L 19 RJ 195/98

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 17 RJ 317/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 RJ 195/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 17.03.1998 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Anrechnung der streitbefangenen Zeit entsprechend der im Widerspruchsverfahren vorgelegten qualifizierten Adeverinta zu erfolgen hat.
II. Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
III. Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zur Hälfte zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die ungekürzte Anrechnung von Beitragszeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) und um die Zuordnung der Zeiten nach den Qualifikationsgruppen der Anlage 14 zum SGB VI. Die am 1938 geborene Klägerin ist am 12.06.1990 aus Rumänien in die Bundesrepublik übergesiedelt; sie ist Inhaberin des Vertriebenenausweises "A". In einem Antrag auf Kontenklärung vom 11.06.1991 hat die Klägerin zu ihrem Lebens- und Berufsweg angegeben: Von September 1958 bis April 1959 Verkäuferin, von August 1961 bis September 1962 Kassiererin in einer Sparkasse, von September 1968 bis Mai 1990 Gütekontrolleurin in einem Konfektionsbetrieb. Die Klägerin legte dazu zunächst eine Arbeitsbescheinigung Nr 63565 vom 10.09.1990 vor, in der pauschal die vorstehenden Arbeitszeiten bescheinigt wurden. Weiter legte sie der Beklagten ein Zeugnis vom 01.11.1988 vor, nach dem sie am Arbeitsplatz einen Fachausbildungskursus von sechsmonatiger Dauer im Dezember 1987 abgeschlossen und sich für den Beruf der Modelliererin qualifiziert hat. In einer weiteren Bescheinigung der Konfektionsfabrik T. Nr 103 vom 12.03.1991 ist vermerkt, dass die Klägerin in der Zeit vom 01.09.1968 bis zum 02.05.1990 als Qualitätskontrolleurin gearbeitet habe und keinen unbezahlten Urlaub, keine unentschuldigten Abwesenheiten oder verlängerten Genesungsurlaub gehabt habe. Aus dem in Übersetzung vorliegenden Arbeitsbuch der Klägerin geht hervor, dass diese ab 22.01.1970 als Kontrolleurin, vorher als Wäscheschneiderin eingesetzt war.

Die Beklagte erteilte den Bescheid vom 12.07.1996, in dem sie die Zeiten vom 07.09.1958 bis 01.05.1990 (mit Unterbrechungen) als Pflichtbeitragszeiten nach dem FRG anerkannte, gekürzt auf 5/6 in den Entgeltpunkten und zugeordnet der Qualifikationsgruppe 5 (Bereiche 17, 21 und zuletzt 08) der Anlage 14 zum SGB VI. Dagegen legte die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Widerspruch ein und beantragte die Anerkennung der Qualifikationsgruppe 4 ab 1980 sowie die ungekürzte Anrechnung der Tabellenwerte. Sie legte eine (weitere) Adeverinta der Firma T. aus dem Jahre 1991 vor, in der für die Zeit vom 01.09.1968 bis 02.05.1990 die effektiv gearbeiteten Tage und daneben die Fehlzeiten wegen Urlaubs und Krankheit aufgelistet waren. Nach dem Bescheid der Industrie- und Handelskammer Nürnberg vom 26.08.1996 hatte die Klägerin in Rumänien den Abschluss einer Bekleidungsfertigerin erlangt.

Auf ihren Rentenantrag vom 10.09.1996 bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 14.11.1996 und Widerspruchsbescheid vom 24.03.1997 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 01.10.1996. Mit weiterem Bescheid vom 10.03.1998 wurde der Rentenbeginn auf den 01.09.1996 vorverlegt.

Den Widerspruch gegen den Feststellungsbescheid vom 12.07.1996 wies die Beklagte mit Bescheid vom 24.03.1997 zurück. Die Klägerin könne auch unter Berücksichtigung der Bescheinigung der IHK Nürnberg lediglich als angelernte Arbeiterin angesehen werden. Die Beitragszeiten ab 1968 seien lediglich glaubhaft gemacht.

Dagegen hat die Klägerin am 21.04.1997 Klage beim Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben und beantragt, die Zeit ab Juli 1980 der Qualifikationsgruppe 4, Bereich 08 zuzuordnen und für die Zeit vom 01.09.1968 bis 30.04.1990 die volle Anrechnung der Tabellenwerte (ohne Kürzung auf 5/6) vorzunehmen. Im Beweisaufnahme- und Erörterungstermin vom 16.12.1997 hat das Sozialgericht die Zeuginnen E. und S. M. zu den Berufstätigkeiten der Klägerin in Rumänien einvernommen; wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Mit Urteil vom 17.03.1998 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12.07.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.03.1997 verurteilt, die Beschäftigungszeit der Klägerin vom 01.09.1968 bis 30.04.1990 mit den um 1/5 erhöhten Tabellenwerten anzuerkennen und die außergerichtlichen Kosten zur Hälfte zu erstatten. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Nach § 22 Abs 3 FRG iVm § 256 b SGB VI in der ab 01.01.1992 geltenden Fassung sei eine Kürzung der Entgeltpunkte nicht vorzunehmen. In der von der Klägerin vorgelegten Adeverinta des Arbeitgebers aus dem Jahre 1991 seien neben der Beschäftigung selbst auch Angaben über Art und Dauer von Arbeitsunterbrechungen enthalten und nach einzelnen Gründen unterschieden. Das Gericht gehe davon aus, dass bei den Personalunterlagen des Arbeitgebers keine weiteren Fehlzeiten der Klägerin vermerkt seien. Durch die genannte Bescheinigung sei der Vollbeweis der Beitragszeit erbracht. Die Beklagte habe deshalb den Versicherungsverlauf der Klägerin entsprechend der Bescheinigung aus dem Jahre 1991 neu festzustellen. Unbegründet sei die Klage hingegen im Bezug auf die Zuordnung der Qualifikationsgruppen. Die von der Klägerin parallel zu ihrer Arbeit durchlaufenen Aus- und Fortbildungskurse stellten nach Auffassung der Kammer nur berufsbegleitende Maßnahmen dar, bei denen die Klägerin mit den Eigenarten neuer, im Betrieb hergestellter Produkte vertraut gemacht werden sollte. Eine Ausbildung als Schneiderin, etwa im Sinne einer regelmäßigen Ausbildungsdauer von drei Jahren, habe die Klägerin nicht durchlaufen; sie sei auch einer Schneiderin nicht gleichgestellt gewesen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die am 16.04.1998 beim Bayer. Landessozialgericht eingegangene Berufung der Beklagten. Sie hält weiterhin an der Auffassung fest, dass die Beschäftigungszeiten der Klägerin vom 01.09.1968 bis 30.04.1990 lediglich glaubhaft gemacht und deshalb nur mit den um 1/6 gekürzten Tabellenwerten bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen seien.

Mit der am 29.04.1998 eingelegten Anschlussberufung verfolgt auch die Klägerin den vom SG Nürnberg verneinten Anspruch auf Einstufung der Beitragszeit von Juli 1980 bis April 1990 in die Qualifikationsgruppe 4 weiter.

Mit Bescheid vom 24.09.1998 wurde der Klägerin - unter Wegfall der bisher bezogenen Rente wegen Erwerbsunfähigkeit - Altersrente ab 01.06.1998 bewilligt.

Im Rahmen ihrer Anhörung vor dem Senat erklärte die Klägerin zu den von der Beklagten monierten Widersprüchen bei der Zahl der bestätigten Arbeitstage, sie habe während ihrer überwiegenden Beschäftigungszeit in Rumänien für deutsche Auftraggeber gearbeitet. Dies habe damals im Vergleich zu den für das Inland produzierten Waren erhöhte Qualitätsanforderungen bedeutet. Die in manchen Monaten auf mehr als 26 erhöhte Zahl von Arbeitstagen könne sie sich nur damit erkären, dass sie häufig zusätzliche Arbeitsschichten erbringen oder nicht selten auch Sonntags arbeiten musste.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 17.03.1998 insoweit aufzuheben, als sie verurteilt wurde, die Beschäftigungszeiten der Klägerin vom 01.09.1968 bis 30.04.1990 mit den um 1/5 erhöhten Tabellenwerten anzuerkennen, und die Anschlussberufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt nur noch,

den Leistungsbescheid vom 14.11.1996 dahin abzuändern, dass die Beitragszeit von Juli 1980 bis April 1990 in der Qualifikationsgruppe 4 Bereich 09 der Anlage 14 zum SGB VI einzustufen ist, und im Übrigen, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Dem Senat haben die Verwaltungsakten der Beklagten und die Prozessakten des SG Nürnberg vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufungen der Beklagten und der Klägerin sind form- und fristgerecht eingelegt §§ 143, 151 SGG und auch im Übrigen zulässig (§ 144 SGG).

I.

Das Rechtsmittel der Beklagten erweist sich im Ergebnis als nicht begründet. Streitig ist nach dem Übergang in das Leistungsfeststellungsverfahren nur noch der Bescheid vom 14.11.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.03.1997 und des Bescheides vom 10.03.1998. Auf die Einbeziehung des Altersrentenbescheides vom 24.09.1998 haben die Beteiligten verzichtet, weil sie - je nach Ausgang und bindendem Abschluss des Berufungsverfahrens - von einer Neufeststellung der Altersrente ausgehen.

Zu Recht hat das SG die Beklagte auf der Grundlage der im Widerspruchsverfahren vorgelegten Arbeitgeberbescheinigung aus dem Jahre 1991 verurteilt, bei der Ermittlung der Entgeltpunkte von einer Kürzung der ab 1968 in Rumänien zurückgelegten Beitragszeiten abzusehen. Diese Zeiten sind entgegen der Auffassung der Beklagten als nachgewiesen anzusehen. Nachgewiesen im Sinne des § 22 Abs 3 FRG sind Zeiten dann, wenn mit der für den vollen Beweis erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit feststeht, dass sie ohne relevante Unterbrechungen zurückgelegt sind. Dies kann angenommen werden, wenn eine Arbeitsbescheinigung nicht nur konkrete und glaubwürdige Angaben über den Umfang der Beschäftigungs- bzw Beitragszeiten, sondern auch über dazwischenliegende "Ausfallzeiten" enthält. Der Beweis einer (gemessen am Monatsprinzip) lückenlosen Beitragsleistung zur Rentenversicherung eines nichtdeutschen Versicherungsträgers wird in erster Linie durch Urkunden, amtliche Auskünfte und Zeugenaussagen geführt. Dabei wird der Urkundenbeweis regelmäßig als das zuverlässigste Beweis gelten können. Sowohl schriftliche Urkunden als auch die von früheren Arbeitgebern ausgestellten Bescheinigungen (in Rumänien: Adeverintas) sind regelmäßig geeignet, den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen zu erbringen. Die gilt nach Überzeugung des Senats auch für die hier maßgebliche Aderverinta aus dem Jahre 1991 mit der Registrier-Nummer des Arbeitgebers 26-17-1991. Diese Bescheinigung entspricht den Anforderungen, die der Senat bisher an den Nachweis rumänischer Beitragszeiten gestellt hat. Die Bescheinigung ist ausgestellt vom Beschäftigungsbetrieb der Klägerin und unterzeichnet vom Direktor und einem Personalsachbearbeiter des Betriebes. Sie enthält Aussagen über alle denkbaren, während des Arbeitslebens auftretenden Fehlzeiten, aufgeschlüsselt nach Jahren, Monaten und einzelnen Tagen. Es sind verteilt über den Gesamtzeitraum von 1968 bis 1990 sowohl die effektiven Arbeitstage der Klägerin wie auch die Fehlzeiten wegen Erholungsurlaub, Krankheit, unbezahlten Urlaubs und unentschuldigter Abwesenheit vermerkt. Ein vernünftiger Zweifel an der Richtigkeit und Echtheit dieser Bescheinigung besteht für den Senat nicht; es findet sich kein Hinweis darauf, dass die Bescheinigung zu Gunsten der Klägerin verfälscht sein könnte. Die Echtheit dieser Bescheinigung ergibt sich auch in der Zusammenschau mit der am 12.03.1991 ausgestellten Adeverinta Nr 103 desselben Betriebs. Beide Bescheinigungen enthalten dieselbe betriebliche Registrier-Nummer: 26-17-91 und treffen inhaltsgleich die Aussage, dass die Klägerin keinen unbezahlten Urlaub und keine unentschuldigten Fehltage gehabt hat. Die von der Beklagten herausgestellte Unstimmigkeit hinsichtlich der Zahl der monatlichen Arbeitstage hat die Klägerin nachvollziebar damit erklärt, dass sie (trotz 6-Tage-Woche) häufig zusätzliche Arbeitsschichten leisten und nicht selten auch an Sonntagen arbeiten musste. Die hohe Zahl der Urlaubstage in den Jahren 1985 und 1987 lässt sich dadurch erklären, dass hier ein Ausgleich mit den davor liegenden Jahren stattgefunden hat. Die vorgenannte Adeverinta mit der Registrier-Nummer 26-17-91 erfüllt demnach in Verbindung mit der vorausgegangenen Adeverinta vom 12.03.1991 und den eigenen Angaben der Klägerin die Anforderungen an einen Nachweis der darin bestätigten Versicherungszeiten. Fehlzeiten haben zur Überzeugung des Senats nur in dem Umfang vorgelegen, wie sie bescheinigt wurden. Die Berufung der Beklagten war demgemäß zurückzuweisen.

II.

Die Anschlussberufung der Klägerin erweist sich als unbegründet. Das Sozialgericht hat zu Recht auch die Beschäftigungszeit der Klägerin in Rumänien ab Juli 1980 der Qualifikationsgruppe 5 der Anlage 14 zum SGB VI zugeordnet. Insbesondere ist dem Sozialgericht darin zu folgen, dass die Klägerin keine qualifizierte Ausbildung im Sinne einer dreijährigen Lehrzeit durchlaufen, sondern stets nur angelernte Tätigkeiten verrichtet hat, und dass sie auch durch die vorgelegte Bescheinigung der IHK einer ausgebildeten Schneiderin nicht gleichgestellt worden ist. Die Anschlussberufung der Klägerin war demgemäß zurückzuweisen.

Da die Klägerin mit ihren Anträgen nur teilweise erfolgreich war, sind ihr die außergerichtlichen Kosten lediglich zur Hälfte zu erstatten, § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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