Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
30
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 30 SO 106/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1) Sozialhilfeempfänger nach dem SGB XII, die keine weiteren Einkünfte erzielen, sind nicht verpflilchtet den erhöhten Beitragssatz nach § 55 Abs. 3 Satz 1 SGB XI zu tragen. Der Sozialhilfeträger ist daher auch nicht berechtigt, den Sozialhilfeanspruch eines Leistungsempfängers gemäß § 60 Abs. 5 Satz 2 und 3 SGB XI zu kürzen.
2) § 55 Abs. 3 Satz 1 SGB XI erfordert das Vorliegen des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals der Leistungsfähigkeit eines Sozialhilfeempfängers.
3) Sozialhilfeempfänger ohne eigene weitere Einkünfte profitieren alternativ vom Ausschlusstatbestand § 55 Abs. 3 Satz 7 SGB XI in analoger Anwendung, weil der Gesetzgeber mit diesem Ausschlusstatbestand eine unbewusste Regelungslücke gelassen hat und diese unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes gemäß Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz zu schließen ist. Sozialhilfeempfänger ohne eigenes Enkommen stellen eine vergleichbare Personengruppe mit den in dieser Vorschrift ausdrücklich genannten Beziehern von Arbeitslosengeld II dar.
2) § 55 Abs. 3 Satz 1 SGB XI erfordert das Vorliegen des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals der Leistungsfähigkeit eines Sozialhilfeempfängers.
3) Sozialhilfeempfänger ohne eigene weitere Einkünfte profitieren alternativ vom Ausschlusstatbestand § 55 Abs. 3 Satz 7 SGB XI in analoger Anwendung, weil der Gesetzgeber mit diesem Ausschlusstatbestand eine unbewusste Regelungslücke gelassen hat und diese unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes gemäß Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz zu schließen ist. Sozialhilfeempfänger ohne eigenes Enkommen stellen eine vergleichbare Personengruppe mit den in dieser Vorschrift ausdrücklich genannten Beziehern von Arbeitslosengeld II dar.
1. Der Bescheid der Beklagten vom 19.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2010 wird aufgehoben. 2. Etwaige außergerichtliche Kosten trägt die Beklagte. 3. Der Streitwert wird festgesetzt auf 25,20 EUR. 4. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Absenkung des bewilligten Regelsatzes in Höhe von 2,10 EUR und zwar rückwirkend zum Juli 2009.
Der Kläger steht seit dem 01.07.2009 im Leistungsbezug bei der Beklagten und erhält Regelsatzleistungen nach dem dritten Kapitel SGB XII. Er ist freiwilliges Mitglied der Deutschen Betriebskrankenkasse, kinderlos und erzielt kein weiteres Einkommen. Die BKK setzte aufgrund des sog. Kinderberücksichtigungsgesetzes zum 01.05.2005 den Beitrag zur Pflegeversicherung unter Berücksichtigung eines Zuschlages von 0,25 % für Kinderlose neu fest.
Mit Bescheid vom 19.11.2009 kürzte die Beklagte den Regelsatz rückwirkend zum Juli 2009 um monatlich 2,10 EUR. Der Bescheid enthielt zunächst keine Begründung. Auf persönliche Nachfrage des Klägers teilte die Beklagte diesem mit, dies stelle der Beitragszuschlag für Kinderlose in der Pflegeversicherung dar.
Hiergegen legte der Kläger mit Datum vom 19.12.2009 Widerspruch ein, der Regelsatz umfasse Beiträge für die Pflegeversicherung nicht, eine Regelsatzkürzung sei daher unzulässig.
Den Widerspruch wies die Widerspruchsstelle mit Widerspruchsbescheid vom 01.02.2010 als unbegründet zurück. Die Beklagte führte hierzu aus, sie habe mit dem streitigen Ausgangsbescheid die wegen der Nachzahlung an die BKK notwendige Kürzung des Regelsatzes vorgenommen, die aufgrund des erhöhten Beitrags um 0,25 % einen Betrag von 2,10 EUR ausmache. Nach § 55 Abs. 3 SGB XI trage der Kinderlose diesen Beitragszuschlag selbst.
Mit seiner Klage vom 28.02.2010, beim Sozialgericht Düsseldorf am 02.03.2010 eingegangen, verfolgt der Kläger weiterhin sein Begehren auf Aufhebung des Ausgangsbescheids in Gestalt des Widerspruchsbescheids.
Der Kläger ist der Ansicht, der Beitragszuschlag entfalle nicht auf Personen, die ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten könnten. Diese Beiträge würden nach § 32 SGB XII, insbesondere nach Abs. 3 durch die Beklagte getragen. Nach der Regelsatzverordnung nach § 2 seien Beiträge für die Pflegeversicherung nicht vorgesehen. Nach § 42 Abs. 3 SGB XII umfassten die Leistungen zur Grundsicherung bei Erwerbsminderung auch die Übernahme der Beiträge zur Pflegeversicherung.
Der Kläger beantragt,
der Bescheid der Beklagten vom 19.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2010 wird aufgehoben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, die Heranziehung von Kinderlosen zur gesetzlichen Pflegeversicherung sei durch das BSG (B 12 KR 14/09 R) anerkannt. Nach § 59 Abs. 5 SGB XI, der für nicht versicherungspflichtig Beschäftigte gelte, habe der Kläger als freiwillig Versicherter die Beiträge selbst zu tragen. Dies ergäbe sich auch aus § 60 SGB XI, der das Beitragszahlverfahren näher konkretisiere und ebenfalls den Kläger verpflichte. Abs. 5 S. 2 und 3 regele darüber hinaus, dass ein Dritter, der die Beiträge leiste, den Beitrag von den Leistungen in Abzug bringen könne, die dieser seinerseits dem Versicherten erbringe. Diese Vorschrift sei einschlägig.
Der vom BSG festgestellte Vorteil kinderloser Versicherter in der Pflegeversicherung sei zu kompensieren und könne nur durch Leistungskürzung bei Empfängern von Leistungen nach dem SGB XII kompensiert werden. Die Nichtanrechnung würde letztlich auf eine Beitragsermäßigung für Kinderlose hinauslaufen und diese Personengruppe ungerechtfertigt bereichern. Außerdem habe der Gesetzgeber den Personenkreis, der zur Zahlung des erhöhten Beitragssatzes heranzuziehen sei abschließend geregelt, eine Sonderregelung im SGB XII sei gerade nicht verankert worden.
Die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten (Kd.-Nr. 830386) lag vor. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Verfahrens sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte sowie den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I. Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben worden. Sie ist im Übrigen auch zulässig und als Anfechtungsklage im Sinne von § 54 I SGG statthaft.
II. Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Kläger ist nicht verpflichtet, den erhöhten Beitragssatz in der Pflegeversicherung für Kinderlose gemäß § 55 Abs. 3 Satz 1 SGB XI zu tragen. Die Beklagte war daher im Sinne von § 60 Abs. 5 Satz 2 SGB XI nicht berechtigt, den monatlich erhöhten Beitragssatz in Höhe von 2,10 EUR vom Leistungssatz mit den angefochtenen Bescheiden in Abzug zu bringen. Die Bescheide sind daher aufzuheben.
1. Bereits die Verpflichtungsvoraussetzungen nach § 55 Abs. 3 Satz 1 SGB XI sind in der Person des Klägers nicht erfüllt. Danach erhöht sich der Beitragssatz nach Absatz 1 Satz 1 und 2 in der Pflegeversicherung für Mitglieder nach Ablauf des Monats, in dem sie das 23. Lebensjahr vollendet haben, um einen Beitragszuschlag in Höhe von 0,25 Beitragssatzpunkten (Beitragszuschlag für Kinderlose). Die ausdrücklichen Voraussetzungen der Norm sind zwar in der Person des Klägers erfüllt. Nach Ansicht des Gerichtes erfüllt der Kläger jedoch ein weiteres ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Vorschrift nicht. Der Kläger ist nicht leistungsfähig im Sinne der Vorschrift. Der Kläger erzielt außer den Leistungen zur Grundsicherung, die er auf der Grundlage der Vorschriften des SGB XII erhält, keine weiteren Einkünfte, die sein soziokulturelles Existenzminimum erhöhen. Das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 05.05.2010 (BSG, Urteil vom 05.05.2010, Aktenzeichen: B 12 KR 14/09 R, insb. Rdn. 26) in einem obiter dictum ausgeführt, dass der Kläger trotz der Pflicht zur Zahlung und Tragung des Beitragszuschlags für Kinderlose als Sozialhilfeempfänger gegenüber einem kinderlosen Arbeitslosengeld II-Empfänger im Ergebnis nicht benachteiligt ist, weil er den Beitragszuschlag vom ansonsten auf die Sozialhilfeleistung anzurechnenden Einkommen absetzen kann und sich seine wirtschaftliche Lage durch den Zuschlag nicht verändert.
Der Kläger in diesem Verfahren hat neben seinem Sozialhilfebezug auch geringfügige Einkünfte in Höhe von rund 80 EUR aus einer Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen erzielt. Mit diesen Einkünften lag der Kläger unter Berücksichtigung des Regelsatzes deutlich über dem soziokulturellen Existenzminimum, mit dem die zum Leben notwendigen Bedarfe abgedeckt sind. Aus diesen überschießenden Einkünften kann der Betreffende den erhöhten Beitragssatz zur Pflegeversicherung für Kinderlose erbringen. Die Erzielung weiterer Einkünfte neben dem Bezug von Grundsicherungsleistung stellt daher eine notwendige Voraussetzung für die Heranziehung nach § 55 Abs. 3 Satz 1 SGB XI dar, die der Kläger jedoch nicht erfüllt.
2) Außerdem greift für den Kläger in analoger Anwendung auch der Ausschlussgrund nach § 55 Abs. 3 Satz 7 SGB XI. Danach gilt die Heranziehung zum erhöhten Beitrag nach § 55 Abs. 3 Satz 1 SGB XI nicht für Mitglieder, die vor dem 1. Januar 1940 geboren wurden, für Wehr- und Zivildienstleistende sowie für Bezieher von Arbeitslosengeld II. Zwar erfasst der Gesetzgeber mit diesem Ausschlusstatbestand nicht ausdrücklich auch die Personengruppe der Sozialhilfeempfänger nach dem SGB XII. Wohl aber ist die Vorschrift des § 55 Abs. 3 Satz 7 SGB XI analog auf diese Personengruppe anzuwenden. Der Gesetzgeber hat hier eine unbewusste Regelungslücke gelassen. Das Gesetz zur Berücksichtigung von Kindererziehung im Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung (KiBG) stammt vom 15. Dezember 2004 und ist erst zum 1. Januar 2005 in Kraft getreten. Mit Verabschiedung des Gesetzes gab es das neue Sozialhilferecht noch nicht, das ebenfalls erst zum 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist. Ausweislich der Begründung hat der Gesetzgeber keine Gedanken zu dem Ausschlusstatbestand nach § 55 Abs. 3 Satz 7 SGB XI angestellt (vergleiche BT-Drucksache 16/7772 vom 17. Januar 2008, Seite 10,11). Es gebietet der Gleichbehandlungsgrundsatz im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz die Gleichbehandlung von Sozialhilfeempfängern mit Empfängern von Arbeitslosengeld II, weil und soweit diese Personengruppen keine zusätzlichen Einkünfte erzielen. Insoweit ist der Sozialhilfeempfänger auch nicht vergleichbar mit einem schwer behinderten Menschen, der weitere Einkünfte aus einer Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen erzielt.
In diesem Zusammenhang trägt auch das von der Beklagten vorgetragene Argument einer Bevorzugung von kinderlosen Sozialhilfeempfängern nicht, die nur durch Kürzung des Leistungssatzes praktisch mit Sozialhilfeempfängern mit Kindern gleichgestellt werden könnten. Die Intention des Gesetzgebers, den mangelnden generativen Beitrag von Kinderlosen durch einen erhöhten Beitragssatz zu kompensieren, um so dem Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Rechnung zu tragen steht in Konkurrenz zum verfassungsrechtlichen Sozialstaatsprinzip, nach der der Gesetzgeber verpflichtet ist, das soziokulturelle Existenzminimum sicherzustellen. Dieser unverbrüchliche Kern zur Sicherung menschlicher Existenz stellt bei Arbeitslosengeld II Empfängern wie auch bei Sozialhilfeempfänger, die keine weiteren Einkünfte haben, den Grund für die Ungleichbehandlung mit allen übrigen leistungsfähigen Kinderlosen dar.
Das Gericht weist abschließend darauf hin, dass auch die Rechtsprechung den Ausschlusstatbestand nach § 55 Abs. 3 Satz 7 SGB XI als offenen Tatbestand ansieht und weitere, in der Vorschrift nicht genannte Vergleichsgruppen auf eine mögliche Anwendung dieses Ausschlusstatbestand hin prüft (so ausdrücklich für Beschäftigte in Behindertenwerkstätten, hier aber verneinend: Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 6.2.2009, Aktenzeichen L 5 KR 234/07).
Nach alldem war der Klage stattzugeben.
III. Das Gericht hat die Berufung zugelassen, weil die Voraussetzungen der § 144 II Nr. 1 SGG vorliegen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.
&8195;
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Absenkung des bewilligten Regelsatzes in Höhe von 2,10 EUR und zwar rückwirkend zum Juli 2009.
Der Kläger steht seit dem 01.07.2009 im Leistungsbezug bei der Beklagten und erhält Regelsatzleistungen nach dem dritten Kapitel SGB XII. Er ist freiwilliges Mitglied der Deutschen Betriebskrankenkasse, kinderlos und erzielt kein weiteres Einkommen. Die BKK setzte aufgrund des sog. Kinderberücksichtigungsgesetzes zum 01.05.2005 den Beitrag zur Pflegeversicherung unter Berücksichtigung eines Zuschlages von 0,25 % für Kinderlose neu fest.
Mit Bescheid vom 19.11.2009 kürzte die Beklagte den Regelsatz rückwirkend zum Juli 2009 um monatlich 2,10 EUR. Der Bescheid enthielt zunächst keine Begründung. Auf persönliche Nachfrage des Klägers teilte die Beklagte diesem mit, dies stelle der Beitragszuschlag für Kinderlose in der Pflegeversicherung dar.
Hiergegen legte der Kläger mit Datum vom 19.12.2009 Widerspruch ein, der Regelsatz umfasse Beiträge für die Pflegeversicherung nicht, eine Regelsatzkürzung sei daher unzulässig.
Den Widerspruch wies die Widerspruchsstelle mit Widerspruchsbescheid vom 01.02.2010 als unbegründet zurück. Die Beklagte führte hierzu aus, sie habe mit dem streitigen Ausgangsbescheid die wegen der Nachzahlung an die BKK notwendige Kürzung des Regelsatzes vorgenommen, die aufgrund des erhöhten Beitrags um 0,25 % einen Betrag von 2,10 EUR ausmache. Nach § 55 Abs. 3 SGB XI trage der Kinderlose diesen Beitragszuschlag selbst.
Mit seiner Klage vom 28.02.2010, beim Sozialgericht Düsseldorf am 02.03.2010 eingegangen, verfolgt der Kläger weiterhin sein Begehren auf Aufhebung des Ausgangsbescheids in Gestalt des Widerspruchsbescheids.
Der Kläger ist der Ansicht, der Beitragszuschlag entfalle nicht auf Personen, die ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten könnten. Diese Beiträge würden nach § 32 SGB XII, insbesondere nach Abs. 3 durch die Beklagte getragen. Nach der Regelsatzverordnung nach § 2 seien Beiträge für die Pflegeversicherung nicht vorgesehen. Nach § 42 Abs. 3 SGB XII umfassten die Leistungen zur Grundsicherung bei Erwerbsminderung auch die Übernahme der Beiträge zur Pflegeversicherung.
Der Kläger beantragt,
der Bescheid der Beklagten vom 19.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2010 wird aufgehoben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, die Heranziehung von Kinderlosen zur gesetzlichen Pflegeversicherung sei durch das BSG (B 12 KR 14/09 R) anerkannt. Nach § 59 Abs. 5 SGB XI, der für nicht versicherungspflichtig Beschäftigte gelte, habe der Kläger als freiwillig Versicherter die Beiträge selbst zu tragen. Dies ergäbe sich auch aus § 60 SGB XI, der das Beitragszahlverfahren näher konkretisiere und ebenfalls den Kläger verpflichte. Abs. 5 S. 2 und 3 regele darüber hinaus, dass ein Dritter, der die Beiträge leiste, den Beitrag von den Leistungen in Abzug bringen könne, die dieser seinerseits dem Versicherten erbringe. Diese Vorschrift sei einschlägig.
Der vom BSG festgestellte Vorteil kinderloser Versicherter in der Pflegeversicherung sei zu kompensieren und könne nur durch Leistungskürzung bei Empfängern von Leistungen nach dem SGB XII kompensiert werden. Die Nichtanrechnung würde letztlich auf eine Beitragsermäßigung für Kinderlose hinauslaufen und diese Personengruppe ungerechtfertigt bereichern. Außerdem habe der Gesetzgeber den Personenkreis, der zur Zahlung des erhöhten Beitragssatzes heranzuziehen sei abschließend geregelt, eine Sonderregelung im SGB XII sei gerade nicht verankert worden.
Die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten (Kd.-Nr. 830386) lag vor. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Verfahrens sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte sowie den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I. Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben worden. Sie ist im Übrigen auch zulässig und als Anfechtungsklage im Sinne von § 54 I SGG statthaft.
II. Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Kläger ist nicht verpflichtet, den erhöhten Beitragssatz in der Pflegeversicherung für Kinderlose gemäß § 55 Abs. 3 Satz 1 SGB XI zu tragen. Die Beklagte war daher im Sinne von § 60 Abs. 5 Satz 2 SGB XI nicht berechtigt, den monatlich erhöhten Beitragssatz in Höhe von 2,10 EUR vom Leistungssatz mit den angefochtenen Bescheiden in Abzug zu bringen. Die Bescheide sind daher aufzuheben.
1. Bereits die Verpflichtungsvoraussetzungen nach § 55 Abs. 3 Satz 1 SGB XI sind in der Person des Klägers nicht erfüllt. Danach erhöht sich der Beitragssatz nach Absatz 1 Satz 1 und 2 in der Pflegeversicherung für Mitglieder nach Ablauf des Monats, in dem sie das 23. Lebensjahr vollendet haben, um einen Beitragszuschlag in Höhe von 0,25 Beitragssatzpunkten (Beitragszuschlag für Kinderlose). Die ausdrücklichen Voraussetzungen der Norm sind zwar in der Person des Klägers erfüllt. Nach Ansicht des Gerichtes erfüllt der Kläger jedoch ein weiteres ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Vorschrift nicht. Der Kläger ist nicht leistungsfähig im Sinne der Vorschrift. Der Kläger erzielt außer den Leistungen zur Grundsicherung, die er auf der Grundlage der Vorschriften des SGB XII erhält, keine weiteren Einkünfte, die sein soziokulturelles Existenzminimum erhöhen. Das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 05.05.2010 (BSG, Urteil vom 05.05.2010, Aktenzeichen: B 12 KR 14/09 R, insb. Rdn. 26) in einem obiter dictum ausgeführt, dass der Kläger trotz der Pflicht zur Zahlung und Tragung des Beitragszuschlags für Kinderlose als Sozialhilfeempfänger gegenüber einem kinderlosen Arbeitslosengeld II-Empfänger im Ergebnis nicht benachteiligt ist, weil er den Beitragszuschlag vom ansonsten auf die Sozialhilfeleistung anzurechnenden Einkommen absetzen kann und sich seine wirtschaftliche Lage durch den Zuschlag nicht verändert.
Der Kläger in diesem Verfahren hat neben seinem Sozialhilfebezug auch geringfügige Einkünfte in Höhe von rund 80 EUR aus einer Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen erzielt. Mit diesen Einkünften lag der Kläger unter Berücksichtigung des Regelsatzes deutlich über dem soziokulturellen Existenzminimum, mit dem die zum Leben notwendigen Bedarfe abgedeckt sind. Aus diesen überschießenden Einkünften kann der Betreffende den erhöhten Beitragssatz zur Pflegeversicherung für Kinderlose erbringen. Die Erzielung weiterer Einkünfte neben dem Bezug von Grundsicherungsleistung stellt daher eine notwendige Voraussetzung für die Heranziehung nach § 55 Abs. 3 Satz 1 SGB XI dar, die der Kläger jedoch nicht erfüllt.
2) Außerdem greift für den Kläger in analoger Anwendung auch der Ausschlussgrund nach § 55 Abs. 3 Satz 7 SGB XI. Danach gilt die Heranziehung zum erhöhten Beitrag nach § 55 Abs. 3 Satz 1 SGB XI nicht für Mitglieder, die vor dem 1. Januar 1940 geboren wurden, für Wehr- und Zivildienstleistende sowie für Bezieher von Arbeitslosengeld II. Zwar erfasst der Gesetzgeber mit diesem Ausschlusstatbestand nicht ausdrücklich auch die Personengruppe der Sozialhilfeempfänger nach dem SGB XII. Wohl aber ist die Vorschrift des § 55 Abs. 3 Satz 7 SGB XI analog auf diese Personengruppe anzuwenden. Der Gesetzgeber hat hier eine unbewusste Regelungslücke gelassen. Das Gesetz zur Berücksichtigung von Kindererziehung im Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung (KiBG) stammt vom 15. Dezember 2004 und ist erst zum 1. Januar 2005 in Kraft getreten. Mit Verabschiedung des Gesetzes gab es das neue Sozialhilferecht noch nicht, das ebenfalls erst zum 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist. Ausweislich der Begründung hat der Gesetzgeber keine Gedanken zu dem Ausschlusstatbestand nach § 55 Abs. 3 Satz 7 SGB XI angestellt (vergleiche BT-Drucksache 16/7772 vom 17. Januar 2008, Seite 10,11). Es gebietet der Gleichbehandlungsgrundsatz im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz die Gleichbehandlung von Sozialhilfeempfängern mit Empfängern von Arbeitslosengeld II, weil und soweit diese Personengruppen keine zusätzlichen Einkünfte erzielen. Insoweit ist der Sozialhilfeempfänger auch nicht vergleichbar mit einem schwer behinderten Menschen, der weitere Einkünfte aus einer Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen erzielt.
In diesem Zusammenhang trägt auch das von der Beklagten vorgetragene Argument einer Bevorzugung von kinderlosen Sozialhilfeempfängern nicht, die nur durch Kürzung des Leistungssatzes praktisch mit Sozialhilfeempfängern mit Kindern gleichgestellt werden könnten. Die Intention des Gesetzgebers, den mangelnden generativen Beitrag von Kinderlosen durch einen erhöhten Beitragssatz zu kompensieren, um so dem Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Rechnung zu tragen steht in Konkurrenz zum verfassungsrechtlichen Sozialstaatsprinzip, nach der der Gesetzgeber verpflichtet ist, das soziokulturelle Existenzminimum sicherzustellen. Dieser unverbrüchliche Kern zur Sicherung menschlicher Existenz stellt bei Arbeitslosengeld II Empfängern wie auch bei Sozialhilfeempfänger, die keine weiteren Einkünfte haben, den Grund für die Ungleichbehandlung mit allen übrigen leistungsfähigen Kinderlosen dar.
Das Gericht weist abschließend darauf hin, dass auch die Rechtsprechung den Ausschlusstatbestand nach § 55 Abs. 3 Satz 7 SGB XI als offenen Tatbestand ansieht und weitere, in der Vorschrift nicht genannte Vergleichsgruppen auf eine mögliche Anwendung dieses Ausschlusstatbestand hin prüft (so ausdrücklich für Beschäftigte in Behindertenwerkstätten, hier aber verneinend: Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 6.2.2009, Aktenzeichen L 5 KR 234/07).
Nach alldem war der Klage stattzugeben.
III. Das Gericht hat die Berufung zugelassen, weil die Voraussetzungen der § 144 II Nr. 1 SGG vorliegen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.
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Rechtskraft
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