L 20 RJ 621/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 4 RJ 258/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 RJ 621/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 14.09.2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Höhe einer großen Witwenrente, insbesondere die Berücksichtigung von Entgeltpunkten nach dem Fremdrentengesetz (FRG).

Die am 1935 geborene Klägerin ist am 25.12.1996 aus der ehemaligen Sowjetunion in die Bundesrepublik übergesiedelt.

Mit Bescheid vom 12.06.1999 gewährte ihr die Beklagte aufgrund eines am 21.12.1996 eingetretenen Leistungsfalls ab 01.01.1997 Altersrente für Frauen. Bei der Rentenberechnung berücksichtigte sie für die nach dem FRG anrechenbaren Versicherungszeiten 18,9474 Entgeltpunkte (FRG-EP).

Mit Bescheid vom 22.06.1999 gewährte die Beklagte der Klägerin auch die große Witwenrente (aus der Versicherung ihres am 04.02.1937 geborenen und am 08.08.1987 verstorbenen Ehemannes W. A.). Dabei wurden lediglich 2,9615 FRG-EP berücksichtigt.

Hiergegen legte die Klägerin am 19.07.1999 Widerspruch ein und bat um Erläuterung bzw Berichtigung des Witwenrentenbescheides.

Mit Bescheid vom 15.11.1999 stellte die Beklagte die große Witwenrente der Klägerin ab 01.01.1997 unter Einbeziehung der 18,9474 FRG-EP aus der Altersrente neu fest, indem sie nunmehr 6,0526 FRG-EP berücksichtigte. Im Übrigen wurde der Widerspruch mit Bescheid vom 13.03.2000 zurückgewiesen.

Dagegen hat die Klägerin am 12.04.2000 Klage zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhoben.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 14.09.2000 abgewiesen. Bei der Altersrente der Klägerin seien 18,9474 FRG-EP zugrunde gelegt worden, so dass unter Berücksichtigung der Begrenzungsregel des § 22b Abs 1 Satz 1 und 3 FRG für die große Witwenrente der Klägerin nur noch 6,0526 (aus 25 minus 18,9474) FRG-EP berücksichtigt werden könnten. Aus deren Multiplikaton mit dem (seit 01.01.1997 unveränderten) Rentenartfaktor 0,6 und mit den aktuellen Rentenwerten ergäben sich die im Bescheid vom 15.11.1999 zutreffend errechneten Monatsbeträge der großen Witwenrente.

Gegen das am 12.10.2000 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit der am 03.11.2000 beim Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) eingelegten Berufung.

Nach dem Kommentar zum Recht der gesetzlichen Rentenversicherung seien die FRG-Entgeltpunkte zunächst mit dem Rentenartfaktor (RF) zu vervielfältigen und erst im zweiten Berechnungsschritt der Begrenzung nach § 22b Abs 1 FRG zu unterziehen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des SG Bayreuth vom 14.09.2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Witwenrente aus der Versicherung des W. A. auf der Grundlage der Entgeltpunktzahl des Versicherten (= 23,8092), multipliziert mit dem Rentenartfaktor 0,6 und begrenzt auf 6.0526 Entgeltpunkte, zu berechnen. Ferner beantragt sie, die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Nach dem Wortlaut des § 22b Abs 1 Satz 1 FRG beziehe sich die Begrenzung der Entgeltpunkte nicht auf eine "Rente", sondern auf einen "Berechtigten". Das von der Klägerin zitierte Beispiel im Kommentar lege genau diese Berechnung zugrunde. Die Klägerin übersehe offensichtlich die Anwendung der Bestimmung des § 22b Abs 1 Satz 3 FRG, wonach EP aus der Rente mit einem höheren Rentenartfaktor vorrangig zu berücksichtigen seien.

Auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und die Prozessakten des SG und des BayLSG wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und auch im Übrigen zulässig (§ 144 SGG). Der Klägerin kann insbesondere das Rechtsschutzbedürfnis nicht abgesprochen werden; denn ihr wurde durch das angefochtene Urteil etwas versagt, was sie in erster Instanz nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Umfang des geltend gemachten Anspruchs beantragt hatte. Anders als der in der mündlichen Verhandlung unter Mitwirkung des Vorsitzenden (§ 106 Abs 1 SGG) formulierte Berufungsantrag (auch) verstanden werden könnte, geht das in der Berufungsinstanz weiterverfolgte Rechtsschutzbegehren der Klägerin dahin, dass die Witwenrente (im wirtschaftlichen Ergebnis) wenigstens den Zahlbetrag erreichen soll, der sich aus 6,0526 EP multipliziert mit einem RF von 1,0 und dem aktuellen Rentenwert ergibt. Damit macht die Klägerin für die Gesamtdauer der Rentenzahlung ab 01.01.1997 einen höheren Monatszahlbetrag der Witwenrente geltend als er sich aus der Berechnung im (Neufeststellungs-)Bescheid vom 15.11.1999 ergibt. Dort sind für die Rentenberechnung zwar ebenfalls 6.0526 FRG-EP berücksichtigt; sie ergeben aber infolge der Multiplikation mit dem RF 0,6 einen geringeren Zahlbetrag, der lediglich 3,6315 EP mit dem RF 1,0 entspricht.

Das Rechtsmittel erweist sich jedoch in der Sache als unbegründet. Das SG hat mit dem angefochtenen Urteil vom 14.09.2000 die Klage gegen die Bescheide der Beklagten vom 22.06.1999 und 15.11.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2000 zu Recht abgewiesen; die Berechnung der großen Witwenrente der Klägerin ist sachlich und rechtlich nicht zu beanstanden.

Nach § 22b Abs 1 FRG werden für anrechenbare Zeiten nach diesem Gesetz für einen Berechtigten höchstens 25 EP der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten zugrunde gelegt. Beim Zusammentreffen von Renten in der Person eines Berechtigten (vorliegend Altersrente der Klägerin aus eigener Versicherung mit Hinterbliebenenrente) sind nach § 22b Abs 1 Satz 3 FRG EP aus der Rente mit dem höheren Rentenartfaktor vorrangig zu berücksichtigen.

§ 22b FRG wurde durch Art 3 Nr 5 WFG vom 25.09.1996 (BGBl I S 1461) mit Wirkung vom 07.05.1996 (Art 12 Abs 2 WFG) in das FRG eingefügt und gilt für alle FRG-Berechtigten, die ab diesem Zeitpunkt ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland genommen haben (vgl Art 6 § 4b FANG idF des Art 4 Nr 4 WFG).

Bei der (als Berechnungsgrundlage der Witwenrente fiktiv festzustellenden) Altersrente des verstorbenen W. A. waren 23,8092 FRG-EP zu berücksichtigen, bei der Altersrente der Klägerin 18,9474 FRG-EP. Das ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

Wie sich aus § 22b Abs 1 Satz 3 FRG (mit Wirkung vom 07.05.1996 - vgl Art 33 Abs 7 RRG 1999 vom 16.12.1997, BGBl I S 2998 - durch Art 12 Nr 2 RRG 1999 eingefügt) zwingend ergibt, gilt die Begrenzung auf 25 EP, wenn ein Berechtigter nebeneinander eine Versicherten- und Hinterbliebenenrente mit FRG-Zeiten bezieht. Ein solcher Sachverhalt ist bei der Klägerin ab 01.01.1997 gegeben.

Die FRG-Anteile beider Renten überschreiten zusammen den Höchstwert des § 22b Abs 1 Satz 1 FRG und sind daher auf 25 FRG-EP zu begrenzen. Vorrangig zu berücksichtigen sind die FRG-EP aus der Rente mit dem höheren RF, also die 18,9474 FRG-EP aus der mit dem RF 1,0 berechneten Altersrente der Klägerin (§ 22b Abs 1 Satz 3 FRG). Bei der Berechnung der großen Witwenrente können deshalb nur noch (25 FRG-EP - 18,9474 FRG-EP =) 6,0526 FRG-EP berücksichtigt, dh der weiteren Rentenberechnung zu Grunde gelegt werden. § 22b Absätze 1 und 2 FRG regeln nach Auffassung des Senats nur die Bestimmung eines von drei Faktoren (EP, RF, aktueller Rentenwert), die für die Rentenberechnung maßgebend sind und als Produkt aus der Vervielfältigung untereinander die Höhe der Monatsrente ergeben. Für die Feststellung der Rentenhöhe bleibt also die Anwendung der Berechnungsformel im Übrigen (dh mit Ausnahme der bei den FRG-EP einzuhaltenden Begrenzung) unberührt. Hätte der Gesetzgeber die von der Klägerin vertretene Berechnungsmethode für die rechnerische Ermittlung des auf sog Fremdrentenzeiten entfallenden Teilbetrags der Rente einführen wollen, hätte die Begrenzungsregelung des § 22b Abs 1 FRG anders, etwa dahin gefasst werden müssen, dass der Rentenanteil für die nach diesem Gesetz anrechenbaren Zeiten höchstens den Betrag erreichen darf, der sich aus 25 EP (der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten) bei Anwendung eines RF von 1,0 ergibt. Ein solcher Regelungsgehalt des § 22b Abs 1 FRG ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch aus Sinn und Zweck der Bestimmung; es handelt sich vielmehr um eine nach dem Verständnis des Berufungsgerichts eindeutigen, relativ einfach zu vollziehende Pauschalregelung, die ausschließlich der Ermittlung des in die Rentenberechnung eingehenden Faktors der "anrechenbaren EP" dienen soll. Dagegen müsste bei der Berechnungsmethode, welche die Klägerin für zutreffend hält, in einem weiteren Berechnungsschritt die Witwenrente in der Weise erhöht werden, dass sie zusammen mit der Altersrente aus eigener Versicherung einen Zahlbetrag ergibt, der (aus den zu berücksichtigenden FRG-Zeiten) 25 EP mit einem fiktiven RF von 1,0 entspricht. Die von der Klägerin bevorzugte Berechnungsart würde die gegenwärtig von den Rentenversicherungsträgern angewandte Methode zur Ermittlung des Zahlbetrags von Witwenrenten völlig verändern. Das belegen nachfolgende Berechnungsbeispiele, die zur leichteren Vergleichbarkeit auf der Annahme beruhen, dass die alleinige Existenzgrundlage eines Spätaussiedler-Ehepaares eine nur auf FRG-Zeiten beruhende Rente darstellt.

1. Wären im Dezember 1996 die Klägerin und ihr Ehemann gemeinsam in die BRD gekommen, hätte eine dem (im Herkunftsgebiet allein versicherten) Ehemann zustehende Rente (wegen Erwerbsunfähigkeit oder Alters; RF 1,0) auf der Grundlage von 23,8092 EP die einzige auf Rentenansprüchen beruhende Einnahmequelle beider Ehegatten zusammen dargestellt (i.J 1997 monatlich 1.111,18 DM).

2. Die Witwenrente wäre beim Tode des Ehemannes (nach dem sog Sterbevierteljahr) auf 6/10 dieses Betrages gesunken (= 666,71 DM i.J. 1997; das entspricht einem Gegenwert von 0,6 x 23,8092 = 14,2885 EP mit dem RF 1,0).

3. Bei FRG-EP des Ehemannes zwischen 25 und 41,6668 hätte die Witwenrente der Klägerin i.J. 1997 a) nach ihrer Berechnungsmethode zwischen 700,05 DM und 1.166,75 DM betragen (= Obergrenze bei 25 EP mit einem RF 1,0), b) nach der von der Beklagten praktizierten Berechnungsme thode unverändert 700,05 DM (auf der Basis von höchstens 25 EP bei der Versichertenrente) betragen.

4. Erst bei einer FRG-EP-Zahl von mehr als 41,6668 käme es nach der Berechnungsmethode der Klägerin zur Begrenzung der Witwenrente auf den Betragswert, der sich bei 25 EP mit einem RF von 1,0 ergibt. Oberhalb der genannten EP von 41,6668 für die bei Versicherten zu berücksichtigenden FRG-Zeiten wäre demnach die (große) Witwen- bzw Witwerrente stets ebenso hoch wie die Altersrente des Versicherten selbst.

Für die Richtigkeit der von ihr vertretenen Berechnungsmethode kann sich die Klägerin im Übrigen nicht auf die Ausführungen des Verbandskommentars (Rdnrn 4.52 und 4.53 zu § 22b FRG; Stand 01.01.1998) berufen. Die dort dargestellten Berechnungsbeispiele beschränken sich nach dem Verständnis des Senats auf die Feststellung der FRG-EP, die bei der Berechnung der Rente mit dem höheren und dem niedrigeren RF zu berücksichtigen sind, dh in die Rentenberechnungsformel eingehen und dabei der Multiplikation mit dem jeweils gültigen RF unterliegen.

Da der RF für die große Witwenrente gemäß § 67 Nr 6 SGB VI ab 01.01.1997 durchgehend 0,6 betrug, sind die der Klägerin ab dem 01.01.1997 unter Berücksichtigung des jeweiligen aktuellen Rentenwertes gewährten monatlichen Rentenzahlbeträge sachlich und rechnerisch nicht zu beanstanden.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Bayreuth vom 14.09.2000 war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache war die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Die allgemeine, über den vorliegenden Einzelfall hinausgehende Bedeutung ergibt sich nicht nur aus den - je nach Fallgestaltung - gravierenden Unterschieden der genannten Berechnungsmethoden, sondern auch unter dem Gesichtspunkt, dass (nach der Gesetzesbegründung zum WFG, BT-Drucks 13/4610 S 19) mit der Begrenzungsregelung des § 22b FRG das bisher geltende Eingliederungsprinzip zu Gunsten des Grundsatzes der (bloßen) Existenzsicherung (vgl Polster in DRV 1997 S 64) bzw des Bedürftigkeitsprinzips aufgegeben wurde. Die Grenzwerte von 25 EP für Einzelberechtigte und 40 EP für Ehepaare oder Personen in eheähnlichen Gemeinschaften sollen sich an der Höhe der Eingliederungshilfe für Spätaussiedler (§ 62a Abs 2 iVm § 136 AFG / §§ 418, 421 SGB III) bzw dem 1,6-fachen dieses Betrages orientieren. Dieses Ziel wird bei Spätaussiedlerehepaaren mit nur einer Versichertenrente oder bei Hinterbliebenen ohne eigene Versichertenrente nicht erreicht, da sie nach § 22b Abs 1 Satz 1 FRG auch zusammen höchstens Leistungen auf der Basis von 25 (auf FRG-Zeiten entfallenden) EP erhalten und dem hinterbliebenen Ehegatten zur Existenzsicherung lediglich eine Witwen- bzw Witwerrente verbleibt, die - soweit sie allein auf FRG-Zeiten beruht - wertmäßig lediglich dem Produkt von 15 EP mit dem aktuellen Rentenwert entspricht (= 25 x 0,6 x akt. Rentenwert).
Rechtskraft
Aus
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