L 4 KR 110/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 KR 48/94
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 110/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 3. Juli 2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am 1955 geborene Kläger ist als Rentner bei der Beklagten versichert. Er legte der Beklagten am 05.10.1993 ein ärztliches Attest der internistischen Gemeinschaftspraxis Dr.R. , Dr.U. vor, wonach bei ihm ein variables Immundefektsyndrom mit Hyperaktivität der T-Supressorzellen bestehe. Die subjektive Symptomatik werde u.a. durch Muskel- bzw. Gelenksbeschwerden, depressive Verstimmungen mit Schlafstörungen sowie Infektanfälligkeit mitbestimmt. Da eine zusätzliche Schädigung durch die bestehenden Amalgamzahnfüllungen nicht auszuschließen sei, werde ärztlicherseits dringlich nachgesucht, die Kosten für eine entsprechende Zahnbehandlung mit Ersatz der Amalgamfüllungen zu übernehmen. Der Kläger beantragte die Kostenübernahme. Der von der Beklagten eingeschaltete Medizinische Dienst der Krankenversicherung in Bayern sah hierfür keine medizinische Indikation, weil es keinerlei nachvollziehbare Belege, wie z.B. objektive laborchemisch-toxikologische oder sonstige technischen Daten gebe, die den zwingenden Schluss erlaubten, dass eine zusätzliche Schädigung durch Amalgamzahnfüllungen vorliege.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 08.12.1993 und Widerspruchsbescheid vom 10.03.1994 ab. Eine Quecksilberallergie oder Quecksilberunverträglichkeit sei nicht ausreichend nachgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtete sich die vom Bevollmächtigten des Klägers zum Sozialgericht Augsburg erhobene Klage, zu deren Begründung vorgetragen wurde, die Entfernung der Amalgamfüllungen sei medizinisch notwendig. Das Sozialgericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers beigezogen (Dr.S. , Dr.R. , Dr.K. ,.klinik für Naturheilverfahren).

Am 12.04.1995 teilte der Bevollmächtigte des Klägers mit, es seien keine Epikutantests durchgeführt worden, die Entfernung sei im Februar 1995 abgeschlossen und hierfür DM 4.982,26 in Rechnung gestellt worden. Laut Rechnung wurden aus acht Zähnen Amalgamfüllungen entfernt und durch mehrflächige Einlagefüllungen ersetzt (sieben Goldlegierungen, eine lichthärtende Kunststofffüllung).

Das Sozialgericht beauftragte Prof.Dr.K. (Medizinische Klinik mit Poliklinik und Institut für klinische Immunologie der Universität E.) mit der Erstellung eines Gutachtens nach Untersuchung des Klägers zu den Fragen, ob Amalgamallergie oder Unverträglichkeit und daraus folgende Gesundheitsstörungen, verursacht durch Amalgam, beim Kläger vorlagen und die Entfernung der Amalgamfüllungen eine alternative Behandlungsmethode mit Behandlungserfolg war und ob schließlich gegen Goldlegierungen toxikologische Einwendungen bestehen. Der Bevollmächtigte des Klägers lehnte den Gutachter mit der Begründung ab, es gehe nicht an, eine naturheilkundliche Behandlung durch einen Schulmediziner begutachten zu lassen. Der Antrag wurde durch Beschlüsse des SG vom 24.10.1996 und des 4. Senats vom 09.04.1997 zurückgewiesen (L 12 B 7/97 KR).

Weil Prof.K. den Prozessbevollmächtigten des Klägers und dessen Mutter schwer beleidigt habe, stellte der Prozessbevollmächtigte am 15.05.1997 einen weiteren Befangenheitsantrag. Auch dieser Antrag wurde zurückgewiesen (Beschluss des Sozialgerichts vom 18.07.1997), ebenso die hiergegen eingelegte Beschwerde (Beschluss vom 15.12.1997, L 12 B 413/97 KR).

Eine dritte Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit erfolgte, weil die Staatsanwaltschaft beim LG Berlin gegen einen engen Mitarbeiter Prof.K. ermittle. Dem Antrag wurde durch Beschluss vom 12.02.1998 nicht stattgegeben.

Mit Schreiben vom 04.03.1998 wurde Prof.K. dann vom Gericht beauftragt, die von ihm erforderlich gehaltene arbeitsmedizin- durchzuführen bzw. in Auftrag zu geben. Das Zusatzgutachten wurde vom Facharzt für innere Medizin, Umweltmedizin, Prof.Dr.L. erstellt und kam zusammengefasst zu dem Ergebnis, ein Kausalzusammenhang zwischen den festgestellten Gesundheitsstörungen und einer erhöhten Quecksilberbelastung durch Amalgamfüllungen sei unwahrscheinlich.

Auch dieser Gutachter wurde wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.

Prof.K. führte im Gutachten vom 15.03.1999 aus, aus allergologischer Sicht könne nicht mehr beantwortet werden, ob vor mehr als vier Jahren eine Amalgamallergie bestanden habe bzw. darauf zurückzuführende Gesundheitsstörungen vorgelegen hätten.

Nachdem das Gutachten des Prof.K. am 15.03.1999 beim Sozialgericht eingegangen war, wurde dem Antrag auf Ablehnung des Prof.L. und des Prof.K. mit Beschluss vom 22.03.1999 nicht stattgegeben. Auch gegen diesen Beschluss wurde Beschwerde eingelegt, allerdings nur, soweit er Prof.L. betraf. Die Beschwerde wurde mit Beschluss vom 05.05.2000 (Az.: L 2 B 220/99 KR) als unbegründet zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluss wurde Verfassungsbeschwerde erhoben (1 BvR 1089/00) über die noch nicht entschieden ist.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 03.07.2000 unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 06.10.1999 (B 1 KR 13/97 R) zurückgewiesen. Die beim Kläger bestehende allergische Reaktionslage und unter Umständen gegebene immunologische Unverträglichkeit gegenüber Amalgam bzw. Amalgambestandteilen hätte vor der im Februar 1995 abgeschlossenen Entfernung der damals vorhandenen Zahnfüllungen umfassend geklärt werden müssen. Ein als Nachweis geeigneter und anerkannter Epikutantest sei nicht durchgeführt worden. Die von Dr.R. mit Attest vom 28.09.1993 aufgezeigte Möglichkeit der zusätzlichen Schädigung durch die bestehenden Amalgamzahnfüllungen reiche als Nachweis nicht aus.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung. Zu deren Begründung wird ausgeführt, der Kläger habe Anspruch auf eine Behandlung, die dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Kenntnisse entspricht. Hierzu gehöre es, Schadstoffe, die eine Gesundheitsschädigung verursachen können, zu eliminieren. Unter Hinweis auf das Vorgehen im Zusammenhang mit Rinderwahnsinn wird dargelegt, Quecksilber stelle eine Bedrohung der menschlichen Gesundheit und des menschlichen Lebens dar. Es müsse bereits auf Verdacht ärztliche Tätigkeit verlangt werden. Die widersprüchliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts könne das hier nicht ausschließen. Wahrscheinlich gebe es in Deutschland keinen zweiten männlichen Kranken mit eine Kombination von Krankheiten, wie sie der Kläger hat. Statistiken lägen deshalb nicht vor.

Der Kläger beantragt,

ausdrücklich in dieser Reihenfolge, das Verfahren auszusetzen bis das Bundesverfassungsgericht über die Beschwerde 1 BvR 1089/00 entschieden hat, hilfsweise ein Gutachten nach § 109 SGG durch Dr.P. S. erstellen zu lassen zu der Frage, dass die Entfernung des Amalgams beim Kläger dringend indiziert war, hilfsweise das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 03.07.2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 08.12.1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.03.1994 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger DM 4.982,26 für die Zahnsanierung bei Dres.G./S. zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Ausführungen des Sozialgerichts für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere der umfangreich vorgelegten Unterlagen des Klägerbevollmächtigten, wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die wegen der Höhe des Beschwerdewertes nicht der Zulassung gemäß § 144 SGG bedarf, ist zulässig, sie erweist sich aber als unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Ersetzung seiner intakten Amalgamfüllungen durch Füllungen aus Kunststoff (eine Füllung) bzw. Goldinlays (sieben Füllungen). Nachdem die fragliche Zahnbehandlung nach Antragstellung und vor Entscheidung des Gerichts durchgeführt wurde, richtet sich das ursprüngliche Sachleistungsbegehren nunmehr auf Kostenerstattung, ohne dass es eines erneuten Verwaltungsverfahrens bedarf. Wenn sich der Versicherte die Leistung nach der Ablehnung selbst beschafft, umfasst die Ablehnung der Sachleistung die Ablehnung der Einstandspflicht für die Kosten (BSG, Urteil vom 15.04.1997, SozR 3-2500 § 13 Nr.14 mit weiteren Nachweisen).

Als einzig denkbare Anspruchsgrundlage der demnach zulässigen Klage kommt § 13 Abs.3 SGB V in Betracht, wonach Kosten zu erstatten sind, die dadurch entstehen, dass die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann (Voraussetzung 1) oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (Voraussetzung 2) und sich der Versicherte die notwendige Leistung deshalb selbst beschafft. Voraussetzung ist nach § 13 Abs.1 SGB V dass die Kostenerstattung anstelle eines Sach- oder Dienstleistungsanspruchs tritt.

Der Kläger hatte keinen Sachleistungsanspruch auf die durchgeführte Krankenbehandlung. Dies ergibt sich aus § 27 Abs.1 Satz 1 SGB V, wonach ein Anspruch auf Krankenbehandlung dann besteht, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach Satz 2 Nr.2 schließt die Krankenbehandlung die zahnärztliche Behandlung mit ein, die ihrerseits nach § 28 Abs.2 Satz 1 SGB V zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten ausreichend und zweckmäßig sein muss.

Der Anspruch des Klägers scheitert nicht schon daran, dass bei ihm keine Zahn-, Mund- oder Kieferkrankheit im eigentlichen Sinne besteht, wie es § 28 Abs.2 Satz 1 SGB V für Zahnbehandlungen zu verlangen scheint. Es geht im Fall des Klägers nicht darum, durch die Entfernung von Amalgamfüllungen eine Besserung des Zahnstatus zu erreichen. Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse erstreckt sich auf Zahnbehandlungen auch dann, wenn eine sonstige Erkrankung diese Behandlung erfordert, ohne dass an den Zähnen, im Mund oder am Kiefer selbst ein krankhafter zahnheilkundlicher Befund zu erheben ist (BSG, Urteil vom 06.10.1999, SozR 3-2500 § 28 Nr.4). Im Krankenversicherungsrecht ist es grundsätzlich unerheblich, aus welchen Gründen der Versicherte der ärztlichen oder zahnärztlichen Behandlung bedarf oder an welchem Organ sich seine Krankheit manifestiert. Allerdings bedarf jede nur "mittelbare" Behandlung einer speziellen Rechtfertigung. (BSG a.a.O.).

Dass beim Kläger eine Amalgamallergie vorlag, zu deren Heilung bzw. Besserung die Entfernung der Amalgamfüllungen sicher geeignetes Mittel wäre, ist weder durch Tests bestätigt noch wird es vom Kläger bzw. dessen Bevollmächtigten angegeben.

Unbestritten ist, dass beim Kläger im Lauf seines Lebens eine Vielzahl verschiedenster Krankheiten vorgelegen hat und zum Teil auch im Begutachtungszeitraum noch vorlag. Worauf sie zurückzuführen sind ist unbekannt, kann aber offen bleiben. Ob das Amalgam dafür in Frage kommt, ist vor dessen Entfernung nicht geklärt worden, danach eine Kausalitätsprüfung nicht mehr möglich.

Das Bundessozialgericht hat hierzu in der auch vom Klägerbevollmächtigten zitierten Entscheidung vom 06.10.1999 ausgeführt, die gesundheitliche Gefährdung durch Amalgam in ihren wesentlichen Einzelheiten sei derzeit (noch) wissenschaftlich höchst umstritten. Es sei nicht Aufgabe der Gerichte, durch die Auswahl von Sachverständigen oder die juristische Bewertung naturwissenschaftlicher Lehrmeinungen für die eine oder andere Position Partei zu ergreifen oder durch Gutachtensaufträge den Fortschritt der medizinischen Erkenntnis voranzutreiben. Da eine Amalgamentfernung generell nicht mehr als die gute Möglichkeit einer Besserung des Gesundheitszustandes bietet, ist die Behandlung in der beantragten Art als nicht notwendig nach § 27 Abs.1 Satz 1 SGB V anzusehen.

Der Senat stimmt dem Erstgericht nicht nur im Ergebnis zu, sondern auch insofern, wenn es ausführt, eine Begutachtung nach § 106 SGG wäre nicht erforderlich gewesen wäre. Deshalb hat der Senat auch dem Gutachtensantrag nach § 109 SGG nicht entsprochen und in der Sache entscheiden können. Deshalb ist der Ausgang der Verfassungsbeschwerde für die hier zu treffende Entscheidung unerheblich, so dass auch eine Aussetzung nicht in Betracht gekommen ist.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem Unterliegen des Klägers.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben. Der Senat weicht nicht von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ab, schließt sich vielmehr ausdrücklich dem zur Amalgamproblematik ergangenen Urteil des Bundessozialgerichts vom 06.10.1999 an.
Rechtskraft
Aus
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