L 11 AL 340/98

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 AL 233/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AL 340/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 04.08.1998 sowie die Bescheide der Beklagten vom 30.06.1996, 18.07.1997 und 23.10.1997 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld für die Zeiträume vom 14.05.1997 bis 30.08.1997 und vom 06.10.1997 bis 31.12.1997 zu gewähren.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
III. Die Revision wird zugelassen, soweit die Gewährung von Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 14.05.1997 bis 30.08.1997 im Streit ist.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 14.05.1997 bis 30.08.1997 und vom 06.10.1997 bis 31.12.1997 streitig.

Der 1952 geborene ledige Kläger war vom 04.11.1979 bis 31.12.1995 als Schlafwagenschaffner bei der M. , Niederlassung Köln, beschäftigt. Dieses Arbeitsverhältnis war dem Kläger ordentlich unter Einhaltung der Kündigungsfrist gekündigt worden.

Vom 14.11.1995 bis 13.05.1997 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt und erhielt Krankengeld von der AOK Rheinland.

Der Kläger war seit Mai 1993 in B. polizeilich gemeldet, wo er ein eigenes Haus besaß. Das Haus verkaufte er im November 1996 mit Übergabe zum 01.01.1997 an ein Ärzte-Ehepaar aus Bochum, das das Haus lediglich als Ferienhaus nutzen wollte. Der Kläger beaufsichtigte das Haus auch nach dem Verkauf für die neuen Eigentümer, die ihm dazu einen Schlüssel belassen hatten.

Der Kläger hatte sich in H. im nahen Dänemark ein Haus gekauft. Dahin war er Anfangs 1997 umgezogen.

B. liegt ca 6 km nördlich von N. und ca 7,5 km südlich der deutsch-dänischen Grenze. H. liegt ca 9 km nördlich der deutsch-dänischen Grenze und ca 26 km von B. und ca 29 km von N. entfernt.

Der Kläger meldete sich am 02.05.1997 mit Wirkung zum 14.05.1997 beim Arbeitsamt Flensburg, Dienststelle N. , arbeitslos und beantragte Alg. Nach den Feststellungen des Rentenversicherungsträgers war der Kläger damals mit Einschränkungen arbeitsfähig.

Der Kläger gab im Alg-Formblattantrag die Adresse: B. , an und ein Bankkonto in Deutschland.

Zuvor war er vom Arbeitsamt informiert worden, dass er bei einem Wohnsitz in Dänemark kein Alg von der Beklagten erhalten könne.

Der Kläger teilte der Beklagten mit der Änderungsmitteilung vom 27.08.1997 mit, dass er ab dem 31.08.1997 nicht mehr arbeitslos sein werde.

In dem Zeitraum vom 31.08.1997 bis 05.10.1997 war der Kläger bei der T. GmbH i.G. Mainz als Zugbetreuer in fünf mehrtägigen Einsätzen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Dazwischen kehrte er jeweils nach Dänemark zurück.

Am 06.10.1997 meldete sich der Kläger erneut arbeitslos und beantragte Alg. Er gab wieder die Adresse in B. , an. Am 01.11.1997 meldete sich der Kläger polizeilich von B. nach Dänemark H. , um. Zum 01.01.1998 meldete er sich aus der Arbeitslosigkeit ab.

Mit dem streitgegenständlichen Bescheid des Arbeitsamtes Flensburg vom 30.06.1997 idF des Widerspruchsbescheides vom 18.07.1997 lehnte die Beklagte den Antrag des Kläger auf Alg für die Zeit ab 14.05.1997 ab. Der Kläger sei unter der von ihm im Antragsformular angegebenen Adresse nicht verfügbar. Kontakte des Arbeitsamtes sowohl postalisch als auch fernmündlich seien in der Zeit ab 14.05.1997 nur über die dänische Anschrift bzw den dänischen Fernsprechanschluss des Klägers möglich gewesen. Er sei unter der angegebenen Adresse nicht erreichbar und stehe der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung. Zudem könnten Leistungen nach dem Recht der Arbeitslosenversicherung wie das Alg nur in Anspruch genommen werden, wenn der Antragsteller seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hätte. Der Kläger habe weder seinen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, sondern in Dänemark. Er halte sich überwiegend in H. auf.

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 18.07.1997 erhob der Kläger am 18.08.1997 Klage zum Sozialgericht (SG) Schleswig, das den Rechtsstreit mit Beschluss vom 27.02.1998 an das SG Nürnberg verwies.

Mit Bescheid des Arbeitsamtes Flensburg vom 23.10.1997 wurde die Gewährung von Alg auf den Antrag und die erneute Arbeitslosmeldung vom 06.10.1997 hin ebenfalls abgelehnt, weil der Kläger seinen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in Dänemark habe. Dagegen erhob der Kläger, der mit dieser Entscheidung nicht einverstanden war, am 30.10.1997 Widerspruch, weil der Bescheid eine entsprechende Rechtsmittelbelehrung enthielt. Die Beklagte vertrat im Verfahren vor dem SG Nürnberg die Meinung, dass der Bescheid vom 23.10.1997 Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens geworden sei.

Mit Urteil vom 04.08.1998 hat das SG Nürnberg die Klage gegen den Bescheid vom 30.06.1997 idF des Widerspruchsbescheides vom 18.07.1997 abgewiesen. Bezüglich des Bescheides vom 23.10.1997 ist das SG davon ausgegangen, dass dieser Bescheid nicht Gegenstand des Verfahrens geworden sei, weil der Kläger Widerspruch erhoben habe und ihm insoweit ein Wahlrecht zwischen Klage und Widerspruchsverfahren zugestanden habe.

Das SG hat in seiner Entscheidung die Auffassung der Beklagten geteilt. Der Kläger habe seinen Wohnsitz und seinen Aufenthaltsort im streitrelevanten Zeitraum in Dänemark gehabt und sei in dieser Zeit auch nicht unter der im Leistungsantrag angegebenen Adresse in Deutschland erreichbar gewesen.

Das Urteil vom 04.08.1998 ist dem Kläger am 06.10.1998 zugestellt worden. Dagegen hat er am 03.11.1998 Berufung eingelegt.

Der Kläger trägt vor, er habe sich im Zeitraum vom 14.05.1997 bis 30.08.1997 und vom 06.10.1997 bis 31.12.1997 zur Zeit des üblichen Posteingangs zwischen 9.00 und 11.00 Uhr stets in B. , aufgehalten, abgesehen von Tagen, an denen er das Arbeitsamt N. zu Besprechungen aufgesucht habe, nämlich am 14.08.1997, 27.08.1997, 11.09.1997, 01.10.1997, 06.10.1997 und am 23.12.1997. Es sei außerdem zu beachten, dass er mehrfach und auch schriftlich zB in der Klageschrift vom 18.08.1997 der Beklagten angeboten habe, sich täglich beim Arbeitsamt in N. zu melden, um seine Verfügbarkeit zu dokumentieren.

Eine Anspruchsberechtigung ergebe sich für ihn aus Art 71 Abs 1 lit b EWG-Verordnung 1408/71. Danach seien Leistungen der Arbeitslosenversicherung an einen Arbeitslosen bei einem Wohnsitzwechsel während der Beschäftigungszeit von der Arbeitsverwaltung des Beschäftigungslandes zu erbringen. Während seiner Arbeitsunfähigkeit seien Beiträge aus der Krankenversicherung an die Beklagte gezahlt worden. Die Krankengeldbezugszeit sei einer Beschäftigungszeit iS der EWG-Verordnung 1408/71 gleichzustellen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 04.08.1998 und die Bescheide vom 30.06.1996, 18.07.1997 und 23.10.1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Arbeitslosengeld für die Zeit vom 14.05.1997 bis 30.08.1997 und vom 06.10.1997 bis 31.12.1997 zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 04.08.1998 zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 23.10.1997 abzuweisen.

Zur Begründung verweist die Beklagte auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils und trägt ergänzend vor: Am 27.05.1997 habe ein Außendienstmitarbeiter den Namen des Klägers am Klingelschild in B. , nicht feststellen können. Nach Auskunft der Post habe der Kläger am 10.07.1997 einen Postnachsendeantrag für seine an B. , gerichtete Post nach H. , gestellt. Diesen Antrag habe er jedoch einige Tage später zurückgezogen. Danach sei die Post wieder an den unbeschrifteten Briefkasten in B. , eingeworfen worden. Der Hausbriefkasten sei regelmäßig geleert worden. Der Kläger habe in der streitrelevanten Zeit nicht - wie es erforderlich gewesen wäre - seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in B. , gehabt.

Der Kläger habe erst nach Beendigung der Beschäftigung seinen Wohnsitz nach Dänemark verlegt. Auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 30.12.1999 (Az: BvR 809/95) könne er sich deshalb nicht berufen. § 30 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) stehe dem Anspruch des Klägers auf Alg entgegen.

Der Senat hat durch den Berichterstatter die Zeugen P. und H. vernommen. Die Zeugin P. hat ausgesagt, dass der Kläger sie 1997 häufig in ihrem Haus in B. besucht habe. Der Zeuge H. hat ausgesagt: Er wohne mit dem Kläger seit 1992 zusammen. Anfang 1997 seien sie von B. nach H. verzogen. Sie hätten das Haus in B. 1997 jedoch regelmäßig zum Duschen und Kochen genutzt, weil das Haus in H. erst entsprechend hergerichtet werden musste. Sie seien fast täglich in B. , gewesen, manchmal auch sonntags, immer vormittags. Die Post sei dort zwischen 9.00 und 11.00 Uhr gebracht worden.

Die Beklagte ist der Auffassung, die Zeugenaussagen hätten ergeben, dass sich der Kläger zwar oft, aber nicht ständig unter der gegenüber dem Arbeitsamt Flensburg angegebenen Adresse in B. aufgehalten habe. Es habe sich ihre Auffassung bestätigt, dass der Kläger bereits vor seiner Arbeitslosmeldung und Antragstellung im Jahr 1997 nach Dänemark verzogen gewesen sei und dort seinen ständigen Aufenthalt und Wohnsitz genommen habe. Die Verfügbarkeit für die deutsche Arbeitslosenversicherung sei nicht gegeben gewesen. Weiterhin sei beachtlich, dass sich der Kläger nach seinen eigenen Angaben bereits im Jahr 1997 der dänischen Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt habe und dort nach einer Tätigkeit in Dänemark im Jahre 1998 auch Leistungen bezogen habe.

Zur Ergänzung der Tatbestandes wird verwiesen auf die beigezogenen Akten der Beklagten (Stnr 514547 und 119 A 514527), auf die beigezogene Akte des Sozialgerichts Nürnberg und auf die Verfahrensakte des Senats, deren wesentlichen Inhalte zum Gegenstand der Verhandlung gemacht wurden.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist wegen der Höhe des im Streit stehenden Alg zulässig (§ 144 Abs 1 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Der Bescheid vom 06.10.1998 wurde Gegenstand des Verfahrens vor dem Sozialgericht und auch des anhängigen Berufungsverfahrens. Die Grenzen der Anwendung des § 96 SGG sind im Hinblick auf die prozessuale Zielsetzung dieser Vorschrift, nämlich die Durchsetzung des Grundsatzes der Prozessökonomie, insbesondere bei Dauerrechtsverhältnissen, weit zu ziehen. Die Verknüpfung der im ersten und im nachgehenden Bescheid geregelten Verfahrensgegenstände ist immer dann gerechtfertigt, wenn der nachgehende Bescheid aus den gleichen Gründen wie der frühere Bescheid - wie im vorliegenden Fall - angefochten wird (BSG SozR 1500 § 96 Nr 14 S 22, 23; BSG SozR 3100 § 105 Nr 2 S 9; BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 10 S 55 f, Nr 12 S 73 f). Der Senat hat über den im erstinstanzlichen Verfahren nicht erledigten Verwaltungsakt vom 06.10.1998 mitzuentscheiden, weil der Kläger es beantragt und die Beklagte dem nicht widersprochen hat (BSGE 27, 146 ff).

Die Berufung ist auch begründet. Unter Berücksichtigung von Art 71 Abs 1 lit b Ziff i der Verordnung des Rates (EWG) Nr 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, vom 14.06.1971 (ABlEG 1971 Nr L 149/2 idF vom 27.06.1997 ABlEG L 176/1) hat der Kläger sowohl für die Zeit vom 14.05.1997 bis 30.08.1997 als auch für die Zeit vom 06.10.1997 bis 31.12.1997 einen Anspruch auf Alg gegen die Beklagte.

Die materiell-rechtlichen innerstaatlichen Anspruchsvoraussetzungen für Alg bestimmen sich für den hier vorliegenden Fall nach den §§ 100 ff Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in seiner letzten bis 31.12.1997 gültigen Fassung. Denn grundsätzlich beurteilen sich die Entstehung und der Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche nach demjenigen Recht, das zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse und Umstände gegolten hat, soweit nicht später in Kraft gesetztes Recht ausdrücklich oder sinngemäß etwas anderes bestimmt (SozR 3-2500 § 48 Nr 1 S 4 mwN).

Zwar begrenzt § 30 Abs 1 SGB I den Geltungsbereich des SGB, zu dem nach dem 1997 noch gültigen Art II S 1 Nr 2 SGB I (idF bis zum 31.12.1997) auch das AFG gehörte, auf Personen, die ihren Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatten. Davon wurden aber durch die in § 30 Abs 2 SGB I vorbehaltenen Regeln des überstaatlichen Rechts, dem die EWG-VO zuzuordnen ist, Ausnahmen zugelassen.

Der Kläger hatte im Zeitraum vom 14.05.1997 bis 30.08.1997 keinen Wohnort oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Denn er wohnte tatsächlich nicht in B. und hielt sich dort auch tatsächlich nicht gewöhnlich auf. Daran würde auch nicht der Umstand etwas ändern, wenn der Kläger sich in seinem ehemaligen Wohnhaus in B. täglich einige Stunden aufgehalten hätte, denn seine Wohnung und seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte er in H. im Königreich Dänemark.

Der in § 30 Abs 2 SGB I enthaltene Vorbehalt zu Gunsten des überstaatlichen Rechts bedeutet jedoch: Wenn das überstaatliche Recht einen Anspruch auf eine Sozialleistung ermöglicht, setzt diese Regelung insoweit das in § 30 Abs 1 SGB I zum Ausdruck gebrachte Territorialitätsprinzip außer Kraft (SozR 3-6050 Art 71 Nr 5 S 33).

Der Leistungsanspruch des in Dänemark wohnenden Klägers gegen die Beklagte auf Alg für die Zeit vom 14.05.1997 bis 30.08.1997 ergibt sich unmittelbar aus Art 71 Abs 1 lit b Ziff i EWG-VO 1408/71.

Die genannte Vorschrift lautet auszugsweise: "Für die Gewährung von Leistungen an einen Arbeitnehmer, der während seiner letzten Beschäftigung im Gebiet eines anderen Mitgliedsstaates als des zuständigen Staates wohnte, gilt Folgendes:

b) i) Arbeitnehmer, die nicht Grenzgänger sind und weiterhin ... der Arbeitsverwaltung des zuständigen Staates zur Verfügung stehen, erhalten bei ... Vollarbeitslosigkeit Leistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Staates, als ob sie in diesem Staat wohnten; diese Leistungen gewährt der zuständige Träger."

Der Kläger war im Zeitraum vom 14.05.1997 bis 30.08.1997 nicht Grenzgänger iS der EWG-VO 1408/71. Denn nach der Legaldefinition in Art 1 lit b EWG-VO 1408/71 ist Grenzgänger jeder Arbeitnehmer, der seine Berufstätigkeit im Gebiet eines Mitgliedsstaates ausübt und im Gebiet eines anderen Mitgliedsstaates wohnt, in das er in der Regel täglich, mindestens ein Mal wöchentlich zurückkehrt.

Die konkrete Bewertung, ob es sich bei einem arbeitslosen Arbeitnehmer iS Art 71 Abs 1 lit b Ziff i EWG-VO 1408/717 um einen Grenzgänger handelt, ist nach innerstaatlichem Recht zu treffen (EuGH, Urteil vom 27.05.1982, Az: 227/81 = SozR 6050 Art 71 Nr 6 S 15).

Der Kläger übte seine Berufstätigkeit vor seinem Antrag auf Alg am 14.05.1997 in Deutschland aus und wohnte zu dieser Zeit nicht in Dänemark. Er ist erst nach dem Ende seiner Berufstätigkeit nach Dänemark umgezogen. Er war in der Zeit vom 14.05.1997 bis 30.08.1997 deshalb kein arbeitsloser Grenzgänger.

Der Kläger erfüllte nach Auffassung des Senats im Zeitraum vom 14.05.1997 bis 30.08.1997 auch die Grundvoraussetzung (dazu: EuGH, Urteil vom 11.10.1984, Az: 128/83, EuGHE 1984, 3507 = SozR 6050 Art 71 Nr 7; BSG, Urteil vom 09.02.1994, Az: 11 RAr 1/93, SozR 3-6050 Art 71 Nr 5; BSG, Urteil vom 25.06.1995, Az: 11 RAr 9/95, SozR 3-6050 Art 71 Nr 8) für die Gewährung von Leistungen nach Art 71 Abs 1 lit b Ziff i EWG-VO 1408/71, denn seine letzte "Beschäftigung" iS dieser Vorschrift und sein Wohnort fielen auseinander. Denn als Beschäftigungszeiten iS der EWG-VO 1408/71 sind nach der Legaldefinition in Art 1 lit s EWG-VO 1408/71 die Zeiten zu werten, die nach den Rechtsvorschriften, unter denen sie zurückgelegt worden sind, als solche bestimmt sind und ferner alle Zeiten, soweit sie nach diesen Rechtsvorschriften als gleichwertig anerkannt sind.

Der Senat geht davon aus, dass das Tatbestandsmerkmal Beschäftigung in Art 71 EWG-VO 1408/71 wie eine Beschäftigungszeit nach der Definition nach Art 1 lit s EWG-VO 1408/71 zu verstehen ist. Denn eine Beschäftigung hat notwendig eine zeitliche Dimension, ist immer auch eine Beschäftigungszeit.

Im Sinne der letztgenannten Definition stand der Kläger bis zu seiner Arbeitslosigkeit ab 14.05.1997, dh auch zu einer Zeit, als er schon im KR Dänemark wohnte, in einer Beschäftigung iS dieser Vorschrift. Denn nach dem innerstaatlichen Recht des § 107 Abs 5 a AFG war eine Zeit des Bezuges von Krankengeld einer Beschäftigungszeit gleichzustellen, dh, der Kläger verlegte schon während seiner Beschäftigungszeit seinen Wohnsitz in einen anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union und kehrte bis zum Eintritt der Arbeitslosigkeit nicht mehr an seinen Arbeitsplatz zurück. Er wurde also auch nicht Grenzgänger.

Der Senat sieht insofern keinen wesentlichen Unterschied zu der Fallgestaltung, die der Entscheidung des Bundessozialgerichts von 09.02.1994 (Az: 11 RAr 1/93 = SozR 3-6050 Art 71 Nr 5) zugrunde liegt. Darin hat das Bundessozialgericht das Arbeitsverhältnis im Erziehungsurlaub als Beschäftigung iS des Art 71 EWG-VO 1408/71 gewertet.

Art 71 Abs 1 lit b Ziff i EWG-VO 1408/71 eröffnet dem arbeitslosen Arbeitnehmer eine Wahlmöglichkeit. Er kann von der Arbeitslosenversicherung des Staates, in dem er zuletzt beschäftigt war oder in dem er wohnt, Versicherungsleistungen in Anspruch nehmen (EuGH, Urt v 27.05.1982, Az 227/81 = SozR 6050 Art 71 Nr 6 S 16). Dieses Wahlrecht hat der Kläger zu Lasten der Beklagten ausgeübt.

Der Kläger stand auch der Arbeitsverwaltung des zuständigen Staates (Art 1 lit q, lit o Ziff i EWG-VO 1408/71), dh der Beklagten, zur Verfügung.

Wenn die Beklagte darauf hinweist, dass der Kläger sich auch der dänischen Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt hat, ist dies ohne Bedeutung. Denn nach Art 71 Abs 2 EWG-VO 1408/71 gehen die Ansprüche auf Leistung nach Abs 1 b) i) der genannten Vorschrift den Leistungen des Wohnsitzstaates vor.

Nach den §§ 100 ff AFG hatte 1997 ein Anspruch auf Alg, wer arbeitslos war, sich arbeitslos gemeldet, Alg beantragt, die Anwartschaftszeit erfüllt und sich der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt hatte.

Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger diese Voraussetzungen in den Zeiten vom 14.05.1997 bis 30.08.1997 erfüllt hatte. Der Kläger war in den beschriebenen Zeiträumen arbeitslos, dh vorübergehend nicht in einer Beschäftigung (§ 101 AFG). Nach der Aktenlage ist belegt, dass er sich zum 14.05.1997 arbeitslos gemeldet und Alg beantragt hatte (§ 105 AFG). Er hatte offensichtlich auch die Anwartschaftszeit erfüllt, dh, er hatte innerhalb eines Zeitraumes von 3 Jahren vor der Arbeitslosmeldung am 14.05.1997 mehr als 360 Kalendertage in einer beitragspflichtigen Beschäftigung (§ 168 AFG) oder in einer gleichgestellten Zeit (§ 107 AFG) gestanden.

Er hatte - entgegen der Ansicht der Beklagten und des Erstgerichts - auch der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden.

Nach der damals geltenden Fassung des § 103 AFG stand der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer eine zumutbare und beitragspflichtige Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben konnte und durfte und bereit war, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen, die er ausüben konnte und durfte, sowie an zumutbaren Maßnahmen der beruflichen Ausbildung und Fortbildung und Umschulung sowie zur beruflichen Rehabilitation teilzunehmen.

Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, anzunehmen, dass der Kläger diese Voraussetzungen nicht erfüllte. Seine gesundheitlichen Einschränkungen standen einer Erwerbstätigkeit grundsätzlich nicht entgegen.

Zu den Voraussetzungen der Verfügbarkeit zur Arbeitsvermittlung gehörte ferner - was hier im Wesentlichen streitig ist - dass der Arbeitslose das Arbeitsamt täglich aufsuchen konnte und für das Arbeitsamt erreichbar war (§ 103 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFG).

Diese Voraussetzung ist im Lichte des überstaatlichen Rechts, hier konkret des Art 71 Abs 1 lit b Ziff i EWG-VO, zu sehen.

Der Kläger hatte sich der Arbeitsvermittlung der Beklagten zur Verfügung gestellt und war auch für die Beklagte erreichbar. Das Bundessozialgericht (vgl auch SozR 3-6050 Art 71 Nr 5 S 37) hat bereits beispielhaft dargelegt, dass planwidrige Unvollständigkeiten des deutschen Rechts, zB die Erreichbarkeit bei einem grenznahen ausländischen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland, der europarechtlichen Grundentscheidung anzupassen sind.

Die Regelung des Art 71 Abs 1 lit b Ziff i EWG-VO 1408/71 modifiziert die Verfügbarkeit nach nationalem Recht. Ein unechter Grenzgänger kann bei Vollarbeitslosigkeit die Leistungen wegen Arbeitslosigkeit und zu Lasten des Beschäftigungsstaates erhalten, sofern er sich bei dessen Dienststellen als Arbeitsloser meldet und sich ihrer Kontrolle unterwirft (vgl Krechtschmer in Niesel, SGB III, Anh A Art 71 RdNr 24 ff).

Aus § 71 Abs 1 lit b Ziff i EWG-VO 1408/71 ergibt sich, dass für die Erreichbarkeit des Klägers grundsätzlich H. in Dänemark maßgebend war. Denn diese anspruchskoordinierende und anspruchserweiternde Norm geht davon aus, dass der Arbeitslose nicht im Beschäftigungsstaat wohnt. Die Beklagte hatte es unterlassen, den Kläger entsprechend zu unterrichten, sie hat ihre Beratungspflicht verletzt (§ 14 SGB I). Die daraus resultierenden Nachteile für die Erreichbarkeit des Klägers darf die Beklagte deshalb dem Kläger nicht entgegenhalten. Dies wäre rechtsmissbräuchlich. Die Beklagte hätte deshalb bei Bedarf ausnahmsweise den Kläger jeweils unter beiden Adressen, dh in H. und in B. zu erreichen versuchen müssen. Es genügte andererseits, dass der Kläger sich in H. aufhielt.

Die Beklagte kannte die dänische Anschrift des Klägers. Offensichtlich nur wegen der falschen Beratung der Beklagten, dass der Kläger mit dänischer Anschrift keinen Alg-Anspruch haben könne, hat er seine Adresse B. , angegeben. Seine dortige Anwesenheit war weitgehend durch die falsche Auskunft der Beklagten über die Voraussetzungen eines Alg-Anspruches mitverursacht.

Der Senat ist zudem nach dem Ergebnis der Zeugenvernehmung davon überzeugt, dass der Kläger in B. zur Zeit des üblichen Posteingangs in den streitrelevanten Zeiten nahezu immer für die Beklagte erreichbar war.

Dem Kläger steht also Alg dem Grunde nach für den Zeitraum vom 14.05.1997 bis zum 30.08.1997 zu.

Für den Zeitraum vom 06.10.1997 bis 31.12.1997 ergibt sich ein Anspruch des Klägers aus einer an Sinn und Zweck orientierten Auslegung des Art 71 Abs 1 lit b Ziff i EWG-VO 1408/71.

In der Zeit vom 31.08.1997 bis ausschließlich 05.10.1997 war der Kläger in Deutschland beschäftigt gewesen und hatte im KR Dänemark gewohnt, wohin er wöchentlich mindestens einmal zurückgekehrt war. Er war somit in der Zeit vom 06.10.1997 bis 31.12.1997 Grenzgänger iS der Definition der EWG-VO 1408/71. Er würde damit unter die Vorschrift des Art 71 Abs 1 lit a der EWG-VO 1408/71 fallen.

Nach der maßgebenden Entscheidung des EuGH vom 12.06.1986, Az: 1/85, (EuGHE 1986, 1837, 1846 "Miethe" = SozR 6050 Art 71 Nr 8) soll Art 71 EWG-VO 1408/71 jedoch auch sicherstellen, dass den Wanderarbeitern die Leistungen bei Arbeitslosigkeit unter den für die Arbeitssuche günstigsten Voraussetzungen gewährt werden. Der Vorschrift des Art 71 Abs 1 lit a Ziff ii EWG-VO 1408/71, wonach Grenzgänger Arbeitslosengeld vom Wohnstaat erhalten sollen, liegt danach die stillschweigende Ausnahme zugrunde, dass die Voraussetzungen für den Arbeitssuchenden im Wohnstaat am günstigsten sind. Dieser Zweck kann jedoch nicht erreicht werden, wenn der Arbeitslose ausnahmsweise im Staat der letzten Beschäftigung persönliche und berufliche Leistungen solcher Art beibehält, dass er in diesem Staat die besten Aussichten auf berufliche Wiedereingliederung hat. Er ist deshalb als unter Art 71 Abs 1 lit b EWG-VO 1408/71 fallender "Arbeitnehmer, der nicht Grenzgänger ist" (unechter Grenzgänger) anzusehen, dem ein Wahlrecht zwischen Leistungen des Beschäftigungsstaats (lit b Ziff i) oder des Wohnortstaats (lit b Ziff ii) zusteht. Dieses Wahlrecht wird vom Arbeitslosen dadurch ausgeübt, welcher Arbeitsverwaltung er sich zur Verfügung stellt. Ob im Staat der letzten Beschäftigung persönliche und berufliche Bindungen solcher Art aufrecht erhalten wurden, dass dort die besten Aussichten mit Wiedereingliederung bestehen, hat das innerstaatliche Gericht, hier also der erkennende Senat, zu entscheiden (EuGH aaO).

Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger im streitrelevanten Zeitraum vom 06.10.1997 bis 31.12.1997 in Deutschland die besten Aussichten auf eine berufliche Wiedereingliederung hatte. Er hatte sich zunächst der deutschen Arbeitsvermittlung allein zur Verfügung gestellt. Er hatte zuvor nur bei deutschen Arbeitgebern mit Sitz in Deutschland gearbeitet und war der dänischen Sprache nicht mächtig. Er hatte in B. zudem eine Kontaktadresse, unter der er zeitnah von der Beklagten erreichbar war. Er hatte sogar angeboten, die Beklagte werktäglich aufzusuchen, was für eine ganz deutliche Orientierung hin zum deutschen Arbeitsmarkt spricht.

Bezüglich der Verfügbarkeitsproblematik ist die Situation des Klägers nicht anders einzuschätzen wie in der Zeit der Arbeitslosigkeit vom 14.05.1997 bis zum 30.08.1997. Er hatte sich auch zum 06.10.1997 erneut arbeitslos gemeldet und Alg beantragt (§ 105 AFG). Den erstmals am 14.05.1997 geltend gemachte Alg-Anspruch hatte er noch nicht verbraucht (§§ 106 Abs 1, 110 S 1 Nr 1 AFG).

Auf die Berufung des Klägers waren deshalb das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 04.08.1998 sowie die Bescheide der Beklagten vom 30.06.1997, 18.07.1997 und 23.10.1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Arbeitslosengeld für die Zeiträume vom 14.05.1997 bis 30.08.1997 und vom 06.10.1997 bis 31.12.1997 zu gewähren.

Die Kostenentscheidung resultiert aus § 193 SGG.

Soweit über den ersten Leistungsabschnitt vom 14.05.1997 bis 30.08.1997 zu entscheiden war, hat der Senat die Revision zugelassen (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), weil die Frage, wie der Begriff der Beschäftigung iS des Art 71 EWG VO 1408/71 zu verstehen ist, höchstrichterlich noch nicht hinreichend geklärt ist. Insbesondere ist noch nicht entschieden, ob Zeiten des Bezugs von Krankengeld einer Beschäftigung gleichzustellen sind. Anders war für den Leistungsabschnitt vom 06.10.1997 bis 31.12.1997 zu entscheiden. Hier ging es um eine reine tatsächliche Frage, die vom Senat letztinstanzlich zu klären war.
Rechtskraft
Aus
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