S 51 AL 1650/99

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
51
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 51 AL 1650/99
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 4 AL 70/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 21. November 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. März 1999 verurteilt, über den Antrag von Juli 1998 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Förderung für Strukturanpassungsmaßnahmen Ost für Wirtschaftsunternehmen nach §§ 415, 372 ff. Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Die Klägerin ist eine Genossenschaft und führt die Firma „Gemeinnützige Wohnungsgenossenschaft e. G.“ mit Sitz in Berlin.

Am 21. Juli 1998 beantragte die Klägerin die Förderung eines Beschäftigungsverhältnisses vom 1. September 1998 bis 31. August 1999 für einen noch zuweisenden Arbeitnehmer für die Tätigkeit im Rahmen der bautechnischen und wohnungswirtschaftlichen Datenerfassung. Die Beklagte wies der Klägerin die Langzeitarbeitslose S M zu, die zum 1. September 1998 eingestellt wurde und bis heute noch bei der Klägerin beschäftigt ist.

Nachdem die Beklagte sich die Satzung der Klägerin hat vorlegen lassen, lehnte sie mit Bescheid vom 21. November 1998 eine Förderung mit Lohnkostenzuschüssen im Rahmen von Strukturanpassungsmaßnahmen Ost für Wirtschaftsunternehmen mit der Begründung ab, die Förderung sei auf Wirtschaftsunternehmen im gewerblichen Bereich beschränkt. In Anbindung an die Gewerbeordnung (GewO) falle hierunter jede fortgesetzte, erlaubte, private, auf Dauer angelegte und auf die Erzielung von Gewinn gerichtete Tätigkeit. Kein Wirtschaftsunternehmen im Sinne des § 415 Abs. 3 SGB III liege dann vor, wenn die Gewinnerzielungsabsicht nicht den Geschäftszweck bestimme. Nach der vorgelegten Satzung handele es sich bei der Klägerin um ein gemeinnütziges Wohnungsunternehmen, somit sei eine Gewinnerzielungsabsicht ausgeschlossen.

Hiergegen legte die Klägerin am 21. Dezember 1998 Widerspruch ein und verwies auf ein Schreiben ihres Steuerberaters vom 1. Dezember 1998. Der Steuerberater führte darin aus, dass eine Gewinnerzielungsabsicht nicht ausgeschlossen sei und steuerlich die Klägerin keine steuerbegünstigten Zwecke verfolge und seit 1991 zur Steuerpflicht optiert habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 31. März 1999 blieb die Beklagte bei ihrer ablehnenden Auffassung. Sie führte u.a. aus, nach § 415 Abs. 1 SGB III können als Strukturanpassungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet auch Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfeldes förderungsfähig sein, allerdings nur wenn sie an ein Wirtschaftsunternehmen vergeben werden. Die Gemeinnützige Wohnungsgenossenschaft werde nicht als Wirtschaftsunternehmen angesehen, wie sich dies bereits aus der Satzung - insbesondere § 2 - ergebe. Der Zweck der Wohnungsgenossenschaft liege hier in der bloßen Vermögensverwaltung von nichtfremden Geldern.

Hiergegen hat die Klägerin am 15. April 1999 Klage erhoben.

Die Klägerin ist der Auffassung, sie sei als Wirtschaftsunternehmen im Sinne des § 415 SGB III förderungsfähig. Sie führe ein Wirtschaftsunternehmen auf Grundlage der gesetzlichen Vorschriften sowie ihrer Satzung. Sie verwende fremdes und nichtfremdes Kapital, habe zur Steuerpflicht optiert und eine Gewinnerzielung sei nicht ausgeschlossen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 21. November 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. März 1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, über den Antrag von Juli 1998 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bleibt bei ihrer Auffassung, dass zu Wirtschaftsunternehmen im Sinne von § 415 SBG III nur Betriebe zählen, bei denen die Gewinnerzielungsabsicht im Vordergrund stehe, das nach eigenem Vortrag der Klägerin nicht der Fall sei. Zwar sei zweifelsohne eine Wohnungsgenossenschaft zum kostengünstigen und sparsamen Wirtschaften mit den anvertrauten Geldern verpflichtet, was auch das Auftreten im Geschäftsverkehr als Wirtschaftsunternehmen einschließe, dies sei aber nicht geeignet eine andere Auffassung herbeizuführen, da die Teilnahme am Geschäftsverkehr zwingend notwendig sei, um überhaupt die Tätigkeit der Genossenschaft durchführen zu können. Der Hinweis auf eine Besteuerung der Genossenschaft sei nicht entscheidungsrelevant.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes und des Vortrages der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Diese Akten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Verhandlung, Beratung und Entscheidung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 21. November 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. März 1999 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Da es sich von der Rechtsfolge her bei der Forderung von Strukturanpassungsmaßnahmen um eine Ermessensentscheidung der Beklagten handelt und das Gericht eigenes Ermessen nicht an die Stelle des Verwaltungsermessens setzen darf, war die Beklagte zu verpflichten, den Antrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes erneut zu bescheiden. Nach Auffassung der Kammer ist dabei maßgeblich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides.

Nach § 272 SGB III (zum Zeitpunkt März 1999) können Träger von Strukturanpassungsmaßnahmen für die Beschäftigung von zugewiesenen Arbeitnehmern durch Zuschüsse gefördert werden, wenn 1. die Durchführung der Maßnahme dazu beiträgt, neue Arbeitsplätze zu schaffen, 2. dies zum Ausgleich von Arbeitsplatzverlusten erforderlich ist, die infolge von Personalanpassungsmaßnahmen in einem erheblichen Umfang entstanden sind oder entstehen und sich auf den örtlichen Arbeitsmarkt erheblich nachteilig auswirken und 3. die Träger oder durchführenden Unternehmen Arbeitsverhältnisse mit vom Arbeitsamt zugewiesenen förderungsbedürftigen Arbeitnehmern begründen. Zusätzlich zu den in § 273 SGB III aufgezählten Tätigkeitsfeldern sind gemäß § 415 Abs. 1 SGB III im Beitrittsgebiet u.a. auch Maßnahmen förderungsfähig, die zur Verbesserung des Wohnumfeldes dienen. Nach § 415 Abs. 1 Satz 2 SGB III ist eine solche Maßnahme nur förderungsfähig, wenn sie an ein Wirtschaftsunternehmen vergeben wird.

Gemäß § 415 Abs. 3 SGB III sind als Strukturanpassungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet und in Berlin (West) auch zusätzliche Einstellungen arbeitsloser Arbeitnehmer in Wirtschaftsunternehmen im gewerblichen Bereich förderungsfähig, wenn der Arbeitgeber 1. in einem Zeitraum von mindestens 6 Monaten vor der Förderung die Zahl der in dem Betrieb bereits beschäftigten Arbeitnehmern nicht verringert hat und während der Dauer der Zuweisung nicht verringert und 2. für die Arbeitnehmer während der Zuweisung berufliche Qualifizierung vorsieht, die Vermittlungschancen der Arbeitnehmer im Anschluss an die Zuweisung verbessern kann.

Bei der Klägerin handelt es sich um ein Wirtschaftsunternehmen im gewerblichen Bereich im Sinne dieser Vorschriften. Gewerbe ist jede erlaubte, auf Gewinn gerichtete und auf gewisse Dauer angelegte, selbständige Tätigkeit. Gewerbebetriebe sind alle Unternehmen des Handels, des Handwerks, der Industrie und des Verkehrs. Die Gewerbeordnung liefert keine Legaldefinition des Begriffs Gewerbes (vgl. Tettinger in Tettinger/Wank, Kommentar zu Gewerbeordnung, 6. Auflage 1999, § 1 Rdnr. 1). Nach herrschender Meinung lässt sich ein mit der Tätigkeit verbundener außenwirtschaftlicher Zweck (religiöser, sozialer oder sonstiger ideeller Zweck) die Frage der Gewerbsmäßigkeit unberührt, so lange zumindest als Nebenziel die Gewinnerzielung hinzutritt; etwas anders gilt allenfalls, wenn zugunsten der ideellen Zwecksetzung ein defizitärer Betrieb von vornherein eingeplant ist (vgl. Tettinger a.a.O. Rdnr. 18). Wie die Satzung der Klägerin ergibt, ist zwar vorrangig nicht die Gewinnerzielung ihr Bestreben, jedoch erwünschtes Nebenziel. Mit Sicherheit kann ausgeschlossen werden, dass die Klägerin ihrer Zwecksetzung nach von vornherein einen defizitären Betrieb einplant.

Die Genossenschaft ist ein Verein mit wechselnder Mitgliederzahl, deren Zweck darauf gerichtet ist, den Erwerb und die Wirtschaft der Mitglieder zu fördern; sie ist eine juristische Person und einer Handelsgesellschaft gleichgestellt (§ 17 Genossenschaftsgesetz; Creifelds, Rechtswörterbuch, 10. Auflage 1990, S.462). Allein die Wahl der Gesellschaftsform bzw. der Organisationsform als Genossenschaft schließt nicht das Auftreten der Klägerin auf dem Markt als Wirtschaftsunternehmen im gewerblichen Bereich aus. Die Firmierung als gemeinnützige Genossenschaft steht der Teilnahme am Wirtschaftsleben als Unternehmen nicht entgegen. Wie die Klägerin detailliert darlegt, handelt sie nach außen wie eine „normale“ Wohnungsverwaltungsgesellschaft, d.h sie nimmt wie Wohnungsverwaltungsgesellschaften mit einer anderen rechtlichen Organisationsform am wirtschaftlichen Verkehr teil.

Nach Auffassung der Kammer hat sich darüber hinaus die Auslegung des Begriffes Wirtschaftsunternehmen im gewerblichen Bereich im Rahmen des § 415 SGB III am Sinn und Zweck der Förderungsregelung auszurichten. Um eine Störung des Wettbewerbs zu vermeiden, hat sich der Gesetzgeber veranlasst gesehen, Maßnahmen im Sinne von § 415 Abs. 1 SGB III nur als förderungsfähig anzuerkennen, wenn diese an Wirtschaftsunternehmen vergeben werden. So soll durch die Beschäftigung der geförderten Arbeitnehmer in Betrieben des regulären Arbeitsmarktes das Ziel verfolgt werden, die Vermittlungsaussichten der betreffenden Arbeitnehmer zu verbessern (vgl. Meyer, die Neuregelungen des 2. SGB III-Änderungsgesetzes, NZA 1999, 902 bis 912 [909]). Der Begriff Wirtschaftsunternehmen nach § 415 SGB III ist daher in Abgrenzung zu sonstigen Trägern von Förderungsmaßnahmen zu sehen, die eben keine Betriebe des ersten und regulären Arbeitsmarktes sind. Die Klägerin ist Arbeitgeberin des regulären Arbeitsmarktes, wie die Arbeitnehmerzahlen belegen. Sie arbeitet gerade nicht ausschließlich mit geförderten Arbeitnehmern oder ehrenamtlichen Mitarbeitern. Mit Blick auf Zweck und Zielrichtung des § 415 SGB III ist daher eine gemeinnützige Genossenschaft dann nicht von der Förderung auszuschließen, wenn sie nach einer Gesamtbetrachtung wie ein Unternehmen nach außen hin tätig wird und sich als regulärer Arbeitgeber des sog. ersten Arbeitsmarktes geriert. Es ist nicht nachvollziehbar, dass es vom gesetzgeberischen Zweck her nicht beabsichtigt sein soll, eine gemeinnützige Genossenschaft von der Förderung auszuschließen, wenn sie eine derartige Größe erreicht, dass eine nahezu ausschließliche ehrenamtliche Verwaltung durch die Mitglieder nicht mehr ausreicht und sie somit darauf angewiesen, in nicht unerheblicher Zahl Arbeitnehmer zu beschäftigen, um den vielschichtigen Aufgaben aus der genossenschaftlichen Verpflichtung nachzukommen.

Nach dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage liegen keine Anhaltspunkte vor, die Zweifel an dem Vorliegen der weiteren Anspruchsvoraussetzungen nach §§ 272f., 415 SGB III begründen.

Nach alledem war der Klage antragsgemäß mit der Kostenfolge des § 193 Sozialgerichtsgesetz stattzugeben.
Rechtskraft
Aus
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