L 10 AL 353/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AL 839/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 353/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 29.09.1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 17.06.1998 bis 29.06.1998, die Erstattung zu Unrecht bezogener Leistungen in Höhe von 342,55 DM und von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 95,64 DM durch die Klägerin sowie Übernahme von der Klägerin zu Unrecht bezogenen Wohngeldes und Erstattung der Kosten eines in Spanien gestellten Asylantrages durch die Beklagte.

Die am 1959 geborene Klägerin meldete sich am 19.03.1998 zum wiederholten Male arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (Alg)/Arbeitslosenhilfe (Alhi). Sie war zuletzt vom 02.02.1998 bis 20.03.1998 als Löterin/Montiererin beschäftigt gewesen. Am 30.03.1998/ 31.03.1998 und vom 15.04.1998 bis 30.04.1998 war sie wieder als Montiererin/Löterin tätig. Alg bezog sie vom 21.03.1998 bis 29.03.1998 (Bescheid vom 19.05.1998), am 14.04.1998 (Bescheid vom 04.06.1998) und vom 01.05.1998 bis 10.05.1998 (Bescheid vom 16.06.1998; Erschöpfung des Alg-Anspruchs). Ab 11.05.1998 erhielt sie Anschluss-Alhi (Bescheid vom 19.06.1998).

Mit Bescheid vom 11.08.1998 hob die Beklagte die Bewilligung der Leistungen gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Sozialgesetzbuch Verwaltungsverfahren (SGB X) für die Zeit vom 17.06.1998 bis 29.06.1998 auf, weil die Klägerin wegen Ortsabwesenheit (Aufenthalt in Spanien) der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden habe und sie ihrer Pflicht zur Mitteilung der Abwesenheit nicht rechtzeitig nachgekommen sei. Die Beklagte forderte von der Klägerin überzahlte Alhi in Höhe von 342,55 DM zurück und verlangte Erstattung der für den oa Zeitraum gezahlten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 95,64 DM. Mit Widerspruch vom 22.08.1998 (25.08.1998) machte die Klägerin geltend, aus dem vorangegangenen Verlauf des Verwaltungsverfahrens (Ablehnung des Alhi-Antrages vom 14.04.1998 durch Bescheid vom 15.05.1998, Widerspruch vom 16.05.1998, Abhilfebescheid vom 18.06.1998) und aufgrund ihrer Eingaben sei der Beklagten bekannt gewesen, dass sie bei weiterem rechtswidrigen Verwaltungshandeln - keine angemessene Reaktion der Beklagten auf ihre Notlage - die Bundesrepublik Deutschland verlassen werde. Mit Widerspruchsbescheid vom 04.09.1998 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, die Klägerin sei wegen des Aufenthalts in Spanien vom 17.06.1998 bis 29.06.1998 (Asylantrag) für das Arbeitsamt nicht erreichbar gewesen. Arbeitslosigkeit habe daher nicht vorgelegen. Zur Erstattung der überzahlten Alhi sowie der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung sei die Klägerin daher verpflichtet.

Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben und beantragt, den Bescheid vom 11.08.1998 idG des Widerspruchsbescheides vom 04.09.1998 sowie den Wohngeld-Erstattungsbescheid aufzuheben und die Beklagte zur Leistung von Schadensersatz für die Fahrt nach Spanien und die Kosten des Asylantrags zu verurteilen.

Mit Urteil vom 29.09.1999 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klage gegen den nicht bekannten Wohngelderstattungsbescheid sei unzulässig, da insoweit der Rechtsweg zu den Sozialgerichten nicht gegeben sei. Dies gelte auch soweit Ansprüche aus Amtspflichtverletzung geltend gemacht würden. Im Übrigen sei die Klage nicht begründet, da die Klägerin vom 17.06.1998 bis 29.06.1998 für das Arbeitsamt wegen des Auslandsaufenthaltes nicht erreichbar gewesen sei.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und vorgetragen: Der Tatbestand des Urteils sei bezüglich der Darstellung der tatsächlichen Verhältnisse fehlerhaft. Er lasse nicht erkennen, dass der Asylantrag der einzige Ausweg zur Abwendung der gewollten Nötigung gewesen sei und begründe ihre Auffassung, dass die Richterin befangen gewesen sei. Durch die Nichtberücksichtigung der zeitlich später bewilligten Alhi bei der Berechnung des Wohngeldes durch das Landratsamt Roth (Bescheide vom 13.08.1998/ 30.07.1998) sei es zu einer zu hohen Leistung gekommen, die das Landratsamt von ihr zurückfordere. Diesen Betrag habe die Beklagte zu übernehmen. Die Beklagte habe auch die Kosten ihrer Fahrt nach Spanien zu tragen, was sich aus dem Abhilfebescheid vom 18.06.1998 ergebe. Schadensersatz habe sie nicht gefordert.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 29.09.1999 sowie den Bescheid vom 11.08.1998 idF des Widerspruchsbescheides vom 04.09.1998 aufzuheben und die Beklagte zur Erstattung des überzahlten Wohngeldes und der Kosten des Asylverfahrens zu verurteilen. Ferner beantragt sie die Verurteilung des Missbrauchs der Sozialhilfe durch die Beklagte und Verweisung dieses Sachverhaltes an das Bundesverfassungsgericht, Beauftragung des Jugendamtes mit einer Unterlassungsklage gegen Herrn A. S. Stellungnahme der Ministerien zur Untätigkeit der Beklagten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialge richts Nürnberg vom 29.09.1999 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz = SGG). Insbesondere übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes die 1.000 DM-Grenze des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG, da gemäß § 202 SGG iVm §§ 3 bis 9 Zivilprozessordnung (ZPO) mehrere Ansprüche auf Geld- oder Sachleistung zusammengerechnet werden (§ 5 ZPO, BSGE 24, 260; BSG Sozialrecht 1500 § 149 Nr 3; Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl, § 144 RdNr 15 f).

Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Sie hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte für die Zeit vom 17.06.1998 bis 29.06.1998 Alhi gewährt, die Rückzahlung zu Unrecht erhaltenen Wohngeldes übernimmt und ihr die Kosten des Asylantrags erstattet.

Die Berufung ist nicht bereits deshalb begründet, weil - wie die Klägerin meint - die Richterin des SG wegen Besorgnis der Befangenheit hätte abgelehnt werden können. Nach der gemäß § 60 Abs 1 Satz 1 SGG entsprechend geltenden Regelung der ZPO über die Ablehnung von Gerichtspersonen kann die Besorgnis der Befangenheit eines Richters nur in der Weise geltend gemacht werden, dass ein Ablehnungsgesuch gemäß § 44 ZPO bei dem Gericht, dem der betreffende Richter angehört, angebracht wird. Ein ordnungsgemäßes Ablehnungsgesuch ist Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Entscheidung über die Besorgnis der Befangenheit (BSG Urteil vom 02.02.1999 - B 2 U 6/98 R = HVBG-INFO 1999, 1099 - 1107). Die Klägerin hat jedoch kein entsprechendes Ablehnungsgesuch beim SG angebracht. Damit hat sie sich der Möglichkeit begeben, den ihrer Ansicht nach gegebenen Ablehnungsgrund im anhängigen Verfahren geltend zu machen. Aus Sinn und Zweck des Ablehnungsgesuchs ergibt sich, dass es nur bis zum Erlass der Ententscheidung des Gerichts zulässig ist, dem der abgelehnte Richter angehört. Ist die Instanz beendet, kann ein Ablehnungsgesuch nicht mehr zulässig gestellt werden (BSG Urteil vom 27.01.1993 - 6 RKa 2/91 - = USK 93135; Dankwerts in Hennig, SGG, § 60 RdNr 15).

Soweit die Klägerin von der Beklagten Begleichung ihrer gegenüber dem Landratsamt Roth bestehenden Schuld aus überzahltem Wohngeld verlangt, fehlt es bereits an der sachlichen Zuständigkeit der Sozialgerichte für dieses Begehren. Denn § 51 Abs 1 SGG lässt die verfassungsrechtlich verbürgte Rechtswegezuständigkeit der Zivilgerichte für Amtshaftungsansprüche (Art 34 Satz 3 Grundgesetz - GG - iVm § 839 Abs 1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -) unberührt (BSG SozR 3 - 1500 § 51 Nr 13; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 3. Aufl, RdNr 3). Auch die Neuregelung des § 17 Abs 2 Gerichtsverfassungsgesetz ( - 4. VwGOÄndG vom 17.12.1990 -) hat die Zuordnung der Amtshaftungsansprüche zu den Zivilgerichten nicht geändert (Thomas-Putzo, ZPO mit GVG, 18.Aufl, § 17 GVG RdNr 8, 9). Im Übrigen ist der Klägerin insoweit auch kein Schaden entstanden, den die Beklagte im Wege eines Amtshaftungsanspruchs auszugleichen hätte, denn Wohngeld hat der Klägerin in der vom Landratsamt zurückgeforderten Höhe nicht zugestanden.

Auch unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kann das Begehren der Klägerin nicht erfolgreich sein. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch kommt nur in den Fällen zum Tragen, in denen dem Bürger durch ein pflichtwidriges Amtshandeln ein Nachteil entstanden ist, der durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden kann (LSG Sachsen, Urteil vom 31.01.2001 - L 3 AL 37/99). Vorliegend fehlt es bereits an einer pflichtwidrigen Amtshandlung der Beklagten und an einem dadurch verursachten Nachteil, denn der Klägerin stand das zu Unrecht erhaltene Wohngeld nicht zu.

Für die Erstattung der Kosten des Asylantrags durch die Klägerin ist keine Rechtsgrundlage ersichtlich. Hinsichtlich der gerichtlichen Zuständigkeit gilt das oben Gesagte. Die im Zusammenhang mit dem Asylantrag in Spanien entstandenen Aufwendungen der Klägerin hat die Beklagte nicht verursacht. Die finanzielle Notlage der Klägerin bis zur Leistungsbewilligung durch die Beklagte hätte zB durch Inanspruchnahme der Sozialhilfe gemildert werden können, so dass es eines Asylantrags in Spanien nicht bedurft hätte.

Die Berufung der Klägerin ist auch im Übrigen nicht begründet, denn die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung der Alhi-Bewilligung für die Zeit vom 17.06.1998 bis 29.06.1998 lagen gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X vor.

Bei der der Klägerin ab 01.11.1998 bewilligten Alhi handelte es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (BSG SozR 4100 § 138 Nr 25). Die erforderliche wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, ist darin zu erblicken, dass die Klägerin ab 17.06.1998 für das Arbeitsamt wegen ihres Aufenthalts in Spanien nicht erreichbar war.

Anspruch auf Alhi hat nämlich nur der, der arbeitslos und arbeitsfähig ist und der den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes zur Verfügung steht (§§ 190, 198 Satz 2, 119 Abs 1 Nr 2, Abs 2 Sozialgesetzbuch Arbeitsförderung ). Nach § 1 Abs 1 Satz 2 der gemäß § 152 SGB III ergangenen Erreichbarkeitsanordnung vom 23.10.1997 (ANBA 1997, 1685) hat der Arbeitslose sicher zu stellen, dass das Arbeitsamt ihn persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz unter der von ihm benannten Anschrift durch Briefpost erreichen kann. In der Zeit vom 17.06.1998 bis 29.06.1998 war die Klägerin unter der von ihr angegebenen Anschrift jedoch nicht erreichbar. Daher lag in dieser Zeit Arbeitslosigkeit nicht mehr vor (§§ 118 Abs 1 Nr 2, 119 Abs 1 Nr 2, Abs 2, 3 SGB III).

Die Klägerin ist, da sie den konkreten Auslandsaufenthalt der Beklagten nicht angezeigt hat, einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Mitteilungspflicht wenigstens grobfahrlässig nicht nachgekommen (§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X). Gemäß § 60 Abs 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch Allgemeiner Teil (SGB I) war die Klägerin nämlich zur unverzüglichen Mitteilung von Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, verpflichtet. Über diese Verpflichtung war die Klägerin durch das Merkblatt für Arbeitslose, dessen Empfang und Kenntnisnahme sie am 14.05.1998 unterschriftlich bestätigt hat, ausreichend informiert. Damit ist von einer subjektiv unentschuldbaren Pflichtverletzung auszugehen (BSG Urteil vom 29.04.1992 - 7 RAr 4/91). Bei der Aufhebungsentscheidung konnte die Beklagte kein Ermessen ausüben, da es sich um eine gebundene Entscheidung handelt (§ 330 Abs 3 Satz 1 SGB III iVm § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X).

Zur Erstattung der zu Unrecht bezogenen Leistungen ist die Klägerin gemäß § 50 Abs 1 SGB X, zur Erstattung der hierauf entfallenden Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung gemäß § 335 Abs 1 SGB III verpflichtet.

Der von der Klägerin angeregten Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art 100 GG bedurfte es nicht, weil nicht die Verfassungswidrigkeit einer Norm in Frage steht. Die weiteren Anträge der Klägerin sind nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens, da es insoweit bereits an einer erstinstanzlichen Entscheidung mangelt (§ 143 SGG). Die Berufung der Klägerin muss daher erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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