L 8 AL 364/96

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 37 Al 1570/94
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 364/96
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zum Bemessungszeitraum und die zugrundezulegende tarifliche regelmäßite Arbeitszeit bei einer Arbeitnehmerin, die nach einer Teilzeitbeschäftigung für einige Zeit vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen Konkurses des Arbeitgebers und im Zusammenhang mit der sich abzuzeichnenden Einstellung des Betriebes Vollzeit arbeitete und für diese Zeit Kaug erhalten hat.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 8. August 1996 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat der Klägerin drei Fünftel der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Bemessung des Arbeitslosengeldes (Alg) streitig.

Die 1945 geborene Klägerin war vom 15.12.1991 bis 30.06.1994 als Buchhalterin bei der Firma ... Leasing GmbH beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde wegen Konkurses der Firma beendet. Die Klägerin hatte bis 31.10.1993 wöchentlich 20 Stunden, bis 31.12.1993 25 und ab 01.01.1994 40 Stunden gearbeitet; letzteres entsprach der regelmäßigen tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit. Für Oktober 1993 hatte sie ein monatliches Gehalt von 2.250,00 DM, in den Monaten November und Dezember 1993 von je 3.250,00 DM und in den Monaten Januar, Februar und Juni 1994 ein Monatsgehalt von jeweils 5.350,00 DM erzielt. Wegen des ihr für die Monate März bis Mai 1994 wegen Insolvenz des Arbeitgebers entgangenen Arbeitsentgelts bewilligte ihr die Beklagte mit Bescheid vom 07.07.1994 Konkursausfallgeld (Kaug) in Höhe von 7.574,89 DM.

Mit Bescheid vom 18.07.1994 bewilligte die Beklagte ab 01.07.1994 Alg nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 950,00 DM. Hierbei legte sie die in den Monaten Oktober 1993 bis Februar 1994 und Juni 1994 bezogenen Gehälter zugrunde. Den Widerspruch, mit dem die Beklagte die Einbeziehung des in den Monaten März bis Mai 1994 bezogenen Kaug geltend machte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.10.1994 als unbegründet zurück.

Die hiergegen zum Sozialgericht München (SG) erhobene Klage hat dieses mit Urteil vom 08.08.1996 abgewiesen. Die Monate März bis Mai 1994 könnten nicht als Bemessungszeitraum berücksichtigt werden, weil die Klägerin in dieser Zeit kein Arbeitsentgelt, sondern Kaug erhalten habe. Dieses stelle eine Lohnersatzleistung dar und sei kein Arbeitsentgelt, auch wenn es diesem näher komme als andere Lohnersatzleistungen.

Mit ihrer Berufung verweist die Klägerin darauf, daß sie von dem Kaug unter anderem auch Beiträge zur Arbeitslosenversicherung habe abführen müssen. Außerdem habe sie in dem Kaug-Zeitraum tatsächlich gearbeitet. Kaug sei daher eher eine Form des Lohnes als eine Lohnersatzleistung. Sie habe zunächst nur 20 Stunden wöchentlich gearbeitet, weil sie bis 18.09.1993 einen Lehrgang besucht habe. Ab November 1993 habe sie weitere Arbeitsbereiche in der Buchhaltung übernommen, da zu diesem Zeitpunkt bereits Mitarbeiter gekündigt hätten oder gekündigt worden seien, weshalb für die Verbleibenden der Arbeitsumfang wesentlich zugenommen habe. Durch den außergerichtlichen und anschließenden gerichtlichen Vergleich habe die anfallende Arbeit nur noch in Vollzeit bewältigt werden können. Da der Konkurs der Firma nicht mehr abwendbar gewesen sei, habe die verbliebene Belegschaft die Kündigung zum 30.06.1994 erhalten, wobei sie als einzige Vollzeitkraft bis zu diesem Zeitpunkt tätig gewesen sei, während der Rest der Angestellten im Mai freigestellt worden sei.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 05.03.1998 hat sich die Beklagte im Rahmen eines Teilanerkenntnisses verpflichtet, der Klägerin ab 01.07.1994 ein höheres Alg unter Zugrundelegung des Bemessungsentgelts in Höhe von 1.110,00 DM zu gewähren. Die Klägerin hat dieses Teilanerkenntnis angenommen.

Darüber hinaus beantragt sie,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 08.08.1996 und des Bescheides vom 18.07.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.10.1994 zu verurteilen, ihr ab 01.07.1994 ein über das Teilanerkenntnis hinausgehendes höheres Arbeitslosengeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt schon deshalb nicht vor, weil die Klägerin bis 31.10.1995 Alg bzw. zwischenzeitlich Uhg, das sich nach dem zuvor erhaltenen Alg bemessen hat, bezogen hat, und deshalb der Anspruch für einen ein Jahr überschreitenden Zeitraum streitig ist.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet, soweit ihm nicht durch das von der Beklagten erklärte und von der Klägerin angenommene Teilanerkenntnis entsprochen worden ist.

Der Klägerin steht ab 01.07.1994 Alg nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 1.110,00 DM zu. Der mit der zutreffenden verbundenen Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs.1 Satz 1 i.V.m. Abs.4 SGG verfolgte Antrag auf Bewilligung eines höheren Alg ist nicht begründet. Gemäß § 111 Abs.1 Nr.1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) in der Fassung des Gesetzes vom 21.12.1993 (BGBl.I S.2353) beträgt das Alg im Falle der Klägerin 67 v.H. des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts. Der Anspruch der verheirateten Klägerin, bei der zu Beginn des Jahres 1994 die Lohnsteuerklasse V eingetragen war und auch in der Folgezeit während des Leistungsbezuges kein Steuerklassenwechsel stattgefunden hat, und die ein in Ausbildung befindliches, am 31.07.1975 geborenes Kind hat, bemißt sich bei Anwendung der Rechtsverordnung über die Leistungssätze im Sinne von § 111 Abs.2 Satz 1 AFG gemäß Satz 2 Ziffer 1 Buchstabe d dieser Vorschrift nach der Leistungsgruppe D.

Arbeitsentgelt im Sinne von § 111 Abs.1 AFG ist gemäß § 112 Abs.1 Satz 1 AFG das Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum durchschnittlich in der Woche erzielt hat. Der Bemessungszeitraum umfaßt gemäß § 112 Abs.2 Satz 1 AFG in der Fassung des Gesetzes vom 21.12.1993 die beim Ausscheiden abgerechneten Lohnabrechnungszeiträume der letzten sechs Monate der die Beitragspflicht begründenden Beschäftigungen vor Entstehen des Anspruches, in denen der Arbeitslose Arbeitsentgelt erzielt hat. Dies sind im vorliegenden Fall die Monate Dezember 1993 bis Februar 1994 und Juni 1994, nicht jedoch die Monate März bis Mai 1994, was noch auszuführen sein wird.

Da die kalendermäßig letzten sechs Monate vor Entstehen des Anspruches auf Alg weniger als 100 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthalten, verlängert sich gemäß § 112 Abs.2 Satz 3 AFG der Bemessungszeitraum um weitere Lohnabrechnungszeiträume, bis 100 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt erreicht sind, hier also bis einschließlich Dezember 1993 (vgl. BSG SozR 3-4100 § 112 Nrn.24, 26). Da das Arbeitsentgelt der Klägerin nach Monaten bemessen war, hatte die Klägerin für jeden Kalendertag eines Monates Anspruch auf Arbeitsentgelt, in den Monaten Januar bis Juni 1994 - abzüglich der Monate März bis Mai -, also für insgesamt 89 Tage, so daß bei der Bemessung der Monat Dezember 1993 noch heranzuziehen ist.

In dem sich hieraus ergebenden Bemessungszeitraum erzielte die Klägerin ein Gesamtentgelt von 19.300,00 DM. Die gemäß § 112 Abs.3 Satz 2 AFG umgerechnete Gesamtstundenzahl beträgt 628,33, so daß sich ein Durchschnittsstundenlohn von 30,71 DM ergibt.

Gemäß § 112 Abs.3 Satz 1 AFG ist für die Berechnung des in der Woche durchschnittlich erzielten Arbeitsentgelts das im Bemessungszeitraum durchschnittlich in der Woche erzielte Arbeitsentgelt mit der Zahl der Arbeitsstunden zu vervielfachen, die sich als Durchschnitt der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der Beschäftigungsverhältnisse im Bemessungszeitraum ergibt. Die tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit betrug bei der Klägerin 40 Stunden. Jedoch war zu berücksichtigen, daß sie im Dezember 1993 nur 25 Stunden gearbeitet hat. Gemäß § 112 Abs.4 Ziffer 3 AFG ist für den Dezember diese vereinbarte Arbeitszeit von 25 Stunden zugrunde zu legen, da mit der Klägerin nicht nur vorübergehend weniger als die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit vereinbart war. Sie hatte ab 15.12.1991 bis 31.10.1991 lediglich 20 Stunden und bis 31.12.1993 nur 25 Stunden wöchentlich gearbeitet. Deshalb war die Vereinbarung einer kürzeren als der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit nicht nur vorübergehend. Zudem stand die Ausdehnung auf 40 Stunden nach Angaben der Klägerin bereits im Zusammenhang mit der sich abzeichnenden Einstellung des Betriebes wegen Zahlungsunfähigkeit, die auch Ursache für die Beendigung der Arbeitsverhältnisse der Klägerin und der übrigen Beschäftigten war, so daß auch nicht angenommen werden kann, die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit hätte im Falle der Klägerin in Zukunft generell 40 Stunden betragen (vgl. BSG SozR 4100 § 112 Nrn.28, 52; SozR 3-4100 § 112 Nr.2).

Da die Klägerin somit in drei Bemessungsmonaten eine regelmäßige Arbeitszeit von 40 und in einem von 25 hatte, ergibt sich eine durchschnittliche wöchentliche regelmäßige Arbeitszeit von 36,25 Stunden. Dies ergibt, vervielfacht mit dem Durchschnittsstundenlohn von 30,71 DM, ein wöchentliches Bemessungsentgelt von 1.113,23 DM, gerundet von 1.110,00 DM.

Ein höheres Alg würde sich für die Klägerin dann ergeben, wenn statt des Dezember 1993 die Monate März bis Mai 1994 mit einem monatlichen Entgelt von 5.350,00 DM bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden zugrundegelegt würden. Jedoch hat die Klägerin in diesen Monaten kein Arbeitsentgelt im Sinne von § 112 Abs.2 Satz 1 AFG erzielt. Hierbei kann dahinstehen, ob vor dem Ausscheiden der Klägerin aus dem Beschäftigungsverhältnis von ihrem Arbeitgeber die Löhne für diese Monate März bis Mai 1994 bereits abgerechnet waren, da dieses Entgelt infolge der Insolvenz nicht mehr ausgezahlt wurde. Denn für die Festlegung des Bemessungszeitraumes gilt weiterhin das strenge Zuflußprinzip, d.h. das Arbeitsentgelt muß auch tatsächlich vom Arbeitgeber gezahlt worden sein (vgl. BSG SozR 3-4100 § 112 Nr.22).

Eine Heranziehung dieser Monate kann auch nicht unter dem Gesichtspunkt erfolgen, daß die Klägerin für diese Zeit Kaug nach einem monatlichen Bruttoentgelt von 5.350,00 DM erhalten hat. Ob das Kaug als Arbeitsentgelt im Sinne von § 112 Abs.1 Satz 1 AFG angesehen werden kann, kann hierbei dahinstehen. Denn dieses "Arbeitsentgelt" war beim Ausscheiden der Klägerin aus dem Beschäftigungsverhältnis, also am 30.06.1994, noch nicht im Sinne von § 112 Abs.2 Satz 1 AFG abgerechnet. Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn es spätestens zu diesem Zeitpunkt tatsächlich ausbezahlt oder zumindest soweit abgerechnet gewesen wäre, daß es nur noch des technischen Überweisungsvorganges bedurft hätte, damit die Klägerin darüber hätte verfügen können (BSG SozR 3-4100 § 112 Nrn.10, 24). Dieser Grundsatz würde jedenfalls auch bei Heranziehung des Kaug gelten, falls man es als Arbeitsentgelt behandeln wollte (BSG, Urteil vom 24.07.1997, 11 RAr 97/96). Das Kaug ist der Klägerin aber erst am 13.07.1994 überwiesen worden. Zudem ist der Bewilligungsbescheid erst am 07.07.1994 erstellt worden. Erst mit Erlaß des Bewilligungsbescheides kann das Kaug als abgerechnt angesehen werden, da der Bescheid die Grundlage für die Auszahlung ist, und es erst mit Erlaß dieses Bescheides nur noch des technischen Überweisungsvorganges im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung bedarf.

Somit war die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 08.08.1996 zurückzuweisen. Zu entscheiden war lediglich über den Bescheid vom 18.07.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.10.1994, da die Beteiligten hierin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat eingewilligt haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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