L 14 RA 53/98

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 RA 185/94
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 RA 53/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Unterhaltsanspruch besteht trotz Vorliegens eines Vollstreckungstitels nicht, wenn die frühere Ehefrau durch das jahrelange Aussetzen mit der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen zum Ausdruck brachte, dass sie eine Vollstreckung gar nicht versuchen wollte und sich der Versicherte umgekehrt auf die Erfolglosigkeit eines solchen Versuches verlassen konnte.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 18. März 1998 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens für die Beigeladene. Weitere außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung einer Geschiedenenwitwenrente.

Die 1936 geborene Klägerin und der 1913 geborene Versicherte schlossen am 30.04.1961 die Ehe. Aus dieser entstammen zwei Kinder (geb. 30.09.1962 bzw. 22.10.1964). Die Ehe wurde durch Urteil des Landgerichts Ansbach am 18.09.1972 aus beiderseitigem Verschulden geschieden mit der Vereinbarung, der Versicherte zahle an die Klägerin ohne Anerkennung einer Rechtspflicht ab 01.10.1972 einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 300 DM.

Der Versicherte heiratete am 02.12.1972 die 1930 geborene Beigeladene. Aus dieser Verbindung stammt die am 21.04.1967 geborene Tochter. Der Versicherte bezog bis zu seinem Tode am 31.12.1989 eine Altersrente, die ihm mit Vollendung des 63. Lebensjahres bewilligt worden war (Bescheid der Beklagten vom 16.10.1976). Zur Rentenantragstellung hatte er angegeben, an die Klägerin 300 DM, an die Kinder aus erster Ehe 350,00 DM monatlichen Unterhalt zu zahlen sowie der Klägerin das Kindergeld zu überlassen. Zum Zeitpunkt des Todes belief sich die Altersrente auf 2.329,87 DM netto.

Die Klägerin, eine selbständige Versicherungsvertreterin, erzielte im Jahre 1989 ausweislich des Einkommensteuerbescheides des Finanzamts Ansbach Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 19.592,00 DM, womit ihr jährlich ein Nettoeinkommen von 15.254,00 DM (monatlich 1.271,00 DM) zustand.

Die Beigeladene bezieht von der Beklagten ab 01.01.1990 die große Witwenrente.

Den Antrag der Klägerin vom September 1992 auf Gewährung von Hinterbliebenenrente mit der Begründung, sie habe bis 1987 ihren Lebensunterhalt aus den Unterhaltszahlungen des Versicherten bestritten, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 23.07.1993 ab: Der Versicherte habe im letzten Jahr vor dem Tode tatsächlich keinen Unterhalt geleistet. Mit dem Widerspruch hiergegen verwies die Klägerin auf den mit der Scheidung vereinbarten Unterhaltsvergleich, aus dem nachfolgend eine echte Unterhaltsverpflichtung geworden sei. Im zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 05.08.1994 nahm die Beklagte auf ihre Darstellung der Sach- und Rechtslage vom 30.09.1993 Bezug, wonach bei der Klägerin zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten keine Unterhaltsbedürftigkeit vorgelegen habe.

Mit der Klage vertrat die Klägerin die Auffassung, der Umstand, nur bis 1987 Unterhalt erhalten zu haben, sei unschädlich, da für sie durch den Unterhaltsvergleich ein Titel vorgelegen habe, der auch nicht durch eine Abänderungsklage beseitigt worden sei. Gleichzeitig legte sie eine Abrechnung ihres Arbeitgebers für das Jahr 1989 vor mit einer Gesamtauszahlung von ca. 39.800 DM und einer Gehaltsauszahlung für den Monat Dezember 1989 in Höhe von 3.673,17 DM.

Mit Beschluss vom 21.11.1997 lud das Sozialgericht die Witwe zum Verfahren bei.

Diese trug vor, Unterhaltszahlungen an die Klägerin seien nur bis 1982 geflossen, lediglich für die Kinder aus erster Ehe bis 1987. Dies beweise eine Anwaltskorrespondenz vom April 1983, wonach für die Klägerin keine Ansprüche mehr geltend gemacht wurden.

Mit Urteil vom 18.03.1998 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus: Die Klägerin habe bei einem monatlichen Nettoeinkommen von 1.271,00 DM keinen Unterhaltsanspruch gegenüber dem Versicherten gehabt, dessen Nettoeinkommen sich auf lediglich 1.165,00 DM belaufen habe. Bei fehlender Unterhaltsbedürftigkeit hätte der Versicherte zur Zeit seines Todes die Wirkungen eines Vollstreckungstitels nach den Grundsätzen der §§ 323, 767 Zivilprozessordnung (ZPO) beseitigen können, dies aber nicht tun müssen, da die Vollstreckung nicht versucht worden sei oder er sich auf die Erfolglosigkeit eines solchen Versuches hätte verlassen können.

Mit dem Rechtsmittel verfolgt die Klägerin ihr Anliegen weiter. Ihr Anspruch sei schon deshalb gerechtfertigt, weil die Beigeladene eine eigene Rente in erheblicher Höhe beziehe. Im Übrigen habe sie als freie Mitarbeiterin in selbständiger Tätigkeit nach Abzug aller Ausgaben im Jahre 1989 1.089,46 DM monatlich bezogen.

Die Beigeladene legte ihren Rentenbescheid vom 22.12.1994 vor, wonach sie ab 01.02.1995 Regelaltersrente bezieht.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 18.03.1998 und den Bescheid der Beklagten vom 23.07.1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.08.1994 aufzuheben und diese zu verurteilen, ihr große Witwenrente ab Antrag zu gewähren.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Dem Senat lagen zur Entscheidung die Rentenakte des Versicherten, die Hinterbliebenenrentenakte sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge vor. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird wegen der Einzelheiten hierauf Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 ff. des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet. Zu Recht hat die Beklagte einen Hinterbliebenenrentenanspruch verneint und das Sozialgericht im Ergebnis und mit zutreffender Begründung die Klage abgewiesen, weil der Klägerin kein Anspruch nach § 243 Abs.2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) zusteht.

Entscheidungserheblich ist, dass die Klägerin weder im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten tatsächlich einen Unterhalt von diesem erhalten hat noch im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tode einen Anspruch hierauf hatte. Maßgebend sind allein die wirtschaftlichen Verhältnisse des Jahres 1989, so dass der Regelaltersrentenbezug der Beigeladenen seit Februar 1995 rechtlich unerheblich ist.

Zur Überzeugung des Senats hat der Versicherte nicht erst im Jahre 1987 seine Unterhaltsleistungen für die Klägerin eingestellt, wie diese unbelegt behauptet. Vielmehr hat die Beigeladene den Beweis geführt, dass spätestens im Frühjahr 1983 die Klägerin keine Ansprüche mehr geltend machte. Dies ergibt sich auch aus der Versichertenakte, in der der verstorbene Versicherte akribisch seine Unterhaltsleistungen anzeigte und sorgfältigst bis zur Beendigung der Ausbildung der beiden Kinder aus erster Ehe um die jeweiligen Kinderzuschusszahlungen bemüht war. Damit steht fest, dass jedenfalls im Jahre 1989 kein Unterhalt mehr tatsächlich geleistet wurde.

Die Klägerin hatte aber auch keinen Unterhaltsanspruch mehr. Der Große Senat des Bundessozialgerichts hat im Beschluss vom 27.06.1963 - GS 5/61, SozR Nr.17 zu § 1265 RVO festgestellt, "dass ein Vollstreckungstitel nicht unter allen Umständen als Voraussetzung für die Bewilligung einer Hinterbliebenenrente an die frühere Ehefrau ausreicht. Eine Ausnahme sieht er jedenfalls dann als gegeben an, wenn der Versicherte zur Zeit seines Todes die Wirkungen des Vollstreckungstitels nach den Grundsätzen der §§ 323, 767 ZPO hätte beseitigen können und dies nicht getan hat oder nicht zu tun brauchte, weil etwa die Vollstreckung gar nicht versucht wurde oder er sich auf die Erfolglosigkeit eines solchen Versuchs verlassen konnte. Der Versicherungsträger ist zwar nicht legitimiert, die Rechtsbehelfe geltend zu machen, die dem verstorbenen Versicherten zustanden; es widerspreche aber dem Sinn des § 1265 RVO, wenn ein solcher Vollstreckungstitel durch die Hinterbliebenenrente ersetzt würde, obwohl er als solcher oder aber seine Wirkungen vom Versicherten durch Änderungs- oder Vollstreckungsabwehrklage hätten beseitigt werden können. Es handelt sich nicht etwa darum, dass der Titel nicht realisierbar gewesen wäre; die Realisierbarkeit wird weder bei den materiell-rechtlichen Ansprüchen aufgrund des Ehegesetzes noch bei anderen Ansprüchen des materiellen Rechts für die Bewilligung einer Hinterbliebenenrente vorausgesetzt. In jenen Fällen handelt es sich vielmehr darum, dass der Titel als solcher oder die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus diesem Titel hätte beseitigt werden können und vom Versicherten wohl auch beseitigt worden wäre, wenn er mit der Durchführung der Zwangsvollstreckung hätte rechnen müssen. Sind diese Voraussetzungen zur Zeit des Todes des Versicherten gegeben, dann besteht nach Sinn und Zweck der Vorschrift des § 1265 RVO kein Anlass, den nur formell noch weiter gültigen Titel durch Bewilligung einer Rente zu ersetzen". Gerade so sind vorliegend die Voraussetzungen. Durch das jahrelange Aussetzen mit der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen brachte die Klägerin zum Ausdruck, dass sie eine Vollstreckung gar nicht versuchen wollte. Umgekehrt konnte sich der Versicherte auf die Erfolglosigkeit eines solchen Versuchs verlassen.

Zur Verdeutlichung weist der Senat ungeachtet dieser klaren Rechtslage darauf hin, dass auch nach dem Vortrag der Klägerseite im Berufungsverfahren, die Klägerin habe im Jahre 1989 lediglich über ein Nettoeinkommen von 1.089,46 DM monatlich verfügt, kein Unterhaltsanspruch gegenüber dem Versicherten bestanden hätte. Nachweislich stand diesem im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand ein monatliches Einkommen von (2.329,87 DM: 2 =) 1.165,00 DM zur Verfügung. Der Senat verweist insoweit auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 13.09.1990 - SozR 3-2200 § 1265 RVO Nr.4 -. Im dortigen Ausgangsfall hatten der verstorbene Versicherte 1.265,56 DM, die geschiedene Ehefrau 880,47 DM an monatlichem Einkommen (jeweils Rente). Nach der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung praktizierten Anrechnungsmethode für den Unterhaltsanspruch - ein Drittel bis drei Siebtel des Gesamtnettoeinkommens abzüglich der eigenen Nettoeinkünfte der Unterhaltsberechtigten - errechnete sich der Unterhaltsanspruch auf 39,03 DM monatlich (1.265,56 DM + 880,47 DM = 2.146,53 DM: 7 = 306,50 DM x 3 = 919,50 DM - 880,47 DM = 39,03 DM), ein Betrag, der bei weitem nicht 25 v.H. des geltenden Regelsatzes der Sozialhilfe erreicht, um als Unterhaltsanspruch im Sinne der Mindesthöhe gelten zu können. Sonach errechnet sich selbst bei günstigster monatlicher Nettolage für die Klägerin kein Unterhaltsanspruch.

Nach jeder Betrachtungsweise fehlen demnach die Anspruchsvoraussetzungen für einen Hinterbliebenenrentenanspruch.

Deshalb war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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