L 14 P 605/98

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 2 P 656/97
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 14 P 605/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 17. Februar 1998 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Zahlung von Pflegegeld nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung – (SGB XI) in der Pflegestufe II gemäß der Übergangsregelung des Art. 45 Pflegeversicherungsgesetz (PflegeVersG).

Der 1937 geborene Kläger ist bei der Beklagten Mitglied in der sozialen Pflegeversicherung nach § 21 Abs. 1 SGB XI. Er ist aufgrund einer im Jahre 1957 erlittenen Wehrdienstbeschädigung, bei der er unter anderem eine Brustwirbelkörperfraktur erlitt, querschnittsgelähmt und bezieht Versorgungsleistungen nach dem Soldatenversorgungsgesetz in Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Er erhält Pflegezulage gemäß § 35 BVG in Höhe von (Stand: März 1995) 2.326,00 DM. Der Kläger, bei dem unter anderem eine totale Lähmung beider Beine sowie eine Blasen- und Mastdarmlähmung besteht, wird in häuslicher Umgebung von seiner Ehefrau, U. O., (früher: P.) gepflegt.

Aufgrund einer Untersuchung am 16. Mai 1991 erstellte Dr. K. für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein Gutachten nach Untersuchung in häuslicher Umgebung zur Schwerpflegebedürftigkeit im Sinne der (früheren) §§ 53 ff. des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) mit dem Ergebnis, daß beim Kläger wegen der totalen Lähmung beider Beine sowie der Blasen- und Mastdarmlähmung Schwerpflegebedürftigkeit nach den Vorschriften der §§ 53 ff. SGB V (alte Fassung – a.F.) im Sinne eines Dauerzustandes vorliege. Nach diesem Gutachten besteht beim Kläger ständiger Hilfebedarf beim Gehen, Treppen steigen, Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, Aufstehen/Hinsetzen, beim Bewahren aufrechter Körperhaltung, beim Stehen und Umlagern im Sitzen und Liegen sowie beim Duschen/Baden, An- und Auskleiden und bei allen hauswirtschaftlichen Verrichtungen. Der Kläger benötigt häufig Hilfe beim Bewahren der aufrechten Körperhaltung im Sitzen und beim Zubereiten der Nahrung. Das Aufnehmen der Nahrung, das Waschen, die Zahn-/Mundhygiene und das Kämmen/Rasieren kann er alleine ausführen.

Aufgrund dieses Gutachtens bewilligte die AOK als Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung mit Bescheid vom 25. Juni 1991 dem Kläger häusliche Pflegehilfe ab 1. Januar 1991 in Form von Grundpflege und hauswirtschaftlicher Versorgung für maximal 25 Pflegeeinsätze bis zu einer Stunde je Kalendermonat und bis zum Höchstbetrag von 750,00 DM/Monat. Diese Geldleistung wurde an die Pflegeperson P (jetzt: O.) überwiesen (Mitteilung vom 10. Juli 1991).

Mit Schreiben vom 1. März 1995 (Eingang am 8. März 1995) beantragte der Kläger neben Leistungen zur sozialen Sicherung der Pflegeperson gemäß § 44 SGB XI (die zwischenzeitlich gewährt werden und nicht mehr im Streit sind) die Bewilligung von häuslicher Pflegehilfe (Pflegesachleistungen) in Höhe von monatlich 1.800,00 DM nach Pflegestufe II unter Berufung auf Art. 45 der Übergangsregelung des Pflegeversicherungsgesetzes und § 36 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI. Die Beklagte vertrat hierzu die Auffassung, daß für die Bewilligung von Leistungen zur Pflege die Versorgungsverwaltung zuständig sei, weil der Kläger von dort Pflegezulage nach § 35 BVG erhalte und deshalb ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XI gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI zum Ruhen komme. Das Antragsschreiben ist an das Versorgungsamt weitergeleitet worden.

Mit Bescheid vom 20. März 1995 (ohne Rechtsbehelfsbelehrung) lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen (auch eines Pflegegeldes) nach dem SGB XI mit der Begründung ab, der Leistungsanspruch ruhe nach § 34 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI, soweit Versicherte Entschädigungsleistungen wegen Pflegebedürftigkeit unmittelbar nach § 35 BVG oder nach Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen, erhalten würden. Der Kläger erhob, Widerspruch (Eingang 9. November 1995) und machte unter anderem geltend, daß nach dem Wortlaut von § 34 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI ein Ruhen nur eintrete, soweit der Versicherte Entschädigungsleistungen wegen Pflegebedürftigkeit nach § 35 BVG tatsächlich erhalte und diese Leistungen auch deckungsgleich mit den Leistungen aus der Pflegeversicherung seien. Da Kosten für hauswirtschaftliche Arbeiten durch die Pflegezulage nach dem BVG nicht abgegolten werden könnten, weil durch die Pflegezulage nach dem BVG lediglich die in unmittelbaren Zusammenhang mit der Wartung und Pflege des Pflegebedürftigen entstehenden Kosten ersetzt würden, seien durch die Leistungen bei Pflegebedürftigkeit nach dem BVG die Leistungen nach dem SGB XI (§§ 4 und 14 Abs. 4 Nr. 4) nicht erfaßt. Der Kläger beantragte nunmehr, Kosten für die hauswirtschaftliche Versorgung in Höhe von 800,00 DM/Monat (26,6 Stunden à 30,00 DM) zu übernehmen und stellte auch im Januar 1996 bei der nunmehr zuständigen Geschäftsstelle der Pflegekasse (AOK B.) einen entsprechenden Antrag.

Die Beklagte veranlaßte eine Begutachtung durch den MDK in W., der für den 20. Februar 1996 einen Begutachtungstermin in häuslicher Umgebung des Klägers ankündigte. Der Kläger lehnte eine Begutachtung unter anderem mit der Begründung ab, daß bei ihm das Vorliegen von Pflegebedürftigkeit nach der Pflegestufe II bereits gemäß den Vorschriften des SGB V festgestellt worden sei und berief sich insoweit auf die Überleitungsvorschrift des Art. 45 des PflegeVersG. Die Beklagte wies den Kläger mit Schreiben vom 19. März 1996 auf seine Mitwirkungspflichten nach den Vorschriften der §§ 60 ff. des Ersten Buches des Sozialgesetzbuch (SGB I) hin und fragte mit Schreiben vom selben Tage beim MDK an, ob der Umfang der Pflegebedürftigkeit beim Kläger nach Aktenlage festgestellt werden könne, was der MDK mit Schreiben vom 19. April 1996 verneinte. Mit Schreiben vom 23. Mai 1996 teilte daraufhin die Beklagte dem Kläger mit, daß angesichts der negativen Stellungnahme des MDK eine Untersuchung in der häuslichen Umgebung erforderlich sei. Dies lehnte der Kläger – für den damaligen Zeitpunkt – mit Schreiben vom 11. Juni 1996 mit der Begründung ab, das Vorliegen der Pflegestufe II stehe aus Rechtsgründen gemäß Art. 45 des PflegeVersG fest. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage holte die Beklagte eine Stellungnahme des AOK-Bundesverbandes ein, der ebenfalls die Auffassung vertrat, Leistungen nach dem SGB XI und dem BVG seien nicht kumulierbar und die Leistungen der Pflegeversicherung zur Hilfe beim Ablauf des täglichen Lebens seien nicht teilbar (Schreiben vom 26. September 1996). Diese Rechtsauffassung machte sich die Beklagte zu eigen und teilte dies dem Kläger mit Schreiben vom 5. Dezember 1996 mit. Das Hessische Ministerium für Frauen, Arbeit und Sozialordnung, das als zuständige Aufsichtsbehörde beteiligt wurde, erklärte gegenüber der Beklagten mit Schreiben vom 10. Dezember 1996, daß es die Rechtsauffassung des Klägers teile, weil sich aus der Formulierung "soweit” in § 34 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI die Notwendigkeit eines Leistungsvergleiches ergebe.

Mit Bescheid vom 13. Februar 1997 erklärte sich die Beklagte bereit, im Rahmen der Überleitungsvorschrift des Art. 45 PflegeVersG – ohne Anerkennung einer rechtlichen Verpflichtung – die Einstufung in Pflegestufe II (Überleitungsregelung aus den §§ 53 ff. SGB V a.F.) zu akzeptieren. Den Antrag vom 21. Mai 1996 (Schreiben des Klägerbevollmächtigten) auf Zahlung von Sachleistungen nach Pflegestufe II in Höhe von monatlich 1.800,00 DM lehnte die Beklagte ab. Hiergegen ist erneut Widerspruch erhoben worden (Schreiben des Klägers vom 28. Februar 1997 und des Klägerbevollmächtigten vom 4. März 1997).

Die Beklagte erläuterte mit Schreiben vom 10. März 1997 gegenüber der Aufsichtsbehörde ihren Rechtsstandpunkt und wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 1997 – nach Beteiligung der bei ihr bestehenden besonderen Stelle – unter anderem mit der Begründung zurück, daß Pflegebedürftigen grundsätzlich gemäß den §§ 36, 37 SGB XI Anspruch auf Leistungen bei selbst beschaffter Pflegehilfe hätten und der Kläger insoweit auch gemäß der Überleitungsvorschrift von Art. 45 PflegeVersG als schwerpflegebedürftig nach Pflegestufe II einzuordnen sei. Der Bewilligung von Sachleistungen nach Pflegestufe II (§ 36 Abs. 3 Ziffer 2 SGB XI) stünden jedoch die Vorschriften der §§ 13 und 34 Abs. 1 Ziffer 2 SGB XI entgegen, weil der Kläger gemäß § 35 Abs. 1 BVG eine monatliche Pflegezulage von 2.326,00 DM erhalte. Nach § 13 Abs. 1 SGB XI seien Leistungen der Pflegeversicherung gegenüber gesetzlichen Entschädigungsleistungen nachrangig. Dies werde durch § 34 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI dahingehend konkretisiert, daß ein Leistungsanspruch nach dem SGB XI in Höhe dieser Entschädigungsleistungen ruhe. Dieses Ruhen eines Leistungsanspruches nach dem SGB XI bei Bezug von Entschädigungsleistungen trete in Höhe der tatsächlich bezogenen Entschädigungsleistungen ein. Da die laufenden Entschädigungsleistungen wesentlich höher als der Sachleistungsanspruch nach § 36 Abs. 3 Ziffer 2 (monatlich 1.800,00 DM) seien, komme dieser Anspruch in voller Höhe zum Ruhen. Aus der Begründung des Regierungsentwurfs zum PflegeVersG könne eine andere Auslegung nicht entnommen werden. Auch seien die Leistungen nach den Vorschriften der §§ 36 und 37 SGB XI nicht als teilbar anzusehen, weshalb es ausgeschlossen sei – etwa für den Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung – eine geteilte Leistung zur Verfügung zu stellen.

Gegen den seinen Bevollmächtigten mittels Postzustellungsurkunde am 27. Mai 1997 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger die am 19. Juni 1997 beim Sozialgericht Wiesbaden eingegangene Klage erhoben. Der Kläger hat eine Schweigepflichtsentbindungserklärung betreffend die ihn behandelnden Ärzte vorgelegt und seine Rechtsauffassung bekräftigt, daß ihm jedenfalls anteilig für die hauswirtschaftliche Versorgung ein Anspruch auf eine Geldleistung nach dem SGB XI zustehen müsse. In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Wiesbaden haben die Beteiligten übereinstimmend erklärt, Streitgegenstand des Klageverfahrens sollten die angefochtenen Bescheide nur hinsichtlich der Gewährung von Leistungen bei häuslicher Pflege sein und nicht (mehr) die soziale Absicherung der Pflegeperson, weshalb der Kläger beantragt hat, die Beklagte zu verurteilen, ihm Pflegegeld nach der Pflegestufe II ab 1. April 1995 zu gewähren.

Durch Urteil vom 17. Februar 1998 hat das Sozialgericht Wiesbaden die Klage abgewiesen und zur Begründung unter anderem ausgeführt, daß gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI Entschädigungsleistungen wegen Pflegebedürftigkeit nach dem BVG den Leistungen der Pflegeversicherung vorgehen würden. Nach § 34 Abs. 1 Ziffer 2 SGB XI ruhe der Anspruch auf Leistungen, soweit Versicherte – wie hier der Kläger, der monatlich eine Pflegezulage von 2.326,00 DM bekomme – Entschädigungsleistungen wegen Pflegebedürftigkeit unmittelbar nach § 35 BVG erhalten würden. Zwar ruhe in den Fällen des § 34 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI nicht "der Anspruch auf Leistungen”, sondern nur "der Anspruch auf Leistungen bei häuslicher Pflege”, weshalb Leistungen für Pflegepersonen nach den §§ 44, 45 SGB XI vom Ruhen ausgenommen seien. Eine weitere Differenzierung dahingehend, daß der Anspruch auf Leistungen bei häuslicher Pflege nur teilweise – betreffend die Leistungen der Grundpflege – ruhe, lasse sich aber weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes begründen. Nach dem Wortlaut ruhe "der Anspruch” und das müsse heißen, der gesamte (unteilbare) Anspruch auf Leistungen bei häuslicher Pflege. Eine Teilung des Anspruchs auf Leistungen bei häuslicher Pflege sei im SGB XI nicht vorgesehen. Weder in den §§ 14, 15 SGB XI noch in den §§ 36 und 37 SGB XI (betreffend die Pflegesachleistungen bzw. das Pflegegeld) oder in anderen Vorschriften des SGB XI seien konkrete Anhaltspunkte dafür zu finden, wie der Anteil der Grundpflege bzw. der hauswirtschaftlichen Versorgung an der jeweiligen Leistung rechnerisch festgestellt und beziffert werden könne. In den von § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB XI erfaßten Fällen gehe der Gesetzgeber davon aus, daß Leistungen bei häuslicher Pflege nicht benötigt würden, weil der Versicherte die Pflegeleistungen bereits durch andere Leistungsträger erhalte. Dem Gesetzgeber sei bewußt gewesen, daß die Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 BVG nur die Grundpflege umfasse; gleichwohl sei kein "geteiltes” Ruhen angeordnet worden.

Gegen das seinen Prozeßbevollmächtigten am 8. April 1998 gegen Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil richtet sich die am 4. Mai 1998 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung.

Der Kläger erneuert und vertieft sein Vorbringen aus dem Verwaltungs- und dem erstinstanzlichen Gerichtsverfahren und macht unter anderem geltend, mit der einschränkenden Wortwahl "soweit” habe der Gesetzgeber ein geteiltes Ruhen angeordnet, wovon auch das Sozialgericht in seinen Entscheidungsgründen selbst ausgegangenen sei, weil es die Bewilligung von Leistungen für Pflegepersonen nach den §§ 44 und 45 SGB XI für zulässig erachtet habe. Häusliche Pflege bestehe gemäß § 36 SGB XI aus zwei Anspruchsarten. Erst beide Leistungsarten zusammen würden den vollen Leistungsumfang ergeben; andernfalls wäre er vom Anspruch auf hauswirtschaftliche Versorgung abgeschnitten. Auch wenn es im Einzelfall schwierig sei, die Kosten für die hauswirtschaftliche Versorgung herauszuarbeiten, sei dies jedoch nicht unmöglich, wie sich auch aus den §§ 89, 90 SGB XI ergebe. Durch die mit dem Ersten Änderungsgesetz zum SGB XI vom 14. Juni 1996 erfolgte Regelung in § 15 Abs. 3 SGB XI sei das Verhältnis des zeitlichen Pflegeaufwandes zwischen hauswirtschaftlicher Versorgung und Grundpflege geklärt worden. Danach sei es möglich, den Wert der hauswirtschaftlichen Versorgung, etwa im Sinne einer pauschalen Aufteilung, abzuschätzen. Der Kläger beruft sich hierzu auch auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25. März 1993 (Az.: 5 C 45.91), die Abgrenzung zwischen den §§ 55, 57 SGB V (a.F.) einerseits und § 69 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) andererseits betreffend. Der Anteil für hauswirtschaftliche Versorgung, der im Rahmen des § 35 BVG nicht abgedeckt werden könne, könnte derart abgegrenzt werden, daß dem Kläger die Geldleistung jedenfalls in Höhe der Hälfte des für die Pflegestufe II vorgesehenen Betrages zustehe. Unter Berücksichtigung der durch das Erste Änderungsgesetz zum SGB XI getroffenen Regelung in § 15 Abs. 3 SGB XI könnte der zeitliche Pflegeaufwand für die Grundpflege einerseits und für die hauswirtschaftliche Versorgung andererseits, auch im Verhältnis 3 zu 2 aufgeteilt werden, weshalb dem Kläger das monatliche Pflegegeld nach § 37 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI mindestens in Höhe von 267,66 DM/Monat (800,00 DM: 3) zustehen müßte.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung des Senats am 10. Dezember 1998 haben die Beteiligten einen Teilvergleich geschlossen, wonach sie übereinstimmend davon ausgehen, daß die medizinischen Voraussetzungen für die Zuerkennung der Pflegestufe II bis einschließlich Dezember 1998 vorgelegen haben sollen und die Beklagte sich dementsprechend bereit erkläre, für den Fall des Obsiegens des Klägers im vorliegenden Rechtsstreit Pflegegeld bis einschließlich Dezember 1998 zu zahlen. Der Kläger hat sich bereit erklärt, nach Zustellung des Urteils sich einer Untersuchung durch den MDK zu unterziehen und den Klageanspruch bis einschließlich 29. Februar 1996 begrenzt.

Der Kläger beantragt (nunmehr),
das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 17. Februar 1998 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 20. März 1995 und vom 13. Februar 1997, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Mai 1997 zu verurteilen, ihm Pflegegeld nach Stufe II in Höhe von 800,00 DM/je Monat für die Zeit vom 1. April 1995 bis 29. Februar 1996 zu zahlen,
hilfsweise,
Pflegegeld in Höhe von 400,00 DM/je Monat für die Zeit vom 1. April 1995 bis zum 29. Februar 1996,
weiter hilfsweise,
Pflegegeld für diesen Zeitraum in Höhe von 267,66 DM/je Monat zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden für zutreffend. Aus der Formulierung "soweit” in § 34 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI lasse sich nicht entnehmen, daß der Gesetzgeber ein geteiltes Ruhen habe anordnen wollen. In der Vorschrift sei geregelt, daß bei Versicherten, die Entschädigungsleistungen wegen Pflegebedürftigkeit nach anderen Rechtsvorschriften erhielten, Leistungsansprüche bis zur Höhe jeder anderweitigen Leistung zum Ruhen kommen. Diese Auslegung entspreche dem Nachrang von Leistungen in der sozialen Pflegeversicherung gegenüber den gesetzlichen Entschädigungsleistungen wegen Pflegebedürftigkeit, wie sie in § 13 Abs. 1 SGB XI geregelt sei. Durch diese Regelung sei sichergestellt, daß der Pflegebedürftige durch das Inkrafttreten der Pflegeversicherung nicht schlechter gestellt werde als vorher. Auch die Materialien zur Gesetzesbegründung ließen eine andere Auslegung nicht zu. Auch seien die Leistungen nach den §§ 36, 37 SGB XI nicht "teilbar”, weil Leistungen der Pflegeversicherung Hilfen bei den Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in den Bereichen Körperpflege, Ernährung, Mobilität und hauswirtschaftliche Versorgung als Gesamtleistung vorsehen würden, die nicht teilbar sei.

Für den Sach- und Streitstand im übrigen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats am 10. Dezember 1998 gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG) und an sich statthaft (§§ 143 ff. SGG) und somit insgesamt zulässig.

Die Berufung ist jedoch sowohl hinsichtlich des Haupt- als auch des Hilfsantrages sachlich unbegründet.

Streitgegenstand sind die Bescheide der Beklagten vom 20. März 1995 und 13. Februar 1997 – beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Mai 1997 – (nur noch) insoweit, als der Kläger mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage die Zahlung von Pflegegeld gemäß § 37 SGB XI i.V.m. der Übergangsregelung des Art. 45 PflegeVersG nach Stufe II für die Zeit vom 1. April 1995 bis 29. Februar 1996 in Höhe von 800,00 DM/je Monat (bzw. entsprechend seinen Hilfsanträgen in Höhe von 400,00 DM oder aber 267,66 DM/je Monat) begehrt. Das weitergehende ursprüngliche Klagebegehren ist durch den Teilvergleich vom 10. Dezember 1998 erledigt.

Der Kläger kann für den befristeten Zeitraum vom 1. April 1995 bis 29. Februar 1996 nicht gemäß Art. 45 Abs. 1 PflegeVersG i.V.m. § 37 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 SGB XI Geldleistungen aus der Pflegeversicherung unter Berücksichtigung der Pflegestufe II beanspruchen. Zwar bedurfte es hierzu wegen der Übergangsregelung keiner Antragstellung und auch keiner Begutachtung durch den MDK. Für den streitbefangenen Zeitraum entfallt jedoch ein Anspruch auf Leistungen bei häuslicher Pflege nach den §§ 36, 37 SGB XI – und damit auch auf Pflegegeld – weil insoweit nach dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 34 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XI ruht. Der Kläger erhält vom Versorgungsamt Wiesbaden Pflegezulage nach Stufe VI gemäß § 35 BVG in Höhe von (Rechtsstand März 1995) 2.236,00 DM (mit Wirkung vom 1. Juli 1995 erhöht auf 2.332,00 DM; vgl. 4. KOV-Anpassungsverordnung vom 23. Juni 1995, BGBl. I, Seite 852).

Dieser Betrag übersteigt den Höchstbetrag der nach dem SGB XI vorgesehenen und dem Kläger grundsätzlich zustehenden Leistungen, und zwar sowohl für die Inanspruchnahme von Pflegesachleistungen nach § 36 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI als auch insbesondere für das vom Kläger beanspruchte Pflegegeld nach Stufe II gemäß § 37 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 SGB XI.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist diese Vorschrift nicht generell einschränkend zu interpretieren; hiergegen bestehen zur Überzeugung des Senats auch keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar ist der Wortlaut der Vorschrift des § 34 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI insoweit unstreitig zu weitgehend und bedarf deshalb der sogenannten "teleologischen Reduktion", als mit der Formulierung "der Anspruch ruht" lediglich zum Ausdruck gebracht werden soll, daß der gesamte Anspruch auf die Leistungen nach den §§ 36 bis 43 SGB XI zum Ruhen gebracht werden soll, nicht jedoch - wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat - dadurch auch Leistungen gemäß § 44 SGB XI zum Ruhen gebracht werden sollen. Dies wird auch in der Literatur und den Kommentaren zum SGB XI weit überwiegend so gesehen (vgl. Trenk-Hinterberger, in: Schulin, Handbuch der Sozialversicherung, Pflegeversicherung, § 7 RdNr. 25 ff.; Rehberg, in: Hauck/Wilde, Stand: Mai 1998, K § 34 SGB XI RdNr. 11; Dalichau/Grüner/Müller-Alten, Stand: September 1998, § 34 SGB XI II., 2.; Knittel, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung - Pflegeversicherung, Stand: August 1998, § 24 RdNr. 6; wohl auch Leitherer, in: Kassler Kommentar, Stand: Juni 1998/Oktober 1996, § 34 SGB XI RdNrn. 5, 12 f.). Danach ist davon auszugehen, daß mit der Formulierung "soweit" gemeint sein soll, daß der Anspruch "wenn und soweit" ruhen solle, daß heißt also, "in Höhe" der tatsächlich nach den Vorschriften des BVG wegen der Pflegebedürftigkeit erbrachten Leistungen.

Diese Sichtweise ist auch den Gesetzesmaterialien zu entnehmen, wo es ausdrücklich heißt, daß Versicherte die höchste ihnen zustehende Leistung auch weiterhin erhalten sollen, Leistungen aber nicht zu kumulieren seien (BT-Drucksache 12/5262, S. 93, 94, 110 re. Sp.).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, daß die Begriffe "Hilflosigkeit" nach dem BVG und "Pflegebedürftigkeit" nach dem SGB XI nicht deckungsgleich sind, wovon der Kläger zutreffend ausgeht. Die Regelung nach § 35 BVG umfaßt auch die Bedürfnisse von Kommunikation, Spazierengehen u.s.w., die im Rahmen der sozialen Pflegeversicherung ausdrücklich nicht berücksichtigt werden sollen. Wie das Bundessozialgericht (BSG) ausdrücklich entschieden hat, ist bei der Beurteilung der Hilflosigkeit nach § 35 Abs. 1 BVG ein hauswirtschaftlicher Hilfebedarf grundsätzlich nicht zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 2. Juli 1997 - 9 RV 19/95 -). Der Hilfebedarf nach dem SGB XI soll hingegen auch die hauswirtschaftliche Versorgung umfassen. Das BSG hat aber in der erwähnten Entscheidung, was der Kläger verkennt, auch ausdrücklich darauf hingewiesen, daß für den hauswirtschaftlichen Versorgungsbereich im Leistungsspektrum des BVG andere Leistungsarten zur Verfügung stehen. So gilt insbesondere die Grundrente als eine pauschale Abgeltung für einen Mehrbedarf, den ein Beschädigter auszugleichen hat (BSG, a.a.O.). Darüber hinaus kann, wenn der Beschädigte dies aus eigenen finanziellen Kräften nicht sicherstellen kann, in besonderen Fällen - abhängig vom Einkommen - nach § 26 d BVG der Beschädigte auch Hilfe zur Weiterführung des Haushalts erhalten.

Mit der überwiegenden Meinung in der Literatur (a.a.O.; eine andere Auffassung vertreten vor allem Autoren aus dem Bereich der Versorgungsverwaltung, vgl. hierzu: Zehentbauer, Behindertenrecht 1995, S. 111 f.; Niepel, ZfS 1996, S. 7 ff.) hält der Senat die Vorschrift des § 34 Abs. 2 Nr. 1 SGB XI für hinreichend deutlich, weshalb ein Anspruch auf Leistungen (insbesondere die Geldleistung nach § 37) nach dem SGB XI dann in vollem Umfang zum Ruhen kommt, wenn eine betragsmäßig höhere Leistung nach dem BVG gewährt wird. Dies ist beim Kläger der Fall. Die ihm gemäß § 35 BVG (in der jeweils maßgeblichen Fassung) nach Stufe VI gewährte Pflegezulage übersteigt den Höchstbetrag des nach dem § 37 SGB XI zahlbaren Pflegegeldes deutlich.

Dieses Ergebnis entspricht auch dem erklärten Willen des Gesetzgebers, wonach Kumulierungsmöglichkeiten, die vor Inkrafttreten des SGB XI teilweise noch bestanden haben, durch die Regelungen des SGB XI ausgeschlossen werden sollten. Insoweit ist die Einschränkung des Leistungsspektrums, wie es in §§ 53 ff. SGB V a.F. noch vorgesehen war, vom parlamentarischen Gesetzgeber (im Sinne der Beseitigung von "zweckwidriger Vielfalt und von Widersprüchen” Wortwahl bei Gitter, 1969) ausdrücklich gewollt worden (dies ist auch erklärtes Ziel bereits seit dem Bericht der Transfer-Enquete-Kommission der Bundesregierung, Bonn 1981).

Der Senat sieht hierin keinen Verfassungsverstoß. Ein durch Art. 14 Grundgesetz (GG) dem Eigentum ähnliches geschütztes Recht hat der Kläger aufgrund der Leistungen nach den §§ 53 ff. SGB V a.F. nicht erworben. Es ist mit dem sozialpolitischen Gestaltungsspielraum des parlamentarischen Gesetzgebers auch vereinbar, wenn er die Kumulierung der Inanspruchnahme von Sozialleistungen, die er erkannt hat, in begrenztem Umfange zurückführt. Durch diese Beschränkung von Leistungskumulierungen wird weder allgemein noch im besonderen Fall des Klägers in ein verfassungsrechtlich geschütztes Existenzminimum eingegriffen.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem vom Kläger zitierten Urteil des BVerwG, weil vorliegend das Verhältnis von BVG-Leistungen und Leistungen nach dem SGB XI und nicht die Frage der Abgrenzung zu § 69 BSHG im Streit steht. Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war zuzulassen. Der Senat mißt der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung bei, weil es sich um eine in der Literatur noch umstrittene Rechtsfrage handelt, die für einen nicht unerheblichen Teil der Leistungsbezieher von Bedeutung ist (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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