Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 12 R 4057/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 R 457/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 244/11 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Versicherungszeiten nach dem Fremdrentengesetz sind nicht mehr festzustellen, wenn diese nach dem maßgeblichen Vertreibungsvorgang zurückgelegt wurden.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom
18. Februar 2010 wird zurückgewiesen.
II. Die im Berufungsverfahren erweiterte Klage gegen den Bescheid
vom 27. Juni 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 3. Januar 2008 wird abgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung von Beitragszeiten nach dem Fremdrentengesetz vom 8. September 1977 bis 31. Dezember 2002 sowie weiterer in der ehemaligen Sowjetunion zurückgelegter Versicherungszeiten ab 1. September 1961.
Die 1954 in P. in der ehemaligen Sowjetunion geborene Klägerin, deutsche Staatsangehörige, ist nach ihren eigenen Angaben am 25. Mai 2005 aus Russland mit einem Staatsangehörigkeitsausweis vom 1. August 2004 in das Bundesgebiet zugezogen. Eine Spätaussiedlerbescheinigung besitzt die Klägerin nicht. Sie reichte Geburtsurkunden ihrer Kinder E. (geb. 1976), W. (geb. 1978) und A. (geb. 1987), ein Zeugnis vom 18. Juni 1976 über ein Studium ab 1971 an der Technologischen Hochschule der Leicht- und Lebensmittelindustrie in D. mit erfolgreichem Abschluss zum Verfahrensingenieur im Fach Technologie der Milch und Milcherzeugnisse sowie ein russisches Arbeitsbuch vom 8. September 1977 ein, in dem Beschäftigungszeiten vom 8. September 1977 bis 31. Dezember 2002 verzeichnet sind. Sie gab ferner an, von 1954 bis 1957 in Russland, von 1957 bis 1977 in Kasachstan, von 1978 bis 1990 in Tadschikistan und anschließend bis zur Ausreise in das Bundesgebiet erneut in Russland gewohnt zu haben. Ihre Eltern seien aus Moskau verschleppt worden. Eine eigene Verschleppung verneinte sie.
Mit angefochtenem Bescheid vom 27. Juni 2007 stellte die Beklagte gemäß § 149 Abs. 5 Sozialgesetzbuch 6. Buch - SGB VI - den Versicherungsverlauf für die Klägerin fest. Hierin wurde festgestellt, dass die Zeit vom 8. September 1977 bis 31. Dezember 2002 nicht als Beitrags- bzw. Beschäftigungszeit vorgemerkt werden könne, weil die persönlichen Voraussetzungen des § 1 Fremdrentengesetz - FRG - (z.B. Anerkennung als Vertriebener, Spätaussiedler) nicht vorlägen. Die Zeit vom 10.08.1954 bis 31.12.1956 könne nicht als Ersatzzeit vorgemerkt werden, weil sie vor Vollendung des 14. Lebensjahres liege. Die Zeit vom 01.09.1961 bis 09.08.1971 könne nicht als Anrechnungszeit berücksichtigt werden, weil die Ausbildung vor Vollendung des 17. Lebensjahres liege, die Zeit vom 10.08.1971 bis 31.08.1971 nicht, weil die vorangegangene Ausbildung nach derzeitiger Rechtslage keine Anrechnungszeit sei und schließlich die Zeit vom 11.05.1987 bis 17.08.1987 nicht, weil eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht
unterbrochen worden sei. Kindererziehungszeiten bzw. Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung für die drei Kinder seien nicht anzuerkennen, weil die Voraussetzungen nach dem Fremdrentengesetz nicht erfüllt oder die Kinder nicht im Herkunftsgebiet erzogen worden seien. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und übersandte eine Aufstellung ihrer Arbeitszeiten in der ehemaligen Sowjetunion. Eine weitere Begründung erfolgte nicht. Der Widerspruch wurde daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 3. Januar 2008 zurückgewiesen.
Mit der hiergegen zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhobenen Klage wandte sich die Klägerin gegen die Nichtberücksichtigung der von ihr in der ehemaligen Sowjetunion zurückgelegten Arbeitszeiten. Sie sei Umsiedlerin i.S.d. § 1 Abs. 2 Bundesvertriebenengesetz - BVFG - und damit Vertriebene gem. § 1a FRG. Sie habe bei Antragstellung ihren Staatsangehörigkeitsausweis vom 1. August 2004 vorgelegt. Die Bescheinigung über eine Anerkennung als Vertriebene sei durch die Beklagte bei der zuständigen Vertriebenenbehörde anzufordern. Dies habe die Beklagte unterlassen. Ein Anspruch ergebe sich aus §§ 90 Abs. 1, 2; 100 Abs. 1 BVFG in der Fassung vor dem 1. Januar 1993. Die Klägerin sei während der Vertreibung und Verschleppung ihrer Eltern, die sich in Kriegsgefangenschaft befunden hätten, geboren. Sie sei auch Heimkehrerin. Daher sei vom Weiterbestehen des Zustands der Vertreibung, der erst durch die "Heimschaffung" und durch die Wohnsitznahme im Bundesgebiet beendet worden sei, auszugehen. Es bestehe kein Grund dafür, die Klägerin allein aufgrund der Geburt außerhalb der Bundesrepublik Deutschland während der Vertreibung der Eltern schlechter zu behandeln, weil sie ihren Wohnsitz nicht im Bundesgebiet nehmen konnte. Zeiten, die noch nicht heimgekehrte Vertriebene und auch deren nach der Vertreibung geborenen Kinder, die selbst Vertriebene seien, außerhalb der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt hätten, seien als Inlandszeiten anzusehen. Die Klägerin habe ein Sonderopfer erbracht. Sie dürfe aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht schlechter gestellt werden als alle anderen Vertriebenen, die früher die Bundesrepublik Deutschland erreicht hätten. Die Klägerin habe aus kriegsbedingten Gründen nicht früher in das Bundesgebiet kommen können.
Zugleich begehrte die Klägerin die Gewährung von Prozesskostenhilfe. Der Antrag wurde mit Beschluss vom 25. Juni 2008 abgelehnt. Die hiergegen zum Bayerischen Landessozialgericht erhobene Beschwerde wurde mit Beschluss vom 23. Oktober 2009 (Az. L 14 R 673/09 B PKH) zurückgewiesen.
Die Klägerin überreichte daraufhin einen Revisionsbegründungsschriftsatz in dem Rechtsstreit B 13 R 499/09 B. Die Beklagte hätte gemäß § 100 Abs. 2 BVFG ein Gesuch an die zuständige Vertriebenenbehörde richten müssen, die Vertriebeneneigenschaft feststellen zu lassen. Unter Berufung auf das Urteil des BSG vom 21. März 2006, Az. B 5 RJ 54/04 R, wurde erneut Prozesskostenhilfe beantragt. Dieser Antrag wurde mit Beschluss vom 11. Februar 2010 abgelehnt, weil die Klägerin die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht vorgelegt habe. Mit Urteil vom 18. Februar 2010 wurde die Klage gegen den Bescheid vom 27. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Januar 2008 abgewiesen. Eine Berücksichtigung der Beitragszeiten nach den §§ 14-16 FRG komme nicht in Betracht, da die Klägerin nach ihren eigenen Angaben keine Spätaussiedlerin sei. Auch eine Anerkennung als Vertriebene liege nicht vor. Die Beklagte sei nicht verpflichtet, einen Antrag auf Ausstellung eines Vertriebenenausweises für die Klägerin zu stellen, da die Klägerin nicht Vertriebene sei und selbst bei Anerkennung einer Vertriebeneneigenschaft die von 1977 bis 2002 zurückgelegten Versicherungszeiten nicht anerkannt werden könnten, da sie erst nach dem möglichen Zeitpunkt der Vertreibung zurückgelegt worden seien. Nach dem Urteil des BSG vom 17. Oktober 2006 seien nur diejenigen Versicherungszeiten im Herkunftsgebiet zu berücksichtigen, die vor der Vertreibung zurückgelegt worden seien. Die Umsiedlung sei der maßgebliche Vertreibungsvorgang und habe lange vor der Geburt der Klägerin stattgefunden. Die 1977 beginnenden Beschäftigungszeiten seien ausschließlich nach der behaupteten Umsiedlung zurückgelegt, so dass sie auch bei Anerkennung einer Vertriebeneneigenschaft nicht als Beitragszeiten nach dem FRG anerkannt werden könnten.
Hiergegen legte die Klägerin Berufung zum LSG ein. Sie sei während der Verschleppung zur Zwangsarbeit ihrer Eltern in der ehemaligen Sowjetunion geboren worden. Die Eltern der Klägerin seien durch die Nationalsozialisten aus ihrer Heimat vertrieben und im damaligen Deutschen Reich eingebürgert worden. Auf der Flucht vor den herannahenden Verbänden der Roten Armee seien sie nach Sibirien deportiert worden. Hier hätten sie Zwangsarbeit unter Kommandantur verrichtet. Während der Zeit der Gefangenschaft ihrer Eltern sei die Klägerin geboren worden. Damit sei sie direkt von Vertreibungsmaßnahmen betroffen, habe ein eigenes Vertreibungsschicksal erlitten und sei gleichzeitig Heimkehrerin. Die Klägerin sei zwar nach der Umsiedlung ihrer Eltern geboren worden, habe jedoch einen eigenständigen Vertriebenenstatus erworben.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 18. Februar 2010 und Bescheids vom 27. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchs-bescheides vom 3. Januar 2008 zu verpflichten, der Klägerin die in der ehemaligen Sowjetunion (Russland) zurückgelegten rentenversicherungsrechtlich relevanten Zeiten festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akten der Beklagten und des SG verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage gegen den angefochtenen Bescheid vom 27. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Januar 2008 zu Recht abgewiesen. Die von der Klägerin in der ehemaligen Sowjetunion vom 8. September 1977 bis 31. Dezember 2002 zurückgelegten Beschäftigungszeiten sind nicht im Versicherungsverlauf der Klägerin vorzumerken. Die im Berufungsverfahren auf die Vormerkung sämtlicher rentenrechtlich relevanter Versicherungszeiten der Klägerin in der ehemaligen Sowjetunion erweiterte Klage ist insoweit unzulässig.
Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Voraussetzung für eine Vormerkung der von der Klägerin in der ehemaligen Sowjetunion vom 8. September 1977 bis 31. Dezember 2002 zurückgelegten Beitrags- bzw. Beschäftigungszeiten gemäß §§ 14, 15, 16 FRG in Verbindung mit §§ 55 Abs. 1 S. 2, 149 Abs. 5 SGB VI in ihrem Versicherungsverlauf wäre, dass die Klägerin zu dem vom FRG begünstigten Personenkreis gehört. Gemäß § 1 Bst. a FRG zählen hierzu Vertriebene im Sinne des § 1 BVFG sowie Spätaussiedler gemäß § 4 BVFG n.F., die als solche in der Bundesrepublik Deutschland anerkannt sind. Zu den Vertriebenen des § 1 BVFG gehört nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 BVFG auch, wer als deutscher Staatsangehöriger oder deutscher Volkszugehöriger aufgrund der während des Zweiten Weltkriegs geschlossenen zwischenstaatlichen Verträge aus außerdeutschen Gebieten oder während des gleichen Zeitraums aufgrund von Maßnahmen deutscher Dienststellen aus den von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten umgesiedelt worden ist (Umsiedler).
Es mag nun zwar zutreffen, dass die Klägerin - wie behauptet - als Vertriebene i.S.d. § 1 Abs. 1 BVFG bzw. als Umsiedlerin gem. § 1 Abs. 2 Nr. 2 BVFG i.V.m. § 7 BVFG in der bis zum 1. Januar 1993 gültigen Fassung anzusehen ist, weil zum einen ihre Eltern als deutsche Staatsangehörige oder deutsche Volkszugehörige ihren Wohnsitz in den ehemals unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten oder in den Gebieten außerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches nach dem Gebietsstand vom 31. Dezember 1937 im Zusammenhang mit den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs infolge Vertreibung, insbesondere durch Ausweisung oder Flucht, verloren haben (§ 1 Abs. 1 BVFG) bzw. aufgrund der während des Zweiten Weltkrieges geschlossenen zwischenstaatlichen Verträge aus außerdeutschen Gebieten oder während des gleichen Zeitraums aufgrund von Maßnahmen deutscher Dienststellen aus den von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten umgesiedelt worden sind (§ 1 Absatz 2 Nr. 2 BVFG) und die Klägerin als nach der Vertreibung Geborene diesen Rechtsstatus mit ihrer Geburt nach dem damals gültigen § 7 BVFG erworben hat.
Spätestens mit dem Beginn des Aufenthalts der Eltern der Klägerin in Sibirien waren diese Vertreibungsmaßnahmen jedoch abgeschlossen. Der Umsiedlungstatbestand ist mit der Aufgabe des Wohnsitzes im ursprünglichen Herkunftsgebiet verwirklicht (BSG, Urteil vom 17. Oktober 2006, B 5 RJ 21/05 R). Dasselbe gilt für Vertriebene. Liegen die entsprechenden Sachverhalte vor, so ist der Status von Gesetzes wegen entstanden. Die Ausstellung des Vertriebenenausweises besitzt daneben nur noch deklaratorischen Charakter. Die Aufenthaltnahme im Bundesgebiet ist zwar Voraussetzung für die Gewährung von Rechten und Vergünstigungen, nicht aber für die Entstehung des Status. Daran hat sich nur etwas für Aussiedler durch das Inkrafttreten des neuen Aussiedleraufnahmegesetzes zum 1. Juli 1990 geändert, da insoweit nunmehr nicht nur ein Verlassen des Vertreibungsgebietes, sondern ein Verlassen "im Wege der Aufnahme" verlangt wird. Die Aufnahme und damit der Aussiedlungstatbestand sind nach dem seit 1. Juli 1990 gültigen
Recht erst mit der ständigen Aufenthaltnahme im Bundesgebiet abgeschlossen. Ein Aussiedlerstatus wird von der Klägerin nicht geltend gemacht. Der Nachweis eines solchen wäre durch eine Bescheinigung des Bundesverwaltungsamtes zu erbringen, die nur auf Antrag der Klägerin erteilt wird. Eine solche Spätaussiedlerbescheinigung liegt nicht vor. In Bezug auf den geltend gemachten Status als Vertriebene im Sinne des § 1 Abs. 1 bzw. § 1 Abs. 2 Nr. 2 BVFG (Umsiedler) verbleibt es dabei, dass die tatsächliche Aufenthaltnahme im Bundesgebiet nicht Voraussetzung für die Entstehung des Status als Vertriebener ist. Die Vertreibung ist mit dem vertreibungsbedingten Verlust des Wohnsitzes der Eltern abgeschlossen. Der genaue Zeitpunkt der behaupteten Verschleppung der Eltern nach Sibirien wurde von der Klägerin nicht angegeben. Er lag aber jedenfalls vor dem Zeitpunkt der Geburt der Klägerin, da diese nach ihren eigenen Angaben während der Zeit geboren wurde, als ihre Eltern unter Kommandanturaufsicht standen. Die Klägerin hat dann am 10. August 1954 diesen Status ihrer Eltern durch Geburt gemäß § 7 BVFG in der damals geltenden Fassung erworben.
Wie das BSG in seiner Entscheidung vom 7. Oktober 2006, B 5 RJ 21/05, judiziert hat, sind jedoch Versicherungszeiten nach dem FRG nicht festzustellen, wenn diese nach dem maßgeblichen Vertreibungsvorgang zurückgelegt wurden. Nach der überzeugenden Auffassung des BSG muss die Begünstigung durch das FRG auf die Fälle beschränkt sein, in denen der dargestellte Verlust von ausländischen Rentenanwartschaften durch ein Vertreibungstatbestand verursacht wird, da andernfalls die unterschiedliche Behandlung von Rentenversicherungszeiten im vertragslosen Ausland, je nachdem, ob sie von Vertriebenen oder nichtvertriebenen Versicherten zurückgelegt wurden, sachlich kaum zu rechtfertigen sei. Der in § 16 FRG niedergelegte Grundgedanke, wonach nur solche Zeiten den Bundesgebietszeiten gleichstehen, die vor der Vertreibung zurückgelegt worden sind, sei daher auch im Rahmen des § 15 FRG maßgeblich. Mit dem Ende der Vertreibung bleibe der Betroffene zwar Vertriebener, aber der durch das Vertreibungsschicksal erlittene rentenversicherungsrechtliche Nachteil könne sich nicht mehr verschlimmern.
Damit sind für die Klägerin im strittigen Zeitraum vom 8. September 1977 bis 31. Dezember 2002 keine Beitrags- oder Beschäftigungszeiten gemäß §§ 15, 16 FRG vorzumerken, da der maßgebliche Vertreibungsvorgang vor der Geburt der Klägerin abgeschlossen war. Eine später erfolgende weitere Verschleppung wurde von der Klägerin ausdrücklich in Abrede gestellt. Eine Vormerkung kommt damit selbst dann nicht in Betracht, wenn man der Klägerin aufgrund der Vertreibung der Eltern einen Vertriebenenstatus nach § 1 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 2 BVFG i.V.m. § 7 BVFG in der bis zum 31. Dezember 1992 gültigen Fassung zubilligt. Aus diesem Grund war es auch entbehrlich, dass die Beklagte ein Verfahren nach § 100 Abs. 3 S. 3 BVFG n.F. einleitet.
In der Beschränkung der Anrechnung von Versicherungszeiten auf Zeiten, die bis zum maßgeblichen Vertreibungsvorgang zurückgelegt worden sind, liegt auch kein Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz vor. Grundanliegen des FRG ist es, Nachteile in der gesetzlichen Rentenversicherung von Personen abzuwehren, denen die Realisierung ihrer in der früheren Heimat erarbeiteten Rentenanwartschaften von Deutschland aus abgeschnitten ist. Die Begünstigung durch das FRG muss dabei - wie oben ausgeführt - auf die Fälle beschränkt sein, in denen der dargestellte Verlust von ausländischen Rentenanwartschaften durch einen Vertreibungstatbestand verursacht wird. Das FRG gleicht also nur den Verlust von bis zur Vertreibung erworbenen Rentenanwartschaften aus, nicht jedoch eventuelle Schwierigkeiten beim Neuaufbau einer Altersversorgung (vgl. BSG, a.a.O.; BSGE 80, 186, 190).
Die anderen Alternativen des § 1 FRG sind offensichtlich nicht erfüllt. Insbesondere ist die Klägerin nicht infolge der Kriegsauswirkungen daran gehindert, den früher für sie zuständigen Versicherungsträger in Russland in Anspruch zu nehmen (vgl. § 1 Bst. b FRG). Auch wurde die Klägerin nicht nach dem 8. Mai 1945 in ein ausländisches Staatsgebiet zur Arbeitsleistung verbracht, sondern ihre Eltern. Hinterbliebene haben insoweit ggf. nur Ansprüche aus der Hinterbliebenenversorgung (vgl. § 1 Bst. c und e FRG). Schließlich ist die Klägerin auch nicht heimatlose Ausländerin im Sinne des § 1 Bst. d FRG. Ob die Klägerin Heimkehrerin ist, ist für die Frage, ob Beitragszeiten nach dem FRG anzuerkennen sind, unerheblich, da Heimkehrer nicht gemäß § 1 FRG in den Anwendungsbereich des FRG aufgenommen sind.
Die Berufung ist daher als unbegründet zurückzuweisen.
Soweit die Klägerin im Rahmen ihrer Berufung nunmehr nicht mehr nur die Vormerkung der Beitragszeiten vom 8. September 1977 bis 31. Dezember 2002 begehrt, sondern darüber hinaus die Vormerkung sämtlicher in der ehemaligen Sowjetunion zurückgelegten Versicherungszeiten (also auch die durch den angefochtenen Bescheid abgelehnten Anrechnungszeiten, Kindererziehungszeiten usw.) ist die im Wege der Klageänderung erweiterte Klage, auf die sich die Beklagte mit Schriftsatz vom 23. August 2010 rügelos eingelassen hat (vgl. § 153 Abs. 1 i.V.m. § 99 Abs. 2 SGG), unzulässig. Die im Berufungsver-
fahren erweiterte Klage ist vom Senat abzuweisen, da das SG hierüber - zu Recht - nicht entschieden hat.
Die Unzulässigkeit der insoweit erweiterten Klage folgt aus dem Umstand, dass die Klägerin bereits ihren Widerspruch und im Anschluss daran auch die Klage vor dem SG auf die "Arbeitszeiten" der Klägerin beschränkt hat. Für das Widerspruchsverfahren ergibt sich dies schon aus der Übersendung des Formblatts mit Schreiben vom 4. August 2007, in dem nur die Zeit ab 8. September 1977 bis 31. Dezember 2002 aufgeführt worden sind. Hieraus ist zu entnehmen, dass die Klägerin sich gegen die Nichtberücksichtigung dieser Zeiten wendet. Dementsprechend hat der Bevollmächtigte in der Klagebegründung keinen Zweifel daran gelassen, dass sich die Klägerin durch die Nichtanerkennung von Arbeitszeiten (und damit eben nicht von Anrechnungszeiten aufgrund von Ausbildung usw.) beschwert fühlt. Das SG hat damit zu Recht nur den Zeitraum 8. September 1977 bis 31. Dezember 2002 mit Zeiten aufgrund einer Beschäftigung als streitbefangen angesehen. Die sonstigen Zeiten waren weder Gegenstand des Widerspruchs- noch des Klageverfahrens. Insoweit ist der Bescheid vom 27. Juni 2007 bestandkräftig geworden. Die gem. § 77 SGG eingetretene Bindungswirkung kann durch eine nachträglich gestellten Antrag nicht mehr beseitigt werden Die geänderte Klage ist insoweit damit unzulässig (vgl. Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, § 99 Rn. 13a).
Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) berücksichtigt den Umstand, dass die Klägerin auch im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht ersichtlich.
18. Februar 2010 wird zurückgewiesen.
II. Die im Berufungsverfahren erweiterte Klage gegen den Bescheid
vom 27. Juni 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 3. Januar 2008 wird abgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung von Beitragszeiten nach dem Fremdrentengesetz vom 8. September 1977 bis 31. Dezember 2002 sowie weiterer in der ehemaligen Sowjetunion zurückgelegter Versicherungszeiten ab 1. September 1961.
Die 1954 in P. in der ehemaligen Sowjetunion geborene Klägerin, deutsche Staatsangehörige, ist nach ihren eigenen Angaben am 25. Mai 2005 aus Russland mit einem Staatsangehörigkeitsausweis vom 1. August 2004 in das Bundesgebiet zugezogen. Eine Spätaussiedlerbescheinigung besitzt die Klägerin nicht. Sie reichte Geburtsurkunden ihrer Kinder E. (geb. 1976), W. (geb. 1978) und A. (geb. 1987), ein Zeugnis vom 18. Juni 1976 über ein Studium ab 1971 an der Technologischen Hochschule der Leicht- und Lebensmittelindustrie in D. mit erfolgreichem Abschluss zum Verfahrensingenieur im Fach Technologie der Milch und Milcherzeugnisse sowie ein russisches Arbeitsbuch vom 8. September 1977 ein, in dem Beschäftigungszeiten vom 8. September 1977 bis 31. Dezember 2002 verzeichnet sind. Sie gab ferner an, von 1954 bis 1957 in Russland, von 1957 bis 1977 in Kasachstan, von 1978 bis 1990 in Tadschikistan und anschließend bis zur Ausreise in das Bundesgebiet erneut in Russland gewohnt zu haben. Ihre Eltern seien aus Moskau verschleppt worden. Eine eigene Verschleppung verneinte sie.
Mit angefochtenem Bescheid vom 27. Juni 2007 stellte die Beklagte gemäß § 149 Abs. 5 Sozialgesetzbuch 6. Buch - SGB VI - den Versicherungsverlauf für die Klägerin fest. Hierin wurde festgestellt, dass die Zeit vom 8. September 1977 bis 31. Dezember 2002 nicht als Beitrags- bzw. Beschäftigungszeit vorgemerkt werden könne, weil die persönlichen Voraussetzungen des § 1 Fremdrentengesetz - FRG - (z.B. Anerkennung als Vertriebener, Spätaussiedler) nicht vorlägen. Die Zeit vom 10.08.1954 bis 31.12.1956 könne nicht als Ersatzzeit vorgemerkt werden, weil sie vor Vollendung des 14. Lebensjahres liege. Die Zeit vom 01.09.1961 bis 09.08.1971 könne nicht als Anrechnungszeit berücksichtigt werden, weil die Ausbildung vor Vollendung des 17. Lebensjahres liege, die Zeit vom 10.08.1971 bis 31.08.1971 nicht, weil die vorangegangene Ausbildung nach derzeitiger Rechtslage keine Anrechnungszeit sei und schließlich die Zeit vom 11.05.1987 bis 17.08.1987 nicht, weil eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht
unterbrochen worden sei. Kindererziehungszeiten bzw. Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung für die drei Kinder seien nicht anzuerkennen, weil die Voraussetzungen nach dem Fremdrentengesetz nicht erfüllt oder die Kinder nicht im Herkunftsgebiet erzogen worden seien. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und übersandte eine Aufstellung ihrer Arbeitszeiten in der ehemaligen Sowjetunion. Eine weitere Begründung erfolgte nicht. Der Widerspruch wurde daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 3. Januar 2008 zurückgewiesen.
Mit der hiergegen zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhobenen Klage wandte sich die Klägerin gegen die Nichtberücksichtigung der von ihr in der ehemaligen Sowjetunion zurückgelegten Arbeitszeiten. Sie sei Umsiedlerin i.S.d. § 1 Abs. 2 Bundesvertriebenengesetz - BVFG - und damit Vertriebene gem. § 1a FRG. Sie habe bei Antragstellung ihren Staatsangehörigkeitsausweis vom 1. August 2004 vorgelegt. Die Bescheinigung über eine Anerkennung als Vertriebene sei durch die Beklagte bei der zuständigen Vertriebenenbehörde anzufordern. Dies habe die Beklagte unterlassen. Ein Anspruch ergebe sich aus §§ 90 Abs. 1, 2; 100 Abs. 1 BVFG in der Fassung vor dem 1. Januar 1993. Die Klägerin sei während der Vertreibung und Verschleppung ihrer Eltern, die sich in Kriegsgefangenschaft befunden hätten, geboren. Sie sei auch Heimkehrerin. Daher sei vom Weiterbestehen des Zustands der Vertreibung, der erst durch die "Heimschaffung" und durch die Wohnsitznahme im Bundesgebiet beendet worden sei, auszugehen. Es bestehe kein Grund dafür, die Klägerin allein aufgrund der Geburt außerhalb der Bundesrepublik Deutschland während der Vertreibung der Eltern schlechter zu behandeln, weil sie ihren Wohnsitz nicht im Bundesgebiet nehmen konnte. Zeiten, die noch nicht heimgekehrte Vertriebene und auch deren nach der Vertreibung geborenen Kinder, die selbst Vertriebene seien, außerhalb der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt hätten, seien als Inlandszeiten anzusehen. Die Klägerin habe ein Sonderopfer erbracht. Sie dürfe aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht schlechter gestellt werden als alle anderen Vertriebenen, die früher die Bundesrepublik Deutschland erreicht hätten. Die Klägerin habe aus kriegsbedingten Gründen nicht früher in das Bundesgebiet kommen können.
Zugleich begehrte die Klägerin die Gewährung von Prozesskostenhilfe. Der Antrag wurde mit Beschluss vom 25. Juni 2008 abgelehnt. Die hiergegen zum Bayerischen Landessozialgericht erhobene Beschwerde wurde mit Beschluss vom 23. Oktober 2009 (Az. L 14 R 673/09 B PKH) zurückgewiesen.
Die Klägerin überreichte daraufhin einen Revisionsbegründungsschriftsatz in dem Rechtsstreit B 13 R 499/09 B. Die Beklagte hätte gemäß § 100 Abs. 2 BVFG ein Gesuch an die zuständige Vertriebenenbehörde richten müssen, die Vertriebeneneigenschaft feststellen zu lassen. Unter Berufung auf das Urteil des BSG vom 21. März 2006, Az. B 5 RJ 54/04 R, wurde erneut Prozesskostenhilfe beantragt. Dieser Antrag wurde mit Beschluss vom 11. Februar 2010 abgelehnt, weil die Klägerin die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht vorgelegt habe. Mit Urteil vom 18. Februar 2010 wurde die Klage gegen den Bescheid vom 27. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Januar 2008 abgewiesen. Eine Berücksichtigung der Beitragszeiten nach den §§ 14-16 FRG komme nicht in Betracht, da die Klägerin nach ihren eigenen Angaben keine Spätaussiedlerin sei. Auch eine Anerkennung als Vertriebene liege nicht vor. Die Beklagte sei nicht verpflichtet, einen Antrag auf Ausstellung eines Vertriebenenausweises für die Klägerin zu stellen, da die Klägerin nicht Vertriebene sei und selbst bei Anerkennung einer Vertriebeneneigenschaft die von 1977 bis 2002 zurückgelegten Versicherungszeiten nicht anerkannt werden könnten, da sie erst nach dem möglichen Zeitpunkt der Vertreibung zurückgelegt worden seien. Nach dem Urteil des BSG vom 17. Oktober 2006 seien nur diejenigen Versicherungszeiten im Herkunftsgebiet zu berücksichtigen, die vor der Vertreibung zurückgelegt worden seien. Die Umsiedlung sei der maßgebliche Vertreibungsvorgang und habe lange vor der Geburt der Klägerin stattgefunden. Die 1977 beginnenden Beschäftigungszeiten seien ausschließlich nach der behaupteten Umsiedlung zurückgelegt, so dass sie auch bei Anerkennung einer Vertriebeneneigenschaft nicht als Beitragszeiten nach dem FRG anerkannt werden könnten.
Hiergegen legte die Klägerin Berufung zum LSG ein. Sie sei während der Verschleppung zur Zwangsarbeit ihrer Eltern in der ehemaligen Sowjetunion geboren worden. Die Eltern der Klägerin seien durch die Nationalsozialisten aus ihrer Heimat vertrieben und im damaligen Deutschen Reich eingebürgert worden. Auf der Flucht vor den herannahenden Verbänden der Roten Armee seien sie nach Sibirien deportiert worden. Hier hätten sie Zwangsarbeit unter Kommandantur verrichtet. Während der Zeit der Gefangenschaft ihrer Eltern sei die Klägerin geboren worden. Damit sei sie direkt von Vertreibungsmaßnahmen betroffen, habe ein eigenes Vertreibungsschicksal erlitten und sei gleichzeitig Heimkehrerin. Die Klägerin sei zwar nach der Umsiedlung ihrer Eltern geboren worden, habe jedoch einen eigenständigen Vertriebenenstatus erworben.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 18. Februar 2010 und Bescheids vom 27. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchs-bescheides vom 3. Januar 2008 zu verpflichten, der Klägerin die in der ehemaligen Sowjetunion (Russland) zurückgelegten rentenversicherungsrechtlich relevanten Zeiten festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akten der Beklagten und des SG verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage gegen den angefochtenen Bescheid vom 27. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Januar 2008 zu Recht abgewiesen. Die von der Klägerin in der ehemaligen Sowjetunion vom 8. September 1977 bis 31. Dezember 2002 zurückgelegten Beschäftigungszeiten sind nicht im Versicherungsverlauf der Klägerin vorzumerken. Die im Berufungsverfahren auf die Vormerkung sämtlicher rentenrechtlich relevanter Versicherungszeiten der Klägerin in der ehemaligen Sowjetunion erweiterte Klage ist insoweit unzulässig.
Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Voraussetzung für eine Vormerkung der von der Klägerin in der ehemaligen Sowjetunion vom 8. September 1977 bis 31. Dezember 2002 zurückgelegten Beitrags- bzw. Beschäftigungszeiten gemäß §§ 14, 15, 16 FRG in Verbindung mit §§ 55 Abs. 1 S. 2, 149 Abs. 5 SGB VI in ihrem Versicherungsverlauf wäre, dass die Klägerin zu dem vom FRG begünstigten Personenkreis gehört. Gemäß § 1 Bst. a FRG zählen hierzu Vertriebene im Sinne des § 1 BVFG sowie Spätaussiedler gemäß § 4 BVFG n.F., die als solche in der Bundesrepublik Deutschland anerkannt sind. Zu den Vertriebenen des § 1 BVFG gehört nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 BVFG auch, wer als deutscher Staatsangehöriger oder deutscher Volkszugehöriger aufgrund der während des Zweiten Weltkriegs geschlossenen zwischenstaatlichen Verträge aus außerdeutschen Gebieten oder während des gleichen Zeitraums aufgrund von Maßnahmen deutscher Dienststellen aus den von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten umgesiedelt worden ist (Umsiedler).
Es mag nun zwar zutreffen, dass die Klägerin - wie behauptet - als Vertriebene i.S.d. § 1 Abs. 1 BVFG bzw. als Umsiedlerin gem. § 1 Abs. 2 Nr. 2 BVFG i.V.m. § 7 BVFG in der bis zum 1. Januar 1993 gültigen Fassung anzusehen ist, weil zum einen ihre Eltern als deutsche Staatsangehörige oder deutsche Volkszugehörige ihren Wohnsitz in den ehemals unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten oder in den Gebieten außerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches nach dem Gebietsstand vom 31. Dezember 1937 im Zusammenhang mit den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs infolge Vertreibung, insbesondere durch Ausweisung oder Flucht, verloren haben (§ 1 Abs. 1 BVFG) bzw. aufgrund der während des Zweiten Weltkrieges geschlossenen zwischenstaatlichen Verträge aus außerdeutschen Gebieten oder während des gleichen Zeitraums aufgrund von Maßnahmen deutscher Dienststellen aus den von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten umgesiedelt worden sind (§ 1 Absatz 2 Nr. 2 BVFG) und die Klägerin als nach der Vertreibung Geborene diesen Rechtsstatus mit ihrer Geburt nach dem damals gültigen § 7 BVFG erworben hat.
Spätestens mit dem Beginn des Aufenthalts der Eltern der Klägerin in Sibirien waren diese Vertreibungsmaßnahmen jedoch abgeschlossen. Der Umsiedlungstatbestand ist mit der Aufgabe des Wohnsitzes im ursprünglichen Herkunftsgebiet verwirklicht (BSG, Urteil vom 17. Oktober 2006, B 5 RJ 21/05 R). Dasselbe gilt für Vertriebene. Liegen die entsprechenden Sachverhalte vor, so ist der Status von Gesetzes wegen entstanden. Die Ausstellung des Vertriebenenausweises besitzt daneben nur noch deklaratorischen Charakter. Die Aufenthaltnahme im Bundesgebiet ist zwar Voraussetzung für die Gewährung von Rechten und Vergünstigungen, nicht aber für die Entstehung des Status. Daran hat sich nur etwas für Aussiedler durch das Inkrafttreten des neuen Aussiedleraufnahmegesetzes zum 1. Juli 1990 geändert, da insoweit nunmehr nicht nur ein Verlassen des Vertreibungsgebietes, sondern ein Verlassen "im Wege der Aufnahme" verlangt wird. Die Aufnahme und damit der Aussiedlungstatbestand sind nach dem seit 1. Juli 1990 gültigen
Recht erst mit der ständigen Aufenthaltnahme im Bundesgebiet abgeschlossen. Ein Aussiedlerstatus wird von der Klägerin nicht geltend gemacht. Der Nachweis eines solchen wäre durch eine Bescheinigung des Bundesverwaltungsamtes zu erbringen, die nur auf Antrag der Klägerin erteilt wird. Eine solche Spätaussiedlerbescheinigung liegt nicht vor. In Bezug auf den geltend gemachten Status als Vertriebene im Sinne des § 1 Abs. 1 bzw. § 1 Abs. 2 Nr. 2 BVFG (Umsiedler) verbleibt es dabei, dass die tatsächliche Aufenthaltnahme im Bundesgebiet nicht Voraussetzung für die Entstehung des Status als Vertriebener ist. Die Vertreibung ist mit dem vertreibungsbedingten Verlust des Wohnsitzes der Eltern abgeschlossen. Der genaue Zeitpunkt der behaupteten Verschleppung der Eltern nach Sibirien wurde von der Klägerin nicht angegeben. Er lag aber jedenfalls vor dem Zeitpunkt der Geburt der Klägerin, da diese nach ihren eigenen Angaben während der Zeit geboren wurde, als ihre Eltern unter Kommandanturaufsicht standen. Die Klägerin hat dann am 10. August 1954 diesen Status ihrer Eltern durch Geburt gemäß § 7 BVFG in der damals geltenden Fassung erworben.
Wie das BSG in seiner Entscheidung vom 7. Oktober 2006, B 5 RJ 21/05, judiziert hat, sind jedoch Versicherungszeiten nach dem FRG nicht festzustellen, wenn diese nach dem maßgeblichen Vertreibungsvorgang zurückgelegt wurden. Nach der überzeugenden Auffassung des BSG muss die Begünstigung durch das FRG auf die Fälle beschränkt sein, in denen der dargestellte Verlust von ausländischen Rentenanwartschaften durch ein Vertreibungstatbestand verursacht wird, da andernfalls die unterschiedliche Behandlung von Rentenversicherungszeiten im vertragslosen Ausland, je nachdem, ob sie von Vertriebenen oder nichtvertriebenen Versicherten zurückgelegt wurden, sachlich kaum zu rechtfertigen sei. Der in § 16 FRG niedergelegte Grundgedanke, wonach nur solche Zeiten den Bundesgebietszeiten gleichstehen, die vor der Vertreibung zurückgelegt worden sind, sei daher auch im Rahmen des § 15 FRG maßgeblich. Mit dem Ende der Vertreibung bleibe der Betroffene zwar Vertriebener, aber der durch das Vertreibungsschicksal erlittene rentenversicherungsrechtliche Nachteil könne sich nicht mehr verschlimmern.
Damit sind für die Klägerin im strittigen Zeitraum vom 8. September 1977 bis 31. Dezember 2002 keine Beitrags- oder Beschäftigungszeiten gemäß §§ 15, 16 FRG vorzumerken, da der maßgebliche Vertreibungsvorgang vor der Geburt der Klägerin abgeschlossen war. Eine später erfolgende weitere Verschleppung wurde von der Klägerin ausdrücklich in Abrede gestellt. Eine Vormerkung kommt damit selbst dann nicht in Betracht, wenn man der Klägerin aufgrund der Vertreibung der Eltern einen Vertriebenenstatus nach § 1 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 2 BVFG i.V.m. § 7 BVFG in der bis zum 31. Dezember 1992 gültigen Fassung zubilligt. Aus diesem Grund war es auch entbehrlich, dass die Beklagte ein Verfahren nach § 100 Abs. 3 S. 3 BVFG n.F. einleitet.
In der Beschränkung der Anrechnung von Versicherungszeiten auf Zeiten, die bis zum maßgeblichen Vertreibungsvorgang zurückgelegt worden sind, liegt auch kein Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz vor. Grundanliegen des FRG ist es, Nachteile in der gesetzlichen Rentenversicherung von Personen abzuwehren, denen die Realisierung ihrer in der früheren Heimat erarbeiteten Rentenanwartschaften von Deutschland aus abgeschnitten ist. Die Begünstigung durch das FRG muss dabei - wie oben ausgeführt - auf die Fälle beschränkt sein, in denen der dargestellte Verlust von ausländischen Rentenanwartschaften durch einen Vertreibungstatbestand verursacht wird. Das FRG gleicht also nur den Verlust von bis zur Vertreibung erworbenen Rentenanwartschaften aus, nicht jedoch eventuelle Schwierigkeiten beim Neuaufbau einer Altersversorgung (vgl. BSG, a.a.O.; BSGE 80, 186, 190).
Die anderen Alternativen des § 1 FRG sind offensichtlich nicht erfüllt. Insbesondere ist die Klägerin nicht infolge der Kriegsauswirkungen daran gehindert, den früher für sie zuständigen Versicherungsträger in Russland in Anspruch zu nehmen (vgl. § 1 Bst. b FRG). Auch wurde die Klägerin nicht nach dem 8. Mai 1945 in ein ausländisches Staatsgebiet zur Arbeitsleistung verbracht, sondern ihre Eltern. Hinterbliebene haben insoweit ggf. nur Ansprüche aus der Hinterbliebenenversorgung (vgl. § 1 Bst. c und e FRG). Schließlich ist die Klägerin auch nicht heimatlose Ausländerin im Sinne des § 1 Bst. d FRG. Ob die Klägerin Heimkehrerin ist, ist für die Frage, ob Beitragszeiten nach dem FRG anzuerkennen sind, unerheblich, da Heimkehrer nicht gemäß § 1 FRG in den Anwendungsbereich des FRG aufgenommen sind.
Die Berufung ist daher als unbegründet zurückzuweisen.
Soweit die Klägerin im Rahmen ihrer Berufung nunmehr nicht mehr nur die Vormerkung der Beitragszeiten vom 8. September 1977 bis 31. Dezember 2002 begehrt, sondern darüber hinaus die Vormerkung sämtlicher in der ehemaligen Sowjetunion zurückgelegten Versicherungszeiten (also auch die durch den angefochtenen Bescheid abgelehnten Anrechnungszeiten, Kindererziehungszeiten usw.) ist die im Wege der Klageänderung erweiterte Klage, auf die sich die Beklagte mit Schriftsatz vom 23. August 2010 rügelos eingelassen hat (vgl. § 153 Abs. 1 i.V.m. § 99 Abs. 2 SGG), unzulässig. Die im Berufungsver-
fahren erweiterte Klage ist vom Senat abzuweisen, da das SG hierüber - zu Recht - nicht entschieden hat.
Die Unzulässigkeit der insoweit erweiterten Klage folgt aus dem Umstand, dass die Klägerin bereits ihren Widerspruch und im Anschluss daran auch die Klage vor dem SG auf die "Arbeitszeiten" der Klägerin beschränkt hat. Für das Widerspruchsverfahren ergibt sich dies schon aus der Übersendung des Formblatts mit Schreiben vom 4. August 2007, in dem nur die Zeit ab 8. September 1977 bis 31. Dezember 2002 aufgeführt worden sind. Hieraus ist zu entnehmen, dass die Klägerin sich gegen die Nichtberücksichtigung dieser Zeiten wendet. Dementsprechend hat der Bevollmächtigte in der Klagebegründung keinen Zweifel daran gelassen, dass sich die Klägerin durch die Nichtanerkennung von Arbeitszeiten (und damit eben nicht von Anrechnungszeiten aufgrund von Ausbildung usw.) beschwert fühlt. Das SG hat damit zu Recht nur den Zeitraum 8. September 1977 bis 31. Dezember 2002 mit Zeiten aufgrund einer Beschäftigung als streitbefangen angesehen. Die sonstigen Zeiten waren weder Gegenstand des Widerspruchs- noch des Klageverfahrens. Insoweit ist der Bescheid vom 27. Juni 2007 bestandkräftig geworden. Die gem. § 77 SGG eingetretene Bindungswirkung kann durch eine nachträglich gestellten Antrag nicht mehr beseitigt werden Die geänderte Klage ist insoweit damit unzulässig (vgl. Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, § 99 Rn. 13a).
Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) berücksichtigt den Umstand, dass die Klägerin auch im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht ersichtlich.
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