L 20 RJ 681/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 9 RJ 701/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 RJ 681/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 31.10.2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Rückerstattung der vom Arbeitgeber getragenen Beiträge zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung, hilfsweise die Gewährung einer Altersrente.

Der am 1938 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in der Türkei. Er war vom 11.05.1964 bis 31.08.1982 in der Bundesrepublik versicherungspflichtig beschäftigt. Auf seinen Antrag vom 05.09.1983 erstattete die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 02.11.1983 gem § 1303 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) die im genannten Zeitraum zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung geleisteten Beiträge in Höhe von insgesamt 22.899,20 DM. Auf Grund einer Abtretung des Erstattungsbetrages behielt die Beklagte einen Betrag in Höhe von 22.899,00 DM zugunsten einer deutschen Teilzahlungsbank ein. Der Restbetrag von 0,20 DM wurde wegen Geringfügigkeit nicht ausbezahlt.

Am 16.06.2000 erhob der Kläger gegen den Bescheid vom 02.11.1983 Widerspruch. Nach der beigefügten eidesstattlichen Versicherung habe er den Bescheid vom 02.11.1983 nicht persönlich erhalten. Der Bescheid sei rechtswidrig, da nur die Hälfte der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung erstattet worden seien. Dies verstoße gegen Artikel 14 des Grundgesetzes (GG) sowie die Bestimmungen des Assoziierungsabkommens der EG mit der Türkei. Hilfsweise beantragte er die Gewährung einer Altersrente.

Mit Schreiben vom 04.07.2000 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung einer Versichertenrente ab, da auf Grund der durchgeführten Beitragserstattung keine auf die Wartezeit anrechnungsfähigen Zeiten des Klägers mehr vorhanden seien.

Der hiergegen am 11.07.2000 eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 08.09.2000).

Mit weiterem Bescheid vom 15.09.2000 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung einer Versichertenrente erneut ab.

Den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 02.11.1983 wies die Beklagte mit (weiterem) Widerspruchsbescheid vom 08.09.2000 zurück, da er die Erstattung der vom Arbeitgeber getragenen Beiträge nicht verlangen könne.

Die dagegen am 15.09.2000 zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhobene Klage hat das SG mit Urteil vom 31.10.2001 abgewiesen.

Gegen das ihm am 09.11.2001 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit der am 07.12.2001 beim Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) eingelegten Berufung.

Die Begrenzung der Beitragserstattung auf die Hälfte der eingezahlten Beiträge verstoße gegen die Art 3 und 14 GG. Sowohl die Beitragserstattung als auch die Rentengewährung hätten Lohn- bzw Unterhaltsersatzfunktion, so dass er gegenüber denjenigen, die eine Rente erhielten, ungleich behandelt würde. Im Übrigen müsse es ihm ermöglicht werden, die an ihn ausgezahlten Beiträge wieder einzuzahlen, um Rentenleistungen ab Vollendung des 65. Lebensjahres zu erhalten.

Der Kläger beantragt, das Urteil des SG Bayreuth vom 31.10.2001 und die Bescheide der Beklagten vom 02.11.1983 und 04.07.2000 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 08.09.2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die von seinen Arbeitgebern in der Zeit vom 11.05.1964 bis 31.08.1982 entrichteten Beiträge in Höhe von 22.899,20 DM zu erstatten und für verzinslich zu erklären. Hilfsweise beantragt er, die Beklagte zu verurteilen, ihm ab Vollendung seines 65. Lebensjahres Regelaltersrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung gegen das Urteil des SG Bayreuth vom 31.10.2001 zurückzuweisen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) verletze die Beschränkung der Beitragserstattung auf die Hälfte (der aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil zusammengesetzten Beitragsleistung) weder die Grundrechte nach Art 14 GG noch nach Art 3 GG. Eine Wiedereinzahlung der erstatteten Beiträge sei nicht möglich, da die Erstattung rechtmäßig durchgeführt und die Verfallswirkung des § 1303 Abs 7 RVO aF eingetreten sei.

Auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und die Prozessakten des SG und des BayLSG wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes = SGG) und auch im Übrigen zulässig (§ 144 SGG).

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel jedoch als unbegründet, denn das SG hat mit dem angefochtenen Urteil vom 31.10.2001 die Klage gegen die Bescheide der Beklagten vom 02.11.1983 und 04.07.2000, jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.09.2000, sowie gegen den Bescheid vom 15.09.2000 zu Recht abgewiesen, da der Kläger weder einen Anspruch auf Erstattung seiner vom Arbeitgeber getragenen Beiträge noch auf Gewährung einer Regelaltersrente hat.

Nach § 1303 Abs 1 RVO in der bis 31.12.1991 geltenden Fassung wurde dem Versicherten auf Antrag die Hälfte der zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung für ihn entrichteten Beiträge erstattet. Der Versicherte hatte danach lediglich Anspruch auf Erstattung der Beiträge in Höhe des Anteils, den er selbst getragen hatte, nicht jedoch auf Erstattung des Arbeitgeberanteils.

Die Begrenzung der Beitragserstattung aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf die Hälfte der entrichteten Beiträge (Arbeitnehmeranteil) ist verfassungsgemäß. Entgegen der Auffassung des Klägers stellt es keine Verletzung der Eigentumsgarantie des Art 14 Abs 1 GG und keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG dar, dass von der Beitragserstattung allgemein die vom Arbeitgeber getragenen Rentenversicherungsbeiträge (der sogenannte Arbeitgeberanteil) - vom BVerfG im Beschluss vom 24.11.1986, 1 BvR 772/85 (vgl SozR 2200 § 1303 Nr 34) unscharf als vom Arbeitgeber "bezahlte" Beiträge bezeichnet - ausgenommen werden. Selbst wenn man einen Anspruch oder die Anwartschaft auf Beitragserstattung als von Art 14 Abs 1 GG geschützt ansieht, fehlt es hier an einem Eingriff des Gesetzgebers in das Eigentum des Klägers; denn Eigentum im verfassungsrechtlichen Sinn kann nur der Anspruch oder die Anwartschaft auf Beitragserstattung in Höhe der Hälfte der entrichteten Beiträge sein. Von Art 14 Abs 1 Satz 1 GG sind nur Ansprüche und Anwartschaften geschützt, wie sie sich aus der jeweiligen Gesetzeslage ergeben (BVerfGE 53, 257, 293 = NJW 1980, 692; 58, 81, 109 = SozR 2200 § 1255 a Nr 7 = NJW 1982, 155; BVerfGE 69, 272, 305; 71, 66, 80 = SozR 2200 § 1319 Nr 5; BVerfG, Beschluss vom 24.11.1986 in SozR 2200 § 1303 RVO Nr 34). In § 1303 RVO aF war jedoch die Erstattung vom Gesetzgeber auf die Hälfte der Beiträge begrenzt worden. In diese Rechtsposition des Klägers ist nicht eingegriffen worden, so dass sich die Frage, ob der Gesetzgeber mit der Begrenzung der Erstattung auf die Hälfte der Beiträge eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung iS des Art 14 Abs 1 Satz 2 GG vorgenommen hat, nicht stellt.

Die in § 1303 RVO aF getroffene Regelung verletzt auch nicht Art 3 Abs 1 GG. Er wäre verletzt, wenn der Kläger im Vergleich zu anderen Normadressaten anders (schlechter) behandelt würde, obwohl zwischen diesen Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestünden, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl BVerfGE 55, 72, 82; st.Rspr). Der Kläger wird jedoch gegenüber anderen Normadressaten nicht benachteiligt, denn (in die Türkei zurückkehrende) Ausländer können wahlweise von der Möglichkeit der Beitragserstattung Gebrauch machen oder davon absehen (und damit das Versicherungsverhältnis aufrecht erhalten). Auch verstößt es nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, dass bei der Beitragserstattung der aus dem Vermögen des Arbeitgebers gezahlte Beitragsanteil nicht erstattet, bei der Rentenberechnung aber berücksichtigt wird. Rentengewährung und Beitragserstattung sind nicht miteinander vergleichbar. Die Rentengewährung hat Lohn- oder Unterhaltsersatzfunktion, die Beitragserstattung dient - entgegen der Auffassung des Klägers - dem Ziel, geleistete Beiträge (die nicht zu einer Rentenanwartschaft geführt haben) nicht völlig verfallen zu lassen oder im Falle heimkehrender Ausländer die Möglichkeit einer Existenzgründung zu schaffen. Die Begrenzung der Erstattung auf die Hälfte der (für den Versicherten geleisteten) Beiträge verstößt auch nicht deshalb gegen Art 3 Abs 1 GG, weil sie willkürlich sei. Bei der Beitragserstattung handelt es sich nicht um einen Rechtsanspruch, der ohne ausdrückliche Regelung aus dem Versicherungsverhältnis abgeleitet werden könnte. Das Risiko, bei Nichterfüllung der zeitlichen und sonstigen Voraussetzungen den Versicherungsschutz zu verlieren, gehört vielmehr zum Wesen der Versicherung. Die Regelung der Beitragserstattung ist eine besondere Billigkeitsregelung, die dem Versicherten das Gefühl ersparen soll, seine Beiträge "umsonst" geleistet zu haben (vgl BVerfGE 22, 349, 366 ff). Ist wegen des auch in der gesetzlichen Rentenversicherung geltenden Versicherungsgedankens die Beitragserstattung von Verfassungs wegen nicht geboten, so verstößt auch die Begrenzung auf die Hälfte nicht gegen das Willkürverbot (vgl BVerfGE aaO).

An dieser Rechtslage hat sich durch die Ersetzung des § 1303 RVO durch die am 01.01.1992 in Kraft getretenen Bestimmung des § 210 Abs 1 Nr 1 iVm Abs 2, Abs 3 Satz 5 (und Abs 3 Satz 1) Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der Fassung des Gesetzes zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung (Renten-Überleitungsgesetz - RÜG) vom 25.07.1991 (BGBl I, S 1606) nichts geändert, so dass der Antrag vom 16.06.2000 auf Erstattung der Arbeitgeberbeiträge im Gesetz keine Stütze findet. Nach § 210 Abs 3 Satz 1 SGB VI werden Beiträge nur in der Höhe erstattet, in welcher der Versicherte sie getragen hat (nicht: in der er sie zu tragen hatte). Dabei ist unter dem "Tragen" von Beiträgen die Aufbringung von Geldbeträgen aus eigenen Mitteln zu verstehen (vgl BSG vom 14.09.1989 - 4 RA 27/89 = SozR 2200 § 1303 Nr 35 S 99 ff; BSG vom 29.06.2000 - B 4 RA 57/98 R). Von der Beitragserstattung sind dagegen alle Arten von Pflichtbeiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung ausgenommen, die im wirtschaftlichen Ergebnis ausschließlich ein zahlungspflichtiger Dritter (hier der Arbeitgeber) aus seinem Vermögen für den jeweiligen Versicherten entrichtet hat, ohne dass dieser hierfür Eigenmittel aufwenden musste. Der Kläger hat somit den sogenannten Arbeitgeberanteil nicht "getragen". Auch die Neuregelung des § 210 SGB VI ist verfassungsgemäß (vgl insbesondere BSG vom 29.06.2000 - B 4 RA 57/98 R).

Der Kläger hat ferner keinen Anspruch auf Gewährung einer Regelaltersrente nach § 35 SGB VI. Danach erhalten Versicherte eine Regelaltersrente, die das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Der am 12.05.1938 geborene Kläger hat jedoch weder das 65. Lebensjahr vollendet noch die allgemeine Wartezeit erfüllt, da aus seinen früheren Beiträgen zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung keine anrechenbaren Beitragszeiten mehr resultieren. Durch die ihm mit Bescheid vom 02.11.1983 gewährte Beitragserstattung wurde sein Versicherungsverhältnis aufgelöst. Die in § 1303 Abs 7 RVO bzw ab dem 01.01.1992 geltende Vorschrift des § 210 Abs 6 Satz 2 und 3 SGB VI normierte Verfallswirkung führt zur rückwirkenden Aufhebung des Versicherungsverhältnisses und erfasst alle vor der Erstattung liegenden Versicherungszeiten, so dass Ansprüche aus den bis zur Erstattung zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten nicht mehr bestehen und der Kläger keine auf die Wartezeit des § 50 Abs 1 SGB VI anrechenbaren Pflichtbeiträge mehr nachweisen kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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