L 13 RA 69/96

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 17 An 667/94
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 RA 69/96
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein im März 1992 gestellter Reha-Antrag bewirkt, daß die nach seiner Umdeutung in einen Rentenantrag bei einem Versicherungsfall im Dezember 1991 ab 29.05.1992 (Übergangsgeld 01.01. bis 28.05.1992) zu zahlende Erwerbsunfähigkeitsrente nach den Vorschriften des AVG und nicht des SGB VI zu berechnen ist.
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts München vom 2. April 1996 aufgehoben und die Bescheide der Beklagten vom 30. Juni 1994 und 19. Juli 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 1994 sowie der Bescheid vom 15. März 1995 abgeändert und die Beklagte verurteilt, die Rente des Klägers nach den Bestimmungen des AVG festzusetzen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der dem Kläger ab 29.05.1992 zuerkannten Rente streitig.

Der am ...1928 geborene Kläger befand sich vom 06.03.1992 bis 23.03.1992 wegen einer Krebserkrankung in stationärer Krankenhausbehandlung. Diesbezügliche Beschwerden wurden vom Kläger bereits seit Dezember 1991 angegeben. Im Anschluß an die stationäre Krankenhausbehandlung wurde über das Krankenhaus am 23.03.1992 die Gewährung medizinischer Maßnahmen zur Rehabilitation in Form einer Anschlußheilbehandlung beantragt und vom 14.04.1992 bis 26.05.1992 durchgeführt. Im August 1992 bat der Kläger, den Reha-Antrag als Rentenantrag umzudeuten, da seit 1991 Erwerbsunfähigkeit vorliege. Die Beklagte erklärte sich damit einverstanden und legte nach Prüfung durch den Ärztlichen Dienst den Leistungsfall auf den 20.02.1992 fest. Auf dieser Grundlage bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 30.06.1994 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 29.05.1992. Die Rente beginne erst zu diesem Zeitpunkt, weil bis dahin ein Anspruch auf Übergangsgeld bestehe. Mit weiterem Bescheid vom 19.07.1994 gewährte die Beklagte dem Kläger antragsgemäß ab 01.03.1993 Regelaltersrente.

Der Kläger erhob gegen beide Bescheide Widerspruch mit dem Ziel eines früheren Rentenbeginns und der Gewährung einer höheren Rente. Mit Widerspruchsbescheid vom 11.11.1994 gab die Beklagte den Widerspruch teilweise statt. Sie erkannte den Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf der Grundlage eines Versicherungsfalls vom 31.12.1991 ab 01.01.1992 an. Inwieweit im Hinblick auf die durchgeführte Heilmaßnahme anstelle von Rente ein Anspruch auf Übergangsgeld bestehe, werde gesondert geprüft. Den Widerspruch wies die Beklagte im übrigen als unbegründet zurück.

Dagegen erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht München und führte zur Begründung im wesentlichen aus, der Leistungsfall sei spätestens im November 1991 eingetreten, weshalb die Rente bereits ab 01.12.1991 zu gewähren und nach altem Recht zu berechnen sei.

Die Beklagte übermittelte den neuen Rentenbescheid vom 15.03. 1995, in dem sie feststellte, daß die Anspruchsvoraussetzungen seit 31.12.1991 erfüllt seien. Die Rente beginne am 29.05.1992, weil bis dahin ein Anspruch auf Übergangsgeld bestehe. Es ergab sich eine Rentenleistung in Höhe von DM 810,29 monatlich. Auf Anfrage teilte die Beklagte mit, daß eine nach den bis zum 31.12.1991 geltenden Rechtsvorschriften berechnete Erwerbsunfähigkeitsrente DM 1.260,70 betragen würde. Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG holte das Sozialgericht ein Gutachten des Chefarztes der Chirurgischen Abteilung des Städt. Krankenhauses München-Bogenhausen, Prof.Dr ... vom 03.01.1996 ein. Dieser führte zusammenfassend aus, er halte es für völlig ausgeschlossen, daß die im Februar 1992 diagnostizierte Erkrankung bereits im November 1991 derart gravierende Beschwerden verursacht habe, daß eine wesentliche Leistungsminderung zu verzeichnen gewesen sei.

Mit Urteil vom 02.04.1996 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Bescheide der Beklagten seien nicht zu beanstanden, da ein früherer Versicherungsfall nicht nachgewiesen sei.

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, zu deren Begründung er u.a. im wesentlichen darauf abstellt, daß der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit spätestens im Dezember 1991 eingetreten sei. Da er den Renten- bzw. Reha-Antrag noch innerhalb von drei Monaten nach Eintritt der Erwerbsunfähigkeit gestellt habe, sei nach der Rechtsprechung des BSG noch altes Recht anzuwenden, auch wenn zunächst ab 01.01.1992 Anspruch auf Übergangsgeld anstelle von Rente bestanden haben sollte.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 02.04.1996 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 30.06.1994 und 19.07.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.1994 sowie des Bescheides vom 15.03. 1995 zu verurteilen, die gewährte Rente nach altem Recht zu berechnen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie führt im wesentlichen aus, dem Kläger stehe aufgrund der Entscheidung im Widerspruchsbescheid ab 01.01.1992 Übergangsgeld statt Rente zu. Der Rentenbeginn liege nach der Reha-Maßnahme, also am 29.05.1992. Für die Rechtsanwendung komme es allein auf diesen Rentenbeginn an. Auch sei die Antragstellung nicht bereits im Jahr 1991 erfolgt, weshalb die BSG-Rechtsprechung zu § 301 SGB VI nicht einschlägig sei.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der beigezogenen Reha- und Rentenakte der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist gemäß den §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und auch begründet.

Der Kläger hat Anspruch auf Berechnung der seit 29.05.1992 gewährten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit noch nach den Bestimmungen des bis 31.12.1991 geltenden Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) mit der Folge, daß auch der ab 01.03.1993 bewilligten Regelaltersrente die bisherigen persönlichen Entgeltpunkte für die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zugrunde zu legen sind (§ 88 Abs.1 Satz 2 Sozialgesetzbuch VI - SGB VI -).

Die Beklagte hat mit dem insoweit vom Kläger nicht mehr angefochtenen und damit gemäß § 77 SGG bindenden Widerspruchsbescheid vom 11.11.1994 und dem ebenfalls bindenden Bescheid vom 15.03.1995 festgestellt und anerkannt, daß der Kläger auf der Grundlage eines Versicherungsfalles vom 31.12.1991 ab 01.01. 1992 Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit hat, wobei im Hinblick auf die vom 14.04.1992 bis 25.05.1992 durchgeführte Heilmaßnahme anstelle von Rente Anspruch auf Übergangsgeld besteht.

Bei dieser Sachlage ist die am 29.05.1992 beginnende Rente des Klägers noch nach den Bestimmungen des AVG zu berechnen, da die Leistungen zur Rehabilitation (hier Übergangsgeld) noch im Jahre 1991 begonnen haben.

Das Bundessozialgericht hat in seinen Entscheidungen vom 23.06.1994 in SozR 3-2600 Nr.3 zu § 300 und 22.02.1995 - 4 RA 88/94 - festgestellt, daß die Höhe eines Anspruches auf Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres, der aufgrund eines vor Januar 1992 eingetretenen Versicherungsfalles entstanden und vor dem 01.04.1992 geltend gemacht worden ist, nach den Vorschriften des AVG festgesetzt werden muß. Diese Grundsätze sind auch auf den Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit übertragbar, wenn der Versicherungsfall - wie hier - am 31. Dezember 1991 eingetreten und der Rentenantrag noch im März 1992 gestellt worden ist (siehe § 300 Abs.2 SGB VI). Allerdings kann der Kläger hier Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erst ab 29.05.1992 beanspruchen, da ihm zuvor eine Reha-Maßnahme mit Übergangsgeldanspruch bewilligt worden war. Der Kläger hatte somit weder am 31.12.1991 noch am 01.01.1992 Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, sondern gemäß § 18 d Abs.4 Satz 2 AVG bzw. § 25 Abs.2 SGB VI Anspruch auf Übergangsgeld wenigstens in Höhe der Rente. Dieser Anspruch hat gemäß § 18 d Abs.2 Satz 1 AVG bzw. § 116 Abs.1 Satz 2 SGB VI einen Anspruch auf Rente ausgeschlossen, weshalb der Kläger den Anspruch auf eine nach den Bestimmungen des AVG berechnete Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht direkt auf § 300 Abs.2 SGB VI stützen kann (vgl. im einzelnen BSG vom 29.08.1996 - 4 RA 116/94 in SozR 3-2600 Nr.1 zu § 301).

Ebenso wie in der zuletzt zitierten Entscheidung des BSG kann der Kläger jedoch den Anspruch auf Berechnung der Rente nach altem Recht auf entsprechende Anwendung des § 301 Abs.1 SGB VI stützen.

Nach dieser Bestimmung sind für Leistungen zur Rehabilitation bis zum Ende der Leistungen die Vorschriften weiter anzuwenden, die im Zeitpunkt der Antragstellung oder, wenn den Leistungen ein Antrag nicht vorausging, der Inanspruchnahme galten.

Diese Vorschrift ist nach der Entscheidung des BSG vom 29.08. 1996 (a.a.O.) ergänzend dahin auszulegen, daß auf eine vor Inkrafttreten des SGB VI beantragte bzw. begonnene Reha-Leistung und auf die im Anschluß an die fehlgeschlagene Reha-Maßnahme gewährte Rente übergangsrechtlich noch das AVG Anwendung findet. Das BSG hat seine Entscheidung, der sich der Senat anschließt, im wesentlichen damit begründet, daß der Versicherte im Hinblick auf das Gesamtpaket der Regelungen über Reha-Leistungen bei Antragstellung bzw. Leistungsbeginn darauf vertrauen können muß, er werde wirtschaftlich auch bei mißglückter Rehabilitation dem Empfänger einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit mit entsprechender Versicherungsbiographie und entsprechender Antragstellung gleichgestellt. Unter Inanspruchnahme im Sinne des § 300 Abs.1 SGB VI ist dabei der tatsächliche Beginn der Reha-Leistung zu verstehen (vgl. Niesel in KassKomm, Rdn.3 zu § 301 SGB VI).

In konsequenter Fortsetzung der zuletzt zitierten Rechtsprechung wie auch der Entscheidung vom 23.06.1994 in SozR 3-2600 Nr.3 zu § 300 bedeutet dies vorliegend, daß der Kläger Anspruch auf Berechnung seiner Rente nach dem AVG hat. Zwar hat der Kläger den Renten-/Reha-Antrag nicht bereits 1991 gestellt, doch noch vor Ablauf des Monates März 1992 mit der Folge, daß der Anspruch auf Übergangsgeld anstelle von Rente ab 01.01.1992 (Versicherungsfall 31.12.1991) besteht (§ 18 d Abs.4 iVm Abs.1 Satz 2 AVG). Da § 18 d Abs.1 Satz 2 AVG ausdrücklich bestimmt, daß das Übergangsgeld mit dem Zeitpunkt beginnt, von dem an die Rente zu zahlen gewesen wäre, sind die vom BSG in der zuletzt genannten Entscheidung aufgestellten Grundsätze uneingeschränkt anwendbar. Da der Kläger den Reha(Renten)-Antrag noch innerhalb von drei Monaten nach Eintritt der Erwerbsunfähigkeit am 31.12. 1991 gestellt hat, war der Anspruch auf Rente und damit auch auf Übergangsgeld gemäß § 67 Abs.1 Satz 1, Abs.2 AVG vom Ablauf des Monats Dezember 1991 an entstanden (siehe auch BSG in SozR 3-2600 Nr.6 zu § 300). Dabei war die Rente (ebenso das Übergangsgeld) gemäß § 74 Satz 1 AVG monatlich im voraus zu zahlen, d.h. spätestens am 31.12.1991, als die Vorschriften des SGB VI noch nicht in Kraft getreten waren.

Da es sich auch beim Übergangsgeld um eine Leistung zur Rehabilitation handelt (siehe § 14 b Abs.1 Nr.1 AVG), wurden somit Leistungen zur Rehabilitation noch vor Antragstellung und vor Inkrafttreten neuen Rechts in Anspruch genommen mit der Folge, daß sowohl auf die Reha-Leistungen als auch auf die sich anschließende Rente noch die Vorschriften des AVG anzuwenden sind (§ 301 SGB VI analog).

Damit wird dem Grundgedanken der wirtschaftlichen Gleichstellung des Empfängers einer Reha-Leistung mit dem Empfänger einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit Rechnung getragen. Wenn der Kläger nach der Rechtsprechung des BSG bei Rentenantragstellung vor April 1992 und Versicherungs-/Leistungsfall am 31.12.1991 Anspruch auf Berechnung der Rente nach altem Recht hat, muß dies auch dann gelten, wenn er statt Rente zunächst Übergangsgeld bezieht.

Die Entscheidung des Sozialgerichts konnte somit keinen Bestand haben; vielmehr ist die Beklagte zu verpflichten, die Erwerbsunfähigkeitsrente des Klägers nach den Bestimmungen des AVG zu berechnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache läßt der Senat gemäß § 160 Abs.2 SGG die Revision zu.
Rechtskraft
Aus
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