L 5 RJ 641/98

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 5 RJ 772/96 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RJ 641/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 25. August 1998 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

In diesem Rechtsstreit geht es um Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die am ...1942 geborene Klägerin hat von 1957 bis 1970 in ihrer Heimat Kroatien Versicherungszeiten erworben. Vom 30.03. 1971 bis 31.12.1975 war sie in der Bundesrepublik Deutschland an den Universitätskliniken in M ... als "Stundenfrau" versicherungspflichtig beschäftigt. Nach ihrer Rückkehr nach Kroatien im Jahre 1977 hat sie dort weitere 39 Monate Versicherungszeit zurückgelegt, zuletzt vom 02.11.1989 bis 17.02.1992 28 Monate.

Am 21.02.1994 stellte die Klägerin Rentenantrag, der zu einer kroatischen Rente ab 06.01.1994 führte.

Die Beklagte ließ die Klägerin durch die Invalidenkommission am 19.07.1994 untersuchen. Diese kam zwar zu dem Ergebnis, die Klägerin könne nur mehr unter zwei Stunden täglich arbeiten, gleichwohl lehnte die Beklagte den Rentenantrag nach Auswertung des Gutachtens durch ihren Ärztlichen Dienst mit Bescheid vom 4. Januar 1995 ab. Zwar werde die Erwerbsfähigkeit der Klägerin durch "Blutzuckerkrankheit, Schilddrüsenfunktionsstörung, Psychoneurose" beeinträchtigt, doch könne sie noch vollschichtig leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne besonderen Zeitdruck und ohne häufiges Tragen und Bewegen von Lasten verrichten. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21.02.1996 zurück.

Im anschließenden Klageverfahren legte die Klägerin eine große Anzahl ärztlicher Unterlagen vor, insbesondere auch neue Befunde auf psychiatrischem Gebiet. Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 12.09.1996 mit, dass die Anwartschaft gemäß § 44 Abs.2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) längstens bei einem im Juni 1993 eingetretenen Versicherungsfall erhalten sei. Das Sozialgericht (SG) holte daraufhin ein Gutachten nach Aktenlage von dem Neurologen und Psychiater Dr.Dr.W ... vom 03. Juli 1998 ein zu der Frage, in welchem Umfang die Erwerbsfähigkeit der Klägerin im Juli 1993 beeinträchtigt war. Dieses Gutachten sowie die dazu erfolgte ergänzende Stellungnahme vom 11.08.1998 kommt zu dem Ergebnis, es sei nicht belegt, dass im Juli 1993 die verbliebene Leistungsfähigkeit die Wahrnehmung einer regelmäßigen gewinnbringenden Tätigkeit ausgeschlossen habe. Daraufhin wies das SG die Klage mit Urteil vom 25.08.1998 ab und führte zur Begründung aus, nach § 43 Abs.1 Ziffer 2, § 44 Abs.1 Ziffer 2 SGB VI bestehe Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nur, wenn der Versicherte in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeitragszeit zurückgelegt habe. Das wäre bei der Klägerin nur der Fall, wenn die Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit spätestens im Juni 1993 eingetreten wäre. So sei es aber nach den Feststellungen des gerichtsärztlichen Sachverständigen nicht. Vielmehr stehe danach fest, dass nicht nachgewiesen werden könne, dass die Klägerin bis Juni 1993 nicht mehr zu vollschichtiger Arbeit in der Lage gewesen wäre. Dies gehe nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu ihren Lasten.

Gegen das am 29.09.1998 zugestelle Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt, eingegangen am 26.11.1998, und zur Begründung vor allem darauf hingewiesen, dass sie in Kroatien bereits Rente beziehe und diese auch für die Zeiten in Deutschland beanspruche. Erneut hat sie zahlreiche ärztliche Unterlagen, Klinikberichte, Atteste usw. vorgelegt, war aber trotz wiederholter Aufforderung nicht bereit, zur Untersuchung nach Deutschland zu kommen. Der Senat hat deshalb ein internistisches Gutachten nach Aktenlage von Dr.H ... vom 02.02.2001 eingeholt, in dem folgende Diagnosen gestellt werden: 1. Arterielle Hypertonie. 2. Insulinpflichtiger Diabetes mellitus Typ II B. 3. Adipositas von 20 % nach dem BROCA-Index. 4. Zustand nach Hyperthyreose 1990. 5. Polyneuropathie bei 2. 6. Depressive Entwicklung.

Der Sachverständige kommt nach Auswertung der zahlreichen ärztlichen Unterlagen zusammenfassend zu dem Ergebnis, aufgrund des insulinpflichtigen Diabetes verböten sich schwere und mittelschwere Arbeiten sowie das Heben und Tragen von Lasten über 5 kg und Arbeiten mit ausschließlicher Nachtschicht. Pausen sollten alle vier Stunden zur Blutzuckerbestimmung und Einnahme von Zwischenmahlzeiten ermöglicht werden. Eine arterielle Hypertonie sowie eine depressive Entwicklung bedingten das Meiden von Arbeiten unter besonderem Stress wie Akkordarbeiten; die Adipositas schließe Arbeiten im Gefahrenbereich sowie auf Leitern und Gerüsten aus. Ein Zustand nach Hyperthyreose 1990 sowie eine geringgradige Polyneuropathie seien ohne sozialmedizinische Relevanz. Eine neurologisch-psychiatrische Begutachtung sei nicht erforderlich, da ein ausführliches Gutachten von Prof.M ... vom 11.04.2000 zur Verfügung stehe, wonach die Klägerin eine durchschnittliche Intelligenz aufweise und keine höhergradigen über die Polyneuropathie (geringgradig) hinausgehenden neurologischen Auffälligkeiten zeige. Die depressive Entwicklung sei nach dieser Stellungnahme durch Psychopharmaka (Oxacephan) gut eingestellt.

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Landshut vom 25.08.1998 sowie des Bescheides vom 04.01.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.02.1996 zu verurteilen, ihr ab Antragstellung Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen wurden die Akten der Beklagten sowie des SG Landshut.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig (§§ 143, 144 Abs.1 Satz 2, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Insbesondere ist die Berufungsfrist gewahrt, die im vorliegenden Fall drei Monate beträgt, weil die Klägerin im Ausland wohnt (§ 153 Abs.1 iVm § 87 Abs.1 Satz 2 SGG).

Die Berufung erweist sich jedoch als unbegründet.

Nach den bis zum 31.12.2000 geltenden §§ 43 Abs.1, 44 Abs.1 alter Fassung (aF) Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit, wenn sie berufs- bzw. erwerbsunfähig sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Berufsunfähigkeit/Erwerbsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Gemäß § 43 Abs.2 SGB VI sind berufsunfähig Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder wegen Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs oder der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Gemäß § 44 Abs.2 SGB VI sind erwerbsunfähig Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgrenze bzw. (ab 01.04.1999) 630,00 DM übersteigt. Erwerbsunfähig ist nicht, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Nach § 43 SGB VI in der seit 01.01.2001 geltenden Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000, das auf Versicherungsfälle, die nach dem 31.12.2000 eintreten, anzuwenden ist, haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres unter den gleichen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Bei der Klägerin sind die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für den Erhalt einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit sowohl nach den bis zum 31.12.2000, als auch nach den ab 01.01.2001 geltenden Vorschriften nur erfüllt, wenn der Versicherungsfall der Erwerbsminderung spätestens im Oktober 1992 eingetreten wäre. Nur dann hätte die Klägerin in den letzten fünf Jahren vor Eintritt des Versicherungsfalles die erforderlichen 36 Monate an Pflichtbeitragszeiten erworben, wobei es sich um kroatische Versicherungszeiten handelt, die nach Art.25 Abs.1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Förderativen Republik Jugoslawien über soziale Sicherheit (DJuSVA) vom 12.10.1998, welches bis zum In-Kraft-Treten des deutsch-kroatischen Sozialversicherungsabkommens am 01.12.1998 auch für in Kroatien wohnende Versicherte Anwendung findet, bzw. nach Art.25 Abs.1 des deutsch-kroatischen Versicherungsabkommens vom 24. November 1997 insoweit deutschen Pflichtversicherungszeiten gleichgestellt sind.

Der Fünfjahreszeitraum verlängert sich im vorliegenden Fall ungeachtet der Regelung des Art.26 Abs.2 des deutsch-kroatischen Sozialversicherungsabkommens auch nicht durch den Rentenbezug in Kroatien, da die dortige Rente erst nach Ablauf der Anwartschaftszeit, nämlich ab 06.01.1994 geleistet wurde.

Ein Eintritt des Versicherungsfalles der Erwerbsminderung bereits im Oktober 1992 kann nach dem Ergebnis der gerichtsärztlichen Begutachtung nicht angenommen werden. Zwar hat es die Klägerin trotz wiederholter Aufforderung abgelehnt, sich in Deutschland untersuchen zu lassen, doch steht aufgrund des nach Aktenlage erstellten Gutachtens von Dr.H ... vom 02.02.2001 fest, dass die Klägerin selbst zum gegenwärtigen Zeitpunkt durchaus noch in der Lage ist, leichte Arbeiten vollschichtig zu verrichten. Zu vermeiden ist das Heben und Tragen von Lasten über 5 kg sowie Arbeiten mit Nachtschicht. Aufgrund des dokumentierten Diabetes mellitus Typ II B sollte alle vier Stunden eine Blutzuckerbestimmung erfolgen und Zwischenmahlzeiten ermöglicht werden. Diese Notwendigkeit steht der Annahme einer uneingeschränkten vollschichtigen Einsatzfähigkeit nicht entgegen, da Pausen regelmäßig in kürzeren Abständen stattfinden, auf jeden Fall aber im Abstand von vier Stunden. Die ebenfalls nachgewiesene arterielle Hypertonie bedingt lediglich das Meiden von Arbeiten unter Stress (z.B. Akkord), und die (allerdings nicht allzu gravierende) Übergewichtigkeit schließt Arbeiten im Gefahrenbereich sowie auf Leitern und Gerüsten aus. Diese Einschränkungen sind bei leichter Arbeit selbstverständlich. Die psychische Belastbarkeit der Klägerin ist durch ein vom 11.04.2000 datierendes ausführliches Gutachten aus ihrer Heimat (Prof.M ...) genauestens bekannt. Über die geringgradige Polyneuropathie hinausgehenden neurologischen Auffälligkeiten liegen nicht vor. Die depressive Entwicklung ist durch Psychopharmaka gut eingestellt. Demnach ist zusammenfassend festzustellen, dass die Klägerin zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch in der Lage ist, leichte Arbeiten vollschichtig zu verrichten. Es besteht kein Grund für die Annahme, dass dies im Oktober 1992 anders gewesen sein sollte. Zumindest liegt dafür kein Nachweis vor, was - wie das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat - nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten der Klägerin geht.

Bei vollschichtiger Einsatzfähigkeit steht der Klägerin ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach altem Recht, aber auch wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach neuem Recht, nicht zu. Berufsunfähigkeitsrente kommt ebenfalls nicht in Betracht, da die Klägerin aufgrund ihrer Tätigkeit bei den Universitätskliniken M ..., für die nach ihren eigenen Angaben nur eine Anlernzeit von einem Monat erforderlich war, keinen Berufsschutz beanspruchen kann.

Die Berufung der Klägerin konnte deshalb keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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