L 4 KR 189/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 10 KR 103/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 189/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 19. Juli 2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten noch über die Rückforderung von Krankengeld, welches der Kläger zwischen dem 01.01.1989 und dem 27.11.1989 von der Beklagten bezogen hat.

Der 1941 geborene Kläger betrieb zusammen mit seiner Ehefrau als deren angestellter Küchenchef ein Restaurant in L. und war bei der Beklagten versichert. Er hatte 1984 einen privaten Unfallversicherungsvertrag über 1.000.000,00 DM bei der Bayerischen Versicherungskammer abgeschlossen, aus der er die Zahlung von 200.000,00 DM verlangte, als ihm am 20.05.1988 der linke Daumen abgetrennt wurde. Im ersten Durchgangsbericht vom Unfalltage stellte der behandelnde Chefarzt der Chirurgie des Städtischen Krankenhauses L. , Prof.Dr.F. , eine glatte Durchtrennung der Basis des linken Daumens mit leicht zerfetzten Wundrändern und dorsal etwas größerem Hautdefekt fest.

Bei dem dazu führenden Vorgang war niemand sonst zugegen gewesen. Nach der klägerischen Darstellung geschah dies zufällig, als er im Keller der Gastwirtschaft mittels einer elektrischen Kettensäge alte Regale in mülltonnengerechte Stücke zersägte. An Einzelheiten konnte sich der Kläger im Anschluss nicht mehr erinnern, so dass bei einer gutachterlichen Rekonstruktion durch das Rechtsmedizinische Institut der Universität M. die vom Oberlandesgericht München zu Sachverständigen bestellten Professoren Dres.B. und E. zu dem Ergebnis kamen, dass eine versehentliche Amputation des Daumens bei einer solchen Arbeit mit einer Kettensäge praktisch nicht möglich sei. Die Folge war, dass die Inanspruchnahme der Privatversicherung erfolglos blieb (rechtskräftiges Urteil des OLG München vom 16.03.1994 - 20 U 3697/89).

Auch die Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten - BGN -, die zunächst von einem Arbeitsunfall ausgegangen war, verneinte einen solchen endgültig aufgrund dieses Urteils und dem ihm zugrunde liegenden Sachverhalt. Sie verweigerte dem Kläger jegliche Leistungen (Bescheid vom 20.04.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.01.1996). Die deswegen vom Kläger vor dem Sozialgericht Landshut erhobene Klage (S 8 U 23/96) ist nach einem einverständlichen Ruhensbeschluss vom 05.11.1996 von ihm nicht weiter mehr betrieben worden.

Die Beklagte hatte nach Ablauf der sechswöchigen Lohnfortzahlungsfrist ab 02.07.1988 die Zahlung von Krankengeld aufgenommen, zunächst in der Annahme, für die BGN das Verletztengeld vorzuleisten. Diese hat im November 1988 die fortbestehende AU nicht mehr auf den Daumenverlust, sondern auf Kniebeschwerden zurückführen wollen, weswegen es zu einem Schriftwechsel mit der Beklagten kam, weil der Kläger weiterhin AU-Bescheinigungen, wonach er mit der linken Hand nicht greifen könne, vorlegte. Eine unfallchirurgische Begutachtung durch Dr.P. vom 22.12.1988 für die BGN kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger wieder in dem Beruf des Kochs - wenn auch eingeschränkt - tätig sein könne. Der Orthopäde Dr.S. vom Vertrauensärztlichen Dienst - VÄD - dagegen hielt am 06.04.1989 den Kläger wegen der Beeinträchtigungen durch den fehlenden Daumen und der von den Knien herrührenden Beschwerden für weiterhin arbeitsunfähig.

Am 18.10.1988 hatte der behandelnde Arzt und Schwiegersohn des Klägers, der Internist Dr.R. , der BGN gegenüber noch eine halbjährige Behandlungsbedürftigkeit angegeben. Am 07.04.1989 bestätigte er das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit wegen des Daumenverlusts und betonte dies noch einmal ausdrücklich gegenüber der Beklagten am 06.06.1989, so dass diese nicht abließ, auf die Erstattung des weiter gezahlten Krankengeldes bei der BGN zu dringen, die dann am 26.10.1990 gegenüber der Beklagten auf die Einrede der Verjährung verzichtete.

In den vom Kläger vorgelegten und von Dr.R. ausgestellten Auszahlungsscheinen aus dem Jahr 1989 ist durchgehend und ausschließlich ein Zustand nach traumatischer Amputation des linken Daumens als Diagnose für die zur AU führenden Krankheit angegeben.

In der Folgezeit ermittelte die BGN weiterhin, ob die Annahme eines Arbeitsunfalles überhaupt gerechtfertigt sei und wartete den Ausgang des Zivilrechtsstreits ab, bis sie dann am 20.04. 1994 dem Kläger gegenüber jegliche Entschädigung mangels Vorliegen eines Arbeitsunfalles ablehnte.

Die Beklagte ihrerseits teilte mit Schreiben vom 04.09.1997 dem Kläger mit, dass sie beabsichtige, von ihm ca. 56 Tausend DM für zwischen dem 20.05. und 27.11.1989 erbrachte Leistungen zurückzufordern, weil diese ihm nicht zugestanden hätten. Dies veranlasste den Kläger, den von der Beklagten angenommenen Sachverhalt zu bestreiten und die Form der Anhörung zu bemängeln.

Daraufhin holte die Beklagte eine fachpsychiatrische Äußerung des Dr.K. vom MDK ein, der am 21.08.1998 aus den Akten keine Anhaltspunkte für eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit beim Kläger entnehmen konnte, worauf die Beklagte den Klägervertreter erneut aufzuforderte, sich zur beabsichtigten Rückforderung zu äußern.

Diese sprach die Beklagte dann mit Bescheid vom 09.03.1999 aus und stützt ihr Verlangen auf § 52 SGB V. Auch sah sie keine sonstigen Gründe vorliegen, von der Rückforderung abzusehen. Im Einzelnen heißt es: "Die Amputation des Daumens erfolgte zum Zwecke der Schädigung Dritter, nämlich privater und gesetzlicher Versicherungsträger. Der dabei entstandene Schaden ist nicht unerheblich. Gründe, die gegen eine Rückforderung in voller Höhe sprechen, sind nicht ersichtlich. Schuldminderungsgründe liegen nicht vor (vgl. Gutachten des MDK). Die Rückforderung in voller Höhe ist auch nicht unzumutbar. Eine unzumutbare Belastung wurde nicht vorgetragen. Unter Berücksichtigung der Angaben ihres Mandanten zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen in dem Verfahren vor den Zivilgerichten ist eine solche auch unter Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtung seiner Ehefrau gegenüber nicht zu erwarten. Aus diesen Gründen müssen die persönlichen Belange ihrs Mandanten hinter den Belangen der Versichertengemeinschaft zurücktreten. Unter Berücksichtigung des hohen Schadens, den die Versichertengemeinschaft durch die Tat ihres Mandanten erlitten hat und im Hinblick auf den erheblichen Grad des Verschuldens erscheint ein Absehen von der Rückforderung oder eine nur teilweise Rückforderung in diesem Falle nicht mehr ermessensgerecht. Vielmehr liegt hier ein derart schwerwiegender Fall vor, der eine Rückforderung des Krankengeldes in voller Höhe rechtfertigt."

Mit der gegen diesen Bescheid, der durch Widerspruchsbescheid vom 12.08.1999 bestätigt wurde, am 25.08.1999 erhobenen Klage machte der Kläger geltend, dass sich aus den zivilrechtlichen Unterlagen keine arglistige Täuschung der Beklagten zum Erhalt der Leistungen herleiten lasse. Auch sei das Krankengeld bereits ab 28.07.1988 wegen unfallunabhängiger Arbeitsunfähigkeit gezahlt worden. Auch habe die Beklagte das erforderliche Ermessen nicht ausgegübt. Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 19.07.2001 der Klage insoweit stattgegeben, als es der Beklagten die Rückforderung von Krankengeld für die Zeit vor dem 10.01.1989 verwehrt, weil die damals einschlägige Vorschrift des § 192 RVO nur die Versagung, nicht aber die Rückforderung von Leistungen vorgesehen habe. Auch die Bestimmungen des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuches würden eine solche Rückforderung nicht rechtfertigen. Für die Zeit danach stehe zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger mit dem Ereignis vom 20.05.1988 sich vorsätzlich die Krankheit zugezogen habe und die daraus resultierende Arbeitsunfähigkeit für den gesamten Zeitraum bestanden habe. Das Ermessen sei umfassend und ausreichend von der Beklagten ausgeübt worden.

Gegen das am 28.09.2001 zugestellte Urteil hat der Kläger am 24.10.2001 Berufung einlegen und erneut vortragen lassen, dass die Arbeitsunfähigkeit nach dem 28.07.1988 nicht mehr durch den Daumenverlust verursacht worden sei. Dies sei aus dem Verhalten der Beklagten gegenüber der Berufsgenossenschaft zu folgern, indem dort die Beklagte nicht weiter mehr auf eine Erstattung gedrängt habe. Sie müsse gegen sich gelten lassen, wenn sie Ersatzforderungen nicht mehr erhoben und auch nicht durchgesetzt habe. Die von der Beklagten vorgenommene Interpretation des OLG-Urteils erbringe keinen ausreichenden Nachweis für das Vorliegen von vorsätzlichem Handeln. Dies sei dort nicht Entscheidungsgegenstand gewesen. Schließlich habe die Beklagte fehlerhaft gehandelt und die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers, der über keinerlei pfändbares Vermögen mehr verfüge, zu wenig beachtet.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 09.03.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.08.1999 vollständig und das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 19.07.2001 insoweit aufzuheben, als die Klage abgewiesen wurde.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 144, 151 SGG). Der Beschwerdewert von seinerzeit 1.000,00 DM ist überschritten. Die für die Rückforderung allein in Betracht kommende Anspruchsgrundlage des § 52 SGB V ist tatbestandlich erfüllt, so dass die von der Beklagten daraus gezogene Rechtsfolge zutrifft, ebenso wie die Entscheidung des Sozialgerichts Landshut mit der Folge, dass die Berufung unbegründet ist.

Im Streit steht nur noch die Rückforderung des zwischen dem 01.01. und dem 27.11.1989 gezahlten Krankengeldes. Es ist für die Dauer einer Krankheit gezahlt worden, die der Kläger sich vorsätzlich zugezogen hat. Bei der Krankheit handelt es sich durchgehend um die Abtrennung des linken Daumens und deren Folgen, ein regelwidriger Körperzustand, der nach Aussage des behandelnden Arztes Dr.R. langwieriger Behandlung bedurfte und fortgesetzt Arbeitsunfähigkeit nach sich zog. Wenn die Beklagte dessen Feststellungen der Arbeitsunfähigkeit gefolgt und entsprechend geleistet hat, ist dies auch im Nachhinein nicht zu beanstanden und schon gar nicht durch den Kläger, der das Krankengeld auf seinen ausdrücklichen Antrag hin erhalten hatte. Dr.R. hat - wie auch das Sozialgericht zutreffend herausstellt - die Arbeitsunfähigkeit, insbesondere für die hier noch streitige Zeit, allein mit dem Daumenverlust und seinen Folgen erklärt und die bekannten, schon früher aufgetretenen Kniebeschwerden als untergeordnet angesehen. Er hat weit deutlicher als die BGN die Arbeitsunfähigkeit an dem zuletzt ausgeübten Beruf des Kochs bzw. Küchenchefs ausgerichtet. Dem hat die Beklagte nicht widersprochen und die leistungsrechtlichen Konsequenzen daraus gezogen. In den vom Vertragsarzt ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bzw. Auszahlungsscheinen findet sich auch nirgends eine andere Diagnose als die der Folgen des Daumenverlusts.

Etwas anderes lässt sich auch nicht aus dem Verhalten der Beklagten gegenüber der hier anfangs als ersatzpflichtig in Betracht kommende BGN herleiten. Hier waren die Meinungen - zunächst noch unter der Annahme eines Arbeitsunfalles - konträr geblieben, weshalb es zur Zusage der Berufsgenossenschaft kam, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten, um einen Erstattungsstreit allein aus Gründen des Fristablaufes zu vermeiden. Eine verbindliche Zusage dem Kläger gegenüber, nicht mehr den Daumenverlust als krankengeldauslösendes Ereignis anzusehen, lässt sich in diesem Verhalten nicht erkennen. Folglich kann an der Kausalität zwischen Daumenerkrankung und Krankengeld nicht gezweifelt werden.

Gleiches gilt für die Vorsätzlichkeit, mit der der Kläger sich dieses Krankheitsbild zugezogen hat. Auch hier ist der Beweiswürdigung durch das Sozialgericht zu folgen. Es sprechen alle Umstände dafür, dass der Kläger sich den Daumen selbst wissentlich und gewollt abgetrennt hat, wobei nach dem Gesetzeswortlaut schon der bedingte Vorsatz ausreichend wäre, die Folgen des § 52 SGB V auszulösen.

Der Umgang mit einer Kettensäge ist ein von vornherein gefährliches Unterfangen und es ist allgemein bekannt, dass es bei mangelnder Sorgfalt immer wieder zu Verletzungen kommt. Dass es im vorliegenden Fall keine Sorglosigkeit, also Fahrlässigkeit, gewesen sein kann, die zur Abtrennung des linken Daumens geführt hat, ist aus dem eingeholten Sachverständigengutachten im Zivilverfahren zu folgen, welches als Urkunde im Sinne von § 416 ZPO zu würdigen ist. Es ergibt sich nachvollziehbar und zwingend daraus, warum ein Abgleiten der Säge oder eine sonstige ungewollte Führung der Säge mit den hier bestehenden Folgen auszuschließen ist. Das Ganze ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass der Kläger selbst - aus welchen Gründen auch immer - den eigentlichen Vorgang des Daumenabtrennens nicht mehr schildern oder demonstrieren kann. Wie das Sozialgericht weiter herausgearbeitet hat, und der Senat macht sich dessen Urteilsgründe auch insoweit nach § 153 Abs.2 SGG zu eigen, spricht in der Gesamtschau der Umstände, die den Krankheitseintritt begleitet haben, alles dafür, dass die Amputation vorsätzlich herbeigeführt wurde. Da ist zu nennen der Abschluss der hohen Privatunfallversicherung und der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung, ferner der unerklärliche Verlust des Daumens auf dem Wege zum Arzt, wodurch auch der Versuch einer Reimplantation ausgeschlossen wurde, ferner die klägerische Unfähigkeit, eine Unfalldarstellung abzugeben. Jeder einzelne Vorfall davon könnte bedeutungslos sein, zusammen betrachtet und vor dem Hintergrund der durch die Professoren Dres.E. und W. getroffenen Feststellungen, schließt sich jedoch die Annahme einer nur fahrlässigen Herbeiführung des Geschehens aus.

Mit ihrer Erstattungsforderung hat die Beklagte auch nicht gegen das ihr in § 52 SGB V eingeräumte Ermessen verstoßen, wobei es auch insoweit nur noch um die nach dem 01.01.1989 erbrachten Leistungen geht. Bei der Ausübung des Ermessens sind alle wesentlichen Gesichtspunkte in die Überlegung der Verwaltung mit einzubeziehen, wobei sich die gerichtliche Kontrolle darauf zu beschränken hat, ob die Schranken, innerhalb derer sich das Ermessen abspielt, nicht überschritten worden sind. Dabei ist zunächst auf den Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen, also den März 1999. Auf die vorangegangene Anhörung hatte der Kläger zwar seine rechtlichen Bedenken hinsichtlich der angekündigten Entscheidung dargetan, jedoch nichts Belegbares über seine wirtschaftliche und persönliche Situation erklärt. Dabei bedeutet die Geltendmachung einer Geldforderung gegenüber einem, wie zuletzt im Erörterungstermin deutlich wurde, mittellosen Schuldner allein noch keinen Ermessensmissbrauch. Wenn sich die Verwaltung ihm gegenüber einen bestandskräftigen Titel verschaffen will, ist das durchaus ermessenskonform, wie sie dann damit umgeht, ist hier nicht zu entscheiden. Sonstige Gründe, die einen Ermessensfehlgebrauch gegenüber dem vorsätzlich handelnden Kläger beinhalten könnten, sind weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich.

Angesichts des Verfahrensausgangs besteht auch kein Anlass, dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten nach § 193 SGG durch die Beklagte erstatten zu lassen.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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