L 4 KR 105/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 KR 238/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 105/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 6. Mai 2002 wird zurückgewiesen.
II. Die Klage auf Übernahme der Behandlungskosten in der Klinik B. Hospital, L. wird abgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Kostenübernahme für eine Auslandsbehandlung in den USA oder Großbritannien.

Der am 1960 geborene Kläger, der bei der Beklagten freiwillig versichert ist, beantragte am 05.06.2001 "aufgrund lebensbedrohlicher Erkrankung die sofortige Kostenübernahme für überlebensnotwendige Behandlung" im E. Health Center-D. in D. , Texas (USA). Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 06.06.2001 den Antrag u.a. wegen fehlender ärztlicher Atteste bzw. Berichte ab. Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, die Erkrankungen, die der Beklagten hinreichend bekannt seien (MCS-Unverträglichkeitsreaktionen und Allergien; MCS: Abk. für multiple chemische Sensibilität), könnten in deutschen Krankenhäusern nicht behandelt werden. Die Kosten der Behandlung in der genannten Klinik würden ca. 1.500,00 US-Dollar wöchentlich betragen. Die Beklagte lehnte mit dem weiteren Bescheid vom 13.06.2001 eine Kostenübernahme wieder ab. Der Widerspruch des Klägers vom 22.06.2001 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 02.07.2001 mit der Begründung zurückgewiesen, der Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung erstrecke sich grundsätzlich nur auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Das genannte Krankenhaus sei nicht zugelassen; wegen fehlender ärztlicher Unterlagen habe nicht geprüft werden können, ob eine entsprechende Behandlung in Deutschland hätte durchgeführt werden können.

Der Kläger hat hiergegen am 05.07.2001 beim Sozialgericht Nürnberg (SG) Klage erhoben, mit der er geltend gemacht hat, seine Krankheiten, nämlich Umwelterkrankungen, Hypoglykämie und NNR-Insuffizienz (NNR: Abk. für Nebennierenrinde) hätten ein lebensbedrohliches Ausmaß erreicht. Auch für die Behandlung der MCS gebe es in Deutschland keine geeigneten Ärzte bzw. Krankenhäuser. Der Kläger hat der Klageschrift Kopien von Laborbefunden beigefügt. Die von der Beklagten eingeholte gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Bayern (MDK, Gutachterin Dr.P.) hat wegen ausreichender Behandlungsmöglichkeiten im Inland die Notwendigkeit einer Auslandsbehandlung verneint. Hiergegen hat der Kläger eingewendet, er leide an einer lebensbedrohlichen Erkrankung und die Klinik in D. sei international anerkannt.

Das SG hat mit Urteil vom 06.06.2001 die Klage mit der Begründung abgewiesen, der geltend gemachte Anspruch scheitere am Fehlen einer vertragsärztlichen Verordnung. Es hat im Übrigen zur weiteren Begründung auf den Widerspruchsbescheid Bezug genommen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 14.06.2000, mit der er geltend macht, die Beklagte habe entweder die Kosten der Behandlung in der Klinik in D. oder im B.-Hospital, H. , L. (Großbritannien) zu übernehmen, um die erforderlichen und in Deutschland nicht verfügbaren lebenserhaltenden Maßnahmen zu veranlassen. Auf die Behandlung in der letztgenannten Klinik bestehe nach EG-Recht ein Anspruch. Er leide seit zehn Jahren an lebensbedrohlichen und in Deutschland nicht behandelbaren Erkrankungen. Für eine Auslandsbehandlung sei eine vertragsärztliche Verordnung nicht notwendig. Seine Erkrankungen könnten nur durch Ärzte der Umweltmedizin, aber nicht durch deutsche Vertragsärzte behandelt werden. Bezüglich seiner Gesundheitsschäden (Hypoglykämien, Mundschleimhauterkrankung bei oralem Lichen ruber planus) befände sich die deutsche Schulmedizin noch nicht einmal im Entwicklungsstadium. Der Kläger hat mit der Berufung gleichzeitig den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Übernahme der Kosten der Auslandsbehandlung beantragt; der Senat hat den Antrag mit Beschluss vom 22.07.2002 (L 4 KR 106/02 ER) abgelehnt.

Er beantragt im Einzelnen sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Nürnberg vom 06.05.2002 sowie des Bescheides vom 13.06.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2001 zu verpflichten, die Kosten einer Auslandsbehandlung in den genannten Kliniken (D. oder L.) einschließlich Unterkunft und Verpflegung für zwei Personen sowie der Hin- und Rückreise und der Miete eines Wohnwagens (Airstream) in den USA zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, die Voraussetzungen einer Auslandsbehandlung seien unabhängig vom Fehlen einer ärztlichen Verordnung nicht erfüllt.

Beigezogen wurden die Akten der Antragsgegnerin und des SG, auf deren Inhalt im Übrigen Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung bezüglich der Behandlung in den USA ist zulässig (§§ 144 Abs.1 Nr.1, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Soweit der Kläger Krankenhausbehandlung in Großbritannien geltend macht, hat das Gericht auf die Klage zu entscheiden; sie ist unzulässig, weil die Beklagte über den erst im Berufungsverfahren gestellten Antrag noch nicht entschieden hat, und die Sache nach ihren Angaben noch bei dem SG rechtshängig ist. Während der Rechtshängigkeit ist ein zweites Verfahren über denselben Streitgegenstand unzulässig (§ 202 SGG iVm § 17 Abs.1 Gerichtsverfassungsgesetz).

Anspruchsgrundlage für die begehrte Behandlung in den USA ist § 18 Abs.1 Sozialgesetzbuch V (SGB V). Danach kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung ganz oder teilweise übernehmen, wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur im Ausland möglich ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG werden Auslandsbehandlungen durch § 18 Abs.1 SGB V insoweit in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen einbezogen, als es darum geht, Defizite der medizinischen Versorgung im Inland auszugleichen (z.B. Urteil vom 16.06.1999 BSGE 84, 90 ff. mit weiteren Nachweisen). Das BSG hat hier für Recht erkannt, dass die Krankenkasse Kosten einer Auslandsbehandlung nicht übernehmen darf, wenn eine andere, gleichen oder ähnlichen Erfolg versprechende Behandlung der Krankheit im Inland möglich ist. Eine Krankenkasse darf die Kosten einer im Ausland durchgeführten Therapie gemäß § 18 Abs.1 SGB V nur übernehmen, wenn für die betreffende Krankheit im Inland überhaupt keine, also auch keine andere Behandlungsmethode zur Verfügung steht, die dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse genügt. Die Notwendigkeit einer Auslandsbehandlung ist zu verneinen, wenn zwar eine bestimmte, vom Versicherten bevorzugte Therapie nur im Ausland erhältlich ist, im Inland aber andere, gleich oder ähnlich wirksame und damit zumutbare Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Die Inlandsbehandlung ist auch dann vorrangig, wenn das Leistungsangebot im Ausland wegen einer besonderen modernen technischen Ausstattung eines Krankenhauses oder wegen des auch international herausragenden fachlichen Rufs des dortigen Arztes eine überdurchschnittliche Qualität aufweist.

Der Kläger hat die medizinischen Tatsachen nicht angegeben (§ 21 Abs.2 SGB X), die erforderlich sind, um zu prüfen, ob im System der Behandlung durch zugelassene Leistungserbringer im Inland eine Lücke besteht. Wie die Beklagte bereits im Bescheid vom 13.06.2001 erläutert hat, sind hier Berichte, Stellungnahmen bzw. Atteste der behandelnden Ärzte über die beim Antragsteller nachgewiesenen Erkrankungen sowie eine überzeugende Darlegung erforderlich, dass gerade diese Erkrankungen im Inland durch zugelassene Leistungserbringer nicht behandelt werden können (vgl. §§ 27 Abs.1, 39 SGB V). Ferner ist die Angabe von Tatsachen erforderlich, die in der geeigneten Art und Weise belegen können, dass im Gegensatz dazu die vom Kläger vorgeschlagene Klinik in den USA geeignet ist, die erwiesenen Erkrankungen unter Beachtung der Grundsätze eines ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Krankenversicherungsschutzes (§ 12 Abs.1 SGB V) zu behandeln. In dieser Hinsicht kommt es darauf an, dass die vorgeschlagene Klinik im Ausland eine nach dem Recht des SGB V effektive Behandlung gewährleisten kann. Die vom Kläger vorgetragenen Begründungen, die, abgesehen von Laborwerten, keine ärztlich festgestellten Tatsachen in Form von Stellungnahmen oder Berichten enthalten, reichen als Nachweis hierfür nicht aus.

Demgegenüber hat die gutachtliche Stellungnahme des MDK ausgeführt, dass bei dem Krankheitsbild des Klägers (u.a. Stoffwechselstörungen aufgrund einer Mangelernährung) ausreichend vertragliche Behandlungsmöglichkeiten im Inland existieren. Der Kläger kann sich durch einen Vertragsarzt mit der Zusatzbezeichnung Umweltmedizin oder andere zugelassene Leistungserbringer beraten und behandeln lassen. Auch für eine psychosomatische Behandlung stünden ambulant oder stationär ausreichend Einrichtungen in Wohnortnähe zur Verfügung. Der Kläger kann auch z.B. die Umweltambulanz des Instituts für Arbeitsmedizin in Erlangen weiterhin aufsuchen. Bereits in einer früheren gutachtlichen Stellungnahme hat der MDK darauf hingewiesen, dass zur Behandlung des Klägers ausreichend deutsche zugelassene Arzneimittel vorhanden sind.

Die Angaben des Klägers sind auch in sich widersprüchlich bezüglich der geltend gemachten Notfallbehandlung. Bereits die Beschreibung des von ihm vorgesehenen Verlaufs der Reise in die USA (Nürnberg-Hamburg-New York-D.) und die gewünschte Bereitstellung eines speziellen Wohnwagens (Airstream) spricht gegen einen krankenversicherungsrechtlichen Notfall. Die Angabe der Zwischenstationen Hamburg und New York lässt darauf schließen, dass der Kläger mit dem Schiff reisen möchte; dies spricht nicht für die Dringlichkeit einer Behandlung. Seine Behauptung, dass inländische Ärzte bzw. Krankenhäuser, auch soweit sie sich auf Umweltmedizin spezialisiert haben, fachlich nicht geeignet seien, ihn zu behandeln, ist durch nichts belegt. Sie steht im Übrigen auch im Widerspruch zu den von ihm genannten Erkrankungen, zu deren Diagnose er sich auf die Laborwerte inländischer Ärzte bzw. ärztlich geleiteter Einrichtungen beruft.

Da der Kläger keinen Anspruch auf die Auslandsbehandlung in der genannten Klinik in D. (USA) hat, entfällt damit auch eine Verpflichtung der Beklagten zur Übernahme der Kosten der beantragten Nebenleistungen (Unterkunft, Verpflegung, Reise für den Kläger und eine Begleitperson).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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