L 13 EG 34/00

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
13
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 3 EG 13/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 EG 34/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 23. August 2000 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Leistung von Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) für die Zeit vom 29.07.1995 bis 19.06.1997 für das am 29.07.1995 geborene Kind T M. Die Klägerin und Mutter des Kindes sowie ihr Ehemann sind niederländische Staatsangehörige mit Wohnsitz in den Niederlanden. Der Ehemann ist als kaufmännischer Angestellter bei einem Unternehmen im Bundesgebiet beschäftigt.

Mit einem am 19.12.1997 bei dem Versorgungsamt B eingegangem Schreiben beantragte die Klägerin Erziehungsgeld für den Sohn T. Sie gab an, seit der Geburt im Juli 1995 nicht mehr gearbeitet zu haben sowie ihren Sohn zu versorgen und zu Hause zu erziehen. Die Klägerin bezog sich auf die Verordnung der Europäischen Gemeinschaft 1408/71 (EWGV), Art. 73, wonach ihr als Ehegattin eines Grenzarbeitnehmers das Recht auf Erziehungsgeld zustehe. Mit weiterem Schreiben vom 23.01.1998 verwies die Klägerin auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH)vom 10.10.1996 in den Rechtssachen C-245/94 und C-312/94. Sie habe danach als Ehefrau eines Grenzgängers Anspruch auf Erziehungsgeld. Die Weigerung des Beklagten sei ein Verstoß gegen die EWGV 1408/71.

Der Beklagte lehnte mit Becheid vom 12.05.1998 für das erste Lebensjahr des Kindes T, d. h. bis zum 28.07.1996, die Zahlung von Erziehungsgeld wegen Versäumung der Antragsfrist ab: Selbst unter Beachtung der Rückwirkungsfrist gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 BErzGG bestehe kein Anspruch wegen verspäteter Antragstellung. Mit weiterem Bescheid vom 12.05.1998 bewilligte der Beklagte Erziehungsgeld für die Zeit vom 19.06.1997 bis zur Vollendung des 2. Lebensjahres des Kindes, d. h. bis zum 28.07.1997. Ausgehend von der Antragstellung am 19.12.1997 sei unter Berücksichtigung der Rückwirkungsfrist gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 BErzGG die Leistung für das 2. Lebensjahr allein für diesen Zeitraum zu gewähren.

Die Klägerin wandte sich mit ihrem Widerspruch gegen beide Bescheide. Sie führte aus, das Erziehungsgeldes beginne nach den gesetzlichen Vorschriften mit dem Geburtsdatum, (29.07.1995). Dies ergebe sich trotz verspäteter Antragstellung auf Grund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches. Die verzögerte Antragstellung beruhe nämlich auf fehlerhafter Information seitens des Beklagten. Der Beklagte habe sich bis in das Jahr 1997 auf den Standpunkt gestellt, dass Angehörige eines Mitgliedsstaates der Europäischen Gemeinschaft mit Wohnsitz im Ausland nur dann Anspruch auf Erziehungsgeld hätten, wenn sie ein Arbeitsverhältnis im Geltungsbereich des BErzGG mit wöchentlicher Arbeitszeit von mindestens 15 Stunden hätten. Angesichts ihres Wohnsitzes in den Niederlanden und mangels Arbeitsverhältnisses im Bundesgebiet habe sie davon abgesehen, bereits nach der Geburt des Kindes T im Jahre 1995 den Antrag auf Erziehungsgeld zu stellen. Der Beklagte habe erst spät nach dem Urteil des EuGH vom 10.10.1996, nämlich ab Mitte März 1998, seine Rechtsauffassung geändert und auch Angehörigen eines Mitgliedsstaates der Europäischen Gemeinschaft mit Wohnsitz im Ausland Erziehungsgeld gewährt, wenn der Ehegatte im Bundesgebiet beschäftigt sei. Aus dem bis dahin nicht geänderten Gesetzestext des BErzGG könne ein solcher Anspruch nicht herausgelesen werden. Sie habe den Antrag auf Erziehungsgeld erst im Dezember 1997 gestellt, nachdem sie von dem Urteil des EuGH und der geänderten Rechtsauffassung des Beklagten Kenntnis erlangt habe. Die fehlerhafte Aufklärung des beklagten Landes besteht auf Grund einer fehlerhaften Allgemeininformation. Das vom Beklagten verwandte Informationsblatt EG 6 a mit Wiedergabe des Textes des BErzGG ohne ergänzende Mitteilung über das Urteil des EuGH vom 10.10.1996 führe zur Annahme, dass ein Antrag auf Erziehungsgeld keine Aussicht auf Erfolg habe, soweit eine Antragstellerin nicht in einem Beschäftigungsverhältnis in der Bundesrepublik Deutschland stehe. Auch sei ihr, der Klägerin, bekannt, dass noch im Juli 1997 bei vergleichbaren Sachverhalten Anträge auf Erziehungsgeld mit der unzutreffenden Begründung, die Antragsteller stünden in keinem Arbeitsverhältnis in der Bundesrepublik Deutschland, abgelehnt worden seien. Im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches sei sie daher so zu stellen, als ob sie bereits im Juli 1995 den Antrag auf Gewährung von Erziehungsgeld gestellt hätte.

Der Beklagte wies die Widersprüche mit Bescheid vom 29.07.1999 zurück. Ausnahmen von dieser Ausschlußfrist des § 4 Abs. 2 Satz 3 BErzGG seien nicht möglich. Die Klägerin sei nicht gehindert gewesen, rechtzeitig den Leistungsantrag zu stellen. Ebensowenig sei im Einzelfall eine gezielte Fehlinformation durch das Versorgungsamt gegeben.

Dagegen hat die Klägerin am 27.08.1999 bei dem Sozialgericht Münster Klage erhoben. Sie hat ihr Vorbringen zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch wiederholt.

Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 12.05.1998 und den Widerspruchsbescheid vom 19.07.1999 aufzuheben und das beklagte Land zu verurteilen, ihr Erziehungsgeld in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 29.07.1995 bis 19.06.1997 zu gewähren.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat sich im wesentlichen auf seine angefochtene Verwaltungsentscheidung bezogen. Im übrigen hat er die Auffassung vertreten, es sei nicht erwiesen, dass die Klägerin aufgrund einer vom Versorgungsamt veranlaßten Fehlinformation von der Antragstellung abgesehen habe. Sie habe sich allenfalls durch den Wortlaut des BErzGG von der Antragstellung abhalten lassen. Daher fehle es an der Verletzung einer individuellen Beratungs- und Hinweispflicht im Rahmen eines konkreten Sozialleistungsverhältnisses.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 23. August 2000 die Klage abgewiesen. Es hat den Anspruchsausschluß für Zeiten vor dem 19.06.1997 aufgrund der Fristregelung des § 4 Abs. 2 Satz 3 BErzGG für rechtmäßig erachtet und den geltend gemachten sozialrechtlichen Herstellungsanspruch verneint. Die Klägerin sei nämlich nicht aufgrund pflichtwidrigen Verhaltens des Beklagten daran gehindert gewesen, den Antrag rechtzeitig zu stellen. Der Beklagte habe keine ihm obliegende Verpflichtung zu Auskunft oder Beratung verletzt. Die Klägerin ihrerseits habe nämlich weder eine Auskunft der Versorgungsverwaltung begehrt und erhalten noch habe eine Beratungspflicht der Versorgungsverwaltung bestanden. Der Beklagte habe nicht die Pflicht, generell darauf hinzuweisen, dass über den Gesetzeswortlaut des BErzGG hinaus im bestimmten Fällen aufgrund Europarechts ein Anspruch auf Erziehungsgeld bestehe.Die Herausgabe des Gesetzestextes durch den Beklagten sei keine fehlerhafte oder mißverständliche allgemeine Information gewesen.

Gegen das ihr am 31. August 2000 zugestellte Urteil richtet sich die am 26. September 2000 eingegangene Berufung der Klägerin. Sie trägt zusätzlich vor, auch in ablehnenden Entscheidungen des Beklagten in vergleichbaren Fällen nach Verkündung des EuGH-Urteils vom 10.10.1996 sei eine unrichtige Allgemeininformation zu erblicken. Sie sei seit 1986 Mitglied der "Vereinigung europäischer Grenzgänger", einer privaten Organisation mit Sitz in den Niederlanden, und habe über diese Vereinigung von ablehnenden Entscheidungen auch noch nach dem Zeitpunkt des EuGH-Urteils vom Oktober 1996 Kenntnis erlangt. Die ablehnenden Entscheidungen in Bezug auf andere Mitglieder der "Vereinigung europäischer Grenzgänger" hätten sie von einer rechtzeitigen Antragstellung abgehalten.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 23.08.2000 zu ändern und das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheides vom 12.05.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.07.1999 zu verurteilen,ihr Erziehungsgeld für die Betreuung des Sohnes T vom 29.07.1995 bis 19.06.1997 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er betont, dass die Klägerin sich vor der erstmaligen Antragstellung im Dezember 1997 nicht an das Versorgungsamt wegen Erziehungsgeldleistungen gewandt hatte. Es fehle daher an der Konkretisierung eines Sozialrechtsverhältnisses. Der Klägerin selbst sei das Informationsblatt EG 6 a nie zugesandt und auch nie zuvor eine ablehennde Auskunft erteilt worden. Bezogen auf allgemein im Umlauf befindliche Informationsvordrucke und auf negative Entscheidungen gegenüber anderen Antragsstellern ergebe sich jedenfalls zu Gunsten der Klägerin kein Herstellungsanspruch.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im übrigen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten. Der Inhalt dieser Akten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten vom 12.05.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.1999 sind rechtmäßig. Im Zeitraum vor dem 19.07.1997 bestand nämlich kein Anspruch der Klägerin auf Leistungen nach dem BErzGG wegen der Erziehung des Sohnes T.

Nach § 4 Abs. 2 Satz 3 BErzGG wird Erziehungsgeld rückwirkend höchstens für sechs Monate von der Antragstellung bewilligt.

Das Antragschreiben der Klägerin vom 16.12.1997 ging am 19.12.1997 bei dem Beklagten ein. Für das zweite Lebensjahr des Kindes T hat der Beklagte zutreffend allein vom 19.06.1997 bis zur Vollendung des 2. Lebensjahres, 28.07.1997, Erziehungsgeld gezahlt. Für davorliegenden Zeiten im 2. Lebensjahr kann die Klägerin ebensowenig wie für das gesamte 1. Lebensjahr das Erziehungsgeld verlangen.

Sie kann sich auch nicht auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch berufen. Der in der Rechtsprechung entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt folgendes voraus: Es muß eine Pflichtverletzung vorliegen, die dem Sozialleistungsträger zuzurechnen ist.

Dadurch muß beim Berechtigten ein rechtlicher Nachteil oder Schaden eingetreten sein. Außerdem ist es erforderlich, dass durch Vornahme einer Amtshandlung der Zustand wiederhergestellt werden kann, der bestehen würde, wenn der Sozialleistungsträger seine Verpflichtung nicht verletzt hätte (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG),vgl. nur Urteil vom 22.10.1996, Az.: 13 RJ 69/95, NZS 1997, 283 ff., Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 V 12/99 R, Urteil vom 13.12.2000 B 14 EG 10/99 R). Notwendig ist dabei, dass der Leistungsträger eine ihm aufgrund Gesetzes oder eines bestehenden Sozialrechtsverhältnisses dem Leistungsberechtigten gegenüber obliegende Pflicht insbesondere zu Auskunft und Beratung sowie einer dem konkreten Anlaß ensprechenden verständnisvollen Förderung verletzt und dadurch dem Betroffenen den rechtlichen Nachteil zugefügt hat, Grüner-Dalichau, Kommentar zum BErzGG, Bd. 1, § 4, Erläuterung V.3., mit weiteren Nachweisen.

Hier fehlt es bereits an einer Pflichtverletzung des Beklagten, die ursächlich dafür gewesen sein könnte, dass die Klägerin die Antragstellung unterlassen hat. Die Klägerin selbst hat weder behauptet noch nachgewiesen, durch eine unzutreffende konkrete Beratung oder fehlerhafte Aufklärung auf konkrete Anfrage hin vom Beklagten davon abgehalten worden zu sein, fristgerecht nach Geburt des Sohnes T den Antrag auf Leistungen nach dem BErzGG zu stellen. Weder während des ersten Lebensjahres noch zu einem späteren Zeitpunkt vor dem Eingang ihres Schreibens vom 16.12.1997 am 19.12.1997 hat sich die Klägerin mit einem konkreten Beratungsbegehren an den Beklagten gewandt. Insoweit kann eine unterbliebene oder fehlerhafte Information durch den Beklagten die verspätete Antragstellung nicht verursacht haben. Mangels einer Kontaktaufnahme mit der Erziehungsgeldkasse ist überhaupt kein konkretes Sozialleistungsverhältnis mit den dadurch entstehenden Aufklärungs,-, Beratungs- und Hinweispflichten des Beklagten zustandegekommen.

Zwar können auch fehlerhafte allgemeine Informationen nach § 13 des Sozialgesetzbuches Allgemeiner Teil (SGB I) als für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs in Betracht kommen. Dies gilt jedoch nur, wenn die allgemeinen Informationen falsch oder irreführend unvollständig sind, (BSG, Urteil vom 15.12.1983, Az.: 12 RK 6/38). Jedoch gehört der Hinweis auf die rechtsfortbildende Rechtsprechung nicht zur notwendigen Belehrung gemäß § 13 SGB I (vgl. Seewald im Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Bd. I, vor §§ 38 bis 47 SGB I, Rdnr. 36, sowie Gagel, SGB 2000, 517 ff). Somit kann die Unterrichtung durch das Informationsblatt EG 6 a mit der Wiedergabe des im Bundesgesetzblatt verkündeten Textes der jeweils geltenden Fassung des BErzGG keine Verletzung von Informationspflichten darstellen. Bei der Bekanntmachung von Gesetzen ist die Verkündung mit der Wirkung formeller Publikation und Publizität entscheidend. Dadurch gelten die Gesetze üblicherweise als allen Normadressaten bekannt.Dies ist auch ohne Rücksicht darauf der Fall, ob und wann die Betroffenen von den Gesetzestexten tatsächlich Kenntnis erlangen.

Im übrigen hat die Klägerin zu keinem Zeitpunkt selbst das Informationsblatt EG 6 a mit dem Text des BErzGG vom Beklagten angefordert oder erhalten. Es kommt auch nicht darauf an,welche Informationen der Klägerin durch ihren Interessenverband, die Vereinigung Europäischer Grenzgänger oder sonstige, diesem Verband zugehörige Personen vermittelt worden sind. Etwaige Auskünfte dieser privaten Organisation mit Sitz in den Niederlanden, gegebenenfalls auch zum Rechtszustand nach dem EuGH-Urteil vom 10.10.1996, sind ersichtlich nicht dem Beklagten zuzurechnen.Soweit die Klägerin sich durch Antragsablehnungen in Fällen anderer Grenzgänger an einem eigenen Erziehungsgeldantrag gehindert gesehen haben mag, ist dies hier ohne Bedeutung. Diese Umstände sowie innere Entscheidungsabläufe können keinesfalls die Voraussetzungen für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch begründen. Ohne Kundgabe eines rechtlichen Erklärungswille würde das Antragsprinzip i.S.v. § 4 Abs. 2 BErzGG niht Rechnung tragen. Hätte die Klägerin das Leistungsbegehren nach dem BErzGG rechtzeitig mittels Antrag kundgetan, wäre der Beklagte in die Lage versetzt worden, in Betracht kommende Ansprüche nach dem BErzGG zu überprüfen und zeitnah nach Geburt des Kindes T rechtsbehelfsfähige Bescheide zu erteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Anlaß zur Zulassung der Revision bestand nicht.
Rechtskraft
Aus
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