L 20 RJ 481/97

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 17 Ar 258/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 RJ 481/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zum Begriff einer praxisorientierten Reintegrationsmaßnahme (PRR) im
Sinne des § 25 Abs. 3 Nr. 3 SGB VI.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 22.07.1997 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger nach Beendigung einer praxisorientierten Reintegrationsmaßnahme (PRR) Übergangsgeld (Üg) zusteht.

Der am ...1949 geborene Kläger nahm vom 13.11.1995 bis 09.08.1996 an einer PRR im Beruflichen Fortbildungszentrum Weißenburg teil und erhielt für diese Zeit ein tägliches Übergangsgeld von 69,52 DM. Den am 06.09.1996 gestellten Antrag, ihm auch für die Dauer von sechs Wochen nach Abschluß dieser Maßnahme Üg zu gewähren, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07.10.1996 und Widerspruchsbescheid vom 03.03.1997 ab, da der Kläger nach Maßnahmeende nicht in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen worden sei und sich am 10.08.1996 wieder arbeitslos gemeldet habe.

Dagegen erhob der Kläger am 03.04.1997 Klage beim Sozialgericht (SG) Nürnberg. Das SG ließ sich Unterlagen über die PRR des Klägers vorlegen und verpflichtete die Beklagte mit Urteil vom 22.07.1997, dem Kläger ab 10.08.1996 für die Dauer von sechs Wochen Üg in gesetzlicher Höhe gemäß § 25 Abs. 3 Nr. 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) zu gewähren: Nach der Systematik des Gesetzes sei diese Vorschrift auf alle berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 - 4 SGB VI anwendbar, also auf alle Maßnahmen zur Berufsvorbereitung, beruflichen Anpassung, Fortbildung, Ausbildung und Umschulung sowie Maßnahmen der Arbeits- und Berufsförderung im Eingangsverfahren und im Arbeitstrainingsbereich einer anerkannten Werkstatt (§ 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI). Die vom Kläger durchlaufene Maßnahme erfülle diese Anforderungen, was im übrigen zwischen den Beteiligten unstreitig sei. Der Kläger habe sich im Anschluß an diese erfolgreich abgeschlossene Maßnahme auch arbeitslos gemeldet und damit alle Voraussetzungen für die Weitergewährung des Üg nach § 25 Abs. 3 Nr. 3 SGB VI für die Dauer von sechs Wochen erfüllt. Der Gesetzgeber habe hier insbesondere die Fälle erfassen wollen, in denen der Betreute nicht sofort vermittelt werden könne. Da das Ziel der berufsfördernden Maßnahme erst mit der Aufnahme einer Tätigkeit erreicht sei, solle der Versicherungsträger noch bis zur erfolgreichen Vermittlung für eine Übergangszeit den Lebensunterhalt des Betreuten sichern (vgl. Eicher/Haase/Rauschenbach, Kommentar zum SGB VI, § 25 Nr. 4 c; Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 12.09.1978 - 5 RJ 8/78 - in SozR 2200 § 1241 e Nr. 5). Ziel der PRR sei die berufliche Wiedereingliederung in ein festes Arbeitsverhältnis. Dabei werde das zentrale Maßnahmeziel, also ein neuer Arbeitsplatz, auch dann erreicht, wenn der Teilnehmer in einem anderen Betrieb als dem Praktikumsbetrieb einen neuen Arbeitsplatz finde; denn in diesem Falle könne die Maßnahme vom Versicherten sofort abgebrochen werden. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei die berufliche Fortbildungsmaßnahme nicht schon dann erfolglos beendet, wenn im Praktikumsbetrieb kein Arbeitsplatz gefunden werden könne. Die PRR-Maßnahme, an der der Kläger teilgenommen habe, sei deshalb nicht ohne Erfolg beendet worden.

Gegen das der Beklagten am 06.08.1997 zugestellte Urteil richtet sich ihre am 03.09.1997 beim Bayer. Landessozialgericht eingelegte Berufung: Zentrales Maßnahmeziel einer PRR-Maßnahme sei einzig die Erlangung eines neuen Arbeitsplatzes, entweder im Praktikumsbetrieb oder in einem durch die Maßnahme vermittelten anderen Betrieb. Die berufsfördernde Maßnahme sei somit nur dann als erfolgreich abgeschlossen anzusehen, wenn dieses Ausbildungsziel unmittelbar erreicht sei, d.h. wenn am Ende der Maßnahme ein zustandsangemessener Arbeitsplatz vermittelt werden konnte. Dies sei beim Kläger nicht der Fall gewesen, da er bei Beendigung der Berufsförderungsmaßnahme am 09.08.1996 weder einen Arbeitsplatz inne noch in Aussicht gehabt habe. Er habe sich vielmehr am 10.08.1996 arbeitslos gemeldet, so daß keine abgeschlossene PRR-Maßnahme vorliege und damit auch nicht die Voraussetzungen für den Bezug von nachgehendem Üg nach § 25 Abs. 3 Nr. 3 SGB VI.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des SG Nürnberg vom 22.07.1997 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 22.07.1997 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der Beklagtenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 1.000,00 DM übersteigt (§§ 143, 144 Abs. 1 Nr. 1, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), in der Sache jedoch unbegründet, weil der Kläger ab 10.08.1996 Anspruch auf Üg für die Dauer von sechs Wochen gegen die Beklagte hat.

Im Ergebnis zutreffend hat das Erstgericht in der eingehenden und ausführlichen Begründung seiner Entscheidung dargelegt, warum dem Kläger dieser Anspruch zusteht. Im Hinblick darauf hat der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen, zumal im Berufungsverfahren keine Tatsachen vorgetragen und keine rechtlichen Gesichtspunkte aufgezeigt wurden, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten. Ergänzend zu den Ausführungen des SG wird auf folgendes hingewiesen:

1. Die Argumentation der Beklagten, daß die berufsfördernde Maßnahme im Sinne des § 25 Abs. 3 Nr. 3 SGB VI nur dann als erfolgreich abgeschlossen anzusehen ist, wenn das Ausbildungsziel (Vermittlung in einen zustandsangemessenen Arbeitsplatz am Ende der Maßnahme) erreicht ist, vermag nicht zu überzeugen; denn dies ist letztlich das Ziel jeder Reha-Maßnahme. Dieser Grundsatz wurde vom BSG bereits im Urteil vom 19.03.1980 - 4 RJ 89/79 -, SozR 2200 § 1237 a Nr. 12 aufgestellt. In dieser Entscheidung hat das BSG darauf hingewiesen, daß von den berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation, die der Rentenversicherungsträger erbringt, jedenfalls die Umschulung i.d.R. erst dann beendet ist, wenn der Versicherte "in Arbeit" eingegliedert ist, also eine Erwerbstätigkeit aufgenommen hat. Daß "Abschluß" im Sinne des § 25 Abs. 3 Nr. 3 SGB VI nicht mit der Vermittlung in einen zustandsangemessenen Arbeitsplatz gleichzusetzen ist, ergibt sich auch im Kontext mit der nachfolgenden Nr. 4. Diese Bestimmung findet Anwendung, wenn "nach Abschluß" einer medizinischen oder berufsfördernden Reha-Leistung weitere berufsfördernde Leistungen notwendig sind. Der Gesetzgeber hat damit klargestellt, daß die frühere Rechtsprechung des BSG nicht übernommen werde, wonach die Notwendigkeit der anschließenden Leistung nur bei Abschluß der (medizinischen) Leistung festgestellt werden konnte (vgl. Eicher/Haase/Rauschenbach, Stand 01.01.1998, RdNr. 4 d/dd - S. 6 - unter Hinweis auf SozR 2200 § 1241 e Nr. 11 und BSGE 47, 176). Es reicht daher aus, wenn die Feststellung der Notwendigkeit einer (weiteren) berufsfördernden Maßnahme im zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der Reha-Leistung getroffen wird und der Versicherte der berufsfördernden Leistung zustimmt (vgl. SozR 2200 § 1241 e Nr. 9). Dabei ist es für die Weiterzahlung des Üg gleichgültig, welcher Solzialleistungsträger für die anschließende berufsfördernde Leistung zuständig ist. Daß die berufliche Reha-Maßnahme mit dem Ende der PRR noch nicht abgeschlossen war bzw. daß ihr "Abschluß" gemäß § 25 Abs. 3 Nr. 4 SGB VI nicht im Sinne der endgültigen Wiedereingliederung in das Arbeitsleben verstanden werden kann, entspricht offenbar auch der (zumindest zeitweise) von der Beklagten vertretenen Auffassung. Ansonsten hätte sie dem Kläger nicht, wie im Schreiben vom 06.11.1996 geschehen, weitere Reha-Leistungen in Aussicht gestellt.

Der Begriff "abgeschlossene berufsfördernde Leistung" im Sinne von § 25 Abs. 3 Nr. 3 SGB VI kann daher in der Gesamtschau nur so verstanden werden, daß bei Erforderlichkeit einer Abschlußprüfung für eine Berufsausbildung oder einen Ausbildungsabschnitt, nur deren Bestehen den Abschluß darstellt; ist jedoch keine Abschlußprüfung vorgesehen, wird der Nachweis dadurch erbracht, daß der Versicherte im Rahmen der beruflichen Reha-Maßnahme den vorgesehenen Ausbildungsplan erfolgreich durchlaufen hat. Dies ist beim Kläger der Fall, da er an allen im Rahmen der PRR-Maßnahme vorgesehenen theoretischen und praktischen Ausbildungsabschnitten erfolgreich teilgenommen hat.

2. Die Beklagte geht zwar zutreffend davon aus, daß Ziel der PRR-Maßnahme die berufliche Wiedereingliederung in ein festes Arbeitsverhältnis ist. Indem sie allein auf die Erlangung eines Arbeitsplatzes abstellt, bleibt jedoch unberücksichtigt, daß zunächst durch vorgeschaltete Qualifizierungsmaßnahmen die Vermittlungsfähigkeit verbessert werden soll. Dies kommt unzweideutig im Merkblatt über die PRR zum Ausdruck, der wie folgt lautet: "Sie erhalten die Möglichkeit, eine neue berufliche Tätigkeit zu erlernen, die Ihren Leistungseinschränkungen Rechnung trägt." Damit wird klargestellt, daß es sich bei der PRR um eine "vollwertige" berufliche Reha-Maßnahme handelt, für die auch bezüglich des Üg die gleichen Bestimmungen gelten (§§ 20, 22 ff SGB VI) wie für jede andere Maßnahme zur beruflichen Rehabilitation. Dies folgt aus der Bestimmung des § 16 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI, in der mehrere dem Auswahlermessen des Reha-Trägers überlassene Maßnahmemöglichkeiten gleichberechtigt nebeneinanderstehen, und auf welche die Beklagte ihren Bewilligungsbescheid vom 27.10.1995 stützt. Bestätigt wird diese Auffassung durch den tatsächlichen Ablauf; denn im Aktenvermerk vom 14.03.1996 ist festgehalten: "Aufgrund größerer Übernahmechancen erfolgt Stellenwechsel zum ...-Baumarkt ab 18.03.1996 ...", wo der Kläger (der beruflich als Schreiner und Kraftfahrer tätig war), als Fachberater eingesetzt wurde, nachdem er zuvor vom 15.01. bis 08.03.1996 Praktikant bei der ... AG in Ansbach war.

3. Mit Wirkung ab 01.01.1998 wurde § 25 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI geändert. Voraussetzung für die Weiterzahlung des Üg nach dieser Bestimmung ist neben Arbeitslosigkeit, daß sich der Versicherte beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) von mindestens drei Monaten Dauer hat. Alg geht dem Anspruch auf Üg vor. Besteht noch ein Anspruch auf Alg von weniger als drei Monaten, ist dieses zunächst nach Abschluß der berufsfördernden Maßnahme zu erbringen; die Dauer des Anspruchs auf Üg verkürzt sich entsprechend. Daraus läßt sich der Umkehrschluß ziehen, daß vor dem 01.01.1998 unabhängig von einem evtl. Anspruch auf Alg vorrangig Üg zu zahlen war.

Da die Höhe des Üg nicht streitig ist, hat das Erstgericht gemäß § 130 SGG zulässigerweise ein Grundurteil erlassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (Auslegung des Begriffs "Abschluß einer PRR-Maßnahme im Sinne des § 25 Abs. 3 Nr. 3 SGB VI) zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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