L 7 P 23/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 P 103/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 P 23/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 10.04.2000 aufgehoben.
II. Der Bescheid der Beklagten vom 29.06.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.10.1998 wird aufgehoben.
III. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über den Anspruch der Klagepartei auf Leistungen nach der Pflegestufe I aus dem Recht der gesetzlichen Pflegeversicherung für die Zeit vom 01.07.1998 bis 28.02.2000.

Der am ...1950 geborene Kläger leidet im wesentlichen an einer erheblichen Hüftgelenkserkrankung beiderseits, einem degenerativen Wirbelsäulenleiden, an Bluthochdruck und einer Überfunktion der Schilddrüse. Bis 28.02.1998 war der Kläger Mitglied der Pflegekasse der AOK Thüringen, seither ist er in der Pflegekasse der AOK Bayern versichert.

Wegen eines Antrages des Klägers auf Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung wurde er am 17.03.1995 durch den Diplommediziner K ... vom MDK in Erfurt untersucht; mit Gutachten vom 04.04.1995 verneinte dieser das Bestehen der Voraussetzungen von Pflegebedürftigkeit im Sinne der gesetzlichen Pflegeversicherung. Mit Bescheid vom 13.04.1995 lehnte die AOK Thüringen den Antrag des Klägers ab. Auf seinen Widerspruch hin wurde der Kläger am 15.07.1995 vom Arzt Dr. Kü ... vom MDK in Erfurt untersucht. In seinem Gutachten vom 24.07.1995 kam dieser Arzt zu dem Ergebnis, der Kläger benötige ein Mal täglich Teilhilfe beim Waschen, ein Mal täglich Hilfe beim Duschen und ein Mal täglich Teilhilfe beim An- bzw. Auskleiden, sowie in größerem Umfang Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung. Denn beim Waschen sei Hilfe erforderlich für das Waschen von Rücken und Füßen, außerdem müsse ihm geholfen werden beim Anziehen von Strümpfen und Schuhen; die Voraussetzungen für die Pflegestufe I seien nicht gegeben. Daraufhin erging der Widerspruchsbescheid vom 19.10.1995.

Am 10.10.1996 fand sodann wegen der Ansprüche des Klägers eine Verhandlung vor dem Sozialgericht Gotha statt, in welcher der Kläger ausweislich der Niederschrift erklärte, der Hilfebedarf sei noch höher, als in einem dem Sozialgericht vorgelegten Befundbericht beschrieben, denn er stehe jeden Tag mit seiner Frau um 05.00 Uhr auf, dann wasche sie ihn und ziehe ihn an, das dauere ungefähr eine halbe Stunde; abends dusche er; das Duschen erfordere mehr Zeitaufwand als das Waschen, ungefähr eine Stunde mit An- und Ausziehen; schließlich brauche er auch noch frische Luft; wenn seine Frau nach Hause komme, dann gingen sie manchmal nach draußen, dann müsse er auch wieder an- und ausgezogen werden. Daraufhin erklärte der Vertreter der seinerzeitigen Beklagten, der AOK Thüringen, er hebe den Bescheid der Beklagten vom 13.04.1995 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.10.1995 auf; die Beklagte werde dem Kläger rückwirkend ab 01.04.1995 Pflegegeld der Pflegestufe I in Höhe von DM 400,00 monatlich zahlen. Dies geschah dann auch.

Mit Schreiben vom 12.03.1998 teilte die Beklagte, die Pflegekasse der AOK Bayern, dem Kläger mit, nachdem er ab 01.03.1998 von der Direktion Kaufbeuren-Ostallgäu der Beklagten betreut werde, "zahlen wir ab diesem Zeitpunkt Pflegegeld der Pflegestufe I in Höhe von monatlich 400,00 DM, das jeweils am Monatsanfang überwiesen wird. Die Nachzahlung von 400,00 DM vom 01.03.1998 bis 31.03.1998 erhalten Sie in den nächsten Tagen ..." Mit Gutachten vom 05.06.1998 kam Dr. W ... vom MDK Bayern aufgrund der Feststellungen bei einem Hausbesuch des Klägers am 25.05.1998 zu dem Ergebnis, der Hilfebedarf bei der Körperpflege betrage im Tagesdurchschnitt 8 Minuten, beim Duschen bzw. Baden 15 Minuten und beim An- und Auskleiden 7 Minuten, außerdem gebe es Hilfebedarf im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung. Pflegebedürftigkeit liege nicht vor. Mit Schreiben vom 09.06.1998 hörte die Beklagte den Kläger zu diesen Feststellungen. Dieser protestierte mit Schreiben vom 21.06.1998. Gleichwohl stellte die Beklagte durch Bescheid vom 29.06.1998 die Zahlung des Pflegegeldes zum 01.07.1998 ein, teilte dem Kläger aber mit, sie werde sein Schreiben vom 21.06.1998 als Widerspruch behandeln. Nunmehr erstellte der MDK Bayern das Gutachten vom 02.10.1998, welches zu dem Ergebnis kommt, die Situation entspreche unverändert dem bereits bei den beiden Vorbegutachtungen von 1995 ermittelten Hilfebedarf, die Zuordnung zur Pflegestufe I könne damit weiterhin nicht erfolgen. Mit Widerspruchsbescheid vom 19.10.1998 bestätigte die Beklagte ihre Entscheidung vom 29.06.1998 und berief sich dabei ausdrücklich auf das Gutachten vom 02.10.1998.

Das dagegen angerufene Sozialgericht Augsburg holte das Gutachten des Dr. R ... vom 10.07.1999 ein, in welchem der Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege mit 36 Minuten im Tagesdurchschnitt ermittelt wurde. Mit Urteil vom 10.04.2000 wies es die Klage ab; die Ermittlungen der Beklagten seien zutreffend; im übrigen ergebe sich auch aus dem zwischenzeitlich gestellten Neufeststellungsantrag des Klägers vom 17.02.2000, dass sein Leidensbild schwankend sei.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers.

Er beantragt,

das Ersturteil und die zugrundeliegenden Bescheide der Beklagten aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 01.07.1998 Leistungen nach der Pflegestufe I zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt dazu vor, im fraglichen Zeitraum habe der Kläger die Voraussetzungen für Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung nicht erfüllt; aufgrund seines Neufeststellungsantrages erhalte er infolge eines entsprechenden neuen Gutachtensergebnisses seit 01.03.2000 Pflegegeld nach der Pflegestufe I.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und die zugrundeliegenden Beweismittel Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist auch begründet. Das angefochtene Urteil und die zugrundeliegenden Bescheide der Beklagten tragen der Rechtslage nur bedingt Rechnung. Die Voraussetzungen für eine Entziehung der seitens der Beklagten mit Bescheid vom 12.03.1998 zugesagten Zahlung von Pflegegeld nach der Pflegestufe I aus der gesetzlichen Pflegeversicherung haben nicht vorgelegen. Denn der Tatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist nicht erfüllt.

Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist.

Dies trifft hier indes nicht zu.

Zwar ist der Bescheid vom 12.03.1998 ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, denn mit ihm hat die Beklagte die laufende Zahlung von Pflegegeld nach der Pflegestufe I zugesagt.

Es lässt sich aber nicht feststellen, dass in den tatsächlichen Verhältnissen, die der Bewilligung des Pflegegeldes durch die Beklagte zugrunde gelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten wäre. Dies hat zur Folge, dass es unabhängig von den "wahren" materiellrechtlichen Gegebenheiten hier solange bei der mit Bescheid vom 12.03.1998 getroffenen Festlegung auf die Pflegestufe I bleiben muss, wie die von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X geforderte wesentliche Änderung nicht erwiesen ist. Daß diese erwiesen wäre, davon kann jedoch keine Rede sein. Denn der Nachweis einer solchen wesentlichen Änderung käme hier nur in Betracht, wenn festgestellt werden könnte, dass bei Erlaß des Bescheides vom 12.03.1998 in der Tat die Voraussetzungen der Pflegestufe I bestanden hätten. Dafür gibt es aber nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme keinen ausreichenden Anhalt. Denn keines der zu dieser Frage erstellten Gutachten enthält Feststellungen, die dies bestätigen.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Gotha Umstände dargelegt hat, die den dortigen Beklagtenvertreter schließlich zur Bewilligung von Leistungen nach der Pflegestufe I veranlasst haben. Denn den Schilderungen des Klägers vor dem Sozialgericht Gotha kommt insoweit nur die Bedeutung eines Parteivorbringens zu, das allenfalls weitere Aufklärung erforderlich gemacht hätte. Diese weitere Aufklärung hat dann - im Rahmen des vorliegenden Verfahrens - auch stattgefunden, sie hat jedoch nicht ergeben, dass der Kläger im fraglichen Zeitpunkt tatsächlich die Voraussetzungen der Pflegestufe I erfüllt hätte; vielmehr haben schon damals alle hierüber eingeholten Gutachten diese Voraussetzungen in Abrede gestellt, und auch die später eingeholten Gutachten lassen das Vorliegen der Voraussetzungen der Pflegestufe I im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 12.03.1998 mehr als fraglich erscheinen.

Die Entscheidung über die Kosten ergeht im Rahmen der §§ 193, 202 SGG, 91 ff. ZPO. Ein Grund für die Zulassung der Revision besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
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