L 11 KR 2649/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 12 KR 4413/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 2649/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Für die Berechnung der Höhe des Krankengeldes kann nicht auf den nächst zurückliegenden Entgeltabrechnungszeitraum von mindestens vier Wochen zurückgegriffen werden, wenn sich die Einkommensverhältnisse des Versicherten seither grundlegend geändert haben (hier: Reduzierung der Arbeitszeit um 50 %).
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 24. April 2007 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten beider Instanzen sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung weiteren Krankengeldes (Krg), insbesondere dessen Berechnung, für die Zeit vom 17.11.2001 bis 30.09.2002 in Höhe von 4.888,98 EUR streitig.

Die 1949 geborene, am 27.11.2003 verstorbene Ehegattin des Klägers (im folgenden: Versicherte) war bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Seit dem 04.09.1989 war sie versicherungspflichtig bei der Firma K. als Industrienäherin beschäftigt. Ab dem 08.06.2001 bis zum 19.08.2001 war die Versicherte wegen Migräne arbeitsunfähig erkrankt und bezog von der Beklagten ab dem 20.08.2001 Krg in Höhe von 38,93 EUR kalendertäglich. Das Krg wurde aus dem Entgeltabrechnungszeitraum Mai 2001 ermittelt, dem ein kalendertägliches Regelentgelt in Höhe von 55,61 EUR zugrunde lag. Vom 20.08. bis 17.09.2001 wurde eine stufenweise Wiedereingliederung durchgeführt, in deren Rahmen die Versicherte täglich vier Stunden bei der Firma K. erwerbstätig war. Ab dem 18.10.2001 erkrankte die Versicherte erneut, diesmal wegen eines Hautabszesses, einem Furunkel, einem Karbunkel und einem Axillarabszess. Nach der Entgeltbescheinigung der Firma K. betrug das Bruttoentgelt 899,36 DM bei abgerechneten 44 Stunden und einer vereinbarten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden. Der abgerechnete Entgeltzeitraum reichte vom 14.09.2001 bis zum 30.09.2001. Vom 18.10.2001 bis zum 16.11.2001 erhielt die Versicherte Entgeltfortzahlung auf der Basis von 4 Stunden (Telefonnotiz vom 30.04.2002). Die Beklagte gewährte daraufhin der Versicherten ab dem 17.11.2001 Krg in Höhe von 18,04 EUR kalendertäglich.

Nachdem die Klägerin höheres Krg beantragte, lehnte die Beklagte dies mit Bescheid vom 21.05.2002 mit der Begründung ab, die vorgelegte Verdienstbescheinigung bestätige, dass die Berechnung des Krg entsprechend den gesetzlichen Vorschriften erfolgt sei. Das Brutto-Krg betrage 40,88 DM, somit das Netto-Krg abzüglich der Sozialversicherungsbeiträge 35,30 DM, so dass ein Betrag von 18,04 EUR zur Auszahlung gelange.

Mit ihrem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, der Krg-Gewährung dürfe nicht der Arbeitsversuch zugrunde gelegt werden, sondern das Entgelt, welches sie zuvor bezogen habe. Bei ihr sei am 18.10.2001 eine neue Erkrankung aufgetreten, nämlich die Abszesserkrankung im Bereich der linken Axilla mit entsprechender Schmerzsymptomatik. Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes holte die Beklagte eine Auskunft bei den die Klägerin behandelnden Ärzten ein. Die Fachärztin für Chirurgie Dr. M. S. J. teilte mit, dass die Klägerin unter anderem auch wegen Migräne über den 18.10.2001 hinaus arbeitsunfähig gewesen sei. Dies bestätigte auch der Allgemeinmediziner Dr. G ... Er schränkte seine Angaben allerdings dahingehend ein, dass es zu keinem akuten Migräneanfall gekommen sei und dass die Klägerin deswegen hauptsächlich wegen der Diagnose Schweißdrüsenabszess arbeitsunfähig gewesen wäre. Der daraufhin eingeschaltete Medizinische Dienst der Krankenversicherung B.-W. (MDK) führte in seinem Gutachten nach Aktenlage (Dr. O.) aus, bezüglich der Diagnosen Migräne und Adipositas sei die Klägerin ab 13.09.2001 aus dem Krg-Bezug ausgesteuert worden. Ab dem 20.08.2001 wäre mit einer stufenweisen Wiedereingliederung begonnen worden. Die Schweißdrüsenabszesse hätten somit ab 17.09.2001 die Arbeitsunfähigkeit bedingt, in deren Folge sogar Krankenhausbehandlungen mit Operationen hätten durchgeführt werden müssen. Somit könne, zumal es nach Aussage des behandelnden Arztes Dr. G. zu keinem akuten Migräneanfall gekommen sei, als die allein die Arbeitsunfähigkeit begründende Diagnose der Schweißdrüsenabszess angesehen werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 22.07.2003 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch mit der Begründung zurück, für die Erkrankung ab 18.10.2001 sei Krg entsprechend der gekürzten Arbeitszeit gezahlt worden. Dies sei deswegen rechtmäßig, da die Arbeitsunfähigkeit ab 18.10.2001 auf einer anderen Krankheit beruht habe als die, wegen der ein Eingliederungsversuch notwendig gewesen wäre, und die Versicherte die gekürzte Arbeitszeit als Inhalt des Arbeitsverhältnisses akzeptiert habe. Somit müsse von einer Änderung des Arbeitsverhältnisses ausgegangen werden. Dafür spreche auch die Tatsache, dass der Arbeitgeber für die zusammenhängenden Erkrankungen Entgeltfortzahlung in Höhe der gekürzten Arbeitszeit gezahlt und die Versicherte dies auch nicht beanstandet habe. Der somit der Berechnung des Krg zugrunde zu legende Entgeltabrechnungszeitraum sei der abgerechnete September 2001 mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden.

Mit ihrer dagegen beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobenen Klage machte die Klägerin geltend, der Wiedereingliederungsversuch mit einer zeitweiligen Reduzierung der Arbeitszeit habe keine Änderung des Arbeitsverhältnisses dargestellt. Der Versicherten sei daher, nachdem der Wiedereingliederungsversuch gescheitert wäre, im Oktober 2001 die vollständige Höhe des Arbeitsentgeltes durch den Arbeitgeber gewährt worden. Dem Anspruch auf Krg sei somit die reguläre wöchentliche Arbeitszeit von 44 Stunden zugrunde zu legen. Die Versicherte hat hierzu einen Kontoauszug vorgelegt, in welchem ein Arbeitsentgelt von 1.419.40 DM unter Wertstellung vom 06.11.2001 ausgewiesen wird, ferner die Lohnabrechnung für die Monate September (899,36 DM brutto) und Oktober 2001 (1419,40 DM brutto) wie die Zeiterfassung der Firma K. (4 Stunden täglich).

Am 27.11.2003 verstarb die Versicherte infolge eines Verkehrsunfalls. Der Rechtsstreit wurde durch den Ehegatten der Versicherten als Sonderrechtsnachfolger fortgeführt.

Mit Urteil vom 24.04.2007, der Beklagten zugestellt am 07.05.2007, verurteilte das SG die Beklagte unter Abänderung der Bescheide, dem Kläger als Sonderrechtsnachfolger Krg in Höhe von 38,93 EUR (brutto) kalendertäglich für die Zeit vom 17.11.2001 bis zum 30.09.2002 zu gewähren. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Versicherte Anspruch auf Krg habe, sei zwischen den Beteiligten unstreitig, es ginge lediglich um die Höhe des Krg. Da der Monat Mai 2001 der letzte abgerechnete Entgeltzeitraum gewesen sei, der vier Wochen umfasst habe, müsse dieser auch der Krg-Gewährung ab dem 17.11.2001 zugrunde gelegt werden. Denn der bescheinigte Abrechnungszeitraum Monat September umfasse lediglich 17 Tage. In einem solchen Falle müsse der nächste zurückliegende Abrechnungszeitraum herangezogen werden, der die zeitliche Voraussetzung von vier Wochen erfülle.

Mit ihrer dagegen am 25.05.2007 eingelegten Berufung verweist die Beklagte auf das Gemeinsame Rundschreiben der Spitzenverbände der Krankenkassen und Unfallversicherungsträger zur einheitlichen, für alle Versicherten gleichermaßen anzuwendenden Vorgehensweise bezüglich der Berechnung, Höhe und Zahlung des Krg und Verletztengeldes. Danach müsse der Monat September 2001 der Krg-Berechnung zugrunde gelegt werden, da sich die Verhältnisse der Versicherten nach dem Erreichen der Höchstbezugsdauer von Krg am 13.09.2001 grundlegend geändert hätten. Denn sie habe ab diesem Zeitpunkt nur noch halbtags gearbeitet. Ansonsten werde der Entgeltersatzfunktion des Krg nicht Rechnung getragen. Es entspreche dem Wille des Gesetzgebers, dass Krg nach einem möglichst aktuellen Regelentgelt berechnet werde. Dass kein ganzer Kalendermonat abgerechnet sei, sei in einem solchen Falle unschädlich. Eine andere Bewertung würde z.B. bei Wechsel von einem Ausbildungs- zu einem Arbeitsverhältnis oder arbeitsvertraglichen Änderungen der finanziellen oder zeitlichen Art vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit zu inakzeptablen Konsequenzen führen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 24. April 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass maßgebend sei, dass der notwendige zeitliche Umfang des Entgeltabrechnungszeitraumes von mindestens vier Wochen im September nicht erreicht werde, so dass auf den Abrechnungsmonat Mai zurückgegriffen werden müsse. Im Hinblick auf die Zeit der Wiedereingliederung könne nicht von einer wesentlichen Änderung des Beschäftigungs- und Versicherungsverhältnisses ausgegangen werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist statthaft im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG, da die erforderliche Berufungssumme von 500,- EUR überschritten wird.

Die danach insgesamt zulässige Berufung ist auch begründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, dem Kläger als Sonderrechtsnachfolger der Versicherten (§ 56 Abs. 1 Nr. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I) Krg in Höhe von 38,93 EUR (brutto) kalendertäglich für die Zeit vom 17.11.2001 bis zum 30.09.2002 zu gewähren. Der angefochtene Bescheid vom 21.05.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.07.2003 ist rechtmäßig.

Höhe und Berechnung des Krg ergeben sich grundsätzlich aus § 47 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Nach dieser Vorschrift beträgt das Krg 70 v.H. des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt). Für die Berechnung des Regelentgelts ist das von dem Versicherten im letzten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgerechneten Entgeltabrechnungszeitraum, mindestens das während der letzten abgerechneten vier Wochen (Bemessungszeitraum) erzielte und um einmalig gezahltes Arbeitsentgelt verminderte Arbeitsentgelt durch die Zahl der Stunden zu teilen, für die es gezahlt wurde (Absatz 2 Satz 1).

Bei der Versicherten hat der Entgeltabrechnungszeitraum vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit keine vier Wochen, sondern nur 17 Tage umfasst. In einem solchen Fall muss zwar, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, grundsätzlich auf den nächsten zurückliegenden Abrechnungszeitraum zurückgegriffen werden, der die zeitliche Voraussetzung von mindestens vier Wochen umfasst (Höfler, in: Kasseler Kommentar, § 47 SGB V Rdnr. 20). Dies ist indessen dann nicht der Fall, wenn sich die Einkommensverhältnisse der Versicherten - wie vorliegend - grundlegend geändert haben. Die Versicherte hat einvernehmlich mit ihrem Arbeitgeber ihre tägliche Arbeitszeit um 50 % reduziert. Ansonsten könnte auf den Entgeltabrechnungszeitraum Mai 2001 zurückgegriffen werden. Das würde aber bei einer grundsätzlichen Änderung des Arbeitsverhältnisses der Entgeltersatzfunktion des Krg nicht ausreichend Rechnung tragen. Die Beklagte musste für die Berechnung des Krg daher auf die Verhältnisse im September 2001 abstellen. Das folgt bereits daraus, dass der Umfang des Versicherungsschutzes nach dem SGB V auf dem im Zeitpunkt der Anspruchsentstehung wirksamen Versicherungsverhältnis beruht; für den Krg-Anspruch ist dabei weder auf den Beginn der Krankheit noch auf "wirklichen" Beginn der Arbeitsunfähigkeit, sondern grundsätzlich auf die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit abzustellen (vgl. zum folgenden BSG SozR 4 - 2500 § 47). Das zugrunde gelegt muss hier auf den Versicherungsstatus zum 18.10.2001 abgestellt werden, denn die Versicherte war nicht durchgehend seit dem 08.06.2001 arbeitsunfähig erkrankt, sondern nach der stufenweisen Wiedereingliederung (§ 74 SGB V) vom 20.08. bis 17.09.2001 nach den übereinstimmenden Aussagen der behandelnden Ärzte bzw. dem Gutachten des MDK wieder arbeitsfähig, wenngleich die Migräne nicht ausgeheilt war, aber zu keinem neuen Anfall geführt hat. Der Maßstab für die Arbeitsunfähigkeit am 18.10.2001 ergibt sich allein aus dem Umfang des Versicherungsschutzes im dann konkret bestehenden Versicherungsverhältnis. Denn Krg dient der wirtschaftlichen Sicherstellung bei Krankheit und bietet Ersatz für das Entgelt, das dem Versicherten infolge Krankheit entgeht. Deshalb ist wirtschaftlicher Bezugspunkt der Arbeitsunfähigkeit regelmäßig diejenige Tätigkeit, die der versicherte Arbeitsunfähige ohne Krankheit ausüben würde (BSG SozR 3 - 2200 § 182 Nr. 9). Auch der Beitragsbemessung unterliegt nach §§ 223, 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V nur das jeweilige kalendertägliche Arbeitsentgelt aus einer versicherungspflichtigen Versicherung.

Ausgehend hiervon hat sich das bisher bestehende Beschäftigungs- und damit das Versicherungsverhältnis nach Reduktion der Arbeitszeit um 50 % so wesentlich geändert, dass es wie ein neues Versicherungsverhältnis zu bewerten ist. Deswegen kann für den Leistungsanspruch auch nur dieses aktuell bestehende Versicherungsverhältnis maßgebend sein. Das entspricht allein dem aufgezeigten Regelungssystem und Zweck des Krg, das durch Arbeitsunfähigkeit entfallende Arbeitsentgelt zu ersetzen. Für die Richtigkeit dessen spricht auch nicht zuletzt, dass sich die Entgeltfortzahlung des ehemaligen Arbeitgebers ebenfalls an einer wöchentlichen Arbeitszeit von vier Stunden orientiert hat, wie sich dies zur Überzeugung des Senats aus der Zeiterfassung für den Monat September und der Abrechnung für den Monat September 2001 ergibt. Somit ist bei der Klägerin das vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit tatsächlich erzielte Entgelt der Berechnung zugrunde gelegt werden, auch wenn vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit noch keine abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume von mindestens vierwöchiger Dauer vorliegen (so im Ergebnis auch Geyer/Knorr/Krasney, Entgeltfortzahlung, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, § 47 SGB V Rdnr. 34 f.).

Auf die Berufung der Beklagten war daher das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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