSG, Urteile vom 26. Juni 1985, AZ: 2 RU 60/84, SozR 2200 § 581 Nr. 23, vom 26. November 1987, AZ: 2 RU 22/87, SozR 2200 § 581 Nr. 27 und vom 30. Juni 1998, AZ: B 2 U 41/97 R, SozR 3-2200 § 581 Nr. 5; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 56 SGB VII Rdnr 10.3). Sie sind in MdE-Tabellen oder Empfehlungen zusammengefasst und bilden die Grundlage für einen Vorschlag, den der medizinische Sachverständige zur Höhe der MdE unterbreitet. Hierdurch wird gewährleistet, dass alle Betroffenen nach einheitlichen Kriterien begutachtet und beurteilt werden. Insoweit bilden sie ein geeignetes Hilfsmittel zur Einschätzung der MdE (vgl. BSG, Urteil vom 19. Dezember 2000, AZ: B 2 U 49/99 R, HVBG-INFO 2001, 499, 500ff.). Eine Verletztenrente wird dabei erst ab einer MdE in Höhe von 20 v.H., § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII.
Die nach wenigen Wochen folgenlos abgeheilten Unfallfolgen können keine die Erwerbsfähigkeit mindernde Funktionseinschränkungen über den sechsten Monat nach dem Unfall hinaus begründen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 193, 183 SGG.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Feststellung eines Komplexen Regionalen Schmerzsyndroms (CRPS) als Folge des Arbeitsunfalls vom 30.10.2006 und die Gewährung von Verletztengeld über den 10.12.2006 hinaus sowie einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII).
Am 30.10.2006 erlitt die Klägerin einen Wegeunfall, bei dem sie sich nach dem Durchgangsarztbericht vom 31.10.2006 von Dr. T, Abt. Chirurgie/Unfallchirurgie des L-Hospitals gGmbH in V, eine Distorsion der Halswirbelsäule, Schürfwunden am Handgelenk bds., ein stumpfes Thoraxtrauma, ein stumpfes Bauchtrauma sowie beidseitige Knieprellungen zuzog. Aufgrund persistierender Schmerzen im rechten Handgelenk stellte sich die Klägerin im weiteren Verlauf bei diversen Ärzten vor. Diese schlossen einen unfallbedingten Schaden aus und empfahlen eine weitere Behandlung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (Dr. B-N, Bericht vom 22.01.2007; Drs. K/M, Bericht vom 09.03.2007). Erstmals stellte Prof. Dr. T1, Direktor der Neurologischen Klinik und Poliklinik – CRPS / Sudeckprojekt – F, im Bericht vom 19.01.2010 die Diagnose eines Morbus Sudek an der rechten Hand. Aussagen zur Verursachungskausalität machte der Mediziner in dem Bericht hingegen nicht. Im Bericht vom 26.01.2010 teilte der behandelnde Internist Dr. N, niedergelassen in V, mit, dass es sich bei den noch bestehenden Beschwerden im Handgelenk am ehesten um einen Folgezustand der beim Arbeitsunfall erlittenen Prellungen handele.
Der von der Beklagten hinzugezogene Beratungsarzt, der Chirurg und Unfallchirurg Dr. N1, beurteilte im Schreiben vom 03.05.2010, dass ein Morbus Sudek (CRPS = Complex Regional Pain Syndrome = Komplexes Regionales Schmerzsyndrom) nach einer Extremitätenprellung nicht ungewöhnlich sei. Zudem empfahl der Beratungsarzt eine Begutachtung der Klägerin. Die Klägerin reichte im weiteren Verlauf noch ein MDK-Gutachten vom 30.09.2009 und den Auszug eines REHA-Entlassungsberichts vom 30.03.2010 aus der Moorlandklinik C T zu den Akten.
In dem von der Beklagten veranlassten handchirurgischen Gutachten vom 19.08.2010 von Prof. Dr. T2, Direktor der Klinik für Plastische Chirurgie und Schwerbrandverletzte, Handchirurgisches Zentrum des Bergmannsheils C, kam der Mediziner zu dem Ergebnis, dass er Art und Ausmaß des Leidens der Klägerin nicht abschließend beurteilen könne. Für die Abklärung des Morbus Sudek sei ein schmerzmedizinisches Gutachten erforderlich. In dem daraufhin eingeholten schmerzmedizinischen Gutachten vom 10.12.2010 beurteilte Prof. Dr. N1, Leitender Arzt der Klinik für Anaesthesiologie, Intensiv-, Palliativ- und Schmerzmedizin im Bergmannsheil C, dass die erhobenen klinischen Befunde nicht die typischen Symptome eines CRPS zeigten. Zudem riet der Gutachter zu einer neurologisch-psychiatrischen Begutachtung. Es erfolgte dementsprechend eine Begutachtung durch Prof. Dr. U1, Direktor der Neurologischen und Poliklinik des Bergmannsheils C. Dieser kam in dem Gutachten vom 27.06.2011 zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin die Aufrechterhaltung bzw. Verschlimmerung körperlicher Symptome aus psychischen Gründen in Form von noch aktualisierten Entlastungs- und Versorgungswünschen ohne vom Unfall abhängige psychische oder neurologische Störungen von Krankheitswert bestünden. In einer weiteren Stellungnahme vom 08.11.2011 beurteilte Prof. Dr. T2, dass es sich bei der Erkrankung der Klägerin um eine unfallfremde Anlage handele, die allenfalls im Sinne eines Anlassgeschehens durch das Ereignis vom 30.10.2006 symptomatisch geworden sei. Bei dem Anlassgeschehen handele es sich um eine vorbestehende Anlage, die so gering sei, dass sie in naher Zukunft auch ohne das gegenständliche Ereignis symptomatisch geworden wäre.
Mit Bescheid vom 07.12.2011 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 30.10.2006 als Arbeitsunfall mit einer folgenlos ausgeheilten Halswirbelsäulendistorsion und multiplen Prellungen als Unfallfolgen an, lehnte aber die Konzentrationsstörung, die Kopfschmerzen, die Leberbelastung, die seelische Belastung, die Fingerpolyarthrose, die Rhizarthrose bds., die Gonarthrose bds., das chronische HWS-Syndrom, das chronische LWS-Syndrom, das Asthma bronchiale und den Z.n. Contusio cerebri bei Verkehrsunfall 1969 als Unfallfolgen ab. Zudem schloss die Beklagte das Vorliegen eines unfallbedingten CRPS aus. Zur Begründung verwies die Beklagte auf die von ihr eingeholten medizinischen Gutachten.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin insbesondere mit einem Gerichtsgutachten aus dem Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund mit dem AZ.: S 43 SB 2762/10 vom 04.06.2012 in welchem der Oberarzt von Prof. Dr. T1, Dr. N2, zwar keine akute wohl aber eine Residualsymptomatik eines CRPS an der rechten Hand beschrieb. Dieses Gutachten legte die Beklagte dem Nachfolger von Prof. Dr. T2, Prof. Dr. M1 , vor. Dieser kam in der Stellungnahme vom 24.10.2012 zu keiner anderen Auffassung als sein Vorgänger, da sich an der Befundlage nichts geändert habe.
Ein zwischenzeitlich beim SG Dortmund geführtes Eilverfahren, gerichtet auf die Gewährung einer Heilbehandlung im Zusammenhang mit dem von der Klägerin vorgebrachten CRPS, blieb ohne Erfolg (Beschluss des SG Dortmund vom 05.12.2012 – AZ.: S 18 U 781/12 ER).
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.03.2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung verwies sie auf die Stellungnahme von Prof. Dr. M1 , der in Kenntnis des Gutachtens von Prof. Dr. T1 zu keiner anderen Auffassung als sein Vorgänger Prof. Dr. T2 gekommen sei. Ein unfallbedingtes CRPS sei zu Recht abgelehnt worden, da ein entsprechender Unfallzusammenhang nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden könne. Es liege eine unfallfremde Anlage vor, die allenfalls im Sinne einer Gelegenheitsursache durch das Ereignis vom 30.10.2006 symptomatisch geworden sei. Das vorgelegte Gutachten von Prof. Dr. T1 aus dem Schwerbehindertenrecht berücksichtige nicht die Kausalitätsprüfungen nach der Theorie der rechtlich-wesentlichen Bedingung.
Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben.
Während des laufenden Klageverfahrens erließ die Beklagte am 24.01.2014 einen Bescheid, mit dem sie die Gewährung von Verletztengeld aufgrund der Diagnose "Morbus Sudeck rechte Hand" ablehnte. Statt einer Rechtsbehelfsbelehrung fügte die Beklagte dem Bescheid den Hinweis bei, dass der Bescheid zum Gegenstand des laufenden Klageverfahrens geworden sei.
Mit der Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren aus dem Verwaltungsverfahren weiter und verweist zu Begründung auf ein gerichtliches Gutachten von Prof. Dr. L1, niedergelassen in Erfurt, aus einem Verfahren vor dem Landgericht Dortmund (AZ.: 4 O 86/13) gegen die früher behandelnden Ärzte Dr. M3 und Hrn. K wegen einer vermeintlichen Fehlbehandlung (abweisendes Urteil vom 17.02.2016). Der Gutachter sei zu dem Ergebnis gekommen, dass bei der Klägerin ein CRPS vorliege.
Die Klägerin beantragt, unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 07.12.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.03.2013 und unter Einbeziehung des Bescheides vom 24.01.2014 festzustellen, dass die Klägerin unter einem durch den Arbeitsunfall vom 30.10.2006 verursachten Komplexen Regionalen Schmerzsyndrom (CRPS) leidet, und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin wegen der Unfallfolgen Verletztengeld über den 10.12.2006 hinaus sowie eine Verletztenrente zu leisten.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte beruft sich auf die Begründungen in den angefochtenen Entscheidungen sowie die Ausführungen der von ihr beteiligten Mediziner.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einholung von medizinischen Sachverständigengutachten sowie teilweise von ergänzenden Stellungnahmen einerseits auf Antrag der Klägerin von dem Unfallchirurgen und Sozialmediziner Dr. B, niedergelassen in L, und andererseits von Amts wegen von dem Handchirurgen Dr. T3, niedergelassenen in F.
Dr. B hat in seinem Gutachten sowie der ergänzenden Stellungnahme das Vorliegen eines CRPS im Stadium I in einem Residualzustand festgestellt. Aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhangs sei von einer zurechenbaren Verursachung durch das Unfallereignis auszugehen, zumal sich die Klägerin bei dem Unfall auch Verletzungen der Hände zuzog. Die Erkrankung habe eine Bewegungseinschränkung der rechten Hand nach sich gezogen, die mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) i.H.v. 30 v.H. zu bewerten sei.
Dr. T3 hat ausgeführt, dass er die Diagnose CRPS nicht mit der notwendigen Sicherheit stellen könne. Die anerkannten Diagnosekriterien seien dafür nicht im erforderlichen Ausmaß erfüllt. Zudem ließen sich die gesicherten Symptome auch durch eine andere unfallunabhängige Erkrankung in Form einer Polyarthrose an den Händen erklären.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Inhalte der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungs- sowie (unechte) Leistungsklage gegen den Bescheid vom 07.12.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.03.2013 und unter Einbeziehung des Bescheides vom 24.01.2014 ist zulässig.
Der Bescheid vom 20.03.2013 ist dabei nach Auffassung der Kammer gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des laufenden Klageverfahrens geworden.
Nach § 96 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt, der nach Klageerhebung ergeht, nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt.
Entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgericht (BSG) ersetzt der neue Bescheid den alten, wenn der neue Verwaltungsakt ganz an die Stelle des alten tritt und die Beschwer des Klägers vermehrt, in bisherigem Umfang bestätigt oder nur in geringem Umfange beibehält (BSG, Urteil vom 14.02.1989, AZ.: 7 Rar 62/87; Breitkreuz in Breitkreuz/Fichte, "SGG", § 96 Rdnr. 11). Dabei reicht es grundsätzlich, wenn der neue Verwaltungsakt zur Regelung desselben Rechtsverhältnisses – nicht notwendigerweise zu den gleichen Rechtsgrundlagen – ergangen ist (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, "SGG", 11. Auflage).
Der ältere Verwaltungsakt regelt die Anerkennung des Ereignisses vom 30.10.2006 als Arbeitsunfall mit den Unfallfolgen und lehnte die Anerkennung eines unfallbedingten CRPS sowie die Leistung einer Verletztenrente ab. Lediglich in der Begründung wurde eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit bis zum 10.12.2006 aufgeführt. Dabei kann es sich in Bezug auf die dargestellte Arbeitsunfähigkeit nicht um eine Regelung handeln, da dies eine unzulässige Elementenfeststellung wäre. Eine Entscheidung über die Leistung des begehrten Verletztengeldes wäre vorrangig. Mit dem neuen Bescheid wurde die frühere Entscheidung, dass bei der Klägerin kein unfallbedingtes CRPS vorliegt, bestätigt und die Leistung von Verletztengeld über den 10.12.2006 hinaus abgelehnt. Der Regelungsgehalt des Bescheides musste vom Gericht ausgelegt werden, da der ausdrückliche Wortlaut eine unzulässige Feststellung beinhaltet hätte. Die Klägerin kann keinen Anspruch auf Verletztengeld unter Beachtung nur einer bestimmten Erkrankung prüfen. Gemeint kann hier nur sein, dass der Verletztengeldanspruch unter Beachtung aller Unfallfolgen über den im alten Bescheid genannten (aber nicht geregelten) Zeitpunkt des 10.12.2006 hinaus abgelehnt werden sollte. Damit wurde zum einen die Feststellung in Bezug auf die nicht bestehende Unfallfolge eines CRPS wiederholt und zum anderen auch das Ende des Verletztengeldanspruchs – mangels einer anderen bescheidmäßigen Festlegung des Endes des Verletztengeldes am 10.12.2006 – geregelt, was allerdings für einen möglichen Verletzenrentenbeginn nach § 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII von Bedeutung wäre. Damit tangiert diese Regelung auch die Entscheidung der Beklagten über den Verletztenrentenanspruch aus dem früheren Bescheid.
Die Klage ist aber unbegründet.
Die Klägerin ist nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG beschwert, denn der angefochtene Bescheid vom 07.12.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.03.2013 und unter Einbeziehung des Bescheides vom 24.01.2014 ist rechtmäßig und verletzt sie nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Feststellung eines CRPS als Folge des Arbeitsunfalls vom 30.10.2006 oder die Gewährung von Verletztengeld über den 10.12.2006 hinaus bzw. einer Verletztenrente.
Die Klägerin hat durch den Unfall die von der Beklagten festgestellte folgenlos ausgeheilte Halswirbelsäulendistorsion sowie multiple Körperprellungen erlitten. Weitere Unfallfolgen sind nicht festzustellen.
Folgen eines Arbeitsunfalles nach § 8 SGB VII sind alle körperlichen, geistigen und seelischen Gesundheitsstörungen, die durch den Arbeitsunfall zurechenbar verursacht wurden, sich also nach der Theorie der rechtlich-wesentlich Bedingung aus dem Erstschaden ergeben (haftungsausfüllende Kausalität). Dabei müssen die Gesundheitsstörungen voll und der Kausalzusammenhang mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein.
Die Feststellung der Unfallfolgen setzt angesichts der zahlreichen in Betracht kommenden Erkrankungen und möglicher Schulenstreite eine Begründung anhand der üblichen Diagnosesysteme voraus (BSG, Urteil vom 09.05.2006, AZ.: B 2 U 26/04 R hier zwar im Wesentlichen für Erkrankungen aus dem Bereich der Psyche, was sich aber zwanglos auf alle Bereich der medizinischen Wissenschaft übertragen lässt, da generell anerkannt ist, das sich die Beurteilungen an dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft zu orientieren haben). Es ist für die Abschätzung des erforderlichen Kausalzusammenhangs nach Auffassung der Kammer elementar, dass die Erkrankung, die sich aus dem Unfall ergeben haben soll, im Vollbeweis erwiesen ist. Diese eindeutige Zuordnung ist vor allem dann zwingend, wenn verschiedene Diagnosen möglich sind und zumindest bei einer der erforderliche Kausalzusammenhang nicht gegeben ist. Lediglich im Fall einer möglichen Wahlfeststellung bei verschiedenen allein möglichen Erkrankungen, die aber alle nur nach § 8 SGB VII zurechenbar aus einem Arbeitsunfall herrühren können, kann die Entscheidung für eine konkrete Diagnose von verschieden allein möglichen Diagnosen nach Auffassung der Kammer offen bleiben.
Dabei liegt ein Vollbeweis nicht schon dann vor, wenn von mehreren möglichen Diagnosen eine die wahrscheinlichere ist. Ein Vollbeweis liegt zwar nicht erst bei einer absoluten Gewissheit vor, die so gut wie nie möglich ist. Ausreichend ist vielmehr eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Dabei muss der Entscheider persönlich Gewissheit haben – bei der Gewissensentscheidung sich aber mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad der Gewissheit begnügen. Eine Tatsache ist demnach bereits dann bewiesen, wenn sie in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falls nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle Überzeugung zu begründen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 128 Rdnr. 3b m. w. N.; Schönberger/Mehrtens/Valentin "Arbeitsunfall und Berufskrankheit", 8. Auflage, S. 47 m. w. N.).
Nach dem Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme liegt bei der Klägerin kein hinreichend bewiesenes CRPS als Folge des Arbeitsunfalls vom 30.10.2006 vor.
Die Kammer schließt sich insoweit nach eigener Prüfung den Darlegungen des erfahrenen gerichtlichen Sachverständigen Dr. T3 an. Die Darstellungen des gerichtlichen Gutachters lassen Unrichtigkeiten oder Fehlschlüsse nicht erkennen. Sie sind erkennbar auf der Grundlage der heutigen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft erstattet worden. Dabei hat sich der Mediziner mit den erhobenen Befunden, den aktenkundigen Befunden und dem Vorbringen der Beteiligten differenziert auseinander gesetzt. Die Feststellungen decken sich zudem im Wesentlichen mit den Einschätzungen der Gutachter im Verwaltungsverfahren, die im gerichtlichen Verfahren im Wege des Urkundsbeweises nach §§ 128, 118 SGG i. V. m. §§ 415 bis 444 Zivilprozessordnung (ZPO) berücksichtigt werden können.
Nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. T3 bestehen bei der Klägerin im Bereich der Hände unfallunabhängig eine schwere Arthrose mit Destruktionen aller Endgelenke an der rechten Hand (schwere Herberdenarthrose), eine schwere Herberdenarthrose an der linken Hand mit partiell noch erhaltenen Endgelenken, eine schwere beidseitige Arthrose der Daumensattelgelenke und eine Arthrose der Mittelgelenke aller Finger an beiden Händen, die zu einer erheblichen Minderung der Einsatzfähigkeit der rechten Hand bei unvollständigem Faustschluss und eingeschränktem Spitzgriff sowie einer Minderung der groben Kraft rechts mit Muskelminderung geführt haben.
Dem Ergebnis, dass die Klägerin unfallunabhängig unter einer Herberdenarthrose sowie einer Arthrose der Daumensattelgelenke leidet, widerspricht auch der Sachverständige Dr. B nicht. Für diese Auffassung sprechen zudem die eindeutigen radiologischen Befunde und der Umstand, dass die Klägerin auch an anderen Gelenken zunehmende arthrotische Veränderungen ausbildet (so an den Schultergelenken, der HWS, den Kniegelenken). Dieses Leiden hat sich aber schicksalhaft und unabhängig vom Arbeitsunfall entwickelt. Eine Unfallverursachung ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
Neben diesen Leiden kann aber ein unfallbedingtes CRPS nicht nachgewiesen werden.
Es liegen im zeitlichen Querschnitt nicht die notwendigen Symptome für die Diagnose eines CRPS vor. Dabei ist schon zu berücksichtigen, dass nach übereinstimmender Auffassung aller Ärzte die normale Stadienentwicklung des CRPS bei der Klägerin nicht vorliegt. Die Erkrankung soll im ersten Stadium in einen Residualzustand übergewechselt sein. Dieser Umstand könnte schon ein atypischer Verlauf sein. Bei atypischen Verläufen hat aber eine umso genauere Prüfung des Vorliegens der Diagnose überhaupt zu erfolgen. Nimmt man den Residualzustand hingegen nicht als einen atypischen Verlauf an, sondern geht mit der aktuellen Wissenschaft davon aus, dass es regelmäßige Abläufe bei dieser Erkrankung nicht gibt und der Verlauf sehr individuell sein kann, ist ebenfalls eine kritische Prüfung erforderlich, weil eine Diagnose mit höchst wechselhaftem Charakter deutlich schwerer einzugrenzen und zu begründen ist. Dabei ist hier erkennbar, dass nach Auffassung des Sachverständigen Dr. T3 der Verlauf untypisch für ein CRPS aber typisch für eine schwere Hand-Polyarthrose ist.
Dr. T3 prüft das Vorliegen der Erkrankung CRPS anhand der von keiner Seite als unzutreffend bezeichneten Budapest-Kriterien. Nach diesen – rein klinischen – Kriterien kann ein bildgebender Befund die Diagnose eines CRPS noch stützen. Bei einem CRPS wäre eine Schwellung am Handrücken oder den Fingern zu erwarten gewesen, so dass die Hautfalten über den Mittelgelenken der Finger nicht zur Darstellung kommen. Eine solche lag aber bei der Klägerin nicht vor. Es lagen auch keine Veränderungen der Hautfarbe und der Schwellungen vor, die nicht von den arthrotische Veränderungen betroffen waren. Auch eine abnorme Schweißbildung oder eine veränderte Temperatur waren nicht gegeben. Es bestanden auch keine ödematöse Wassereinlagerungen im Bereich des Handrückens und der streckseitigen Handgelenke oder ein seitendifferenter Haarwuchs. Zudem konnte der Sachverständige keine Veränderungen im Nagelwachstum feststellen. Besonders bedeutsam ist, dass nach den Diagnosekriterien ein abnormer Schmerz bestehen muss, der durch das Anfangstrauma oder durch andere Erkrankungen nicht zu erklären ist. In diesem Zusammenhang ist drauf hinzuweisen, dass die von der Klägerin geklagten Schmerzen, insbesondere bei der Palpation, auf die arthrotischen Gelenksdestruktionen zurückgeführt werden können.
Sofern die Klägerin darauf hinweist, dass sie von Dr. T3 nicht zum Nagelwachstum befragt worden sei und sie in der Vergangenheit angegeben habe, dass ihre Nägel an der betroffenen Hand schneller gewachsen sein, vermag dieser Umstand die Kammer zu keinem anderen Ergebnis zu leiten. Bei dem streitigen Nagelwachstum handelt es sich lediglich um eines von vielen Diagnosekriterien. Auch bei Unterstellung eines geänderten Nagelwachstums vermag die Kammer nicht mit der notwendigen Sicherheit, die Diagnose eines CRPS zu erkennen.
Nach den Darstellungen des Sachverständigen T3 lassen sich alle geklagten Beschwerden durch die oben genannten Erkrankungen erklären. Dabei ist – gerichtsbekannt – zu berücksichtigen, dass arthrotische Veränderungen nicht zu zwingend ableitbaren Beschwerden führen. Diesem konkreten Leiden liegt insbesondere keine Mindestgrenze zu Grunde, ab der die Veränderung symptomatisch werden kann oder eine proportionale Zunahme von Beschwerden bei Zunahme der Destruktionen. Regelmäßig führen auch schwere arthrotische Veränderungen zu keinen oder nur leichten Beschwerden und nur geringe arthrotische Veränderungen verursachen – insbesondere nach Aktivierung durch ein Ereignis – regelmäßig umfangreiche Beschwerden. Zudem verweist Dr. T3 darauf, dass sich die ungewöhnlichen Schwellungen der Endgelenke und die leicht veränderte, gespannte Haut auch durch die entzündlichen Begleitreaktionen im Rahmen der Arthrose erklären lassen. Eine entzündliche Aktivierung ist bereits in dem rheumatologischen Befund vom 30.03.2009 geschildert.
Die Darstellungen des gerichtlichen Sachverständigen nach § 109 SGG, Dr. B, überzeugt die Kammer nicht. Dieser schreibt zwar selbst, dass bei der konkreten Erkrankung die neuesten medizinischen Erkenntnisse zu berücksichtigen seien, da die Erkrankung unter verschiedenen Namen (Morbus Sudeck, Sudeckdystrophie und weitere) beschrieben sei. Er verweist selbst aber nicht die einschlägigen Budapest-Kriterien. Eine kritische Prüfung der Kriterien der von der Klägerin vorgetragenen Erkrankung findet nicht statt. Es erfolgt auch keine Abgrenzung der Symptome zu der ebenfalls von ihm gesehenen Hand-Polyarthrose.
Auch das Gutachten von Professor Dr. L1, erstellt für das Landgericht Dortmund, führt zu keiner anderen Sichtweise. In diesem Gutachten werden die Budapester Kriterien ebenfalls nicht dargestellt. Eine kritische Prüfung der Symptome unter Berücksichtigung der sonstigen Erkrankungen der Klägerin erfolgte nicht. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass diesem Sachverständigen die Akten der Beklagten oder die Akte des Sozialgerichtes Dortmund nicht zur Verfügung gestanden haben.
Die Unfallfolgen führten zu keinem Verletztengeldanspruch über den 10.12.2006 hinaus.
Gemäß § 45 Abs. 1 SGB VII i.V.m. § 48 SGB VII wird Verletztengeld erbracht, wenn Versicherte infolge des Versicherungsfalls arbeitsunfähig sind oder wegen einer Maßnahme der Heilbehandlung eine ganztägige Erwerbstätigkeit nicht ausüben können.
Eine Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte wegen der Folgen eines Versicherungsfalls überhaupt nicht oder nur auf die Gefahr hin, sein Zustand alsbald zu verschlimmern, fähig ist, seine bisher ausgeübte Erwerbstätigkeit oder eine gleiche oder ähnlich geartete Tätigkeit auszuüben (Bereiter-Hahn/Mehrtens "Gesetzliche Unfallversicherung", Stand Mai 2016, § 45 Rn. 5).
Unbestritten haben die festgestellten – relativ geringfügigen – Unfallfolgen eine Arbeitsunfähigkeit von ca. einem Monat ausgelöst. Eine längere Arbeitsunfähigkeit wegen der Unfallfolgen ist weder vorgetragen noch erkennbar. Prellungen und Distorsionen heilen regelmäßig innerhalb von wenigen Wochen folgenlos aus.
Mangels einer MdE über die 26. Wochen nach dem Unfall ist auch keine Verletztenrente zu gewähren.
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus den Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII).
Das Ausmaß der wegen der Folgen des Versicherungsfalls bestehenden verminderten Zugangsmöglichkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (MdE) bestimmt sich nach abstrakten Gesichtspunkten (Bereiter-Hahn/Mehrtens "Gesetzliche Unfallversicherung", Stand August 2011, § 56 Rdnr. 10.1). Die Beurteilung der Funktionseinschränkung und die Bemessung der MdE erfolgen dabei unter Berücksichtigung der medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkte (Bereiter-Hahn/Mehrtens a.a.O. Rdnr. 10.2). Um die MdE einzuschätzen sind die Erfahrungssätze zu beachten, die die Rechtsprechung und das versicherungsrechtliche sowie versicherungsmedizinische Schrifttum herausgearbeitet haben. Diese Erfahrungssätze binden das Gericht nicht. Sie bilden aber eine Basis für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis (BSG, Urteile vom 26. Juni 1985, AZ: 2 RU 60/84, SozR 2200 § 581 Nr. 23, vom 26. November 1987, AZ: 2 RU 22/87, SozR 2200 § 581 Nr. 27 und vom 30. Juni 1998, AZ: B 2 U 41/97 R, SozR 3-2200 § 581 Nr. 5; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 56 SGB VII Rdnr 10.3). Sie sind in MdE-Tabellen oder Empfehlungen zusammengefasst und bilden die Grundlage für einen Vorschlag, den der medizinische Sachverständige zur Höhe der MdE unterbreitet. Hierdurch wird gewährleistet, dass alle Betroffenen nach einheitlichen Kriterien begutachtet und beurteilt werden. Insoweit bilden sie ein geeignetes Hilfsmittel zur Einschätzung der MdE (vgl. BSG, Urteil vom 19. Dezember 2000, AZ: B 2 U 49/99 R, HVBG-INFO 2001, 499, 500ff.). Eine Verletztenrente wird dabei erst ab einer MdE in Höhe von 20 v.H., § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII.
Die nach wenigen Wochen folgenlos abgeheilten Unfallfolgen können keine die Erwerbsfähigkeit mindernde Funktionseinschränkungen über den sechsten Monat nach dem Unfall hinaus begründen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 193, 183 SGG.
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