L 19 RJ 163/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 17 RJ 668/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 RJ 163/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 09.03.1999 aufgehoben. Der Bescheid der Beklagten vom 07.04.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.06.1998 und des Bescheids vom 12.01.1999 wird abgeändert und die Beklagte verurteilt, die Zeiten vom 01.12.1959 bis 31.12.1966, vom 01.01.1982 bis 30.09.1982 und vom 01.01.1983 bis 30.06.1983 als nachgewiesene Beitragszeiten mit dem in der Adeverinta vom 29.10.1997 bestätigten Umfang bei der Rentenberechnung ungekürzt zu berücksichtigen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, in welchem Umfang in Rumänien zurückgelegte Versicherungszeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) bei der Berechnung der Altersrente zu berücksichtigen sind.

Der am ... 1937 geborene Kläger ist am 19.08.1983 aus Rumänien in die Bundesrepublik übergesiedelt; er ist Inhaber des Bundesvertriebenenausweises A. In seiner Heimat arbeitete er von 1951 bis zu seiner Ausreise versicherungspflichtig als Elektriker und Elektrikermeister. Im Kontenklärungsverfahren legte er die Adeverinta Nr 894 vom 22.08.1983 vor, in der Beginn und Ende der vom 02.10.1955 bis 01.07.1983 verrichteten Tätigkeiten aufgeführt sind. Mit Bescheiden vom 26.11.1985 und vom 04.06.1986 merkte die Beklagte die in Rumänien zurückgelegten Zeiten zu 6/6, mit Bescheiden vom 07.03.1996 und 12.11.1997 nur zu 5/6 vor.

Am 12.11.1997 legte der Kläger die Adeverinta Nr 5338 vom 29.10.1997 vor, aus der sich die Abwesenheitstage des Klägers in der Zeit von 1959 bis 1983 ergeben, aufgegliedert nach Zeiten des gesetzlichen Urlaubs, des Krankenurlaubs, des Urlaubs ohne Genehmigung/Bezahlung und der unentschuldigten Abwesenheiten. Mit Bescheid vom 16.12.1997 lehnte die Beklagte die Vormerkung der Zeiten zu 6/6 ab.

Auf den Antrag vom 25.02.1998 bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 07.04.1998 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab 01.05.1998, wobei sie die in Rumänien ab 02.10.1955 zurückgelegten Versicherungszeiten zu 5/6 anrechnete. Der hiergegen am 29.04.1998 eingelegte Widerspruch blieb erfolglos.

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 23.06.1998 hat der Kläger am 13.07.1998 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Das SG hat durch das SG Augsburg den Zeugen ... und durch das SG München den Zeugen ... einvernommen. In der mündlichen Verhandlung vom 03.12.1998 hat der Kläger Kopien aus Rumänien betreffend eine Jahresabrechnung aus dem Jahre 1969 sowie Anwesenheitslisten aus den Jahren 1981 und 1982 vorgelegt. Daraufhin hat die Beklagte im Bescheid vom 12.01.1999 die Zeiten vom 01.01.1969 bis 31.12.1969, vom 01.01.1981 bis 31.01.1981 sowie vom 01.10.1982 bis 31.12.1982 als nachgewiesene Beitragszeiten anerkannt. In der mündlichen Verhandlung vom 09.03.1999 hat die Beklagte ein darüber hinaus gehendes Teilanerkenntnis abgegeben und die Zeiten vom 01.01.1967 bis 12.01.1976, vom 01.05.1976 bis 31.12.1981 und vom 01.10.1982 bis 31.12.1982 als nachgewiesene Beitragszeiten sowie die Zeit vom 01.02.1976 bis 30.04.1976 als Anrechnungszeit wegen Krankheit anerkannt; dieses Teilanerkenntnis hat die Beklagte mit Bescheid vom 11.04.1999 ausgeführt und die Altersrente des Klägers ab 01.05.1998 neu berechnet.

Den über das Teilanerkenntnis der Beklagten hinaus gestellten Antrag des Klägers hat das SG mit Urteil vom 09.03.1999 abgewiesen. Nach seiner Auffassung fehlt für den geltend gemachten Zeitraum eine entsprechende Bestätigung. Weitere Unterlagen, welche die Richtigkeit der vorgelegten Bescheinigung auch insoweit belegten, seien nicht zu erlangen. Ein Nachweis dafür, dass die Adeverinta vom 29.10.1997 die Beitragszeiten des Klägers in Rumämien zutreffend wiedergebe, liege deshalb nicht vor. Insoweit könne diese Bescheinigung keinen Vollbeweis für die vom Kläger in Rumänien zurückgelegten Beitragszeiten erbringen.

Mit der hiergegen eingelegten Berufung beantragt der Kläger die Vollanrechnung weiterer Zeiten und verweist zur Begründung im Wesentlichen auf die Adeverinta vom 29.10.1997. Wer die vorgelegten Kopien der Originalunterlagen mit dieser Adeverinta vergleiche, werde feststellen, dass die einzelnen Zeiten exakt übernommen wurden. Somit sei eine volle Anerkennung der geltend gemachten Zeiten zu gewähren.

Der Kläger beantragt:

1. Das Urteil des SG Nürnberg vom 09.03.1999 ist aufzuheben. Der Verwaltungsakt vom 16.12.1997 und der Rentenbescheid vom 07.04.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.06.1998 sowie der Neufeststellungsbescheid vom 12.01.1999 sind abzuändern und die nachgewiesenen Be schäftigungszeiten vom 01.12.1959 bis 31.12.1966, vom 01.01.1982 bis 30.09.1982 sowie vom 01.01.1983 bis 01.07.1983 zu 6/6 anzuerkennen. Die Kostenentscheidung des SG Nürnberg ist aufzuheben. Die Kosten im Widerspruchs- und Klageverfahren sind zu gewähren.
2. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung gegen das Urteil des SG NÜrnberg vom 09.03.1999 zurückzuweisen.

Nach ihrer Auffassung verbleibt es für die noch geltend gemachten übrigen Zeiträume bei der Glaubhaftmachung (5/6-Kürzung). Zur Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens hat die Beklagte nicht Stellung genommen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestands auf den Inhalt der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die beigezogenen Unterlagen der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und auch im Übrigen zulässig. Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis gegeben haben (§ 124 Abs 2 SGG).

Das Rechtsmittel erweist sich auch als begründet. Auf den Antrag des Klägers war das Urteil des SG Nürnberg vom 09.03.1999 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 07.04.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.06.1998 und des Bescheides vom 12.01.1999 zu verurteilen, die Zeiten vom 01.12.1959 bis 31.12.1966, vom 01.01.1982 bis 30.09.1982 und vom 01.01.1983 bis 30.06.1983 als nachgewiesene Beitragszeiten mit dem in der Adeverinta vom 29.10.1997 bestätigten Umfang bei der Rentenberechnung ungekürzt zu berücksichtigen. Diese Beschäftigungszeiten des Klägers sind nach Auffassung des Senats nicht lediglich glaubhaft gemacht, sondern nachgewiesen.

Vorliegend ist das FRG uneingeschränkt in der ab 01.01.1992 geltenden Fassung anzuwenden, da ein Anspruch auf Zahlung einer Rente erstmals ab 01.01.1996 (hier ab 01.05.1998) besteht. Der somit anzuwendende § 22 Abs 3 FRG ersetzt die Kürzung der Zeiten nach § 19 Abs 2 FRG a.F. durch eine Kürzung der Entgeltpunkte. Danach werden für Beitrags- oder Beschäftigungszeiten, die nicht nachgewiesen sind, die ermittelten Entgeltpunkt um 1/6 gekürzt. Vorliegend sind die streitigen Zeiten als Beitragszeiten in Rumänien nachgewiesen und somit ungekürzt zu berücksichtigen.

Nachweis im Sinne des § 22 Abs 3 FRG bedeutet die Führung des vollen Beweises, der (wie in anderen Rechtsgebieten) auch im Sozialversicherungsrecht mit allen Beweismitteln erbracht werden kann, soweit nicht der Kreis zulässiger Beweismittel gesetzlich eingeschränkt ist. Eine solche Beschränkung auf bestimmte Beweismittel findet aber im Rahmen der Prüfung, ob Zeiten nach §§ 15, 16 FRG nachgewiesen oder nur glaubhaft gemacht sind, nicht statt (Urteil des BSG vom 17.03.1964, Amtliche Sammlung, Band 20 Seite 255).

Nachgewiesen sind Zeiten dann, wenn mit der für den vollen Beweis erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit feststeht, dass sie (ohne relevante Unterbrechungen) zurückgelegt sind. Dies kann zum Beispiel angenommen werden, wenn eine Arbeitsbescheinigung (Adeverinta) nicht nur konkrete und glaubwürdige Angaben über den Umfang der Beschäftigungs- bzw Beitragszeiten, sondern auch über dazwischenliegende Ausfallzeiten enthält. Der Beweis einer (gemessen am Monatsprinzip) lückenlosen Beitragsleistung zum Rentenversicherungssystem eines nichtdeutschen (hier des rumänischen) Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung bzw der Nachweis einer ununterbrochenen Beschäftigungszeit, die nach dem ab 01.03.1957 geltenden Recht der Bundesrepublik Deutschland Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ausgelöst hätte, wird in erster Linie durch Urkunden, amtliche Auskünfte und Zeugenaussagen geführt. Dabei wird der Urkundenbeweis regelmäßig als das zuverlässigste Beweismittel gelten. Sowohl öffentliche Urkunden als auch die von früheren Arbeitgebern ausgestellten Bescheinigungen und die in der Regel ebenfalls von Arbeitgebern vorgenommenen Eintragungen in den rumänischen Arbeitsbüchern sind grundsätzlich geeignet, den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen zu erbringen.

Enthalten aber die Beweismittel - wie in der Regel die rumänischen Arbeitsbücher - nur Angaben über Beginn und Ende der Beschäftigung, ohne erkennen zu lassen, ob und in welchem Umfang die Beitrags- und Beschäftigungszeiten durch Fehlzeiten (zB Krankheit, Mutterschutz, Arbeitslosigkeit, unbezahlter Urlaub) unterbrochen wurden, sind sie nur als Mittel der Glaubhaftmachung geeignet (BSG Urteile vom 21.04.1982 4 RJ 33/81 - und vom 09.11.1982 - 11 RA 64/81 -). Sie können dann nur zu einer gekürzten Anrechnung führen. Deswegen hat die Beklagte in den Bescheiden vom 07.03.1996 und 12.11.1997 die vom Kläger in Rumänien zugelegten Beschäftigungszeiten zu Recht nur zu 5/6 vorgemerkt, da die im früheren Kontenverfahren vorgelegte Adeverinta Nr 894 vom 22.08.1983 keinerlei Angaben über die Fehlzeiten des Klägers enthielt.

Unter Berücksichtigung der oben angeführten Gesichtspunkte ist vorliegend der erforderliche Nachweis durch die Adeverinta Nr 5338 vom 29.10.1997, ausgestellt von der Zweigstelle für Transport und Verteilung der elektrischen Energie in Temeschburg/Rumänien, geführt. Denn sie enthält Angaben über die Tätigkeit des Klägers und die Tage seiner Abwesenheit in dem Zeitraum von Dezember 1959 bis zu seiner Ausreise aus Rumänien im Jahre 1983, gegliedert nach Fehlzeiten durch den gesetzlichen Urlaub, Urlaub ohne Genehmigung/Bezahlung und unentschuldigte Abwesenheit. Aus ihr ergibt sich, dass der Kläger in den streitigen Zeiträumen - abgesehen von der Zeit seiner Abwesenheit im Jahre 1976 - keine unbezahlten Urlaubstage und keine unbegründeten Fehlzeiten hatte; er war auch nicht arbeitslos. Die Aufzeichnungen dieser Adeverinta sind den Zahlungslisten im Archiv der Ausstellerin entnommen. Solch qualifizierte Bescheinigungen mit den vorstehend bezeichneten Angaben bedeuten ein wesentliches Mehr an Auskunft gegenüber den bloßen Adeverintas ohne entsprechende Hinweise auf Fehlzeiten. Im Hinblick auf die bestätigten Angaben bestehen für den Senat keine begründeten Zweifel am Wahrheitsgehalt der genannten Adeverinta. Diese erfüllt vielmehr insgesamt die Anforderungen an einen Nachweis der Versicherungszeiten, da neben den effektiv gearbeiteten Tagen die Fehlzeiten des Klägers aufgeschlüsselt nach Jahren bzw Monaten vermerkt sind. Nach Auffassung des Senats dürfen nämlich die Anforderungen an einen Nachweis nicht überspannt werden, was bedeutet, dass kein vernünftiger Grund vorliegt, die Adeverintas der rumänischen Arbeitgeber bezüglich der auf das Beschäftigungsverhältnis bezogenen Angaben an wesentlich strengere formale Erfordernisse zu knüpfen als bei deutschen Arbeitgebern. Zum anderen kann nicht verlangt werden, dass nach völlig unwahrscheinlichen Fehlzeiten im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses (zB Arbeitsausfall durch höhere Gewalt) geforscht bzw gefragt werden muss. Auch bestehen zur Überzeugung des Senats keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Inhalt der Adeverinta Nr 5338 vom 29.10.1997 zu Gunsten des Klägers verfälscht worden sein könnte. Insbesondere spricht nichts für die Annahme, die Ausstellerin der Urkunde könnte ihr bekannte Fehlzeiten des Versicherten verschwiegen oder die Adeverinta aus reiner Gefälligkeit erstellt haben. Insoweit verweist der Senat auf die Bekundungen der vom SG einvernommenen Zeugen ... und ... , die mit dem Kläger von 1967 bis 1981 bzw von 1974 bis 1981 zusammengearbeitet haben. Sie konnten sich lediglich an die Fehlzeit des Klägers im Jahre 1976 erinnern, die auch in der genannten Adeverinta aufgeführt ist. Der Zeuge ... hat außerdem erklärt, wenn der Kläger in den Jahren 1974 bis 1981 länger gefehlt hätte, wäre ihm das aufgefallen. Daraus ergibt sich der Schluss, dass die Ausstellerin der genannten Adeverinta die in ihrem Archiv verwahrten Lohnlisten durchgesehen hat und dabei nur die Fehlzeit des Klägers im Jahre 1976 feststellen konnte. Unter diesen Umständen bestand für den Senat kein Anlass, insoweit ergänzende Sachermittlungen durchzuführen, als für die übrigen von der Adeverinta umfassenden Beschäftigungsjahre keine Fehlzeiten genannt sind. Der Senat hält vielmehr für bewiesen, dass keine weiteren Fehlzeiten vorgelegen haben.

Zusammenfassend erfüllt die Adeverinta vom 29.10.1997 die Anforderungen an einen Nachweis der Versicherungszeiten. Fehlzeiten haben zur Überzeugung des Senats nur in dem Umfang vorgelegen, wie sie in der Adeverinta bescheinigt sind. Die Beklagte war daher unter Abänderung ihrer Entscheidungen zu verurteilen, die vom Kläger noch geltend gemachten Zeiten als nachgewiesene Beitragszeiten bei der Berechnung der Altersrente ohne Kürzung zu berücksichtigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Zu den von der Beklagten zu erstattenden außergerichtlichen Kosten der ersten Instanz zählen auch die Kosten des Widerspruchsverfahrens. Denn die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten (§ 193 Abs 2 SGG) umfassen - ebenfalls nur im Sinne einer Kostengrundentscheidung - auch die notwendigen Aufwendungen eines für das Klageverfahren gemäß § 78 SGG zwingend vorgeschriebenen Vorverfahrens (vgl BSG Beschluss vom 24.08.1976 in SozR 1500 § 193 Nr 3). Ob die für das Widerspruchsverfahren entstandenen Aufwendungen notwendig waren, ist im Verfahren nach § 197 SGG festzustellen (BSG aaO).

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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