L 14 RJ 137/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 5 RJ 28/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 14 RJ 137/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 RJ 218/03 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 18.07.2001 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit nach §§ 44, 43 Sozialgesetzbuch 6. Buch (SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung a.F.)

Die im Juli 1956 geborene Klägerin verfügt über keine Berufsausbildung und war vom 15.07.1947 bis 18.02.1995 als Fabrikarbeiterin und Kraftfahrerin versicherungspflichtig beschäftigt. Zuletzt arbeitete sie vom 11.05.1995 bis zum 24.04.1998 als Betriebswerkerin bei der Firma ... in ... Nach einer Arbeitgeberauskunft vom 10.10.2000 war sie hier im Wesentlichen mit dem Abpellen von Wurstdärmen, Beschicken des Slicers, Einlegen des Wurststapels in die Form, Abnehmen, Kartonieren und Palettieren der verpackten Ware befasst. Die Entlohnung erfolgte nach Maßgabe des Haustarifvertrages Lohngruppe III (ungelernte Arbeitnehmer mit leichteren Arbeiten). Seitdem ist die Klägerin arbeitsunfähig bzw. arbeitslos. Sie bezog bis Ende Dezember 1999 Leistungen nach SGB III.

Am 03.09.1998 stellte die Klägerin einen Antrag auf Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und begründete dies mit orthopädischen Erkrankungen. Zur Stützung ihres Vortrages verwies sie auf ärztliche Unterlagen des Orthopäden Dr. S ... vom 20.01.1999, des Radiologen Dr. M ... vom 30.10.1998 und des Neurologen und Psychiaters Dr. N ... vom 08.06.1998. Außerdem verwies sie auf ihre Schwerbehinderteneigenschaft (GdB 50).

Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Begutachtung der Klägerin durch den Chirurgen Dr. I ... Dieser Arzt stellte in seinem Gutachten vom 20.01.1999 bei der Klägerin ein Lendenwirbelsäulensyndrom mit zeitweiligen Nervenwurzelreizerscheinungen, Fehlhaltung und Teilfunktionsstörungen, ein Halswirbelsäulensyndrom mit Schulterarm-Syndrom und Kopfschmerz-Syndrom, eine Epikondylopathia radialis rechts, Wackelsteife des rechten oberen und unteren Sprunggelenkes, Narbe an der Ferse mit Fuß- und Zehenfehlstellung, fest. Darüber hinaus leide die Klägerin an einer Harninkontinenz mit Neigung zu Nierenstein sowie an Übergewicht. Die Klägerin könne noch leichte und kurzfristig mittelschwere Arbeiten ohne überwiegend einseitige Körperhaltung, häufiges Bücken, Absturzgefahr und ohne Überkopfbelastung vollschichtig verrichten. Tätigkeiten auf Dauer im Knien und Hocken seinen nicht mehr zumutbar.

Nach Beiziehung eines Befundberichtes des Arztes für Chirurgie K ... vom 25.01.1999 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19.02.1999 die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab. Die Klägerin könne mit dem verbliebenen Leistungsvermögen noch vollschichtig leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten auf dem für sie sozial zumutbaren allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten.

Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch, den sie im Wesentlichen damit begründete, sie leide neben starken degenerativen Veränderungen des Skelettsystems an einer ausgeprägten Harninkontinenz und sei deshalb zu keiner Erwerbstätigkeit mehr in der Lage. Hierzu legte sie Atteste des Arztes für Innere Medizin T ... vom 29.03.1999 sowie des Frauenarztes Dr. A ... vom 14.04.1999 vor. Die Beklagte forderte Befundberichte dieser Ärzte vom 03.05.1999 und 30.04.1999 und zusätzlich einen Befundbericht des Gynäkologen Dr. U ... vom 20.07.1999 an.

In einem weiteren Gutachten vom 17.09.1999 kam der Gynäkologe Dr. M ... zu dem Ergebnis, bei der Klägerin liege eine Stressinkontinenz I bis II, Descensus vaginalis mit Cystourethrocele und Beckenbodeninsuffizienz, ein Verdacht auf Overialinsuffizienz sowie ein Zustand nach vaginaler Uterusexstirpation vor. Wesentliche Ursache dieser Stressinkontinenz sei die ausgeprägte Überdehnung insbesondere des vorderen Beckenstützgewebes und somit der Verlust der Halte- und Verschlußfunktionen, insbesondere des Blasenhalses. Hinsichtlich der Ausprägung der Inkontinenz habe die Klägerin zwar bereits nach Füllung ihrer Blase mit einer Flüssigkeitsmenge von 100 ml einen maximalen Harndrang angegeben. Nach beruhigenden Hinweisen habe die Blase jedoch bis max. 350 ml aufgefüllt werden können. Die Klägerin sei damit noch in der Lage, leichte und mittelschwere körperliche Arbeiten ohne Nachtschicht, starke Witterungseinflüsse und ohne akuter abdominaler Druckerhöhung - z.B. durch kurzfristiges schweres Heben - vollschichtig zu verrichten. Die Beschwerden der Klägerin könnten durch eine geeignete Operation behoben werden. Die Klägerin verwies demgegenüber auf einen Bericht der urologischen Abteilung des St. V ... Krankenhauses in D ... vom 28.10.1999, wonach bei ihr eine verminderte Blasenkapazität von 250 ml, bei einem ersten Harndrang bereits ab 50 ml festgestellt worden sei. Die Beklagte forderte einen weiteren Befundbericht des Arztes T ... vom 17.12.1999 an.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.04.2000 wies die Beklagten den Widerspruch zurück. Die Inkontinenz bewirke noch keine relevante Leistungseinschränkung und sei im Übrigen einer medikamentösen, ggf. auch operativen Behandlung zugänglich. Die Klägerin könne nach wie vor noch leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne Nachtschicht und ohne starke Witterungseinflüsse vollschichtig verrichten.

Hiergegen hat die Klägerin am 31.05.2000 Klage erhoben. Sie hat im Wesentlichen vorgetragen, sie müsse wegen ihrer Harninkontinenz und ihres Harndrangs etwa 8 Mal in der Stunde die Toilette aufsuchen und sei damit wegen ständiger Arbeitsunterbrechungen sowie zusätzlicher Pause nicht mehr in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu arbeiten. Hierzu hat sie weitere Atteste des Arztes für Innere Medizin T ... vom 18.10.2000 und 27.03.2001 zu den Akten gereicht, der die Ansicht vertreten hat, die Klägerin sei wegen orthopädischer Beschwerden sowie der Inkontinenz beruflich nicht mehr einsetzbar.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 19.02.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.04.2000 zu verurteilen, ihr Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab Antragstellung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht hat zunächst Befundberichte des Neurologen und Psychiaters Dr. N ... vom 17.08.2000, des Orthopäden Dr. P ... vom 17.08.2000 sowie des Arztes für Frauenheilkunde Dr. U ... vom 23.08.2000 angefordert und anschließend ein Gutachten des Gynäkologen Dr. S ... eingeholt. Dieser Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 28.02.2001 einen Zustand nach operativer Entfernung der Gebärmutter, eine ausgeprägte Scheidensenkung mit großer Urethro-Cysto-Douglaso- und Rectocele sowie Stressinkontinenz I. bis II. Grades beschrieben. Für eine Ovarialinsuffizienz bestehe kein Anhalt. Die Blase habe sich problemlos bis 400 ml auffüllen lassen. Ein unfreiwilliger Harnabgang sei auch beim Betätigen der Bauchpresse und bei einem ersten Hustenversuch nicht zu verzeichnen gewesen. Die Klägerin könne noch leichte bis allenfalls mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung in geschlossenen Räumen unter Berücksichtigung weiterer Einschränkungen (keine Arbeiten in Wechselschicht, Nachtschicht, in Zwangs- oder überwiegend einseitiger Körperhaltung, auf Gerüsten oder Leitern, Arbeiten ohne starke Temperaturschwankungen, Kälte oder Zugluft) vollschichtig verrichten. Bei normaler Flüssigkeitszufuhr müsse ihr das Aufsuchen einer Toilette alle 1 bis 2 Stunden möglich sein. Die einzig sinnvolle Maßnahme sei eine fachgerecht durchgeführte operative Korrektur der Blasen-, Darm- und Scheidensenkung. Eine Urge-Dranginkontinenz, wie sie im Arztbrief des Dr. U ... beschrieben sei, lasse sich nicht nachweisen.

Mit Urteil vom 18.07.2001 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen wird im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin sei nicht berufsunfähig gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI a.F ... Nach dem vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten sogenannten Mehrstufenschema sei die Klägerin unter Berücksichtigung ihrer bisherigen Tätigkeit als ungelernte Arbeiterin anzusehen und könne deshalb auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden.

Nach Auswertung der sowohl im Verwaltungsverfahren wie auch im Rahmen des Klageverfahrens durchgeführten sozialmedizinischen Ermittlungen sei die Klägerin zwar schweren körperlichen Belastungen nicht mehr gewachsen, so dass sie die zuletzt ausgeübte Tätigkeit bei der Firma ..., bei der jedenfalls gelegentlich auch Lasten von bis zu 18 kg angefallen seien, nicht mehr verrichten könne. Das verbliebene Leistungsvermögen werde jedoch noch den Anforderungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mit leichten bis gelegentlich mittelschweren Tätigkeiten gerecht. Die Klägerin könne beispielsweise leichte Packarbeiten in der pharmazeutischen Industrie oder Bürohilfsarbeiten verrichten oder auch als Pförtnerin oder Museumswärterin arbeiten. Diese Tätigkeiten seien als körperlich leicht anzusehen und entsprächen auch den übrigen Leistungseinschränkungen der Klägerin. Einem vollschichtigen Arbeitseinsatz unter betriebsüblichen Bedingungen stehe insbesondere auch die Stressinkontinenz der Klägerin nicht entgegen. Die von ihr behauptete Miktionshäufigkeit lasse sich nicht beweisen. Abweichend von den Feststellungen von Dr. U ... habe der Sachverständige Dr. S ... die Blase der Klägerin problemlos bis zu 400 ml auffüllen können. Dieser Wert korrespondiere mit den Feststellungen des Sachverständigen Dr. M ..., wonach die Auffüllkapazität der Blase der Klägerin 350 ml bzw. 250 ml betrage. Insbesondere sei sowohl durch Dr. S ... wie auch durch Dr. M ... bei Betätigung der Bauchpresse und einem ersten Hustenversuch trotz voller Blase kein unfreiwilliger Harnabgang festgestellt worden. Nach dem Ergebnis dieser Untersuchungen müsse davon ausgegangen werden, dass die Miktionshäufigkeit der Klägerin bei durchschnittlicher Flüssigkeitsaufnahme zusätzliche Arbeitsunterbrechungen nur in dem Umfang erforderlich mache, wie sie im Rahmen der persönlichen Verteilzeit während eines Arbeitstages durchaus üblich seien.

Gegen das ihren Bevollmächtigten am 27.07.2001 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 22.08.2001 Berufung eingelegt.

Die Klägerin trägt weiterhin vor, sie leide an einer so ausgeprägten Blasenschwäche, dass sie täglich 8 Mal pro Stunde auf die Toilette müsse. Dies lasse sich mit einer geregelten Arbeitszeit nicht mehr vereinbaren. Außerdem seien ihre orthopädischen Erkrankungen nicht ausreichend berücksichtigt worden. Zur Stützung ihres Vortrags beruft sie sich auf die Einschätzung des Arztes für Innere Medizin T ... vom 02.01.2003 und 07.01.2003.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgericht Gelsenkirchen vom 18.07.2001 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19.02.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.04.2000 zu verurteilen, ihr auf ihren Antrag vom 03.09.1998 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit nach näherer Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines uroglogischen Fachgutachtens des Privat-Dozenten Dr. M ..., Knappschaftskrankenhaus ... Der Sachverständige ist in dem Gutachten vom 26.11.2002 auf der Grundlage einer stationären Untersuchung zu dem Ergebnis gelangt, bei der Klägerin bestehe eine Stressinkontinenz Grad II bis III bei Verdacht auf sensorische Drang-Komponente. Diese Erkrankung gehe mit einem gehäuften Harndrang, der die Notwendigkeit des Tragens von Vorlagen begründe, und rezidivierenden Harnweginfekten einher. Die Klägerin sei aus urologischer Sicht noch in der Lage, vollschichtig leichte bis mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Sitzen, in geschlossenen, temperierten Räumen und ohne Zwangshaltungen zu verrichten. Bezogen auf die Inkontinenzproblematik müsse die Klägerin jederzeit die Möglichkeit haben, ohne Wartezeit die Toilette aufzusuchen und ggf. die Vorlagen zu wechseln. Nach Maßgabe der Untersuchungsbefunde sei allenfalls 1 bis 2 Mal pro Stunde mit einem Toilettengang zu rechnen, hierfür müsse ein Zeitbedarf von jeweils 5 Minuten (mit Vorlagenwechsel) angesetzt werden. Die von der Klägerin behauptete Harnfrequenz sei mit den erhobenen Befunden nicht in Einklang zu bringen. Eine Linderung der Beschwerden sei durch eine entsprechende medikamentöse, ggf. operative Therapie zu erwarten. Mit den heute zu Verfügung stehenden Vorlagen sei das Problem auch im Arbeitsalltag beherrschbar.

Die Klägerin ist dem Gutachten unter Vorlage eines weiteren Attestes des Arztes für Allgemeinmedizin T ... vom 10.06.2003 entgegen getreten und hat im Übrigen erklärt, der Sachverständige Dr. M ... habe sie nicht untersucht.

Schließlich hat der Senat ein Gutachten des Orthopäden Dr. L ... eingeholt. Dieser Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 30.04.2003 ausgeführt, bei der Klägerin bestehe ein HWS- und LWS-Syndrom auf dem Boden degenerativer Veränderungen, ein Schulter-Arm-Syndrom rechts, eine chronische Epicondylopathie am rechten Ellenbogengelenk, eine beginnende Coxarthrose beidseits sowie eine Arthrose des rechten Sprunggelenkes. Die Klägerin könne noch vollschichtig leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung ohne Zwangshaltungen in geschlossenen und temperierten Räumen verrichten.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Akte des Sozialgerichts Gelsenkirchen AZ S 26 RJ 34/00 sowie der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.

Die Klägerin hat auch nach Auffassung des Senats keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gemäß § 44 SGB VI a.F. bzw. Berufsunfähigkeit gemäß § 43 SGB VI a.F., wobei diese bis zum 31.12.2000 geltenden Vorschriften im Hinblick auf den geltend gemachten Leistungsfall (September 1998) gemäß § 300 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 SGB VI noch heranzuziehen sind (vgl. Bundessozialgericht
- BSG -, Urteil vom 28.08.2002 - Az.: B 5 RJ 8/02 R).

Das Sozialgericht hat die maßgebenden Vorschriften zutreffend angewendet und die rechtlichen Voraussetzungen für den geltend gemachten Rentenanspruch dargestellt. Dabei ist es rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin weder erwerbs- noch berufsunfähig ist. Es hat sich mit dem Krankheitsbild der Klägerin auseinander gesetzt und das ihr verbliebene Restleistungsvermögen zutreffend eingeschätzt. Auf der Grundlage der im Verwaltungs- und Klageverfahren eingeholten Gutachten ist das Sozialgericht zurecht davon ausgegangen, dass die Klägerin unter Beachtung der dort genannten Einschränkungen einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit nachgehen kann. Auch die Rechtsansicht des Sozialgerichts, dass die Klägerin der Berufsgruppe der Ungelernten im Sinne des vom Bundessozialgerichts entwickelten Mehrstufenschemas zuzuordnen ist

und sie damit auf die ihren Fähigkeiten und ihrem Leistungsvermögen entsprechende Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden kann, trifft zu. Der Senat schließt sich den Ausführungen des Sozialgerichts zum Vorliegen von Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit nach §§ 43, 44 SGB VI a.F. nach eigener Prüfung unter Auswertung der im Verwaltungsverfahren und in der ersten Instanz durchgeführten sozial-medizinischen Ermittlungen voll inhaltlich an und sieht deswegen von einer wiederholenden Darstellung insoweit ab (§ 153 Abs. 2 SGG - Sozialgerichtsgesetz -).

Das Berufungsvorbringen und die im Berufungsverfahren zusätzlich durchgeführten medizinischen Ermittlungen rechtfertigen kein anderes Ergebnis. Auch danach kann die Klägerin noch vollschichtig Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausüben. Die von Dr. L ... festgestellten Erkrankungen auf orthopädischem Fachgebiet schränken die Leistungsfähigkeit der Klägerin insoweit ein, als sie nur noch in der Lage ist, körperlich leichte Arbeiten in wechselnder Haltung, überwiegend im Sitzen zu verrichten, wobei ein gelegentlicher Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen ausreichend erscheint. Die Tätigkeiten sollten nur in geschlossenen und temperierten Räumen verrichtet werden. Gelegentliche Tätigkeiten unter Witterungsschutz sind möglich. Arbeiten in gebeugter Haltung bzw. Zwangshaltung sind zu vermeiden, ebenso Arbeiten im Bücken, Knien oder Hocken. Arbeiten auf Gerüsten sind nicht zumutbar. Arbeiten unter Kälteeinwirkung oder solche, die mit starken Temperaturschwankungen oder in Zugluft ausgeübt werden sind ebenfalls nicht zumutbar. Nach Ansicht des Orthopäden Dr. L ... sollte die Klägerin nicht unter Zeitdruck arbeiten, eine Stressbelastung bei der Arbeit sollte vermieden werden. Aus orthopädischer Sicht bestehen hingegen keine Bedenken gegen Wechsel- oder Nachtschicht oder Tätigkeiten mit Publikumsverkehr.

Diese Einschätzung der Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt korrespondiert im Wesentlichen mit den Ausführungen des Sachverständigen Dr. M ..., der leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten für möglich erachtet. Im Hinblick auf die urologische Erkrankung sollte die Klägerin überwiegend im Sitzen arbeiten und nur in eingeschränktem Umfang im Stehen oder Gehen tätig sein. Dem steht die Beurteilung des Sachverständigen Dr. L ... nicht entgegen, vielmehr hat dieser gerade einen etwa 60%-igen Anteil an einer Tätigkeit im Sitzen empfohlen und einen nur gelegentlichen Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen für ausreichend gehalten. Auch die Empfehlung im urologischen Gutachten, die Tätigkeit in geschlossenen temperierten Räumen und unter Ausschluss von Kälte- oder Hitzeeinwirkung bzw. starken Temperaturschwankungen auszuüben kommt den bereits aus orthopädischer Sicht genannten Einschränkungen entgegen. Aus orthopädischer wie auch aus urologischer Sicht bestehen keine durchgreifenden Bedenken hinsichtlich Wechsel-/Nachtschicht oder Arbeiten mit Publikumsverkehr.

Unter Berücksichtigung dieser Leistungseinschränkungen wird die Klägerin den Anforderungen, die bei ungelernten Tätigkeiten anfallen, wie z.B. Zureichen, Transportieren, Reinigen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw. (vgl. BSG, Urteil vom 11.05.1999 - Az.: B 13 RJ 71/97) noch gerecht. Neben Sortier- und Montiertätigkeiten kann die Klägerin beispielsweise auch Bürohilfstätigkeiten (z.B. Vorsortieren von Post, Registraturtätigkeiten) bewältigen. Hierbei handelt es sich um körperlich leichte Tätigkeiten, die in geschlossenen Räumen verrichtet werden und bei denen die von den Sachverständigen ausgeschlossenen Bedingungen (laufende Maschinen, Besteigen von Leitern, Zwangshaltungen usw.) nicht anfallen.

Mit dem verbliebenen Restleistungsvermögen ist die Klägerin somit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig einsetzbar. Der Vortrag der Klägerin, sie sei wegen der Inkontinenzerkrankung nicht mehr in der Lage, unter betriebsüblichen Bedingungen zu arbeiten, greift nicht durch. Nach der Rechtsprechung des BSG gilt der Arbeitsmarkt trotz ansich vollschichtiger Einsatzfähigkeit als verschlossen, wenn nur unter betriebsunüblichen Arbeitsbedingungen gearbeitet werden kann. Dies hat das BSG beispielsweise dann angenommen, wenn im Arbeitszeitgesetz (ArbZG) nicht vorgesehene zusätzliche Arbeitspausen aus gesundheitlichen Gründen notwendig sind, so dass es beispielsweise bei dem Erfordernis zusätzlicher Pausen von 2 x 15 Minuten - zusätzlich zu der nach § 4 ArbZG bei einer Arbeitszeit von mehr als 6 bis zu 9 Stunden vorgesehenen 30-minütigen Ruhezeit - zweifelhaft erscheint, ob entsprechende Arbeitsplätze vorhanden sind. Entsprechendes gilt auch für 3 Mal täglich 10 Minuten zusätzlicher Pausen (BSG, Urteil vom 19.08.1997 - Az.: 13 RJ 11/96). Neben den eigentlichen Pausen im Sinne des § 4 ArbZG, die im Übrigen nach Maßgabe der §§ 4 und 7 ArbZG auch in kleinere Zeitabschnitte aufgeteilt werden können, existieren in der Arbeitswirklichkeit jedoch auch sogenannte persönliche Verteilzeiten, die nicht als die Arbeitszeit verkürzende Pausen im Rechtssinne anzusehen sind. So gelten Arbeitszeitunterbrechungen von weniger als 15 Minuten alle 2 Stunden beispielsweise im Bereich des öffentlichen Dienstes nicht als arbeitszeitverkürzende Pausen (vgl. Böhm/ Spiertz, Kommentar zum BAT, Anmerkung 10 zum § 15). Für Büroarbeiten hat das Max-Planck-Institut für Arbeitsphysiologie die von den Arbeitgebern den Arbeitnehmern zugestandene persönliche Verteilzeit mit etwa 12 % der tariflich festgesetzten Arbeitszeit angesetzt (vgl. DRV 8 - 9 / 93 S. 527). Die Existenz solcher persönlichen Verteilzeiten ist auch bereits in mehreren Urteilen der Rentensenate des Landessozialgerichts NRW bestätigt worden (vgl. u.a. Urteil vom 12.04.2002 - Az.: L 14 RJ 42/00; Urteil vom 10.07.2000 - Az.: L 3 RJ 55/98; Urteil vom 26.01.2001 - Az.: L 4 RA 57/00 sowie Urteil vom 27.04.2001 - Az.: L 13 (8) RJ 167/00). Wenn daher z.B. im Bürobereich etwa 7 Minuten je Arbeitsstunde an persönlicher Verteilzeit kalkuliert werden (Sozialmedizinische Begutachtung in der gesetzlichen Rentenversicherung, 5. Auflage, 7.7.2, S. 75), gibt es für die Klägerin grundsätzlich geeignete und bei offenen Stellen von ihr zu besetzende Arbeitsplätze in ausreichender Anzahl in den Bereichen, in denen im Innenbereich ohne Einbindung in einen vor Pausenbeginn zu unterbrechenden kontinuierlichen Produktionsverlauf gearbeitet wird, wie z.B. im Bürobereich (Urteil des 3. Senats des Landessozialgerichts NRW vom 10.07.2000 a.a.O.).

Bei Anwendung dieser Grundsätze kann eine arbeitsmarktunübliche Leistungseinschränkung bei der Klägerin nicht festgestellt werden. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass auch in der Berufungsinstanz das Ausmaß der Blasenschwäche und die Häufigkeit der notwendigen Toilettengänge nicht in dem behaupteten Umfang feststellbar sind. Die Klägerin hat vorgetragen, sie müsse ca. 8 Mal pro Stunde die Toilette aufsuchen; der behandelende Arzt T ... hat in seinen verschiedenen Attesten von 20 Mal pro Tag (Attest vom 27.03.2001), von alle 10 Minuten (Attest vom 07.01.2003) sowie von 16 - 17 Mal pro Tag (Attest vom 10.06.2003) gesprochen, so dass sich schon hieraus kein einheitliches Bild vom tatsächlichen Ausmaß der Miktionshäufigkeit machen lässt. Dem gegenüber konnte bei den urologischen bzw. gynäkologischen Untersuchungen im Verwaltungs- bzw. erstinstanzlichen Verfahren ein organisches Korrelat für die behauptete Miktionshäufigkeit nicht festgestellt werden, die Blase der Klägerin ließ sich vielmehr problemlos bis zu 400 ml auffüllen. Zur Klärung dieser Diskrepanz zwischen der behaupteten Miktionshäufigkeit und den erhobenen Befunden hat der Senat das Vorbringen der Klägerin aufgegriffen und eine erneute urologische Untersuchung veranlasst. Der Senat hat keine Bedenken, die Ausführungen des PD Dr. M ... im Gutachten vom 26.11.2002, für das er mit seiner Unterschrift die volle Verantwortung übernommen hat, zu verwerten, selbst wenn - wie von der Klägerin behauptet - die Untersuchung allein durch den Urologen Dr. F ... durchgeführt worden sein sollte. Der Schwerpunkt dieser Begutachtung lag auf der Durchführung bestimmter messtechnischer Untersuchungen, mit denen die Blasenkapazität überprüft werden sollte (PAD-Test, Uro-dynamische Untersuchung, Uroflowmetrie mit EMG-Ableitung, Urethradruckprofil, Nierenleeraufnahme sowie ein Reflux-Urethrozystogramm), so dass der Sachverständige PD Dr. M ... die Beurteilung der Notwendigkeit der behaupteten Toilettengänge anhand dieser Messdaten vornehmen konnte. Es bestehen nach Ansicht des Senats keine durchgreifenden Bedenken gegen eine sinnvolle und nachvollziehbare Arbeitsteilung zwischen dem Sachverständigen und seinem Assistenzarzt, wenn der Sachverständige dessen Arbeiten in sein Gutachten so einbaut wie es der Methodik seines Fachgebiets entspricht und hierfür die Verantwortung übernimmt. Die durch das Gericht zu treffende Auswahl des Sachverständigen wird hierdurch nicht unterlaufen.

Die im Gutachten von Dr. M ... beschriebenen urologischen Untersuchungen haben erneut verdeutlicht, dass die von der Klägerin behauptete Miktionsfrequenz medizinisch nicht nachvollziehbar ist. Auch hier hat im Rahmen der Uro-dynamischen Untersuchung die Blase bis zu 400 ml aufgefüllt werden können, ohne dass eine spontane Miktion erfolgte. Die Uroflowmetrie mit EMG-Ableitung hat ergeben, dass die Klägerin einen sehr guten Uroflow bei Sphinkter-Muskelaktionen während der Miktion zeigt, bei einem Miktionsvolumen von 441 ml. Auch im Rahmen des Reflux-Urethrozystogramms konnte die Harnblase problemlos bis 300 ml aufgefüllt werden. Damit entsprechen diese Befunde im Wesentlichen den Erhebungen von Dr. S ... und Dr. M ... Der im Rahmen der jetzigen Untersuchung zusätzlich durchgeführte Vorlagentest (PAD-Test), bei der die Klägerin 2 Minuten auf der Stelle gelaufen ist, ergab eine Gewichtsdifferenz in der Vorlage von 17,9 g = 17,9 ml, was einer Stressinkontinenz Grad III entsprechen würde. Wie schon im Rahmen der Vorbegutachtung wurde auch jetzt die Diagnose einer Stress- oder Belastungsinkontinenz gestellt, wonach die Beckenbodenmuskulatur durch erhebliche Belastung (hier durch die Folgen einer Unterleibsoperation) geschwächt ist und hierdurch der häufige Harndrang sowie der geringfügige unfreiwillige Harnverlust verursacht wird. Darüber hinaus besteht bei der Klägerin der Verdacht auf eine (messtechnisch nicht nachgewiesene) sensorische Drangkomponente, die jedoch die behaupteten 8-maligen Toilettenbesuche pro Stunde als Dauerzustand ebenfalls nicht erklären kann. Nach Darstellung im urologischen Gutachten vom 26.11.2002 kann aufgrund der erhobenen Untersuchungsbefunde davon ausgegangen werden, dass die Klägerin maximal 1 bis 2 Mal die Toilette zum Wasserlassen aufsuchen muss. Soweit ein unwillkürlicher Harnverlust eintreten sollte, kann die Klägerin die in Apotheken erhältlichen speziellen Vorlagen benutzen, die Dank modernster Materialien (Superabsorber) eine maximale theoretische Saugleistung von ca. 900 ml vorweisen (vgl. z.B. TENA-Komfort-Vorlagen Maxi - Hilfsmittelverzeichnis 15.25.01.2013 - PZN 4911968 -) und auch geruchshemmend wirken. Die Benutzung dieser Vorlagen hält der Senat zwar durchaus für belastend, jedoch im Arbeitsalltag noch für zumutbar.

Ausgehend von maximal 1 bis 2 notwendigen Toilettengängen pro Arbeitsstunde schätzt der Senat gemäß § 202 SGG i.V.m. § 287 ZPO den Zeitaufwand für den Gang auf die Toilette einschließlich eines Wechsels der Vorlage auf maximal 3 Minuten pro Toilettengang. Die im Gutachten Dr. M ... angeführten 5 Minuten pro Toilettengang erscheinen dem mit 2 Berufsrichterinnen besetzten Senat als zu großzügig bemessen. Die Klägerin hat auch während der mündlichen Verhandlung die Toilette aufgesucht und hierfür 2 Minuten benötigt, wobei sich die Damentoilette auf der nächst höheren Etage befand. Auch die Begutachtungsrichtlinien der Pflegeversicherung, die den Zeitaufwand der Hilfestellung bei der Blasenentleerung einer pflegebedürftigen Person erfassen, setzen für das Wasserlassen einschließlich Intimhygiene, Reinigen der Toilette bzw. des Umfeldes nur 2 bis 3 Minuten an. Für den Wechsel kleiner Vorlagen wird ein Zeitaufwand für den Hilfebedarf von 1 bis 2 Minuten angenommen. Bei Personen, die diese Verrichtungen eigenständig durchführen können, muss daher ein entsprechend geringerer Zeitaufwand angesetzt werden. Mithin geht der Senat davon aus, dass die Klägerin pro Arbeitsstunde allenfalls 6 Minuten für Toilettengänge in Anspruch nehmen muss, so dass, soweit die Toilettengänge nicht im Rahmen der üblichen Arbeitspausen erledigt werden können, hierfür die persönliche Verteilzeit in Anspruch genommen werden kann, ohne dass eine betriebsunübliche Arbeitsunterbrechung vorliegt. Ergänzend ist darauf hin zu weisen, dass nach § 37 Abs. 1 Satz 1 der Arbeitsstättenverordnung allen Arbeitnehmern in der Nähe des Arbeitsplatzes Toilettenräume zu Verfügung zu stellen sind, so dass auch insoweit den Bedürfnissen der Klägerin Rechnung getragen werden kann.

Für weitere sozialmedizinische Ermittlungen bestand bei dieser Sachlage kein Anlass. Sowohl den Befundberichten des Neurologen und Psychiaters Dr. N ... wie auch den durchgeführten urologischen Untersuchungen lassen sich keine neurogenen Ursachen der Blasenschwäche oder gar weitergehende Leistungseinschränkungen entnehmen. Der abweichenden Auffassung des Arztes für Innere Medizin T ... folgt der Senat nicht, da dieser insoweit fachfremde Beurteilungen vornimmt, die durch das Ergebnis der umfassenden Begutachtung der Klägerin sowohl im Verwaltungsverfahren, im Sozialgerichtsverfahren wie auch im Rahmen der Berufungsinstanz widerlegt sind.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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