L 4 KR 89/97

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 Kr 92/96
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 89/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Zur Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Studenten nach
Vollendung des 30. Lebensjahres.
2. Der erst spät gefaßte Entschluß, die Voraussetzungen für einen akademischen
Beruf zu schaffen, rechtfertigt die Überschreitung der Altersgrenze nicht.
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 16. Juli 1997 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über das Fortbestehen der Krankenversicherung der Studenten über das 33. Lebensjahr der Klägerin hinaus.

Die am ...1962 geborene Klägerin beendete ihre Schulausbildung mit Abschluß der Realschule im Jahre 1978. In den anschließenden drei Jahren wurde sie zur Erzieherin ausgebildet und absolvierte erfolgreich die Abschlußprüfung. In diesem Beruf war sie von September 1982 bis September 1989 ununterbrochen tätig.

Ihren zwischenzeitlich aufgekommenen Wunsch und gefaßten Entschluß zu weiterer beruflicher Qualifikation setzte sie im September 1989 um und nahm die Schulausbildung im 2.Bildungsweg am Bayernkolleg in Augsburg zur Erlangung der Hochschulreife auf. Dort legte sie im Sommer 1992 das Abitur ab und wechselte zum Wintersemester 1992/93 an die Universität Augsburg, wo sie seitdem (unterbrochen durch Studienaufenthalte in Frankreich) Englisch und Französisch für ein gymnasiales Lehramt studiert. Für 1999 ist das Staatsexamen geplant.

Mit Beginn des Studiums versicherte die Beklagte die Klägerin in der Krankenversicherung der Studenten -KVdS- und zwar bis Ende Sommersemester 1995, weil die Beklagte die drei Jahre Bayern-kolleg als einen Grund für das Bestehen der Pflichtversicherung über das 30. Lebensjahr hinaus ansah. Im Anschluß daran setzte die inzwischen 33-jährige Klägerin die Mitgliedschaft bei der Beklagten in der freiwilligen Versicherung fort. Nach der Beitragsfestsetzung durch die Beklagte in der Kranken- und Pflegeversicherung für das Jahr 1996 im Bescheid vom 18.04.1996 ließ die Klägerin dagegen Widerspruch einlegen und vortragen, sie sei weiterhin in der KVdS zu versichern und danach die Beiträge zu erheben. Anders als Bummelstudenten, die die Pflichtversicherung übermäßig lang in Anspruch nähmen, absolviere sie ihr Studium zügig, so daß sie nicht "bestraft" werden dürfe, nur weil sie sich später als andere zum Studium entschlossen habe. Auch müsse berücksichtigt werden, daß sie im Gegensatz zu anderen Studenten bereits während ihrer Berufstätigkeit erhebliche Beiträge in die Krankenversicherung einbezahlt habe.

Im Widerspruchsbescheid vom 19.09.1996 hielt die Beklagte an ihrer Auffassung fest, daß seit 01.10.1995 keine KVdS für die Klägerin mehr bestünde, weil eine weitere Verlängerung durch die vorgebrachten persönlichen Gründe nicht gerechtfertigt sei.

Mit ihrer Klage vom 23.10.1996 zum Sozialgericht Augsburg ließ die Klägerin ihre Ansicht wiederholen, daß der von ihr geschilderte Grund, nämlich sich erst später als andere Studenten zum Studium entschlossen zu haben, ausreiche, um weiterhin in der KVdS versichert zu sein. Eine andere Einschätzung wäre unbillig besonders im Hinblick auf viele andere Studenten, die übermäßig lang preisgünstig versichert wären.

Das Sozialgericht folgte der klägerischen Rechtsansicht nicht und wies im Urteil vom 16.07.1997 die Klage ab. Dazu ist in den Entscheidungsgründen ausgeführt, daß die gesetzliche Ausnahmeregelung des Fortbestehens der KVdS über das 30. Lebensjahr hinaus eng auszulegen sei, insbesondere nicht lediglich auf Mißbräuche beschränkt bliebe. Da der selbst gefaßte Entschluß zum Studium auch früher hätte getroffen werden können, seien ausreichende persönliche Gründe für die Überschreitung der Altersgrenze zu verneinen. Auch liege eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung im Vergleich mit jüngeren Studenten schon deswegen nicht vor, weil diese Gruppe sich unter anderem durch eine geringere Risikoanfälligkeit von älteren Versicherten unterscheide. Auch der Umstand, daß die Klägerin bereits Beiträge während ihrer Berufstätigkeit entrichtet habe, wirke nicht auf spätere Zeiträume fort. Die damalige Bezahlung von Krankenversicherungsbeiträgen habe lediglich Leistungsansprüche im Sinne der §§ 11 ff. SGB V ausgelöst.

Gegen das am 28.07.1997 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 27.08.1997 Berufung einlegen und weiterhin ihren Rechtsstandpunkt vortragen lassen. Die vom Sozialgericht angeführte Rechtsprechung, die Fälle von Studenten mit Pausen zwischen Abitur und Studium beträfe, sei auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Die von ihr angeführten persönlichen Gründe müßten stärker berücksichtigt werden, wie auch die Ungleichbehandlung gegenüber anderen Studenten und das jegliche Fehlen von mißbräuchlichen Ausnutzen der KVdS.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 16.07.1997 und den zugrunde liegenden Bescheid der Beklagten vom 18.04.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.09.1996 aufzuheben und festzustellen, daß sie über den 30.09.1995 hinaus bis zum Abschluß ihres Studiums in der KVdS pflichtversichert ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Dazu beruft sie sich auf den Inhalt des Rundschreibens der Spitzenverbände in der Sozialversicherung vom 29.05.1996 und auf die Gründe der vom Sozialgericht angeführten Urteile des BSG.

Dem Senat haben neben den Gerichtsakten beider Instanzen die Beitragsakten der Beklagten vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist gemäß § 143, 151 SGG zulässig erhoben, die Berufungsausschließungsgründe des § 144 SGG liegen bei der auf Anfechtung und Feststellung (§ 55 SGG) gerichteten Streitsache nicht vor.

Dabei gilt vorweg, daß sich die Feststellung über den Versichertenstatus der Klägerin nur auf die Vergangenheit und Gegenwart, d.h. das derzeit laufende Semester beschränken kann, da für das zukünftige Eintreten der KVdS neben der Überwindung der Altersschranke auch andere Voraussetzungen, insbesondere die Fortsetzung des Studiums vorliegen müssen, was sich derzeit lediglich vermuten, nicht jedoch voraussagen läßt.

Soweit der streitige Bescheid auch Regelungen über die Beiträge zur Pflegeversicherung enthalten hat, ist er aufgehoben worden. Hinsichtlich der Krankenversicherung betrifft der angefochtene Verwaltungsakt die Feststellung des versicherungsrechtlichen Status der Klägerin nur am Rande. Vorrangiger Regelungsinhalt des angefochtenen Bescheides - abgesehen von der Pflegeversicherung - ist die Beitragsfestsetzung in der freiwilligen Krankenversicherung. Damit ist zugleich, insbesondere durch die Gestaltung des Widerspruchsbescheides, auch die Feststellung enthalten, daß keine (vorrangige) Pflichtversicherung über den 30.09.1995 hinaus besteht.

Diese Feststellung ist richtig, so daß die Berufung unbegründet ist. Die dazu vom Sozialgericht angeführten Gründe sind zutreffend und legen die maßgebliche Bestimmung des § 5 Abs.1 Nr.9 letzter Satz SGB V an Hand der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung richtig aus, so daß der klägerischen Rechtsansicht nicht gefolgt werden kann. Daher schließt sich der Senat zur Begründung seiner zurückweisenden Entscheidung gemäß § 153 Abs.2 SGG diesen Gründen an und sieht von einer weiteren Darstellung ab.

Ergänzend sei die Klägerin darauf hingewiesen, daß die Beklagte sie durchaus nicht mit den sogenannten Bummelstudenten auf eine Stufe gestellt hat. Die Beklagte hat nämlich in richtiger Gesetzesanwendung solche persönlichen Gründe für die Überschreitung der Altersgrenze gelten lassen, die im Einklang mit dem gesetzgeberischen Willen stehen. Sie hat die Pflichtversicherung um die Zeit als verlängert gewürdigt, in der die Klägerin durch den erfolgreichen Besuch des Bayernkollegs die Studienvoraussetzungen geschaffen hatte (" ... insbesondere der Erwerb der Zugangsvoraussetzungen in einer Ausbildungsstätte des 2.Bildungswegs").

Der andere persönliche Grund der Klägerin, nämlich der erst im Jahre 1989, also im Alter von 27 Jahren gefaßte Entschluß, die Voraussetzungen für einen akademischen Beruf zu schaffen, rechtfertigt die Überschreitung der Altersgrenze nicht mehr. Wie das BSG in der den Beteiligten bekannten Entscheidung vom 30.09.1992 - 12 RK 40/91, SozR 3-2500 § 5 Nr.4 klar und über den dort entschiedenen Fall hinaus festgestellt hat, müssen derartige Gründe "im allgemeinen von solcher Art und solchem Gewicht sein, daß sie nicht nur aus der Sicht des einzelnen, sondern auch bei objektiver Betrachtungsweise die Aufnahme des Studiums oder seinen Abschluß verhindern oder als unzumutbar erscheinen lassen." Einen Wunsch zu verspüren und in die Tat umzusetzen, nur aus einem subjektiven Reifeprozeß heraus, kann diese Kriterien nicht erfüllen. Für die davon vom BSG a.a.O. Seite 15 für möglich erachtete Ausnahme, daß bei besonders schwierigen persönlichen Verhältnissen davon abgewichen werden kann, gibt es im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte. Der allein von der Klägerin vorgebrachte Grund, das erst späte Entstehen des Studienwunsches, reicht dafür nicht aus. Er ist Ausdruck einer persönlichen und freiwilligen Lebensgestaltung, die nicht durch äußere Einflüsse gehindert gewesen ist, ein ursprüngliches Ziel, das Studium, direkt anzusteuern. In einem solchen Fall ist also die vom Gesetzgeber vorgesehene Korrekturmöglichkeit, aus Billigkeitsgründen von der Regel (Ende der Pflichtversicherung nach 14 Studiensemestern oder Vollendung des 30.Lebensjahres) abzuweichen, nicht gegeben. Den in diesem Urteil vom 30.09.1992 a.a.O. eingeschlagenen Weg, den Ausnahmecharakter des § 5 Abs.1 Nr.9 Halbsatz 2 SGB V zu betonen, hat das BSG im folgenden eingehalten. In dem ebenfalls vom Sozialgericht zitierten Urteil BSG vom 30.01.1997 - 12 RK 39/96, SozR 3-2500 § 5 Nr.32 hat das BSG noch einmal betont, daß der Gesetzgeber die KVdS auf einen Altersabschnitt begrenzt hat, in dem der Gesundheitszustand im allgemeinen gut ist und beitragsfrei versicherte Fammilienangehörige oft noch nicht vorhanden sind. Dieses gesetzgeberische Ziel könne nur bei einer engen Auslegung der hier streitigen Norm erreicht werden. Insbesondere würden dazu nicht die Fälle zählen, in denen die Ausbildung in der Praxis erst im fortgeschrittenen Alter begönne. Nur wenn wesentliche, durchgehende Hinderungsgründe bestünden, könne die Ausnahmevorschrift in Betracht kommen. Im konkreten Fall hatte das BSG in diesem Urteil vom 30.01.1997 noch nicht einmal die Tatsache als ausreichenden Hinderungsgrund erachtet, daß der von einer Studentin in vorgerücktem Alter gewählte Studiengang zuvor noch gar nicht angeboten worden war, also innerhalb der Altersgrenze von ihr objektiv nicht hätte absolviert werden können.

Daß in der Altersbegrenzung keine grundrechtswidrige Ungleichbehandlung liege, hat das SG in der Wiedergabe des Rechtsstandspunkts des BSG im Urteil vom 30.09.1992 - 12 RK 40/91 a.a.O. ebenfalls zutreffend entschieden. Wie in den anderen Urteilen des BSG vom 30.09.1992 SozR 3-2500 § 5 Nrn.5, 6 und 8 dargestellt, ist die zeitliche Befristung einer gesetzlichen Vergünstigung im Sozialversicherungsrecht nichts Ungewöhnliches. Als Beispiel sei die Klägerin auf die zeitliche Befristung im Kindergeldrecht oder in der Krankenversicherung auf die beitragsfreie Familienversicherung hingewiesen. So hat sich das BSG in einer weiteren Entscheidung vom 30.06.1993 - 12 RK 6/93, Die Beiträge 94, 38 zur Rüge der Verfassungswidrigkeit mit der lapidaren Feststellung begnügt: "Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Begrenzung der KVdS hat der erkennende Senat in mehrfacher Hinsicht geprüft, sie jedoch sämtlich nicht für begründet gehalten (vgl. BSG SozR 3-2500 § 5 Nrn.4, 5)."

Aus der Tatsache, daß die Klägerin als pflichtversicherte Arbeitnehmerin früher einmal Beiträge zu ihrer Krankenversicherung entrichtet hat, läßt sich nichts für den jetzigen Versicherungsstatus herleiten. Wohl zeigt dies und der berufliche und persönliche Lebensweg der Klägerin, daß sie die KVdS nicht mißbräuchlich für sich beansprucht. Gleichwohl gilt für die Klägerin auch, wie aber ebenfalls die in der angeführten Rechtsprechung und vom SG wiedergegebenen Überlegung, daß allein in einer nicht rechtsmißbräuchlichen Studienverlängerung kein Hinderungsgrund im Sinne der hier streitigen Norm liegt. Durch die zuletzt angeführte Entscheidung vom 30.06.1993 finden die sozialgerichtlichen Ausführungen zur unmittelbaren Bezogenheit der Beitragsentrichtung in der GKV auf den jeweiligen Versicherungszeitraum nach dem Grundsatz des Solidaritätsgedanken ihre höchstrichterliche Bestätigung. A.a.O. findet sich anschließend der Satz: "Auch der Umstand, daß die Klägerin während ihrer Berufstätigkeit jahrelang Beiträge zahlendes Mitglied der Beklagten war, führt zu keinem anderen Ergebnis."

Angesichts des Verfahrensausgangs und weil auch die Beklagte kein Anlaß für das Rechtsmittel gesetzt hat, sind der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten nicht zu erstatten (§ 193 SGG).

Aufgrund der vielfältigen Rechtsprechung des BSG, von der abzuweichen für den Senat kein Grund bestand, scheidet die Zulassung der Revision gemäß § 160 SGG aus.
Rechtskraft
Aus
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