L 16 RJ 523/95

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 4 Ar 63/95
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 RJ 523/95
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die in den letzten Jahren verbesserte intensivierte Insulintherapie (Basis-Bolus-Therapie) erlaubt eine Aufteilung des Insulins auf mehrere Injektionen. Dabei wird, angenähert an die physiologische Insulinsekretion, jeweils zum Essen ein schnell wirkendes Insulin injiziert und unabhängig davon ein sehr lang wirkendes Insulin verabreicht, das einen gewissen Basisspiegel ermöglicht. Deshalb kann sich auch ein Diabetiker des Typs IIb in den üblichen Betriebsablauf mit seinen normalen Arbeitspausen einfügen und ist insoweit nicht in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert.
I. Auf die Berufung der Beklagten hin wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 3. Mai 1995 insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Rentengewährung verurteilt wird. Die Klage gegen den Bescheid vom 27. August 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Februar 1993 wird auch insoweit abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am ...1945 im ehemaligen Jugoslawien geborene Kläger lebt seit Juni 1970 in der Bundesrepublik Deutschland. Er hat keinen Beruf erlernt und war in der Bundesrepublik Deutschland als Fabrikarbeiter, Lagerarbeiter, Maschinenarbeiter, Spinner und Maschinenarbeiter/Staplerfahrer beschäftigt. Dabei war er die meiste Zeit, nämlich vom 02.04.1973 bis 31.10.1988 bei der Firma ... AG als Maschinenarbeiter und zuletzt als Gabelstaplerfahrer tätig. Die zuletzt genannten Tätigkeiten hätten nach Auskunft der Firma ... AG auch von ungelernten Arbeitern nach kurzer Einarbeitungszeit verrichtet werden können. Der Kläger ist seither arbeitslos gemeldet und lebt derzeit von Sozialhilfe. Der Kläger hat am 06.11.1991 die Gewährung einer Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit beantragt. Der Kläger wurde daraufhin nach Beiziehung ärztlicher Unterlagen aus dem Zeitraum seit Anfang 1981 seitens der LVA Oberbayern untersucht. Der Nervenarzt Dr ... hat in seinem Gutachten vom 21.01.1992 folgende Diagnosen gestellt: 1. Diabetische Polyneuropathie. 2. Schulter-Arm-Syndrom rechts mit nicht eindeutiger Wurzelreizsymptomatik C 8. Die Orthopädin Dr ... hat in ihrem Gutachten vom 21.01.1992 aus orthopädischer Sicht keine wesentliche Leistungseinbußen feststellen können. Des weiteren wurde noch ein internistisches Gutachten des Zentralkrankenhauses Gauting (Dr ...) vom 23.01.1992 eingeholt, wo folgende Diagnosen gestellt wurden: 1. Dringender Verdacht auf kürzlich stumm abgelaufenen, intramuralen Vorderwandinfarkt. 2. Insulinpflichtiger Diabetes mellitus mit diabetischer Polyneuropathie und peripheren Zirkulationsstörungen. 3. Schulter-Arm-Syndrom rechts mit nicht eindeutiger Wurzelreizsymptomatik. 4. Dezente, posttuberkulöse Lungenveränderungen ohne Funktionsbeeinträchtigung. 5. Anamnestisch Leberzirrhose, Zustand nach Hepatitis B ohne Veränderung der leberspezifischen Enzyme. Aus internistisch-pneumologischer Sicht sei die Belastbarkeit derzeit erheblich reduziert. Dem Versicherten könnten leichte Arbeiten, teilweise im Sitzen, derzeit nur halb- bis untervollschichtig zugemutet werden. Es wurde ein Heilverfahren empfohlen. Dieses fand vom 24.06.1992 bis 22.07.1992 in der Klinik Regina in Bad Kissingen statt. Dort wurde bei der Entlassung festgestellt, daß der Kläger für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit arbeitsunfähig sei, aber noch leichte körperliche Arbeiten ohne häufiges Klettern oder Steigen im Wechsel zwischen Sitzen und Stehen vollschichtig verrichten könne.

Der Antrag des Klägers wurde daraufhin mit Bescheid vom 27.08.1992 abgelehnt. Hiergegen richtet sich der Widerspruch vom 18.09.1992. Die Beklagte hat zum einen eine Auskunft des letzten Arbeitgebers des Klägers, der Firma ..., eingeholt. Des weiteren wurden aktuelle ärztliche Unterlagen bei dem Hausarzt Dr ... eingeholt. Die daraufhin eingeschaltete Internistin und Sozialmedizinerin Dr ... hat in ihrer Stellungnahme vom 18.01.1993 keine Änderung der bisherigen Beurteilung des Leistungsvermögens festgestellt. Der Widerspruch wurde daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 10.02.1993 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Klage vom 18.02.1993. Die gegebenen gesundheitlichen Leistungseinschränkungen würden zumindest die Gewährung einer Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit auf Zeit rechtfertigen. Es werde eine weitere Aufklärung des medizinischen Sachverhaltes für notwendig erachtet. Die Beklagte hat die Unterlagen des sozialmedizinischen Dienstes der AOK, einen aktuellen Befundbericht des Hausarztes Dr ... sowie nochmals eine Arbeitgeberauskunft bei der Firma ... AG eingeholt. Der zum Sachverständigen ernannte Dr ... hat folgende Diagnosen gestellt: 1. Diabetes mellitus Typ II b. 2. Fortgeschrittene Polyneuropathie mit distaler aktiver Denervierung. 3. Hepatitis B ohne Anhalt für hohe akute entzündliche Aktivität. 4. Kompensierte grobknotige Leberzirrhose und Zustand nach Alkoholabusus. 5. Arterielle Hypertonie mit konzentrischer Linksherzhypertrophie. 6. Hyperlipoproteinämie Typ II B. 7. Zustand nach Vorderwandinfarkt 1992 bei koronarer Herzerkrankung. 8. Zustand nach Lungenspitzentuberkulose 1986, derzeit ohne Anhalt für Aktivität. 9. Geringe respiratorische Partialinsuffizienz. 10. Lipomatose des Pankreas. Die Leistungsfähigkeit des Klägers habe sich mit Manifestation der koronaren Herzerkrankung durch den kleinen Infarkt sowie der Dokumentation der nicht-transmuralen Infarzierung im LAD-Bereich deutlich verschlechtert. Mittelschwere und schwere Arbeiten seien nicht mehr zumutbar. Der Kläger könne danach noch leichte Arbeiten vollschichtig verrichten. Es seien zusätzliche Unterbrechungen zur Einnahme von Zwischenmahlzeiten wegen der Blutzuckererkrankung erforderlich und zwar maximal alle drei Stunden. Zur Erhaltung der Erwerbsfähigkeit des Klägers sei die Durchführung von Heilmaßnahmen dahingehend sinnvoll, daß unbedingt eine konsequente Blutzuckereinstellung anzustreben sei. Der Kläger hat vom 18.10.1994 bis 15.11.1994 abermals ein Heilverfahren in der Klinik Regina in Bad Kissingen durchgeführt. Der Kläger wurde dort als arbeitsunfähig für die zuletzt verrichtete Tätigkeit als Staplerfahrer entlassen, er könne aber auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch leichte Arbeiten vollschichtig verrichten.

Im Verhandlungstermin vor dem Sozialgericht München (SG) hat der Kläger angegeben, daß er vier bis fünfmal täglich Insulin spritzen müsse und zwar um 07.00, 08.00, 12.00, 17.00 und 22.00 Uhr.

Mit Urteil vom 03.05.1995 hat das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger eine Erwerbsunfähigkeitsrente auf Dauer bei einem Versicherungsfall am 15.11.1994 (Tag der Entlassung aus der Klinik Regina) zu gewähren. Im übrigen wurde die Klage abgewiesen. Der Kläger sei zwar noch in der Lage, leichte Arbeiten mit bestimmten qualitativen Einschränkungen vollschichtig zu verrichten. Der Kläger könne aber diese Vollzeittätigkeiten nicht mehr unter den allgemein betriebsüblichen Arbeitsbedingungen verrichten. Das Bundessozialgericht habe eine rechtserhebliche Einschränkung darin gesehen, daß ein Versicherter neben den in der Arbeitszeitordnung (AZO) vorgesehenen Pausen zusätzliche Arbeitsunterbrechungen von zweimal 15 Minuten benötige. Lege man als Regelfall eine halbstündige Pause nach etwa der Hälfte der Arbeitszeit zugrunde, so benötige der Kläger bei einem täglichen Arbeitsbeginn um 07.00 Uhr zwei zusätzliche Pausen im Sinne der o.g. Rechtsprechung. Sowohl um 07.00 Uhr bei Arbeitsbeginn als auch um 08.00 Uhr müßte er sich aus dem Produktionsprozeß zurückziehen, um den Blutzuckerspiegel zu bestimmen und die erforderliche Menge Insulin zu spritzen. Im übrigen sei zweifelhaft, ob die um 12.00 Uhr erforderliche Insulinspritze mit der halbstündigen Arbeitszeitunterbrechung einherginge oder eine zusätzliche dritte Pause erfordere. Daher stehe fest, daß der Kläger, der anders als die Mehrzahl der Diabetiker nicht mit kleinen Zwischenmahlzeiten auskomme, nicht mehr zu üblichen Arbeitsbedingungen tätig sein könne. Der Versicherungsfall sei erst mit der Entlassung aus der Klinik Regina am 15.11.1994 eingetreten. Vor diesem Zeitraum sei der Diabetes des Klägers nicht ausreichend eingestellt gewesen. Erst aufgrund des Klinikaufenthaltes sei der Blutzuckerspiegel des Klägers therapeutisch so eingestellt worden, daß ein fünfmaliges Bestimmen des Blutzuckerspiegels mit anschließendem Spritzen des Medikaments erforderlich geworden sei.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten vom 05.10.1995. Die medizinischerseits für notwendig erachtete Einnahme kurzer zusätzlicher Zwischenmahlzeiten bedinge bei Diabetikern keine spezifische Leistungseinschränkung im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung, wonach er fünfmal täglich Insulin intravenös spritzen müsse und gegebenenfalls zuvor den Blutzuckerspiegel zu bestimmen habe, sei zu widersprechen. Die Entlassung aus dem Heilverfahren am 15.11.1994 sei mit der Empfehlung festgelegter Dosen (zu vier Zeiten am Tag) erfolgt, so daß nicht jedesmal davor der Blutzucker zu messen sei. Auch erfolge die Verabreichung des Insulins mittels Pen, so daß das Aufziehen des Insulins mit Nadel und Spritze aus einer Ampulle entfalle. Unter der Annahme, daß dieses Behandlungsschema noch zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung am 03.05.1995 Gültigkeit habe, sei die Urteilsbegründung sachlich nicht richtig. Das SG gehe auch zu Unrecht davon aus, daß der Kläger, anders als die Mehrzahl der Diabetiker, nicht mit kleinen Zwischenmahlzeiten auskomme. Gerade wegen seines starken Übergewichtes sollte der Kläger keine großen Zwischenmahlzeiten, sondern sehr wohl nur kleine Zwischenmahlzeiten einnehmen. Es sei schließlich auch nicht richtig, daß die Einnahme von Zwischenmahlzeiten beispielsweise exakt um 07.00 Uhr erfolgen müsse. Der Kläger könne sich zu Hause vor dem Frühstück sowohl das rasch wie auch das verzögernd wirkende Insulin verabreichen und frühstücken. Insgesamt sei festzustellen, daß die Behandlungsanforderungen der Blutzuckerkrankheit mit den Anforderungen eines 8-Stunden-Arbeitstages voll im Einklang zu bringen seien.

Mit Beschluss vom 15.11.1995 hat der Senat antragsgemäß die Vollstreckung aus dem Urteil des SG vom 03.05.1995 bis zur Erledigung des Rechtsstreits in der Berufungsinstanz ausgesetzt. Der zum Gutachter ernannte Dr ... hat in dem Gutachten nach Aktenlage vom 18.03.1996 folgende Diagnosen gestellt: 1. Diabetes mellitus Typ II b unter Insulintherapie mit fortgeschrittener Polyneuropathie und diabetischer Retinopathie mit beginnender Makulopathie rechts. 2. Kompensierte grobknotige Leberzirrhose bei Zustand nach Alkoholabusus und Hepatitis B. 3. Arterielle Hypertonie. 4. Koronare Herzerkrankung, Zustand nach Vorderwandinfarkt. 5. Hyperlipidproteinämie. 6. Zustand nach Lungenspitzentuberkulose ohne wesentliche Funktionseinschränkungen. Beim Kläger sei während der Arbeit lediglich eine Insulininjektion entsprechend dem Therapieregime einer Basis-Bolus-Therapie notwendig und zwar die Insulininjektion vor dem Mittagessen, die in etwa eine Viertelstunde bis eine halbe Stunde vor dem Mittagessen zu erfolgen habe. Neben dieser Injektion müßte zu diesem Zeitpunkt bzw. direkt vor der Injektion zumindest in den ersten Wochen der aufgenommenen Beschäftigung eine Blutzuckerselbstbestimmung durchgeführt werden, die bei Geübten einen Zeitaufwand von etwa fünf Minuten erfordere. Darüber hinaus sei noch eine Pause zwischen Arbeitsbeginn und Mittagspause nötig, um die Zwischenmahlzeit einzunehmen. Die Zwischenmahlzeit am Nachmittag könne auf die Zeit nach 15.30 Uhr gelegt werden. Im übrigen würden die qualitativen Einschränkungen gelten, wie sie im Gutachten von Dr ... genannt worden seien. Dr ... könne nur insofern nicht zugestimmt werden, als er von einer fixen Unterbrechung und Einnahme von Zwischenmahlzeiten maximal alle drei Stunden ausgehe. Dies entspreche nicht der ausführlich dargestellten Basis-Bolus-Therapie.

Mit Schreiben vom 14.08.1996 haben die Klägervertreter den Entlassungsbericht des Klinikums Ingolstadt über einen dortigen Aufenthalt des Klägers vom 10.04.1996 bis 08.05.1996 sowie einem Entlassungsbericht der Regina-Klinik vom 20.06.1996 übersandt. Der daraufhin gemäß § 109 SGG zum Gutachter bestellte Internist Dr ... hat folgende Gesundheitsstörungen festgestellt: 1. Diabetes mellitus (insulinpflichtig) mit Folgekomplikationen an Augen, Nerven und Herzkranzgefäßen bei zusätzlichen Risikofaktoren wie arterieller Hochdruck und Stoffwechselstörungen. 2. Kompensierte konorare Herzerkrankung nach Infarkt bei 1-Gefäß-KHK. 3. Chronisch persistierende Leberzirrhose nach Hepatitis B ohne Hinweis auf ein Karzinom. Der Kläger sei auch unter Würdigung der koronaren Herzerkrankung und einer aktiver Leberzirrhose durchaus als arbeitsfähig einzustufen. Die Beeinträchtigung der täglichen Lebensführung und Berufsausübung durch diätetische Restriktionen und die Notwendigkeit mehrfacher Insulininjektionen stünden nicht mehr im Vordergrund. Die intensivierte Insulintherapie mit mehrfach täglichen Insulininjektionen nach Maßgabe der mehrfach täglichen Selbstkontrollergebnisse ermögliche ganz im Gegenteil eine normnahe Lebensführung und Berufsausübung, was von vielen zigtausend Diabetikern dokumentiert und auch vom Kläger inzwischen bejaht werde. Der Kläger könne noch leichte Tätigkeiten wie die eines einfachen Pförtners, als Sortierer und Verpacker leichter Gegenstände, als Mitarbeiter in Poststellen von Betrieben oder ähnliche Tätigkeiten vollschichtig verrichten. Dr ... hat noch ein augenärztliches Gutachten angeregt. Der daraufhin zum Gutachter ernannte Augenarzt Prof.Dr ... hat in seinem Gutachten vom 17.03.1998 als Diagnosen diabetesbedingte krankhafte Netzhautveränderungen mit rechtsseitiger Beteiligung der Stelle des schärfsten Sehens, einen Zustand nach abgeschlossener Laserbehandlung der Netzhaut, eine Linsentrübung, eine Weit-, Stab- und Alterssichtigkeit sowie eine latente Außenschielstellung im Nahbereich und ein eingeschränktes räumliches Sehen festgestellt. Aus ophthalmologischer Sicht sei der Kläger unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses auf dem allgemeine Arbeitsmarkt noch in der Lage, leichte und mittelschwere Arbeiten vollschichtig zu verrichten.

Die Beklagte stellt den Antrag, das Urteil des SG vom 03.05.1995 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Berufungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und in vollem Umfang auch begründet. Entsprechend ist das Urteil des SG vom 03.05.1995 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 27.08.1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.02.1993 auch bezüglich des Zeitraumes ab 15.11.1994 abzuweisen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder Berufsunfähigkeit. Gemäß § 43 Abs.2 SGB VI sind berufsunfähig Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder wegen Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes oder der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Beim Kläger liegt keine Berufsunfähigkeit vor. Der Sachverhalt ist in medizinischer Hinsicht aufgrund der im Wege des Urkundenbeweises zu berücksichtigenden Sachverständigengutachten der Beklagten (internistisches Gutachten von Dr ... vom 11.12.1991, neurologisches Gutachten des Nervenarztes Dr ... vom 21.01.1992, orthopädisches Gutachten der Orthopädin Dr ... vom 21.01.1992 und stationäres internistisches Gutachten des Zentralkrankenhauses Gauting - Dr ...- vom 23.01.1992) und insbesondere durch das im Klageverfahren eingeholte internistische Gutachten von Dr ... vom 19.10.1993 und die im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten des Internisten Dr ... vom 18.03.1996, des Internisten Dr ... vom 28.07.1997 und des Augenarztes Prof.Dr ... vom 17.03.1998 sowie die beigezogenen ärztlichen Berichte hinreichend geklärt. Danach wird die Erwerbsfähigkeit des Klägers zwar durch die festgestellten Gesundheitsstörungen eingeschränkt, jedoch noch nicht in einem solchen Maße, daß er seit November 1994 bis jetzt nicht mehr fähig wäre, zumindest die Hälfte des Lohnes eines vergleichsweise in Betracht kommenden gesunden Versicherten zu erziehlen.

Beim Kläger liegen im wesentlichen folgende Gesundheitsstörungen vor: 1. Diabetes mellitus Typ II b unter Insulintherapie mit fortgeschrittener Polyneuropathie und diabetischer Retinopathie mit beginnender Makulopathie rechts. 2. Kompensierte grobknotige Leberzirrhose bei Zustand nach Alkoholabusus und Hepatitis B. 3. Arterielle Hypertonie. 4. Koronare Herzerkrankung, Zustand nach Vorderwandinfarkt. 5. Hyperlipidproteinämie. 6. Zustand nach Lungenspitzentuberkulose ohne wesentliche Funktionseinschränkungen.

Im Vordergrund der Erkrankungen des Klägers steht die Diabetes-mellitus-Erkrankung. Der beim Kläger vorliegende Diabetes Typ II ist charakterisiert durch zu hohe Blutzuckerwerte und eine gleichzeitig vorliegende Insulinresistenz, d.h., daß im Gegensatz zum Typ I-Diabetiker noch eigenes Insulin produziert wird, die peripheren Zellen aber ungenügend auf das vorhandene Insulin reagieren. Der übergewichtige Typ-II-Diabetiker wird zusätzlich als Typ-II b bezeichnet. Für die sozialmedizinische Beurteilung maßgeblich ist, daß der Kläger aus der Reha-Klinik Regina am 15.11.1994 mit einer sogenannten Basis-Bolus-Therapie entlassen wurde und diese Therapie bis zum heutigen Tag weiter angewendet wird. Dieses Therapieschema hat zum Prinzip, daß eine Aufteilung des Insulins auf mehrere Injektionen stattfindet. Dabei wird angenähert an die physiologische Insulinsegretion jeweils zum Essen ein schnell wirkendes Insulin injiziert und unabhängig davon ein sehr lang wirkendes Insulin verabreicht, das einen gewissen Basisspiegel ermöglicht. Der Vorteil dieser Therapie besteht darin, daß zum einen die Dosis je nach Lebensumständen, Essensaufnahme und körperlicher Belastung etwas variabel zu gestalten ist und daß die Zeitabstände für die Zwischenmahlzeiten nicht exakt eingehalten werden müssen. Es ist sogar möglich, bei dieser Art von Therapie eine der Zwischenmahlzeiten einmal auszulassen. Korrigiert wird dies dann mit einer veränderten Insulindosis bei der nächsten Mahlzeit. Eine zeitliche Vorgabe, d.h. Injektionen zu bestimmten Tageszeiten, wie sie vom Kläger während der Verhandlung vor dem SG mündlich dargelegt wurden, sind mit dem Prinzip einer Basis-Bolus- Therapie nicht vereinbar. Unter Zugrundelegung dieser Basis-Bolus-Therapie ist beim Kläger während der Arbeitszeit lediglich eine Insulininjektion nötig und zwar etwa eine Viertelstunde bis eine halbe Stunde vor dem Mittagessen. Neben dieser Injektion müßte zu diesem Zeitpunkt bzw. direkt vor der Injektion zumindest in den ersten Wochen der aufgenommenen Beschäftigung eine Blutzuckerselbstbestimmung durchgeführt werden, die für Geübte einen Zeitaufwand von etwa fünf Minuten erfordert. Darüber hinaus ist noch eine Pause zwischen Arbeitsbeginn und Mittagspause nötig, um die Zwischenmahlzeit einzunehmen. Die Zwischenmahlzeit am Nachmittag kann auf die Zeit nach 15.30 Uhr gelegt werden. Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, daß über die in Betrieben üblichen Pausen hinaus keine weiteren, durch die Blutzuckererkrankung bedingten Pausen notwendig sind. Die in den letzten Jahren verbesserte intensivierte Insulintherapie mit mehrfach täglichen Insulininjektionen nach Maßgabe der mehrfach täglichen Selbstkontrollergebnisse ermöglicht eine normgerechte Berufsausübung, was von vielen zigtausend Diabetikern dokumentiert und mittlerweile auch vom Kläger bejaht wird. Die für das Urteil des SG maßgebenden Angaben des Klägers, wonach er sich vier- bis fünfmal täglich Insulin spritzen müsse, nämlich genau um 07.00 Uhr, 08.00 Uhr, 12.00 Uhr, 17.00 Uhr und 22.00 Uhr, entsprechen somit nicht der beim Kläger seit November 1994 angewendeten Basis-Bolus-Therapie. Die weiteren beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen schränken die Erwerbsfähigkeit des Klägers lediglich auf leichte vollschichtige Tätigkeiten ein, nicht aber auf untervollschichtige Tätigkeiten. Diesbezüglich ist zum einen die konorare Herzerkrankung i.V.m. mit dem Zustand nach Vorderwandinfarkt zu nennen. Hier konnte durch die Ballondilatation der 95 %igen LAD-Stenose auf eine Reststenose von ca. 40 % die kardiale Situation weitgehend stabilisiert werden, wie sich aus dem Belastungs-EKG und dem 24-Stunden-EKG ergibt. Zum anderen bestehen als Folgen des Diabetes mellitus eine sensible diabetische Neuropathie, die im November 1996 zwar zu einem Vorfußgangrän geführt hat, das jetzt aber unter entsprechender Schuhversorgung stabil ist, und eine diabetische Retinopathie, die mehrfach lasterbehandelt wurde. Aus rein augenärztlicher Sicht wäre der Kläger aber sogar noch für leichte und mittelschwere Arbeiten einsetzbar.

Des weiteren besteht beim Kläger seit 1981 eine histologisch und serologisch gesicherte Leberzirrhose auf dem Boden einer Hepatitis-B-Infektion, die aber nur eine mäßige Aktivität zeigt. Die im Jahre 1986 durchgemachte Lungentuberkulose ergibt im inaktiven Narbenstatium keine Beeinträchtigung. Die Beschwerden des geklagten Bandscheibenleidens stehen im Hintergrund.

Insgesamt kann der Kläger mit den vorliegenden Gesundheitsstörungen zwar nicht mehr die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Staplerfahrer verrichten, aber jedenfalls noch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig ausführen. Ob der Kläger unter diesen Umständen berufsunfähig ist, beurteilt sich danach, welche (objektiv) seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechende Tätigkeit ihm (subjektiv) unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden kann (§ 43 Abs.2 Satz 2 SGB VI). Im Rahmen des hierzu vom BSG entwickelten Mehrstufenschemas, das die Arbeiter in verschiedene Leitberufe untergliedert, nämlich denjenigen des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters, des "angelernten" und schließlich des ungelernten Arbeiters, ist der Kläger allenfalls der Gruppe mit dem Leitberuf des einfach angelernten Arbeiters zuzuordnen. Der Kläger hat keinen Beruf erlernt und war in der Bundesrepublik Deutschland als Fabrikarbeiter, Lagerarbeiter, Maschinenarbeiter, Spinner und Staplerfahrer beschäftigt, wobei für diese Tätigkeiten, insbesondere auch für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Gabelstaplerfahrer, jeweils eine Einarbeitungszeit von wenigen Wochen ausreichend war. Der Kläger ist daher auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar, wo er noch leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen ausführen kann. Der konkreten Benennung eines Verweisungsberufes bedarf es nicht, denn bei vollschichtiger Einsatzfähigkeit obliegt das Arbeitsplatzrisiko der Arbeitslosenversicherung bzw. dem Versicherten, nicht der Rentenversicherung. Beim Kläger liegen auch keine einzelne schwere Behinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor, die die Fähigkeit des Klägers, körperlich leichte Arbeiten vollschichtig zu verrichten, zusätzlich zu den genannten qualitativen Einschränkungen noch in erheblichen Umfang weiter einschränken.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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