L 5 RJ 698/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 RJ 476/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RJ 698/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 19. Oktober 2001 wird zurückgewiesen.
II. Der Bescheid vom 11. Dezember 2001 wird aufgehoben.
III. Die Beklagte hat dem Kläger 2/3 dessen außgerichtlicher Kosten zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um Neufeststellung von Witwerrente im Zeitraum vom 01.07.1997 bis zum 29.09.1999 und Rückforderung eines Betrages von 996,57 DM (Bescheid vom 10.12.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2000) sowie um Neufeststellung im Zeitraum vom 01.10.1996 bis zum 29.09.1999 und Rückforderung eines Betrages von 289,62 DM.

Der Kläger - wiederverheiratet seit September 1999 - stellte bei der Beklagten erstmalig am 14.11.1996 Antrag auf Hinterbliebenenrente nach seiner am 04.06.1990 verstorbenen Ehefrau M. , der zunächst mit bindendem Bescheid vom 24.02.1997 abgelehnt wurde. Es errechnete sich wegen übersteigenden Einkommens aus der monatlichen Rente von 214,60 DM (persönliche Entgeltpunkte 7,7368) kein Zahlbetrag. Die Berechnung ist vom 01.11.1995 (Rentenbeginn - § 99 Abs.2 SGB VI) bis zum September 1996 durchgeführt worden. Ausschlaggebend bei der Ermittlung des zu berücksichtigenden Einkommens waren das Arbeitsentgelt aus dem abhängigen Beschäftigungsverhältnis des Klägers bei der Fa. S. und das Arbeitseinkommen aus selbstständiger Tätigkeit wegen zurückbehaltener landwirtschaftlicher Restflächen (§§ 15 Abs.2 SGB IV, 32 Abs.6 GAL). Danach ergab sich für 1994 ein Arbeitsentgelt von DM 45.451,00 und insgesamt ab der Rentenanpassung im Jahre 1995 für die Zeit ab 01.07.1995 ein Anrechnungsbetrag von DM 2.514,65 im Monat; für das Jahr 1996 (ab 01.07.1996) als Arbeitsentgelt für 1995 (vorangegangenes Jahr laut § 18 e Abs.1 SGB IV) ein solches von DM 38.156,00 was insgesamt ab der Rentenanpassung im Jahre 1996 für die Zeit ab 01.07.1996 nach der Berechnung der Beklagten zu einem Anrechnungsbetrag von DM 2.119,13 im Monat geführt hat. Allerdings erzielte der Kläger das Arbeitsentgelt für 1995 von DM 38.156,00 in einem Zeitraum von nur 9 Monaten.

Mit Bescheid vom 22.04.1997 stellte die Beklagte gemäß § 44 SGB X den Bescheid vom 24.02.1997 neu fest, weil sich der Versicherungsverlauf der verstorbenen Ehefrau um Berücksichtigungszeiten für Kindererziehung als Zurechnungszeiten vergrößerte. Rechtstechnisch führte dies zu einer Erhöhung der Entgeltpunkte von 7,7368 auf 10,1808 mit der Folge einer Rentenerhöhung von DM 216,00 auf DM 285,00. Nicht ausdrücklich im Bescheid vom 22.04.1997 als weitere Änderung bezeichnet war die gleichzeitige Erhöhung des Freibetrags nach § 97 Abs.2 SGB VI wegen eines waisenrentenberechtigten Kindes von DM 1232,09 auf DM 1493,44, was zusätzlich das anzurechnende Einkommen minderte. Im Wege dieser Neufeststellung - unter Belassung des o.g. Arbeitseinkommens - von zuletzt DM 38.156,00 ergab sich nunmehr ab 01.10.1996 eine Rente von DM 34,80, ab 01.07.1997 angepasst auf DM 36,91 mit einem verringerten Zahlbetrag wegen der Krankenversicherung der Rentner.

Bis 01.07.1997 hat der Kläger diese Leistung dann auch zunächst unangefochten erhalten. Erst mit dem ebenfalls streitgegenständlichen Bescheid vom 11.12.2001 stellte die Beklagte auch diese Summe als Überzahlung fest (wegen Anrechnung von Unfallrenten).

Ab 30.04.1998 ermittelte die Beklagte das weitere Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit der schon 1992 aufgegeben Landwirtschaft bei der Landwirtschaftlichen Alterskasse (LAK) aus der "Restfläche" von 2,54 ha sowie die Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit, die sich 1996 auf DM 47.453,00 und 1997 auf DM 48.932 beliefen.

Mit Bescheid vom 10.12.1999 nahm die Beklagte dann die Neufeststellung der Witwerrente vom 01.07.1997 bis 31.01.2000 vor, auf Grund deren sich eine Überzahlung von DM 1.144,21 errechnete. Aufgrund der o.g. Vorjahreseinkommen ergab sich beim anzurechnenden Einkommen ein Sprung von DM 250,28 auf DM 440,85.

Hiergegen legte der Kläger am 31.12.1999 Widerspruch ein, den er dann aber am 14.01.2000 schriftlich zurücknahm. Anschließend hat er aber diese Rücknahme widerrufen. Mit Aufklärungsschreiben der Beklagten vom 16.03.2000 wird angeführt, die Neufeststellung beruhe auf der Anrechnung landwirtschaftlichen Einkommens.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.07.2000 begrenzte die Beklagte die Rückforderung überzahlter Rentenbeträge auf die Zeit vom 01.07.1997 bis zum 30.09.1999 und forderte einen Betrag von DM 996,57 gemäß § 50 SGB X zurück. Es ist weiter ausgeführt, dass der Kläger im Bewilligungsbescheid vom 24.02.1997 über seine Verpflichtung, Änderungen in der Einkommenshöhe mitzuteilen, ausdrücklich hingewiesen worden sei und dennoch Einkommen aus der Landwirtschaft nicht mitgeteilt habe. Erst am 15.04.1999 habe die Beklagte davon über die LAK positive Kenntnis erhalten.

Hiergegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Regensburg (SG) erhoben (Az.: S 1 RJ 476/00), weil es unsozial sei, ihm von der aus der Erziehungsleistung seiner verstorbenen Ehefrau erworbenen Rente überhaupt nichts zu belassen.

Durch Urteil vom 19.10.2001 hat das SG die Klage als unbegründet abgewiesen. Der Kläger sei im Bewilligungsbescheid vom 22.04.1997 unmissverständlich über seine Mitteilungspflichten aufgeklärt worden und habe es dennoch unterlassenen, das Einkommens aus der Landwirtschaft anzugeben. Im Übrigen schließe sich das Gericht in vollem Umfange den Gründen der angefochtenen Verwaltungsentscheidungen an.

Gegen das am 03.12.2001 zugestellte Urteil hat der Kläger am 14.12.2001 schriftlich Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Er könne sich nicht vorstellen, dass das SG "wegen 2 ha Landwirtschaft" einen erhöhten Verdienst berechnen dürfe. Das Amt für Landwirtschaft zahle erst ab einer Größe von 5 ha Förderung. Am 11.12.2001 hat die Beklagte der oben erwähnten Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid über den Zeitraum vom 01.10. bis 01.07.1997 (DM 289,62) erlassen.

Der Kläger stellt den Antrag,

das Urteil des SG vom 19.10.2001 und den Bescheid vom 10.12.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.07.2000 sowie den Bescheid vom 11.12.2001 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurück- und die Klage abzuweisen.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten erster und zweiter Instanz sowie der Beklagten (Akte M. S. Bl.1-483) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz in der Fassung des Rechtspflegevereinfachungsgesetzes - SGG -) ist zulässig. Insbesondere ist sie statthaft, da trotz des Beschwerdewertes unter DM 1000,00 zwar auch bei einer Rückforderung eine "Leistung" im Sinne von § 144 SGG (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 6.Aufl., Rdnr.9 zu § 144, Peters/ Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4.Aufl.; Anm.89 zu § 144, Rohwer-Kahlmann, Aufbau und Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit, 4.Aufl. Anm.9 zu § 144) vorliegt, diese aber eine laufende Leistung für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs.1 Satz 2 SGG).

Die Berufung hat zum Teil auch Erfolg, soweit es - auf Klage - die Aufhebung des Bescheides vom 11.12.2001 betrifft (2.).

1. Das Rechtsmittel erweist sich aber als unbegründet. Das Urteil des SG ist im Ergebnis zurecht ergangen. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Aufhebung des Bescheides vom 10.12.1999 zu.

Allerdings ist der Bescheid vom 10.12.1999 nicht schon bindend geworden war, weil die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.07.2000 eine Entscheidung in der Sache getroffen hat, ohne sich auf eine eventuelle Bindung des Bescheides vom 10.12.1999 zu berufen, nachdem der Kläger seinen Widerspruch am 14.01.2000 schriftlich zurückgenommen hatte. Es kann dahingestellt bleiben, aus welchen Rechtsgründen dies geschehen ist, da zumindest als Zweitbescheid eine neue Beschwer des Klägers in der modifizierten Feststellung einer Überzahlung von nunmehr DM 996,57 statt DM 1.144,21 besteht. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 10.12.1999 zurecht eine Neufeststellung vorgenommen. Die Eingriffsbefugnis resultiert aus §§ § 18 d, § 18 e Abs.4 Satz 3 SGB IV. Danach waren nach dem i.S.v. §§ 18 a ff. SGB IV letzten Bescheid vom 22.04.1997 gemäß § 18 d Abs.1 Satz 1 SGB IV zum 01.07.1997 Einkommensänderungen zu berücksichtigen. Denn neben dem Arbeitseinkommen aus selbstständiger Tätigkeit hat sich insbesondere das Arbeitsentgelt für 1996 (vorangegangenes Jahr laut § 18 e Abs.1 SGB IV) auf DM 47.453,00 und für 1997 auf DM 48.932 erhöht. Ohne Bedeutung war es nach der von der Beklagten getroffenen Regelung, dass der Einkommensansatz ab Juli 1996 wegen eines Rechenfehlers zu gering war. Die Beklagte hatte zwar gem. § 18 b Abs.2 Satz 1 SGB IV zurecht nur das Erwerbseinkommen bis September 1995 in Höhe von DM 38.156,00 (ohne das danach erzielte Verletztengeld) berücksichtigt, dieses aber nicht durch die Zahl der neun Kalendermonate geteilt, in denen es erzielt wurde (vgl. Zur Berechnung: Renten für Witwen, Witwer und Waisen, Übersicht, herausgegeben von der BfA, 4.Aufl., S.261), sondern durch 12 Kalendermonate (vgl. Anlage 8 Seite 3 des Bescheides vom 24.02.1997).

Dieser Vorgang führte dann allerdings zu einer Weiterführung des genannten prospektiven Entgelts i.S.d. § 18 e Abs.4 Satz 1 SGB IV, die gem. § 18 e Abs.4 Satz 3 GB IV zurecht korrigiert werden durfte. D.h. die Beklagte durfte zur nächsten Rentenanpassung am 01.07.1997 die bisherige Regelung des Bescheides vom 24.02.1997 bzw. 22.04.1997 teilweise aufheben. § 48 SGB X wird dabei nur insoweit modifiziert, als der Wirkungszeitpunkt bis zur nächsten Rentenanpassung hinausgeschoben wird. Im Übrigen aber durfte die Beklagte mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufheben, weil nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsakts (vom 22.04.1997) Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (vgl. BSG SozR 3-2600 § 97 Nr.3). Ein atypischer Fall, bei dem die Behörde ihr Ermessen hinsichtlich der rückwirkenden Aufhebung auszuüben und im Bescheid darzulegen hat (§ 35 Abs.1 Satz 3 SGB X) liegt - auch nicht wegen der von der Beklagten verschleppten Neufeststellung- angesichts der noch tolerierbaren Höhe der Überzahlung und der sonstigen Einkommensverhältnisse des Klägers (eigene Renten aus der GRV und der GUV) nicht vor. Gründe dafür, das es sich um keinen Regelfall handelte, sind ansonsten nicht ersichtlich. Die Pflicht des Klägers, die Überzahlung zu erstatten, folgt zwingend aus § 50 Abs.1 Satz 1 SGB X. Die unterbliebene Anhörung (§ 24 SGB X) wäre gemäß § 42 Satz 2 i.V.m. Satz 1 SGB X, § 41 Abs.1 Nr.3 SGB X als im Widerspruchsverfahren geheilt anzusehen (Handlungen nach Absatz 1 Nr.2 bis 6 dürfen nur bis zum Abschluss eines Vorverfahrens oder, falls ein Vorverfahren nicht stattfindet, bis zur Erhebung der Klage nachgeholt werden). Gemäß § 18 e Abs.6 SGB IV ist diese aber nicht erforderlich. Bloße Fehler in der Begründung eines Verwaltungsaktes - wie hier in der Annahme eines verschwiegenen Einkommens aus Landwirtschaft statt geänderten Arbeitseinkommens - führten nicht zur Aufhebung (§ 42 SGB X).

Der angefochtene Bescheid ist demnach im Ergebnis nicht zu beanstanden.

2. Der Bescheid vom 11.12.2001 ist gemäß § 96 Abs.1 SGG Gegenstand des Verfahrens.

Der differierende Zeitraum (01.10.1996 bis 21.07.1997) bezieht sich nur auf die Rückforderung. Die Berechnung ist ab dem 01.10.1996 deckungsgleich mit dem im Bescheid vom 02.12.1999 geregelten Zeitraum. Insoweit besteht ein subsidiäres Bedingungsverhältnis. Obsiegte der Kläger wegen des Bescheides vom 10.12.1999, würde die im Bescheid vom 11.12.2001 vorgenommene Aufhebung wirtschaftlich greifen, weil dann ein weiterer Rückforderungsbetrag von DM 996,57 zur Verfügung stände. Der Bescheid vom 11.12.2001 steht jedenfalls in engem Sachzusammenhang mit dem vom 10.12.1999 und muss auf die Rechtsschutzbitte des Klägers, die in seinem Schreiben vom 24.03.2002 zum Ausdruck kommt, auch wegen der mit § 96 SGG beabsichtigten Rechtssicherheit über den Zugang zu den Gerichten und auch aus Gründen der Prozessökonomie im Berufungsverfahren als Klage mit in die gerichtliche Entscheidung einfließen (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 6.Aufl. § 96 Rdnr.11a betreffend teilbare Verwaltungsakte).

Nach §§ 153, 96 SGG ist das LSG zuständig, weil der Bescheid vom 11.12.2001 nach Urteilserlass am 19.10.2001 ergangen ist, und weil die Berufung erst danach seit 14.12.2001 anhängig war. Das Urteil war damit nicht rechtskräftig und der Kläger durfte nicht auf den Weg des § 140 SGG verwiesen werden (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O. Rdnr.7 zu § 96, sonst § 140 SGG).

Wegen fehlender Anhörung (§ 24 SGB X) war der Bescheid vom 11.12.2001 rechtswidrig und aufzuheben. Die unterbliebene Anhörung (§ 24 SGB X) wäre gemäß § 42 Satz 2 i.V.m. Satz 1 SGB X, § 41 Abs.1 Nr.3 SGB X nur im Widerspruchsverfahren als geheilt anzusehen bzw. bis zur Erhebung der Klage nachzuholen gewesen. Es kann dahingestellt bleiben, wieweit dies noch im Gerichtsverfahren möglich wäre. Überlegungen zur Aufhebungsbefugnis (§ 45 SGB X, Ausschlussfristen, Handlungsfrist und Vertrauenschutz) sind wegen des formellen Fehlers gegenwärtig nicht anzustrengen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe zur Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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