L 13 RA 9/97

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 An 33/95
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 RA 9/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1.) Zur Beitragsfreiheit einer gemäß § 5 Abs.1 Nr.11 SGB V pflichtversicherten Rentenantragstellerin, wenn sie als hinterbliebene Ehegattin eines nach § 5 Abs.1 Nr.11 oder 12 SGB V versicherungspflichtigen Rentners, der bereits Rente bezogen hat, Hinterbliebenenrente beantragt.
2.) Der Beitragsbemessung ist nicht nur die Rente, auf der die Pflichtmitgliedschaft beruht, sondern alle Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung zugrunde zu legen.
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 24. Oktober 1996 abgeändert.
II. Die Bescheide der Beklagten vom 25. Mai 1994 und 30. Mai 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 1995 werden insoweit aufgehoben, als darin von der Klägerin Beitragsanteile zur gesetzlichen Krankenversicherung aus der Rente für die Zeit vom 12. Dezember 1990 bis 31. Dezember 1990 nachgefordert werden.
III. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
IV. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Nachforderung des Beitragsanteils der Klägerin zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR) für die Zeit vom 12.12.1990 bis 30.05.1994 streitig.

Mit Bescheid vom 07.06.1990 bewilligte die Beklagte der am 16.09.1925 geborenen Klägerin ab 01.10.1990 Altersruhegeld. Von der Rente behielt sie zunächst einen Beitragsanteil zur KVdR ein. Mit Bescheid vom 02.07.1990 stellte sie die Rente ab Beginn neu fest, jedoch ohne Abzug des Beitragsanteils der Klägerin. Im Bescheid ist vermerkt, da zur Zeit keine Pflichtversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung bestehe, würden keine Beiträge einbehalten. Bei Eintritt von Krankenversicherungspflicht z.B. durch Aufnahme einer Beschäftigung oder Beantragung einer weiteren Rente sei die Beklagte verpflichtet, die auf die Rente entfallenden Beiträge ggf. auch rückwirkend einzubehalten. Unter ergänzenden Begründungen und Hinweisen ist ausgeführt: "Gemäß Mitteilung der DAK Tirschenreuth erfüllen sie die Voraussetzungen für die KVdR nicht. Es sind somit keine Beiträge für die Krankenversicherung einzubehalten."

Mit Bescheid vom 10.04.1991 bewilligte die Beklagte der Klägerin weiter antragsgemäß aus der Versicherung ihres am 08.12. 1990 verstorbenen Ehemannes ab 01.01.1991 Witwenrente (Antrag vom 12.12.1990). Ab Antragstellung bestand Versicherungspflicht in der KVdR, weshalb die Beklagte bei der Hinterbliebenenrente einen Beitragsanteil der Klägerin zur Krankenversicherung einbehielt. Bei der eigenen Rente der Klägerin erfolgte kein Einbehalt.

Nachdem dies der Beklagten im Rahmen einer Überprüfung aufgefallen war, forderte sie mit Bescheiden vom 25.05.1994 und 30.05.1994 den Beitragsanteil der Klägerin aus der eigenen Rente für die Zeit vom 12.12.1990 bis 30.06.1994 nach; ab 01.07. 1994 werde der Beitragsanteil laufend einbehalten. Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch und führte zur Begründung im wesentlichen aus, die Beklagte habe 3 1/2 Jahre bezüglich einer Krankenversicherungspflicht der Altersrente nicht reagiert, so daß sie davon habe ausgehen müssen, daß für die Altersrente keine Versicherungspflicht in der KVdR bestehe. Erst im Mai 1994 habe die Beklagte die Versicherungspflicht festgestellt, weshalb sie ab 01.06.1994 mit einem Beitragsabzug einverstanden sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.02.1995 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Dagegen erhob die Klägerin am 06.03.1995 Klage zum Sozialgericht Regensburg und führte zur Begründung weiter im wesentlichen aus, sie habe im Vertrauen auf die bis dahin ergangenen Bescheide der Beklagten die erhaltenen Renten verbraucht. Die Ansprüche der Beklagten seien wegen der überaus langen Bearbeitungsdauer verwirkt; eine Rücknahme sei auch wegen Ablauf der Frist des § 45 Abs.3 SGB X nicht mehr möglich.

Mit Urteil vom 24.10.1996 wies das Sozialgericht die Klage ab. Die Beklagte sei berechtigt, rückwirkend für den streitigen Zeitraum den Eigenanteil der Klägerin zur KVdR nachzufordern. Diese nachträgliche Erhebung sei selbst dann zulässig, wenn den Rentenversicherungsträger am Unterbleiben des Einbehalts ein Verschulden treffe.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin zu deren Begründung sie im wesentlichen auf ihre Argumente im Widerspruchs- und Klageverfahren Bezug nimmt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 24.10.1996 aufzuheben und die Bescheide der Beklagten vom 25.05.1994 und 30.05.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.02.1995 insoweit aufzuheben, als darin für die Zeit vor dem 01.06.1994 Beiträge zur Krankenversicherung der Rentner nachgefordert werden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Rentenakte der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die von der Klägerin form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist gemäß den §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Auch wenn eine Beitragsforderung von unter DM 1.000,- in Streit steht, ist die Berufung nicht nach § 144 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGG ausgeschlossen, da es sich um monatlich wiederkehrende Forderungen für mehr als ein Jahr handelt (§ 144 Abs.1 Satz 2 SGG).

Die Berufung ist jedoch im wesentlichen unbegründet.

Begründet ist die Berufung nur, soweit die Beklagte Krankenversicherungsbeiträge bereits für die Zeit vom 12.12.1990 bis 31.12.1990 fordert. Die Klägerin unterlag aufgrund des am 12.12.1990 gestellten Witwenrentenantrages gemäß § 5 Abs.1 Nr.11 Sozialgesetzbuch V (SGB V) der Krankenversicherungspflicht ab Beginn der Rente am 01.01.1991. Bis zum Rentenbeginn war sie gemäß § 189 SGB V sogenanntes Formalmitglied. Für diesen Personenkreis regelt § 225 Satz 1 Nr.1 SGB V, daß ein Rentenantragsteller bis zum Beginn der Rente beitragsfrei ist, wenn er als hinterbliebener Ehegatte eines nach § 5 Abs.1 Nr.11 oder 12 SGB V versicherungspflichtigen Rentners, der bereits Rente bezogen hat, Hinterbliebenenrente beantragt. Der verstorbene Ehemann der Klägerin bezog zum Zeitpunkt des Todes von der Beklagten Rente und war Pflichtmitglied in der KVdR. Die Klägerin war demzufolge ab Rentenantragstellung bis zum Rentenbeginn nicht verpflichtet, Krankenversicherungsbeiträge zu leisten. Anhaltspunkte, daß sie in dieser Zeit Arbeitseinkommen oder Versorgungsbezüge erhielt (§ 225 Satz 2 SGB V), bestehen nicht. Die eigene Rente der Klägerin fällt dabei nicht unter die gesetzliche Definition des Begriffes "Versorgungsbezüge" in § 229 SGB V. Selbst wenn man eine Pflicht zur Beitragszahlung für die Zeit vor Rentenbeginn unterstellt, könnten die Beiträge nicht von der Beklagten gefordert werden. Die Beitragsbemessung bei Rentenantragstellern richtet sich nämlich gemäß § 239 SGB V allein nach der Satzung der Krankenkasse. Die Bescheide der Beklagten sind also rechtswidrig, soweit darin von der Klägerin Beitragsanteile zur Krankenversicherung für die Zeit vom 12.12. 1990 bis 31.12.1990 in Höhe von DM 12,82 gefordert werden; insoweit sind die Bescheide aufzuheben.

Dagegen hat das Sozialgericht mit zutreffender Begründung entschieden, daß die Beklagte berechtigt war, den Betragsanteil der Klägerin für die Zeit vom 01.01.1991 bis 31.05.1994 nachzufordern, weshalb das Urteil insoweit nicht zu beanstanden ist.

Die Klägerin ist aufgrund des Witwenrentenbezuges ab 01.01.1991 gemäß § 5 Abs.1 Nr.11 SGB V in der KVdR pflichtversichert. Bei diesem Personenkreis werden gemäß § 237 Satz 1 Nr.1 SGB V der Beitragsbemessung u.a. der Zahlbetrag der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung zugrunde gelegt, wobei nach § 228 SGB V als Rente der gesetzlichen Rentenversicherung eine Rente der Arbeiter-, Angestellten- und Knappschaftlichen Versicherung gilt. Aus dieser Definition ergibt sich, daß nicht nur die Rente der Beitragsbemessung zugrunde zu legen ist, auf deren Bezug die KVdR-Mitgliedschaft beruht, sondern alle Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung und somit auch die Rente aus der eigenen Versicherung der Klägerin. Der von der Klägerin aus ihrer Rente gemäß § 250 Abs.1 SGB V bzw. ab 01.01.1992 gemäß § 249 a SGB V zu tragende Beitragsanteil zur Krankenversicherung ist nach § 255 Abs.1 SGB V von der laufenden Rente einzubehalten. Die Klägerin erhebt gegen die Einbehaltung des Beitragsanteils ab 01.06.1994 auch keine Einwände.

Aber auch für die Vergangenheit war die Beklagte berechtigt, die Beiträge nachträglich zu fordern. Verjährung im Sinne des § 25 Abs.1 Sozialgesetzbuch IV (SGB IV) ist nicht eingetreten.

Rechtsgrundlage für die Forderung der Beklagten ist § 255 Abs.2 SGB V. Nach dieser Regelung sind rückständige Beiträge durch den Träger der Rentenversicherung aus der weiterhin zu zahlenden Rente einzubehalten, wenn bei der Zahlung der Rente die Einbehaltung von Beiträgen unterblieben ist. Es handelt sich dabei um eine nachträgliche Forderung von Beiträgen und nicht um eine Entscheidung nach den §§ 45 oder 48 Sozialgesetzbuch X (SGB X).

Daß bei der nachträglichen Feststellung des Beitragsanteils der Versicherten durch den Versicherungsträger, der den Einbehalt des Krankenversicherungsanteils unterlassen hat, grundsätzlich nicht die Einschränkungen der §§ 45, 48 SGB X zu beachten sind, hat das BSG mit Urteil vom 23.05.1989 (SozR 2200 Nr.3 zu § 393 a) bereits entschieden und ausführlich begründet. Es handelt sich bei der Nacherhebung, auch wenn der Versicherungsträger von Neuberechnung der Rente spricht, in Wahrheit nicht um eine rückwirkende Herabsetzung der früher ohne Abzug der Beiträge ausgezahlten Rente, sondern um eine nachträgliche Erhebung der Beiträge, ggf. durch Einbehaltung von der derzeit laufenden Rente.

Die Beitragsschuld wurde von der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden für die Zeit ab 01.01.1991 zutreffend festgestellt. Auf die Frage, ob die Beklagte, die Krankenkasse oder die Versicherte die Unterlassung der Beitragszahlung zu vertreten hat, kommt es bei der Feststellung der Beitragsschuld nicht an.

Eine Grenze der nachträglichen Einbehaltung könnte sich aus § 255 Abs.2 SGB V i.V.m. § 51 Abs.2 Sozialgesetzbuch I (SGB I) ergeben. Da eine entsprechende Entscheidung der Beklagten über die tatsächliche Einbehaltung der rückständigen Beiträge noch nicht vorliegt, kommt es auf diese Problematik im Fall der Klägerin nicht an.

Einer Anhörung der Klägerin vor Feststellung der Beitragsschuld bedurfte es nicht, weil eine Änderung der Rente nicht erfolgt ist und damit auch nicht in Rechte im Sinne des § 24 SGB X eingegriffen wurde; im übrigen ist die unterbliebene Anhörung durch das Widerspruchsverfahren geheilt.

Der nachträglichen Beitragsforderung steht auch nicht eine frühere Entscheidung der Beklagten zur Versicherungspflicht entgegen. Zwar hat die Beklagte im Rentenbescheid vom 02.07.1990 ausdrücklich festgestellt, daß derzeit keine Pflichtversicherung in der KVdR besteht, gleichzeitig aber darauf hingewiesen, daß bei Eintritt von Krankenversicherungspflicht z.B. bei Beantragung einer weiteren Rente die Verpflichtung bestehe, die auf die Rente entfallenden Beiträge, ggf. auch rückwirkend einzubehalten. Eine solche Krankenversicherungspflicht ist im Falle der Klägerin durch den Bezug der Witwenrente eingetreten.

Die Beitragsforderung der Beklagten verstößt auch nicht gegen Treu und Glauben. Es kann dahinstehen, ob das Unterlassen der Beitragseinbehaltung allein auf dem Verschulden der Beklagten beruht. Dies berührt grundsätzlich nicht die Berechtigung zur Nachforderung der Beiträge. Die Beitragsforderung der Beklagten ist insbesondere nicht verwirkt, da die Beklagte nicht durch ein irgendwie geartetes Handeln bei der Klägerin den Eindruck erweckt hat, sie würde berechtigte Beitragsforderungen nicht geltend machen. Ein solches Verwirkungshandeln seitens der Beklagten liegt nicht vor, wobei bloßes Nichtstun nicht ausreicht (vgl. BSGE 47, 194 f).

Die angefochtenen Bescheide sind also nur insoweit rechtswidrig, als darin Beiträge für die Zeit vom 12.12.1990 bis 31.12. 1990 nachgefordert werden. Ansonsten kann die Berufung jedoch keinen Erfolg haben, weshalb sie im übrigen als unbegründet zurückzuweisen ist.

Wegen des nur geringfügigen Obsiegens der Klägerin sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten (§ 193 SGG).

Gründe, gemäß § 160 Abs.2 SGG die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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