S 7 KR 619/18

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Nürnberg (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 KR 619/18
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 KR 369/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid

I.  Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.


T a t b e s t a n d :

Der Kläger begehrt die Kostenübernahme einer Epilation seiner Körperbehaarung.

Der am xx.xx.xxxx geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich gegen Krankheit versichert. 

Mit Schreiben vom 14.08.2017 beantragte er bei der Beklagten die streitgegenständliche Epilationsbehandlung. 

Er trug vor, dass er in den 80er Jahren von seinem damaligen Arzt ein Medikament zur Behandlung seiner stark fettenden Kopfhaut bekommen habe. Auf dieses Medikament führe er den Haarwuchs am Rücken und den Oberarmen zurück. Der Nachfolger dieses Arztes habe ihm auch bestätigt, dass das verabreichte Medikament eine vermehrte Körperbehaarung auslösen könne.
Zu einem späteren Zeitpunkt habe er sich in physiotherapeutische Behandlung begeben müssen, u.a. seien Massagen verordnet worden. Sein Physiotherapeut habe ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass die Körperbehaarung bei seiner Behandlung hinderlich sei. Auch den Physiotherapeuten während seiner drei stationären Rehamaßnahmen sei deutlich anzumerken gewesen, dass man Ekel habe, seinen Oberköper zu massieren.

Darüber hinaus habe ihm während einer stationären Krankenhaushandlung im Juni 2016 ein Arzt ohne sein Einverständnis mittels einer Spritze ein Medikament verabreicht. Er sei der Ansicht, dass ihm ein nicht zugelassenes Präparat verabreicht worden sei. Später habe er festgestellt, dass er Schweissausbrüche habe und auch, dass sich an seinem Oberkörper ein Pilz gebildet habe. Er habe von seinem Arzt ein Medikament zur Beseitigung dieses Pilzes erhalten, aber er führe den Pilzbefall sowohl auf die Körperbehaarung als auch auf das oben genannte Medikament zurück.

Im Schreiben verwies der Kläger auf ein bereits geführtes Gerichtsverfahren in selber Sache.
Dabei handelt es sich um das Verfahren S 7 KR 393/03. Gegen die hier erfolgte Klageabweisung blieben sowohl die Berufung zum LSG (L 4 KR 101/04) als auch eine Beschwerde zum BSG (B 1 KR 84/04 B) ohne Erfolg.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 22.08.2017 eine Kostenübernahme ab. 

Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 22.09.2017 Widerspruch.
Auf dieses Schreiben wird verwiesen.

Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 26.10.2017 mit, dass es sich bei der Entfernung der Körperbehaarung nicht um eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung handle. Dennoch wolle man seinen Antrag erneut prüfen. Zur Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme benötige man aktuelle ärztliche Befundberichte, Fotografien seines Oberkörpers sowie eine ausgefüllte ärztliche Bescheinigung.

Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) führte in der gutachterlichen Stellungnahme vom 20.12.2017 aus, dass die Laserepilation des Rumpfes den neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB) zuzuordnen sei. Diesbezüglich liege weder eine positive Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) vor noch sei ein Beratungsverfahren eingeleitet worden. Somit sei die beantragte Methode keine Kassenleistung. Eine notstandsähnliche Situation liege nicht vor, weder im Sinne einer lebensbedrohlichen, unbehandelt regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung (BVerfG, Beschluss v. 06.12.2005 - 1 BvR 347/98) noch einer wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung (§ 2 Abs. 1a SGB V).
Durch die übermäßige Behaarung des Rumpfes sei weder eine relevante Funktionseinschränkung noch eine Entstellung i.S.d. BSG nachvollziehbar. Es handle sich um eine Normvariante ohne Behandlungsbedürftigkeit im Sinne der GKV.
Eine vertragliche Alternative zur Behandlung der betroffenen Körperareale könne nicht benannt werden, die EBM-konformen Epilationsmethoden seien auf andere Körperareale (Gesicht, Hände) bzw. einen anderen Personenkreis (Mann-zu-Frau-Transsexuelle) begrenzt.

Nach Eingang weiterer - nicht in der Akte befindlicher - Unterlagen beteiligte die Beklagte nochmals den MDK, das Ergebnis änderte sich nicht (Stellungnahme vom 26.02.2018).

In der Folge verwies der Kläger ausführlich auf Probleme mit behandelnden Physiotherapeuten, die er gerade auf die bei ihm bestehende Körperbehaarung zurückführe.

Mit Bescheid vom 23.08.2018 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.
Nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit komme Krankheitswert im Rechtssinne zu. Die Rechtsprechung des BSG habe diese Grundvoraussetzung für die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht vielmehr dahingehend präzisiert, dass eine Krankheit nur vorliege, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt werde oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirke. Eine Entstellung liege vor, wenn eine körperliche Auffälligkeit schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen - quasi im Vorbeigehen - sichtbar werde.
Nach der Stellungnahme des MDK sei die vermehrte Körperbehaarung als Normvariante anzusehen und habe keinen Krankheitswert. Zudem stelle die Epilation keine zweckmäßige Behandlung der nach Angaben des Klägers durch die Körperbehaarung verursachten Folgeerkrankungen (Pilz, Follikulitis, Ekzem) dar. Es sei nicht evident, dass diese Erkrankungen nach durchgeführter Epilation nicht mehr fortbestehen würden, da diese Krankheitsbilder auch Patienten ohne Hypertrichose betreffen würden.

Mit Schreiben vom 23.09.2018 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg.
Auf dieses Schreiben wird verwiesen.

Der Kläger beantragt sinngemäß

den Bescheid des Beklagten vom 22.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.08.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten einer Laserepilation des Rumpfes zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt

die Klage abzuweisen.


Das Verfahren wurde zunächst unter dem Aktenzeichen S 11 KR 619/18 geführt und erhielt - nachdem dem Anliegen der Vorsitzenden der 11. Kammer, sich wegen Besorgnis der Befangenheit selbst abzulehnen, mit Beschluss vom 27.03.2019 stattgegeben wurde - das Aktenzeichen S 7 KR 619/18.

Die Vorsitzende lehnte den Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 25.04.2019 ab. Eine Beschwerde des Klägers hiergegen blieb ohne Erfolg (Bayerisches LSG, Beschluss vom 26.02.2020, L 20 KR 345/19 B PKH).

Mit Schreiben vom 29.06.2020 wurden die Beteiligten zur Absicht des Gerichts, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, angehört.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Akte des Vorverfahrens S 7 KR 393/03 sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Das Gericht konnte durch Gerichtsbescheid gem. § 105 SGG entscheiden, weil die Sache keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden vorher gehört (§ 105 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.

Der geltend gemachte Anspruch auf Krankenbehandlung setzt gemäß § 27 Abs.1 Satz 1 Sozialgesetzbuch V (SGB V) voraus, dass die Behandlung notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Es fehlt im vorliegenden Fall schon an der grundlegenden Voraussetzung einer Krankheit. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung wird als Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand definiert, der entweder Behandlungsbedürftigkeit oder Arbeitsunfähigkeit oder beides zur Folge hat. Für die Feststellung der Regelwidrigkeit ist vom Leitbild des gesunden Menschen auszugehen, der zur Ausübung normaler körperlicher und psychischer Funktionen in der Lage ist. Vorausgesetzt wird hier eine erhebliche Abweichung, nur geringfügige Störungen, die keine wesentlichen funktionellen Beeinträchtigungen zur Folge haben, reichen nicht aus. Behandlungsbedürftigkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn durch den regelwidrigen Gesundheitszustand die körperlichen oder geistigen Funktionen in einem so beträchtlichen Maße eingeschränkt sind, dass ihre Wiederherstellung der Mithilfe des Arztes, also der ärztlichen Behandlung bedarf (Kasseler Kommentar-Höfler, § 27 SGB V, Rdnr.9, 12, 19 m.w.N. der Rechtsprechung des (BSG)).

Im vorliegenden Fall ist ärztlich nicht belegt, dass die Behaarung des Klägers an den Oberarmen, Schultern und am Rücken derart ausgeprägt ist, dass von einem erheblich regelwidrigen Körperzustand gesprochen werden kann, der ihn an der Ausübung normaler körperlicher Funktionen hindert. Bereits die behandelnde Hautärztin hat in der im Vorverfahren vorgelegten Bescheinigung vom 08.08.2002 festgestellt, es liege ein klinisch ausgeprägtes typisch männliches Behaarungsmuster vor. Das Gutachten des MDK vom 11.03.2003 stellt - ebenfalls im Rahmen des Vorverfahrens - gleichfalls eine kräftige Ausprägung der Behaarung fest, verneint jedoch Auffälligkeiten bezüglich entzündlicher Veränderungen, Akne oder ähnlichem. Auch danach fehlt es an einem Krankheitswert. 

In der damaligen Berufungsentscheidung (aaO) führt das LSG aus, selbst wenn man ungeachtet dieser ärztlichen Stellungnahmen von einem erheblich regelwidrigen körperlichen Zustand ausgehen würde, der den Kläger an der Ausübung normaler körperlichen Funktionen hindern würde, es für die Annahme einer Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung an der Behandlungsbedürftigkeit fehle, da, wie der Gutachter des MDK am 11.03.2003 festgestellt habe, die Behaarung vor Massagen durch Einsatz von Epilationsmaßnahmen (Enthaarungscreme) beseitigt werden könne. Zu diesem Ergebnis sei auch die gutachtliche Stellungnahme des MDK vom 29.08.2002 gelangt.

Die Vorsitzende schließt sich den damaligen Feststellungen uneingeschränkt an. Für die weiter vom Kläger vorgetragenen Gesundheitsstörungen (Pilz etc.) ist schon nicht nachvollziehbar, wie die Epilationsbehandlung einen positiven Effekt auf diese ausüben könne, da auch Versicherte ohne ausgeprägten Haarwuchs von solchen Erkrankungen betroffen sind. Darüber hinaus stehen dem Kläger fachdermatologische Behandlungsmöglichkeiten offen.

Es kann offen bleiben, ob die beantragte Laserepilation eine neue Behandlungsmethode ist, die zum Leistungsspektrum der vertragsärztlichen Versorgung zählt oder wegen des Erlaubnisvorbehalts nach § 135 Abs.1 Nr.1 SGB V, wonach neue Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung der Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses in Richtlinien nach § 92 Abs.1 Satz 2 Nr.5 SGB V bedürfen, von der Leistungserbringung zu Lasten der Beklagten ausgeschlossen ist. Zwar gehört die Epilation von Haaren durch Elektrokoagulation im Gesicht oder an den Händen bei krankhaftem und entstellendem Haarwuchs zu den Leistungen der vertragsärztlichen Versorgung im Fachgebiet der Dermatologie (Nr.906 E-GO). Im vorliegenden Fall geht es aber nicht um diese Leistung und es spricht nichts, für die Annahme eines krankhaften oder entstellenden Befundes.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
 

Rechtskraft
Aus
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