S 7 AS 918/18

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 7 AS 918/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Bewilligung höhere Leistungen zur Sicherung des Lebens-unterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Ar-beitssuchende (SGB II) für den Zeitraum April bis September 0000 ohne Berück-sichtigung einer Bedarfsgemeinschaft mit Frau C ...

Der am 00.00.0000 geborene Kläger bezieht laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II vom Beklagten. Er wohnt in einer Wohnung in der F. Straße in B ... Ebenfalls in dieser Wohnung leben sein minderjähriger Sohn und die Kindesmutter und Ehefrau des Klägers, Frau C ...

Der Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 00.00.0000 vorläufig Leistungen in Höhe von monatlich 488,99 EUR für den Zeitraum April bis September 0000. Hierbei nahm er eine Bedarfsgemeinschaft mit dem minderjährigen Sohn des Klägers und Frau C. an. Für die Bedarfsgemeinschaft bewilligte er vorläufig Leistungen in Höhe von insgesamt 1.238,67 EUR. Am 00.00.0000 legte der Kläger Widerspruch gegen diesen Bescheid mit der Begründung ein, dass eine Bedarfsgemeinschaft gerade nicht vorliegen würde. Mit Widerspruchsbescheid vom 00.00.0000 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 00.00.0000 Klage erhoben. Ein parallel geführtes Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (S 7 AS 919/18 ER) ist zwischenzeitlich durch Beschluss am 00.00.0000 beendet worden.

Der Kläger ist im Wesentlichen der Ansicht, dass im vorliegenden Fall keine Bedarfsgemeinschaft mit seiner Ehefrau angenommen werden dürfe, da die Eheleute dauerhaft getrennt in einer gemeinsamen Wohnung leben würden. Aufgrund der zu niedrigen Zahlungen sei er daher mittellos und wisse nicht, wovon er leben solle. Dass keine Bedarfsgemeinschaft bestehen würde, sei auch bereits im Verfahren vor dem Sozialgericht Aachen S 23 AS 742/14 geklärt worden.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten, unter Abänderung des Bescheides vom 00.00.0000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 00.00.0000 zu verurteilen, ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen ohne Berücksichtigung einer Bedarfsgemeinschaft mit Frau C. zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Seiner Ansicht nach könne nicht länger von einem dauerhaften Getrenntleben ausgegangen werden, da die Eheleute weder ein Scheidungsverfahren in die Wege geleitet hätten, noch ihre finanziellen Angelegenheiten voneinander getrennt hätten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, den Inhalt der Leistungsakte und den Inhalt der Gerichtsakten in den Verfahren S 23 AS 742/14 und S 7 AS 919/18 ER Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger wird durch den Bescheid vom 00.00.0000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 00.00.0000 nicht im Sinne von § 54 Abs. 1, 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da die Bescheide nicht rechtswidrig sind.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Abänderung des Bescheids vom 00.00.0000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 00.00.0000, da ihm unter Berücksichti-gung einer Bedarfsgemeinschaft mit seinem minderjährigem Sohn und Frau C. keine höheren Leistungen als die bereits bewilligten 488,99 EUR in der Zeit vom 01. April bis zum 30. September 0000 zustehen.

Der Beklagte ist dabei zurecht davon ausgegangen, dass der Kläger mit Frau C. und dem gemeinsamen minderjährigen Sohn eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 a) SGB II bildet. Gemäß dieser Norm gehören zur Bedarfsgemeinschaft als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte.

Zur Beurteilung der Frage, ob die Ehegatten nicht dauerhaft getrennt leben, sind die familienrechtlichen Grundsätze zum Gegenbegriff Getrenntleben (vgl. § 1567 Bürgerliche Gesetzbuch (BGB)) heranzuziehen (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 18. Februar 2010 - B 4 AS 49/09 R - juris Rn. 13). Ein dauerhaftes Getrenntleben ist anzunehmen, wenn nach den tatsächlichen Verhältnissen (Gerenkamp in: Mergler/Zink, Hdb. Grundsicherung – Teil I, SGB II, § 7 Rn. 29) davon auszugehen ist, dass eine Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben worden ist (Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 29. September 1971 - V C 115.70 - juris). Das Getrenntleben kann dabei grundsätzlich auch in der ehelichen Wohnung vollzogen werden (vgl. § 1567 Abs. 1 Satz 2 BGB). Leben die Ehegatten dort weiterhin zusammen, so bedarf es jedoch einer vertieften Prüfung, ob die Eheleute tatsächlich getrennt leben. Es sei dahingestellt, ob in jedem Fall getrennte Räume genutzt werden müssen (So Wolff-Dellen in: Löns/Herold-Tews, SGB II, § 7 Rn. 26). Erforderlich ist jedenfalls eine Trennung der wesentlichen ökonomischen Gemeinsamkeiten und der nach außen erkennbare Wille mindestens eines der Ehegatten, mit dem anderen Ehegatten nicht mehr zusammenleben zu wollen (Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 23. November 1962 - IV ZR 134/62). Die Aufhebung allein der Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft, insbesondere durch getrenntes Schlafen und getrenntes Essen, reicht insoweit regelmäßig nicht aus (Gerenkamp in: Mergler/Zink, Hdb. Grundsicherung – Teil I, SGB II, § 7 Rn. 29; Wolf-Dellen in: Löns/Herold-Tews, SGB II, § 7 Rn. 26; Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg, Urteil vom 04. November 1987 - 4 B 352/87 - FEVS 37, 324 zu § 11 BSHG.). Zweifel an einem Getrenntleben sind insbesondere immer dann angebracht, wenn die Verheirateten nach Ablauf der Trennungszeit (§ 1566 BGB) immer noch zusammenleben, ohne dass das Scheidungsverfahren ernsthaft betrieben wird (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 21. Februar 2013 - L 15 AS 139/09 - juris; Valgolio in: Hauck/Noftz, SGB II, § 7 Rn. 191). Dabei wird nach § 1566 Abs. 1 BGB unwiderlegbar vermutet, dass die Ehe gescheitert ist, wenn die Ehegatten seit einem Jahr getrennt leben und beide Ehegatten die Scheidung beantragen oder der Antragsgegner der Scheidung zustimmt und darüber hinaus nach Abs. 2 der Norm auch, wenn die Ehegatten seit drei Jahren getrennt leben.

Nach dieser Maßgabe kann vorliegend nicht von einem dauerhaften Getrenntleben des Klägers und Frau C. ausgegangen werden, da bereits die wesentlichen ökonomischen Gemeinsamkeiten im streitgegenständlichen Zeitraum nicht – mehr – voneinander getrennt waren.

Der Kläger selbst hat im Rahmen des im Verfahren S 7 AS 919/19 ER durchgeführten Erörterungstermins am 00.00.0000 vorgetragen, dass er im streitgegenständlichen Zeitraum über kein eigenes Konto verfügt habe, da dieses durch die Bank gekündigt worden sei. "Seine Leistungen" seien während dieser Zeit auf das Konto von Frau C. überwiesen würden. Dies sei bereits durchgängig seit November 0000 so. Ein eigenes Konto – welches er aufgrund seiner Bonität zunächst auch nicht habe bekommen können – scheine ihm nicht notwendig. Er verfüge zwar über keine Vollmacht über das Konto, aber mit den Barauszahlungen von Frau C. würde für ihn alles funktionieren. Die Miete sei insgesamt eh von diesem Konto aus überwiesen worden.

Auch die Angaben des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 00.00.0000 vermögen letztlich zu keinem anderen Ergebnis zu führen. Im Rahmen dieses Termins hat der Kläger ausgeführt, dass er zwischenzeitlich ein P-Konto eingerichtet habe, auf welches nur er selbst Zugriff habe. Ein Rückgriff auf das Konto von Frau C. würde nicht länger erfolgen. Mag dies gegebenenfalls auch zu einer – erneuten – ökonomischen Trennung des Klägers und von Frau C. ab Eröffnung des P-Kontos führen, so ändert dies indes nichts an den tatsächlichen Verhältnissen im hier relevanten Zeitraums.

Vor diesem Hintergrund vermag auch der Verweis auf das Verfahren S 23 AS 742/14 nicht zu überzeugen. Zum damaligen Zeitpunkt hatten der Kläger und Frau C. angegeben, über getrennte Konten zu verfügen und ihre Finanzen unabhängig voneinander zu führen. Diese Trennung bestand ihm Zeitraum April bis September 0000 – wie bereits ausgeführt – nicht mehr. Auch zeigt sich in dem Umstand, dass Frau C. dem Kläger – als sein Konto gekündigt wurde – ermöglichte sämtliche Leistungen erneut über ihr Konto abzuwickeln, dass diese ihm weiterhin in Notsituationen beistand. Unterstrichen wird dieses gemeinsame Handeln im Übrigen auch dadurch, dass der Kläger und Frau C. mit- und füreinander Behördengänge überahmen. Insoweit vermögen auch die vom Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 00.00.0000 vorgelegten Unterlagen - eine Mitwirkungsaufforderung des Beklagten an Frau C. und eine Erklärung ebendieser, dass sie nunmehr für sich alleine wirtschaften wolle und aufgrund ihres Einkommens keinen weiteren Antrag auf Leistungen nach dem SGB II stellen werde – nicht zu verfangen, da diese ebenfalls nichts über die Verhältnisse im streitgegenständlichen Zeitraum aussagen.

An dieser Wertung ändern letztlich auch die Feststellungen im Rahmen der Wohnungsbesichtigung am 00.00.0000 (S 7 AS 919/18 ER) nichts. Denn wie bereits ausgeführt, genügt die Aufhebung allein der Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft, insbesondere durch getrenntes Schlafen und getrenntes Essen, regelmäßig nicht aus, um ein dauerhaftes Getrenntleben zu begründen. Zudem werden weitere erhebliche Zweifel an der dauerhaften Trennung dadurch begründet, dass der Kläger und Frau C. nach einer Dauer von über vier Jahren noch immer kein Scheidungsverfahren eingeleitet haben und ein solches – laut Angaben des Klägers - auch nicht beabsichtigt sei. Mit dieser Zeitspanne haben sie sämtliche Trennungszeiten des § 1566 BGB deutlich überschritten. Darüber hinaus hat der Kläger erklärt, dass auch ein Auszug aus der aktuell bewohnten Wohnung für ihn nicht in Betracht komme.

Unter Berücksichtigung des vorläufig angesetzten Erwerbseinkommens von Frau C. in Höhe von durchschnittlich 577,50 EUR – davon anrechenbar ein Betrag in Höhe von 264,50 EUR – sowie des Einkommens aus Kindergeld in Höhe von 194,00 EUR – mithin 458,50 EUR – ist der Bedarf der Bedarfsgemeinschaft in den streitgegenständlichen Monaten – auch unter Berücksichtigung der Freibeträge – jeweils in Höhe von 1.238,67 EUR nicht gedeckt. Der Bedarf beläuft sich dabei auf 632,43 EUR Kosten der Unterkunft (Grundmiete in Höhe von 417,45 EUR, Heizkosten in Höhe von 81,99 EUR und Nebenkosten in Höhe von 132,99 EUR), Regelbedarf in Höhe von 1.044,00 EUR (374,00 EUR + 374,00 EUR + 296,00 EUR) und Mehrbedarf für Warmwasserbereitung in Höhe von 20,75 EUR; mithin insgesamt 1.697,18 EUR. Das Gericht schließt sich nach eigener Prüfung der zutreffenden Berechnung des Beklagten in den Bewilligungsbescheid vom 00.00.0000 an und macht sich diese zu Eigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved