L 19 RJ 645/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 12 RJ 521/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 RJ 645/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 10.11.1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die am 1951 in Slowenien geborene Klägerin hat nach ihren Angaben keinen Beruf erlernt. Nach dem Besuch der Volksschule arbeitete sie 12 Jahre in der elterlichen Landwirtschaft mit. Von 1969 bis 1996 war sie als Montiererin bei der Firma S. versicherungspflichtig beschäftigt. Seit 22.10.1996 besteht Arbeitsunfähigkeit bzw Arbeitslosigkeit. Am 29.12.1997 beantragte die Klägerin die Gewährung von Rente wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte ließ sie durch den Sozialmediziner Dr.L. untersuchen, der im Gutachten vom 19.01.1998 folgende Diagnosen stellte: Psychosomatisches Krankheitsbild mit Fixierung auf Rückenbeschwerden, Migräne sowie beginnende Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule ohne wesentliche Funktionseinschränkung. Die Klägerin wurde für fähig gehalten, leichte und mittelschwere Arbeiten in Vollschicht, möglichst im Wechselrhythmus, zu verrichten. Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 26.01.1998 ab, weil die Klägerin weder erwerbs- noch berufsunfähig sei. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 27.04.1998).

Dagegen hat die Klägerin am 28.05.1998 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben und die Auffassung vertreten, wegen der bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörungen könne sie keine Ganztagstätigkeit mehr ausüben. Sie leide insbesondere an einem Fibromyalgiesyndrom, durch das sie in ihrem Leistungsvermögen erheblich beeinträchtigt sei. Das Sozialgericht hat die Unterlagen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung und Befundberichte des Internisten Dr.W. , des Allgemeinarztes Dr.U. , des Neurochirurgen Dr.S. , des Nervenarztes Dr.K. und der Dipl.-Psychologin W. beigezogen. Weiter haben dem SG die Berichte über stationäre Heilmaßnahmen in B. (1995), in B. (1996) und in B. (1997) sowie Berichte über ambulante Behandlungen am Institut für Psychosomatische Medizin der Universität E. in der Zeit von Oktober 1997 bis Februar 1998 vorgelegen. Auf Veranlassung des Gerichts hat die Nervenärztin Dr.M. nach ambulanter Untersuchung der Klägerin das Gutachten vom 12.04.1999 erstattet und darin die Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung gestellt. Weder die geklagte Depressivität und die Angstzustände noch die psychogene Schmerzstörung seien aber so schwer ausgeprägt, dass nicht noch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten geleistet werden könnten. Auch die Gewährung einer zeitlich begrenzten Rente wäre psychotherapeutisch absolut kontraindiziert. Die Klägerin könne leichte bis mittelschwere Arbeiten in Vollschicht ausüben, jedoch ohne besondere nervliche Belastung (wie Akkord- und Fließbandarbeit); auch als Montiererin sei die Klägerin weiterhin einsetzbar. Demgegenüber machte der Bevollmächtigte der Klägerin geltend, dass zusätzlich ein Fibromyalgiesyndrom bestehe, das bisher nicht ausreichend berücksichtigt sei. In ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 29.07.1999 wies Dr.M. darauf hin, dass für die Begutachtung in der gesetzlichen Rentenversicherung Ursache und Diagnose einer Erkrankung nicht von entscheidender Bedeutung seien; bei der Beurteilung von Schmerzen komme es vielmehr auf die individuelle Leistungsfähigkeit an. Letztlich sei in der Diagnose "somatoforme Schmerzstörung" das Ausmaß der schmerzbedingten Leistungsbeeinträchtigung auch ohne ausdrückliche Erwähnung der Fibromyalgie mit berücksichtigt. Insoweit sei unverändert von einem vollschichtigen Leistungsvermögen der Klägerin auszugehen - auch in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Montiererin. Mit Urteil vom 10.11.1999 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei weder berufs- noch erwerbsunfähig. Zwar liege bei ihr eine somatoforme Schmerzstörung vor, von einer endogenen oder einer organisch bedingten psychischen Erkrankung der Klägerin könne aber nicht ausgegangen werden. Eine Rentengewährung sei psychotherapeutisch absolout kontraindiziert, wie Frau Dr.M. überzeugend ausgeführt habe. Eine weitere Begutachtung auf orthopädisch-rheumatologischem Fachgebiet, wie von der Klägerin beantragt, sei nicht erforderlich. Dr.M. habe die Auswirkungen des bei der Klägerin diagnostizierten Fibromyalgiesyndroms, dessen Krankheitsbild sich zwar wissenschaftlich noch nicht eindeutig zuordnen lasse, aber durchaus dem nervenärztlichen Fachgebiet zugerechnet werden könne, bei der Beurteilung hinreichend berücksichtigt. Die Klägerin sei in voller Breite auf das Tätigkeitsfeld des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar, da sie als ungelernte Arbeiterin versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die am 16.12.1999 beim Bayer. Landessozialgericht eingegangene Berufung der Klägerin. Sie verlangt weiterhin die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, und hält ergänzende Begutachtungen auf orthopädischem, internistisch-rheumatoligischem und neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet für sachdienlich. Zudem müsse für die Bestimmung des Rentenbeginns auf den Reha-Antrag vom 26.08.1997 zurückgegangen werden. Der Senat hat einen Befundbericht des Allgemeinarztes Dr.U. zum Verfahren beigenommen, der gleichzeitig weitere ärztliche Unterlagen (des Internisten Dr.P. , des Internisten Dr.C. und des Internisten Dr.S.) übersandte. Auf Veranlassung des Senats hat der Internist und Rheumatologe Dr.K. nach ambulanter Untersuchung der Klägerin das Gutachten vom 12.06.2001 erstattet. Die Klägerin leide an einer Fibromyalgie. Schwieriger als diese Diagnosestellung sei aber die sozialmedizinische Einordnung. Zwar müsse man nach seiner Einschätzung von einer verminderten Belastbarkeit der Patientin ausgehen (bedingt durch eine körperliche und mentale Erschöpfung in den Vormittagsstunden); andererseits stimme er aber mit Frau Dr.M. überein, dass eine Rentengewährung kontraproduktiv sei. Er halte die Klägerin bei leichten bis mittelschweren Arbeiten (mit den von Frau Dr.M. genannten Einschränkungen) für mindestens halbschichtig einsatzfähig. Die Klägerin könne jedoch auf dem Arbeitsmarkt soviel erwirtschaften, dass sie auf keine Rente angewiesen sei. Der beschriebene Zustand bestehe in unterschiedlichem Ausmaß schon seit 1987. Die Beklagte geht wie bisher davon aus, dass die Klägerin weiterhin ganztags arbeiten könne und bezieht sich dabei auf eine Stellungnahme des Internisten Dr.S. , der regelmäßig (so auch im Falle der Klägerin) mit der Diagnose "Fibromyalgie" nicht zwangsläufig eine rentenrechtlich bedeutsame Leistungsminderung verbunden sieht. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 22.11.2001 hat Dr.K. ausgeführt, er halte die Klägerin prinzipiell für arbeitsfähig. Mit der Angabe eines Leistungsumfanges von "mindestens halbschichtig" meine er, dass der Klägerin mehr als vier, also sechs bis sieben Stunden Arbeitszeit zugemutet werden könnten. Insoweit müsse er seine Beurteilung aus dem Gutachten vom 12.06.2001 korrigieren. Das Leistungsvermögen der Klägerin sei im streitigen Zeitraum ab 1997 gleich geblieben. Die Prognose der Erkrankung sei insofern günstig, als die chronischen Ganzkörperschmerzen auch bei Langzeitbeobachtungen zu keinen Organschäden führten. Eine Heilung sei aber nicht zu erwarten. Behandlungsmaßnahmen, die das Krankheitsbild grundlegend beheben könnten, seien nicht bekannt. Von Kennern der Materie werde auch die Meinung vertreten, dass Fibromyalgie-Patienten mit zunehmendem Alter (meist jenseits des 60. Lebensjahres), häufig auch nach Klärung der sozialmedizinischen Problemsituation, mit ihrem chronischen Schmerzgeschehen leichter zurecht kämen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 10.11.1999 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 26.01.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.04.1998 zu verurteilen, ihr ab 01.01.1998 Rente wegen EU, hilfsweise wegen BU, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Dem Senat haben die Verwaltungsakten der Beklagten und die Prozessakte des Sozialgerichts Nürnberg vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig. Das Rechtsmittel der Klägerin erweist sich als nicht begründet. Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin Rente wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit iS der §§ 43, 44 SGB VI (in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung) nicht zusteht. Auf die Gründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen (§ 153 Abs 2 SGG). Das vom Senat eingeholte Gutachten des Dr.K. vom 12.06.2001 hat das Ermittlungsergebnis des SG im Ergebnis bestätigt. Die Klägerin leidet demnach an einem Fibromyalgiesyndrom, an Migräne und Zustand nach Bandscheibenvorfällen sowie an reaktiver Depression. In der Beurteilung der Leistungsfähigkeit stimmen die Sachverständigen Dr.M. und Dr.K. insoweit überein, dass die Klägerin grundsätzlich arbeitsfähig ist und in ihrem Fall eine Rentengewährung als kontraproduktiv angesehen wird. Während die Nervenärztin Dr.M. dies auch im Leistungsumfang von vorneherein zum Ausdruck gebracht und die Klägerin für fähig erachtet hat, als Industriearbeiterin (auch in der zuletzt versicherungspflichtig ausgeübten Tätigkeit als Montiererin) weiterhin vollschichtig tätig zu sein, hat Dr.K. auf Nachfrage ausgeführt, die Formulierung in seinem Gutachten "mindestens halbschichtig arbeitsfähig für leichte bis mittelschwere Arbeiten" sei dahin zu verstehen, dass der Klägerin auch eine Arbeitszeit von mehr als vier Stunden, nämlich sechs bis sieben Stunden täglich zugemutet werden kann. Wenn Dr.K. , wie er mehrfach betont hat, die Klägerin für arbeitsfähig hält und ihr (selbst bei Belastung mit mittelschweren Tätigkeiten) einen Arbeitstag von sieben Stunden zumutet, lässt sich hieraus in rentenrechtlicher Hinsicht der Schluss ziehen, dass die Klägerin jedenfalls bei Beschränkung auf körperlich leichte Arbeiten einer Ganztagstätigkeit nachgehen kann. Auch mit der Prämisse eines Arbeitseinsatzes unter mittelschwerer körperlicher Belastung rechtfertigt sich diese Annahme ua daraus, dass zahlreiche Tarifverträge Wochenarbeitszeiten von weniger als 40 Stunden vorsehen und dass insbesondere im Metallbereich die sogenannte 35-Stunden-Woche zum großen Teil verwirklicht ist. Die Klägerin soll lediglich besonders stressauslösende Einsatzbedingungen, wie Akkord- oder Fließbandarbeit vermeiden, was jedoch bei Verweisbarkeit auf das allgemeine Arbeitsfeld kein Hindernis für den Zugang zum Arbeitsmarkt darstellt. Der Senat hält die Leistungseinschätzung, wie sie von Frau Dr.M. und Dr.K. in ihren Gutachten vertreten wurde, insgesamt für schlüssig und überzeugend, da sie in der Diagnosestellung weitestgehend übereinstimmen und auch in der Bewertung des beruflichen Einsatzvermögens nicht wesentlich, zumindest nicht in einem rentenrechtlich erheblichen Umfang, differieren. Die Klägerin ist danach weder berufs- noch erwerbsunfähig.

Auf Grund ihres vollschichtigen Einsatzvermögens erfüllt die Klägerin auch nicht die Voraussetzungen des durch Art 1 Nr 19 des Rentenreformgesetzes 1999 neu gefassten und durch Art 1 Nr 10 des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 - BGBl I 1827 - geänderten, am 01.01.2001 in Kraft getretenen § 43 SGB VI. Nach dessen Absatz 1 hat bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wer (neben weiteren Leistungsvoraussetzungen) wegen Krankheit oder Behinderung außer Stande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Eine quantitative Einschränkung der betriebsüblichen Arbeitszeit liegt jedoch - wie bereits ausgeführt - bei der Klägerin nicht vor. Die Berufung der Klägerin war daher zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision gem § 160 Abs 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved