L 1 RA 90/98

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 12 RA 261/96
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 1 RA 90/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Zum Begriff der Arbeitsunfähigkeit als Anrechnungs- oder Aufschubzeit gehört nur die Prüfung, ob der Versicherte seine bisherige Arbeit noch weiter ausüben kann.
2. Die Arbeitsunfähigkeit endet auch nicht, wenn sich der Versicherte nach Auslaufen des Krankengelds arbeitslos meldet.
3. Solange Vermittlungsbemühen zu keinem Erfolg geführt haben, kann der arbeitsunfähige Versicherte nicht auf andere Tätigkeiten verwiesen werden.
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts München vom 15. Januar 1998 sowie der Bescheid der Beklagten vom 31. Mai 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Februar 1996 abgeändert.
II. Die Beklagte wird verurteilt, bei dem Kläger den Leistungsfall der befristeten Erwerbsunfähigkeit im Mai 1998 anzuerkennen und die gesetzlichen Leistungen von Dezember 1998 bis 30. November 2001 zu erbringen.
III. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
IV. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Zahlung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der am ...1950 geborene Kläger hat von 1964 bis 1967 eine Lehre als Elektroinstallateur absolviert, aber nicht abgeschlossen. Danach war er bis 1970 als Betriebselektriker tätig und arbeitete bis 1980 als Kraftfahrer. Im Anschluss daran war er bei derselben Firma als Disponent eingesetzt. Vom 01.07.1989 bis 31.12.1990 war er als Organisationsleiter/Vertreter im Außendienst beim ... tätig. Im Anschluss daran war er für dasselbe Unternehmen selbständiger Handelsvertreter (laut Auskunft des ... vom 21.11.1996 bis Juni 1995).

Für den Kläger wurden laut Versicherungsverlauf vom 19.05.1999 ab 03.08.1964 Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung geleistet, in den Jahren 1972 und von Mai bis 30.06.1989 war die Beitragsleistung unterbrochen. Nach einer weiteren Lücke vom 01.01.1991 bis 28.07.1992 wurden für den Kläger ab 29.07.1992 bis 21.12. 1994 Pflichtbeiträge gezahlt (bis 27.07.1993 wegen Arbeitslosengeldbezugs, ab 28.07.1993 bis 21.12.1994 wegen Krankengeldbezugs). Die Zeit vom 06.02.1998 bis 31.12.1998 ist als Zeit der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug vorgemerkt.

Am 08.09.1994 stellte der Kläger bei der Beklagten Antrag auf Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit.

Nach Beiziehung eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen vom 19.01.1994, eines Berichtes des Nervenarztes Dr ... vom 12.09.1994 und des Dr ..., Diplom-Psychologe, Psychotherapie, Psychoanalyse, vom 25.01.1995 beauftragte die Beklagte den Arzt für Nervenheilkunde Dr ... mit der Erstellung eines Gutachtens über die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen.

Nach Untersuchung des Klägers kam Dr ... in seinem Gutachten vom 20.04.1995 zum Ergebnis, dass beim Kläger eine depressive Entwicklung vorliege. Es sei der Einschätzung des Psychotherapeuten wohl zu folgen (Attest Dr ... vom 25.01. 1995), dass der Kläger auf dem Arbeitsmarkt für die nächsten zwei bis drei Jahre nicht einsatzfähig sei. Die beratende Neurologin und Psychiaterin Dr ... kam am 11.05.1995 zum Ergebnis, dass ein aufgehobenes Leistungsvermögen nicht angenommen werden könne. Der Versicherte müsse wieder in eine gesellschaftliche Aufgabe integriert werden und sei auch durchaus soweit belastbar, dass er weisungsgebundene Tätigkeiten ohne gehobene Verantwortung durchaus auch ausführen könne.

Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 31.05.1995 den Antrag des Klägers auf Rente ab, da er noch in der Lage sei, im bisherigen Berufsbereich weiterhin vollschichtig tätig zu sein. Auf den Widerspruch des Klägers vom 28.06.1995 holte die Beklagte ein weiteres Gutachten auf nervenärztlichem Fachgebiet ein. Die Neurologin und Psychiaterin Dr ... diagnostizierte im Gutachten vom 28.09.1995 beim Kläger eine anhaltend reaktive Depression. Zum Leistungsvermögen führte sie aus, der Kläger könne als Versicherungskaufmann und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Tätigkeiten ohne größere Ansprüche an die psychische Belastbarkeit vollschichtig ausführen.

Die Beklagte wies den Widerspruch daraufhin mit Bescheid vom 08.02.1996 zurück. (Nach erfolglosem Zustellungsversuch wurde der Bescheid am 21.03.1996 erneut abgeschickt).

Mit der am 16.04.1996 beim Sozialgericht München erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren weiter. Das Sozialgericht holte Befundberichte des Dr ... vom 18.11.1996 und des Dr ... vom 18.11.1996 ein und zog die medizinischen Unterlagen der Barmer Ersatzkasse bei. Nach Einholung einer Auskunft der Versicherungsgesellschaft ... beauftragte das Sozialgericht den Neurologen und Psychiater Dr ... mit der Erstellung eines Gutachtens zum Leistungsvermögen des Klägers. Der Sachverständige diagnostizierte (nach Untersuchung des Klägers) eine leichte reaktiv-depressive Verstimmung bei abnormer Persönlichkeit. Der Kläger erscheine durch diese Gesundheitseinschränkungen in seiner Erwerbsfähigkeit als Handelsvertreter und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht entscheidend beeinträchtigt. Auszuscheiden hätten Arbeiten mit außergewöhnlichen Anforderungen an die psychische Belastbarkeit.

Zusätzlich beauftragte das Sozialgericht den Diplom-Psychologen ... mit der Erstellung eines Gutachtens, das dieser am 30.11.1997 fertigte.

Der Sachverständige kam zum Ergebnis, dass beim Kläger eine reaktive Depression leichten Grades bei neurotischer Primärpersönlichkeit mit deutlich narzistischer Prägung bestehe. Ein wesentlicher Teil der Symptomatik bestehe in einem sozialen Rückzug und leichter Antriebsminderung, hinzu komme eine leichte Vernachlässigung des eigenen Äußeren. Eine Tätigkeit als Handelsvertreter sei nicht mehr zumutbar. Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien vollschichtig ausführbar. Es solle sich um leichte Arbeiten, ohne Zeitdruck und Akkord, ohne besondere Anforderungen an das Verantwortungsbewusstsein, die Ausdauer, die Leistungsmotivation, die nervliche Belastbarkeit handeln. Der Zustand bestehe seit Antragstellung. Die durchgeführte zweijährige Therapie habe eine erhebliche Verbesserung gebracht. Durch eine berufliche Einbindung mit dosierter Belastung könne eher eine Besserung erwartet werden.

Mit Urteil vom 15.01.1998 wies das Sozialgericht die Klage ab. Es verneinte das Vorliegen von Berufs- und Erwerbsunfähigkeit. Der Kläger sei noch in der Lage, leichte Arbeiten ganztags auszuführen. Auch wenn er den Hauptberuf des Handelsvertreters nicht mehr ausführen könne, sei er auf andere Tätigkeiten verweisbar. In Betracht käme die Tätigkeit als Versicherungssachbearbeiter oder Registrator. Selbst Angestellte mit einer Ausbildungszeit von über zwei Jahren seien auf die Vergütungsgruppe VIII des BAT verweisbar (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr.37).

Der Kläger legte am 12.06.1998 gegen das Urteil des Sozialgerichts Berufung ein.

Er beantragt sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 15.01.1998 und des Bescheides vom 31.05.1995 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.02.1996 zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab Oktober 1994 zu bewilligen.

Die Beklagte stellt den Antrag,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger trägt vor, er sei wegen der bestehenden Depressionen nicht in der Lage, die einfachsten Tätigkeiten zu verrichten. Er habe im Verlauf des letzten Jahres 14 Kilogramm Gewicht verloren und leide unter körperlichen Erschöpfungszuständen. Zur weiteren Begründung legte er eine Bescheinigung der Medizinaloberrätin Dr ... (Gesundheitsamt der Stadt Ingolstadt) vom 16.07.1998 vor, in der festgehalten ist, dass beim Kläger eine schwere psychische Erkrankung bestehe und er derzeit nicht arbeitsfähig sei.

In dem vom Senat beigezogenen vollständigen Gutachten der Dr ... vom Mai 1998, übersandt mit Schreiben vom 30.10.1998, ist festgehalten, der Kläger wirke deutlich antriebsgemindert, freudlos, depressiv verstimmt und verliere bei seinen Ausführungen immer wieder den Faden. Ein schweres depressives Syndrom wurde diagnostiziert.

Mit der Erstellung eines Gutachtens auf nervenärztlichem Fachgebiet wurde der Neurologe und Psychiater, Facharzt für psychotherapeutische Medizin, Dr ... betraut. Bezüglich des Gutachtens vom 25.04.1999 wird auf die Akte verwiesen.

Die Beklagte äußerte sich mit Schreiben vom 28.05.1999 dahin, dass seit Oktober 1998 eine Verschlimmerung des Leidens zu objektivieren sei. Ein Anerkenntnis könne jedoch nicht erfolgen, da der Kläger die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfülle. Die Beklagte nahm Bezug auf den Versicherungsverlauf vom 19.05.1999. Bei einem Leistungsfall am 30.10.1998 lägen im maßgeblichen Zeitraum nur 15 Monate an Pflichtbeiträgen vor. Auf Hinweis der Berichterstatterin, dass der Kläger über den 21.12.1994 hinaus arbeitsunfähig gewesen sein dürfte, teilte die Beklagte mit (Schriftsatz vom 07.07.1999), eine weiterhin vorliegende Arbeitsunfähigkeit über den 21.12.1994 hinaus sei kein Verlängerungstatbestand im Sinne des § 43 Abs.3 Nr.3 des Sozialgesetzbuchs, Sechstes Buch - SGB VI -, da in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit (24.07.1993) kein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit bzw. eine Zeit nach § 43 Abs.3 Nr.1 oder Nr.2 SGB VI liege. Es bleibe beim maßgeblichen Fünfjahreszeitraum vom 30.10.1993 bis 29.10.1998. Auf weiteren Hinweis der Berichterstatterin bezüglich des Vorliegens von Pflichtbeitragszeiten ab 29.07.1992 führte die Beklagte aus, es handle sich bei der Zeit der Arbeitslosigkeit bzw. Arbeitsunfähigkeit mit Leistungsbezug vom 29.07.1992 bis 21.12.1994 unstreitig um Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit im Sinne des § 43 Abs.1 Nr.2 SGB VI. Gleichwohl seien die Voraussetzungen des § 43 Abs.3 Nr.3 SGB VI nicht erfüllt, weil im Zeitraum vom 22.12.1994 bis 05.02.1998 das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 58 Abs.1 Nr.1 SGB VI nicht mehr angenommen werden könne. Hierfür spreche schon die Tatsache, dass nach dem Gutachten des Dr ... ein reduziertes Leistungsvermögen erst mit Oktober 1998 bejaht werden könne.

In der mündlichen Verhandlung vom 10. November 1999 erkannte die Beklagte das Vorliegen von befristeter Erwerbsunfähigkeit ab Mai 1998 an.

Dem Senat liegen zur Entscheidung vor die beigezogenen Akten der Beklagten und des Sozialgerichts München sowie die Akte des Bayer. Landessozialgerichts.

Entscheidungsgründe:

Die ohne Zulassung statthafte (§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und hat auch in der Sache überwiegend Erfolg. Der Kläger ist seit Mai 1998 als erwerbsunfähig anzusehen und hat Anspruch auf die gesetzlichen Leistungen ab Dezember 1998 bis 30.11.2001 (§§ 44, 101 Abs.1, 102 Abs.2 Nr.2, Satz 3). Er hat die allgemeine Wartezeit des § 50 Abs.1 Nr.2 SGB VI sowie die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der §§ 43 Abs.1, Abs.3, 44 Abs.1, Abs.4 SGB VI erfüllt.

Aufgrund der vorliegenden Gutachten, insbesondere der Gutachten des Dr ..., der Dr ..., des Diplom-Psychologen ... und insbesondere des Dr ... steht fest, dass beim Kläger seit Juli 1993 eine depressive Entwicklung stattgefunden hat. Zu Beginn war der Kläger dennoch in der Lage, vollschichtig leichte Arbeiten auszuführen. Dies ergibt sich aus den übereinstimmenden Gutachten der Dr ..., des Diplom-Psychologen ..., der Dres ... und ..., denen sich der Senat anschließt. Die Beurteilung des Dr ..., der sich auf den behandelnden Therapeuten Dr ... stützte, ist gegenüber den übrigen Äußerungen der Sachverständigen nicht überzeugend und schlüssig begründet. Eine zeitliche Leistungseinschränkung wird von den genannten Sachverständigen überzeugend verneint.

Andererseits wurde ebenfalls übereinstimmend festgehalten, dass der Kläger keine Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit mehr habe ausführen können. Besonders der Diplom-Psychologe ... hat unter Darlegung der Persönlichkeit und der Erkrankung des Klägers ausgeführt, dass eine Tätigkeit als Handelsvertreter nicht mehr in Betracht kam.

Gegenüber diesen Beurteilungen ist nach den schlüssigen Feststellungen des Dr ... eine deutliche Verschlechterung im Jahr 1998 eingetreten. Diese Verschlechterung wird dokumentiert durch das Gutachten der Dr ... vom Mai 1998. Ab dieser Zeit war der Kläger nach der Würdigung des Dr ... (unter Auswertung des Gutachtens Dr ...) nur noch in der Lage, halb- bis untervollschichtig tätig zu sein. Die Beklagte hat sich der Beurteilung angeschlossen und Erwerbsunfähigkeit ab Mai 1998 anerkannt.

Der Kläger ist wegen Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes als erwerbsunfähig nach § 44 SGB VI anzusehen.

In der Zeit vor Mai 1998 lag beim Kläger aber weder Erwerbs- noch Berufsunfähigkeit vor. Der Kläger war zwar nach der überzeugenden Darlegung des Diplom-Psychologen ... nicht mehr in der Lage, als Handelsvertreter tätig zu sein. Berufsunfähigkeit ist aber dennoch zu verneinen, da sie nicht schon dann vorliegt, wenn der bisherige Beruf im Sinne der Rentenversicherung nicht mehr verrichtet werden kann, sondern erst, wenn der Versicherte auch nicht mehr auf andere Tätigkeiten zumutbar verweisbar ist (vgl. u.a. BSG SozR 3-2600 § 43 Nr.15). Bisheriger Beruf des Klägers ist die von ihm zuletzt versicherungspflichtig ausgeübte Tätigkeit bei der Versicherung ... Der Kläger war in dieser Zeit angestellter Versicherungsvertreter und erzielte zwischen 2.000,00 DM und 9.000,00 DM monatlich. Der Kläger selbst gibt dazu an, dass er auch für den Einsatz mehrerer Mitarbeiter zuständig und verantwortlich als Organisationsleiter war.

Auch wenn diese Tätigkeit trotz fehlender spezifischer Berufsausbildung im Hinblick auf ihre Qualität der Stufe der Versicherten mit einer mehr als zweijährigen Ausbildung (vgl. Mehrstufenschema des BSG u.a. SozR 3-2600 § 43 Nr.15) zugeordnet wird, ist der Kläger auf die früher ausgeübte Tätigkeit eines Disponenten verweisbar. Sie setzt in der Regel kaufmännische Kenntnisse voraus und ist dem Kläger auch von der tariflichen Einstufung her zumutbar. Sie ist den Tarifgruppen 2 oder 3 des Gehaltstarifvertrags vom 06.04.1989 für den Groß- und Außenhandel in Bayern zuzuordnen, die zumindest eine abgeschlossene zweijährige Berufsausbildung voraussetzen. Im Gehaltstarifvertrag vom 27.04.1987 für das Speditions- und Transportgewerbe in Bayern ist die Tätigkeit eines Disponenten in der Gehaltsgruppe 4 (Angestellte mit gründlichen Fachkenntnissen mit abgeschlossener IHK-Berufsausbildung) aufgenommen. Das Vorliegen von Berufsunfähigkeit kann demnach von September 1994 bis Mai 1998 nicht angenommen werden.

Für die Zeit vor Dezember 1998 besteht kein Anspruch des Klägers auf Rente. Ab Dezember 1998 jedoch ergibt sich die Begründetheit seines Begehrens aus § 44 Abs.1, Abs.4 i.V.m. § 43 Abs.3, Abs.4 sowie §§ 101, 102 SGB VI.

Der Kläger ist nicht nur erwerbsunfähig seit Mai 1998, er erfüllt auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 44 Abs.4 i.V.m. § 43 Abs.3 und 4 SGB VI. Nach § 43 Abs.1 ist neben Berufsunfähigkeit und der Erfüllung der allgemeinen Wartezeit Voraussetzung, dass der Versicherte in den letzten fünf Jahren vor Eintritt des Leistungsfalles drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit hat. Ausgehend von einem Leistungsfall im Mai 1998 liegen die Voraussetzungen im Fünfjahreszeitraum bis Mai 1993 nicht vor, da der Kläger weniger als 36 Monate (Beiträge von Mai 1993 bis Dezember 1994) zurückgelegt hat. Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt aber die Vorschrift des § 43 Abs.3 Nr.3 SGB VI zur Anwendung. Danach verlängert sich der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit um Anrechnungszeiten sowie um Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen worden ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nr.1 oder Nr.2 liegt.

Im Falle des Klägers liegt eine Anrechnungszeit nach § 58 Abs.1 Nr.1 SGB VI in der Zeit vom 22.12.1994 bis (mindestens) Mai 1998 vor, da der Kläger über den 21.12.1994 hinaus als arbeitsunfähig anzusehen ist. Wie das BSG in SozR 3-2200 § 1259 Nr.12 ausgeführt hat, gehört zum Begriff der Arbeitsunfähigkeit als Anrechnungs- und Aufschubzeit nur die Prüfung, ob der Versicherte seine bisherige Arbeit noch weiter ausüben kann. Der Aufschubtatbestand der Arbeitsunfähigkeit endet auch nicht, wenn sich der Versicherte nach Auslaufen des Krankengeldes arbeitslos meldet. Die Arbeitsunfähigkeit wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Versicherte auf Dauer durch Krankheit gehindert ist, die zuletzt verrichtete oder eine ähnlich geartete Tätigkeit aufzunehmen, jedoch in der Lage wäre, einer anderen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Solange Vermittlungsbemühen zu keinem Erfolg geführt haben, kann der arbeitsunfähige Versicherte nicht auf eine neue Berufstätigkeit verwiesen werden.

Aufgrund der eingeholten Gutachten insbesondere aber des Gutachtens des Diplom-Psychologen ... steht fest, dass der Kläger seine letzte Tätigkeit als Handelsvertreter seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit nicht mehr ausüben konnte. Diese Tatsache führt zwar nicht dazu, dass der Kläger berufsunfähig ist, es ist aber damit der Tatbestand der Arbeitsunfähigkeit erfüllt. Der Hinweis der Beklagten, Dr ... habe eine Leistungseinschränkung in der Zeit vor Oktober (Mai) 1998 verneint, trifft in diesem Umfang nicht zu. Denn Dr ... hat ausdrücklich auf die Vorgutachten Bezug genommen. Es ist nicht ersichtlich, dass er trotz ausdrücklicher Bezugnahme die in den Vorgutachten genannten qualitativen Leistungseinschränkungen ablehnen wollte. Betrachtet man das Gesundheitsbild des Klägers insgesamt, so steht fest, dass er von Juli 1993 bis Ende 1994 arbeitsunfähig mit Krankengeldbezug war. Die vorliegenden Unterlagen geben für die Annahme, dass sich das Leistungsvermögen des Klägers nach Auslaufen des Krankengeldes so verbessert hätte, dass er nicht mehr arbeitsunfähig gewesen wäre, nichts her. Wenn im Gutachten der Dr ... festgestellt wird, arbeitsunfähig bis Aussteuerung, so sagt dies nicht, dass nach Aussteuerung Arbeitsfähigkeit vorgelegen hat.

Es handelt sich bei der Zeit der Arbeitsunfähigkeit auch um Anrechnungszeiten, da sie an eine versicherte Beschäftigung im Sinne des § 58 Abs.2 SGB VI anschließt. Auch Pflichtbeiträge aufgrund Sozialleistungsbezug stehen aufgrund gesetzlicher Fiktion einer versicherten Beschäftigung gleich (vgl. Niesel in KassKomm § 58 SGB VI Rdnr.99). Dies wird von der Beklagten auch nicht mehr bestritten.

Durch die im Anschluss an Dezember 1994 bis Mai 1998 vorliegende Arbeitsunfähigkeit wird der Fünfjahreszeitraum verlängert. Die in der Zeit vom 01.07.1989 bis 31.12.1990 geleisteten Pflichtbeiträge sowie die Beiträge ab Juli 1992 bis Mai 1993 können in die Berechnung miteinbezogen werden. Dies bedeutet, dass der Kläger für mindestens drei Jahre Beiträge aufgrund einer versicherten Beschäftigung vor Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet hat. Die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab Dezember 1998 liegen vor. Da es sich um eine Erwerbsunfähigkeit handelt, die von den Verhältnissen des Arbeitsmarktes abhängt - der Kläger ist noch überhalbschichtig einsatzfähig -, kommt nur die Bewilligung einer befristeten Rente bis 30.11.2001 in Betracht (§ 102 Abs.3 SGB VI).

Die Entscheidung über die Kosten, § 193 SGG, ist darin begründet, dass der Kläger überwiegend obsiegt.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs.2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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