L 10 AL 40/98

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 57/66 Ar 1420/97
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 AL 40/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides.

Der am ... geborene, als ehemaliger Angehöriger der Volkspolizei zuletzt beim Polizeipräsidenten in Berlin als Beamter auf Probe beschäftigt gewesene Kläger meldete sich erstmals am 2. Mai 1994 bei der Beklagten arbeitslos. Seitdem bezog er im Wechsel Arbeitslosengeld und Unterhaltsgeld (Uhg). Eine Umschulung zum Zentralheizungs? und Lüftungsbauer brach er wegen fehlender praktischer Begabung ab, nachdem ihm der Maßnahmeträger aufgrund seiner weit über dem Klassendurchschnitt liegenden Ergebnisse in der Theorie bescheinigt hatte, dass seine Begabung eindeutig in einem Berufsbereich liege, der schwerpunktmäßig höhere theoretische Anforderungen stelle.

Am 16. Februar 1995 beantragte der Kläger die Umschulung zum Industriekaufmann. Als zu Beginn des Jahres geltende, auf seiner Lohnsteuerkarte 1995 eingetragene Steuerklasse gab er die Steuerklasse II an. Abschließend erklärte er im Antragsvordruck, ihm sei bekannt, dass er dem Arbeitsamt unverzüglich alle Änderungen mitzuteilen habe, die Auswirkungen auf seinen Leistungsanspruch haben könnten. Das Merkblatt 6 “Berufliche Fortbildung und Umschulung”, in welchem auf die Mitteilungspflichten im Einzelnen hingewiesen sei, habe er erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen. Die Beklagte entsprach dem Umschulungsantrag und bewilligte dem Kläger u.a. vom 1. März 1995 an Uhg nach einem gerundeten wöchentlichen Arbeitsentgelt (Bemessungsentgelt) von 780,? DM in Höhe von 346,80 DM wöchentlich (Leistungsgruppe B [entsprechend Steuerklasse II], erhöhter Leistungssatz [Kindermerkmal 1]; Bescheid vom 17. März 1995). Durch das zum 1. April 1995 auf 800,? DM angepasste Bemessungsentgelt erhöhte sich die wöchentliche Uhg-Leistung auf 353,40 DM (Bescheid vom 6. April 1995).

Für den Leistungszeitraum vom 1. Januar 1996 an erließ die Beklagte den Änderungsbescheid vom 11. Januar 1996. Er weist bei gleichbleibenden Leistungsmerkmalen (Bemessungsentgelt 800,? DM, Leistungsgruppe B, erhöhter Leistungssatz) einen ? wie es darin ausdrücklich heißt ? durch die Leistungsverordnung 1996 geänderten Leistungssatz, nämlich in Höhe von 358,80 DM, aus. Erläuternd heißt es in dem Bescheid u.a. weiter, für die Höhe der Leistung sei ab 1. Januar 1996 die vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung erlassene Leistungsverordnung 1996 maßgebend. Sie berücksichtige die neue Lohnsteuertabelle (Steuerentlastung bei niedrigeren Einkommen) und den höheren Beitragssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung. Schließlich wird der Kläger in dem Bescheid gebeten, u.a. besonders zu beachten, dass er ohne Aufforderung verpflichtet sei, jede Änderung in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf die Leistung erheblich sei, dem Arbeitsamt unverzüglich mitzuteilen. Durch das zum 1. April 1996 auf 820,? DM angepasste Bemessungsentgelt erhöhte sich die wöchentliche Leistung auf 364,20 DM.

Am 19. September 1996 ließ sich der Kläger die bei der Beklagten hinterlegte Lohnsteuerkarte 1996 wegen einer beabsichtigten Änderung des Kinderfreibetrags aushändigen. In der Aufforderung vom 23. September 1996, die Lohnsteuerkarte bis zum 15. Oktober 1996 erneut zu hinterlegen, bat die Beklagte den Kläger ? wie zuvor schon bei entsprechenden Anlässen in Aufforderungen vom 26. September 1994 und 13. Oktober 1994 ? um Beachtung des auf der Rückseite u.a. abgedruckten Textes des § 150 b Arbeitsförderungsgesetz (AFG) betreffend die Hinterlegung. Darin heißt es in Satz 2, “Die Bundesanstalt darf die auf der Lohnsteuerkarte enthaltenen Daten weder verarbeiten noch nutzen”, und in Satz 4, “Kommt der Verpflichtete der Aufforderung zur Hinterlegung aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht nach, kann die Bundesanstalt die Leistungen bis zur Nachholung der Hinterlegung ganz oder teilweise versagen oder entziehen”.

Mit Schreiben vom 21. Oktober 1996 erinnerte die Beklagte erneut an die Hinterlegung. Sie werde die Leistung entziehen, sollte der Kläger seiner Mitwirkungspflicht nicht bis zum 8. November 1996 nachgekommen sein. Vorsorglich erhalte er vom 17. Oktober 1996 an das Uhg nach dem allgemeinen Leistungssatz. Dementsprechend gewährte die Beklagte die Leistung von diesem Zeitpunkt an nur noch in Höhe von wöchentlich 326,40 DM (Bescheid vom 23. Oktober 1996).

Am 24. Oktober 1996 hinterlegte der Kläger die Lohnsteuerkarte 1996 wieder und bat am 25. Oktober 1996 im Hinblick auf den geänderten Leistungssatz um Überprüfung. Die Beklagte fasste dies als Aufforderung auf, die für die Leistungshöhe erheblichen Daten der hinterlegten Lohnsteuerkarte 1996 zu entnehmen. Sie stellte fest, dass der Kläger zum Jahreswechsel 1995/1996 einen Lohnsteuerklassenwechsel vorgenommen hatte und auf der Lohnsteuerkarte 1996 die Steuerklasse I und 0,5 Kinderfreibeträge eingetragen waren.

Bei seiner Anhörung im November 1996 erklärte der Kläger auf die Feststellung der Beklagten, er habe den Lohnsteuerklassenwechsel nicht angezeigt, dass seine Lohnsteuerkarte 1996 der Beklagten im Dezember 1995 vorgelegen habe. Damit habe er seiner Meldepflicht gegenüber dem Arbeitsamt genügt. Mit dem ersten Uhg-Bescheid im Jahre 1996 sei er davon ausgegangen, dass die Leistungen ? nach eingehender Prüfung seiner Steuerkarte durch das Arbeitsamt ? zu Recht gewährt worden seien.

Durch Bescheid vom 27. Januar 1997 hob die Beklagte die Uhg-Bewilligung für die Zeit vom 1. Januar 1996 bis 16. Oktober 1996 teilweise auf. Der Kläger habe den Steuerklassenwechsel ab 1. Januar 1996 nicht mitgeteilt. Die bloße Hinterlegung der Lohnsteuerkarte zu Beginn des neuen Kalenderjahres entbinde ihn nicht von seiner Mitteilungspflicht. Statt 15.044,10 DM (Leistungsgruppe B) hätten dem Kläger im Aufhebungszeitraum nur 13.965,60 DM (Leistungsgruppe A) zugestanden. Die Aufhebung erfolge zum Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse, weil der Kläger seiner Anzeigepflicht nicht nachgekommen sei ? § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) X ? und weil er leicht habe erkennen können oder wusste, dass der Anspruch auf Leistung weggefallen sei ? § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X. Gemäß § 152 Abs. 3 AFG sei das Arbeitsamt in den Fällen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X zur rückwirkenden Aufhebung der Leistungsbewilligung verpflichtet. Es sei somit für die Zeit vom 1. Januar 1996 bis 16. Oktober 1996 eine Überzahlung in Höhe von 1.078,50 DM eingetreten, die der Kläger nach § 50 SGB X erstatten müsse.

Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 11. März 1997 und Urteil des Sozialgerichts Berlin [SG] vom 9. März 1998). Das SG hielt den angefochtenen Bescheid für rechtens, weil der Kläger seiner Mitteilungspflicht grob fahrlässig nicht nachgekommen sei. Für seine Behauptung im Klageverfahren, er habe bei Hinterlegung der Lohnsteuerkarte 1996 auf den Steuerklassenwechsel hingewiesen, fehle es an Anhaltspunkten. Dem Vorwurf der groben Fahrlässigkeit stehe nicht schon die Hinterlegung der Lohnsteuerkarte bei der Beklagten entgegen. Die Hinterlegung solle verhindern, dass der Leistungsbezieher neben dem Bezug von Leistungen der Beklagten einem Beschäftigungsverhältnis nachgehe. Nach § 150 b AFG sei es der Beklagten ausdrücklich untersagt, die auf der Lohnsteuerkarte enthaltenen Daten zu verarbeiten und zu nutzen.

Mit der Berufung benennt der Kläger seine Wohngefährtin Jutta Beier zum Beweise dafür, dass er der Beklagten bei Übergabe der Lohnsteuerkarte 1996 den Steuerklassenwechsel mitgeteilt habe. Außerdem habe er ? so trägt er vor ? ab Anfang des Jahres 1996 ein geringeres Uhg erzielt, so dass er auch insoweit davon habe ausgehen können, dass die Beklagte den Steuerklassenwechsel zum 1. Januar 1996 berücksichtigt habe. Dass die Reduzierung des Uhg letztlich auf die Änderung des Haushaltsfreibetrages zurückzuführen gewesen sei, habe er weder gewusst noch erkennen können. Er habe keine Veranlassung gehabt, sich den Änderungsbescheid vom 11. Januar 1996 näher anzusehen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 9. März 1998 sowie den Bescheid vom 27. Januar 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11. März 1997 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Im Übrigen sei ? worauf sie bereits im Aufhebungs? und Erstattungsbescheid hingewiesen habe ? auch der Tatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X erfüllt. Sowohl auf den einzelnen Bewilligungsbescheiden (Rückseite) als auch im Merkblatt werde der Zusammenhang zwischen Lohnsteuerklasse und Zuordnung zur Leistungsgruppe erläutert.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (einschließlich der Akten des SG - S 57/66 Ar 1420/97 -) und der Leistungsakten der Beklagten (zur Stammnummer ...) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Der angefochtene Aufhebungs? und Erstattungsbescheid vom 27. Januar 1997 ist ? wie das SG richtig entschieden hat ? nicht zu beanstanden. Dies folgt aus den im Bescheid zutreffend angegebenen Rechtsgrundlagen, auf die Bezug genommen wird.

Es erscheint bereits wenig wahrscheinlich, dass der Kläger, wie er jetzt ? erstmals unter Beweisantritt ? behauptet, anlässlich der Hinterlegung der Lohnsteuerkarte 1996 auf den Steuerklassenwechsel hingewiesen hat. Entsprechendes hat er weder im Anhörungsverfahren noch im Widerspruchsverfahren behauptet, obwohl sich dies ? wäre es geschehen ? angesichts der ausdrücklichen Feststellung der Beklagten, dass der Kläger den Steuerklassenwechsel nicht angezeigt habe, schon damals geradezu aufgedrängt hätte. Dabei wusste der Kläger aus den wiederholten Aufforderungen der Beklagten, die zurückgehändigte Lohnsteuerkarte wieder zu hinterlegen (Aufforderungen vom 26. September 1994 und 13. Oktober 1994), dass allein die Hinterlegung der Lohnsteuerkarte nicht das Recht der Beklagten einschließt, die darauf enthaltenen Daten zu verarbeiten oder zu nutzen. Er musste sich also der Zweifelhaftigkeit seines Sich-bloßen-Berufens auf die Hinterlegung der Lohnsteuerkarte bewusst sein und hätte deshalb umso mehr Veranlassung gehabt, der o.a. Feststellung der Beklagten schon bei der Anhörung zu widersprechen, hätte er tatsächlich auf den Steuerklassenwechsel hingewiesen. Doch kann dies letztlich dahinstehen.

Der angefochtene Bescheid hat jedenfalls deshalb Bestand, weil der Kläger unter Verletzung der erforderlichen Sorgfalt in besonders schwerem Maße nicht erkannte, dass der sich aus dem Bewilligungsbescheid ergebende Anspruch kraft Gesetzes teilweise weggefallen war (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X in Verbindung mit § 152 Abs. 3 AFG).

Der Kläger hinterlegte seine Lohnsteuerkarte 1996 im Dezember 1995. Zu diesem Zeitpunkt bezog er wöchentlich Uhg-Leistungen in Höhe von 353,40 DM, und zwar seitdem das Bemessungsentgelt zum 1. April 1995 auf 800,? DM angepasst worden war (Bescheid vom 6. April 1995). Als er den Änderungsbescheid vom 11. Januar 1996 erhielt, musste er aus mehreren Gründen erkennen, dass der ? allenfalls bei Gelegenheit der Hinterlegung der Lohnsteuerkarte mündlich erfolgte ? Hinweis auf den Steuerklassenwechsel bei Erlass des Änderungsbescheides unberücksichtigt geblieben war. Erstens enthält der Änderungsbescheid vom 11. Januar 1996 dieselben Leistungsmerkmale wie der Bescheid vom 6. April 1995. Wäre der Steuerklassenwechsel berücksichtigt worden, hätte der Bescheid jedenfalls ein geändertes Leistungsmerkmal ausweisen müssen. Zweitens macht der Änderungsbescheid selbst unmissverständlich deutlich, dass er ausschließlich aufgrund der vom 1. Januar 1996 an geltenden Leistungsverordnung 1996 erlassen worden ist, nicht aber aufgrund einer Änderung individueller ? in der Person des Klägers gelegener ? Leistungsmerkmale. Drittens weist der Änderungsbescheid einen höheren Leistungssatz aus (358,80 DM wöchentlich) als der vorangegangene Bescheid vom 6. April 1995, nicht aber einen niedrigeren, wie der Kläger behauptet. Viertens ? und letztens ? musste dem Kläger aus dem Merkblatt der Beklagten (Stand April 1994, Seite 15) bekannt sein, dass der geänderten Steuerklasse ? Steuerklasse I ? die Leistungsgruppe A entspricht, nicht aber die Leistungsgruppe B, die der Uhg-Leistung vom 1. Januar 1996 an ausweislich des Änderungsbescheides vom 11. Januar 1996 zugrunde lag.

Der Kläger kann dem nicht mit Erfolg entgegenhalten, er habe keine Veranlassung gehabt, sich den Änderungsbescheid vom 11. Januar 1996 näher anzusehen. Allein die höhere Leistung vom 1. Januar 1996 an hätte bei ihm erhebliche Zweifel wecken müssen, ob der Steuerklassenwechsel ? als ein zur Minderung der Leistung führendes Leistungsmerkmal ? berücksichtigt worden war. Aber auch der (wenn überhaupt, so) nur mündlich und bei Gelegenheit der Hinterlegung der Lohnsteuerkarte erfolgte Hinweis auf den Steuerklassenwechsel hätte den Kläger nicht bestimmen dürfen, der Weiterleitung dieses Hinweises an die zuständige Stelle und dessen Berücksichtigung bei der Neubescheidung sicher zu sein. Jedenfalls diese beiden Umstände ? und jeder schon für sich allein ? hätten den Kläger veranlassen müssen, sich den Änderungsbescheid vom 11. Januar 1996 näher anzuschauen. Deshalb kann dahinstehen, ob nicht in jedem Falle ? bei Vermeidung einer Verletzung der erforderlichen Sorgfalt in besonders schwerem Maße, d.h. bei Vermeidung grober Fahrlässigkeit (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X) ? zu fordern ist, dass sich ein Leistungsempfänger einen Leistungsbescheid ansieht, jedenfalls auch in seinen wesentlichen, leistungsbestimmenden Merkmalen sowie in Bezug auf augenfällige Hinweise.

Hätte sich der Kläger den Änderungsbescheid vom 11. Januar 1996 aber nur mit einem Mindestmaß an Aufmerksamkeit angesehen, hätte ihm aus den angeführten mehreren Gründen ? zumal angesichts seiner geistigen Beweglichkeit und Gewandtheit, die auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zutage getreten sind ? nicht nur nicht entgehen können, sondern sogar aufdrängen müssen, dass der Bescheid den Steuerklassenwechsel unberücksichtigt ließ und deshalb eine überhöhte Leistung auswies.

Nach allem muss der Kläger sich grob fahrlässiges Verhalten entgegenhalten lassen, wenn er davon ausging, der Uhg-Leistung vom 1. Januar 1996 an liege die zutreffende, der Steuerklasse I entsprechende Leistungsgruppe zugrunde.

Die Kostenentscheidung nach § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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