L 19 RJ 714/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 RJ 809/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 RJ 714/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 10.10.2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Weitergewährung von Leistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit über den 30.09.1996 hinaus streitig.

Der am 1950 in der Türkei geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt und arbeitete in Deutschland ab 1972 als Metallarbeiter. Von 1989 bis 30.06.1993 war er als Vorrichter im Rohrleitungsbau beschäftigt (Entlohnung nach Lohngruppe 9 des Lohnabkommens für Arbeiter der Metallindustrie Nordwürttemberg/ Nordbaden); das Arbeitsverhältnis wurde durch Auflösungsvertrag aus betrieblichen Gründen gelöst. In der Folgezeit war der Kläger arbeitslos, betrieb von Juli 1997 bis Februar 1998 selbstständig einen Imbissstand, arbeitete vom 07.07. bis 18.09.1998 als Rohrschlosser, vom 02.11.1998 bis 23.01.1999 als Maschinenschlosserhelfer und zuletzt ab 21.06.1999 in der Industriemontage.

Auf den Antrag vom 20.07.1995 bewilligte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 25.11.1995 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) auf Zeit vom 01.07.1995 bis 30.09.1996. Nach den Ermittlungen der Beklagten (Gutachten des Nervenarztes Dr.S. vom 05.09.1995) konnte der Kläger wegen einer überwiegend endogenen endoreaktiven Depression ängstlich-hypochondrischer Prägung mit vielfältigen somatischen Beschwerden nur unter zwei Stunden eingesetzt werden.

Am 13.06.1996 beantragte der Kläger die Weitergewährung der Rentenleistungen wegen der Gesundheitsstörungen "Ischias und Ohrenleiden". Im Gutachten vom 23.10.1996 stellte der Nervenarzt Dr.S. (nur noch) eine leichte reaktive Verstimmung vor dem Hintergrund häufiger häuslicher Spannungen fest. Der Kläger sei wieder vollschichtig einsatzfähig; vermieden werden sollten Tätigkeiten mit besonderer psychischer Belastung, unter Zeitdruck oder in Nachtschicht. Der Orthopäde Dr.R. (Gutachten vom 06.12.1996) hielt den Kläger ebenfalls wieder für vollschichtig einsatzfähig; mit Rücksicht auf eine eher mäßige statische und funktionelle Minderbelastbarkeit der Wirbelsäule und erste Verschleißzeichen im retropatellaren Gleitlager rechts seien körperlich anspruchsvolle Tätigkeiten, verbunden mit fortgesetztem Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten, ferner Arbeiten in ständiger oder länger andauernder Körperzwangshaltung nicht mehr zumutbar. Dagegen seien dem Kläger leichte und mittelschwere Arbeiten noch ganztags zumutbar, kurzfristig auch schwere Arbeiten. Im Hinblick auf diese beiden Gutachten lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20.02.1997 und Widerspruchsbescheid vom 25.08.1997 die Weitergewährung von Rente ab.

Das Sozialgericht Würzburg (SG) hat nach Beinahme verschiedener ärztlicher Unterlagen und einer Auskunft des Arbeitsamtes Aschaffenburg den Nervenarzt Dr.S. zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 18.06.1999 beim Kläger eine reaktive Depression diagnostiziert, neurologische Defizite aber nicht feststellen können. Leichte bis mittelschwere Arbeiten in wechselnder Stellung seien dem Kläger bei Beachtung bestimmter Funktionseinschränkungen noch vollschichtig zuzumuten. Zur gleichen Beurteilung ist der auf Antrag des Klägers gehörte Nervenarzt Dr.W. im Gutachten vom 09.12.1999 gelangt. Der abschließend gehörte Sozialmediziner Dr.H. hat im Gutachten vom 03.07.2000 ebenfalls leichte und mittelschwere Tätigkeiten ganztags für möglich gehalten. Dieser Leistungsbeurteilung hat sich das SG angeschlossen und die Klage mit Urteil vom 10.10.2000 abgewiesen. Der Kläger könne zwar aus gesundheitlichen Gründen die zuletzt ausgeübte Facharbeit eines Rohrschlossers nicht mehr verrichten; auf Grund seiner beruflichen Vorkenntnisse sei er aber nach einer Einarbeitungszeit von höchstens drei Monaten in der Lage, eine qualifizierte Kontrolltätigkeit in der Metallindustrie auszuüben, die tariflich einer "Anlerntätigkeit" iS des von der Rechtsprechung des BSG entwickelten Mehrstufenschemas gleichstehe. Darauf müsse er sich zumutbar verweisen lassen.

Mit der dagegen eingelegten Berufung macht der Kläger geltend, auf Grund der bei ihm vorliegenden psychischen Erkrankung sehe er sich außerstande, eine regelmäßige Erwerbstätigkeit auszuüben. Abgesehen davon sei er nicht in der Lage, die Tätigkeit eines qualifizierten Kontrolleurs in der Metallindustrie binnen drei Monaten zu erlernen. Ferner sei er auch körperlich nicht in der Lage, diese teilweise mit Heben und Tragen schwerer Gegenstände verbundene Tätigkeit auszuüben. Zudem seien solche Kontrolltätigkeiten Außenstehenden nicht zugänglich.

Der Senat hat den Arztbrief des Krankenhauses L. über den stationären Aufenthalt des Klägers vom 09.12. bis 16.12.1998 beigezogen; außerdem hat er Befundberichte des Neurologen und Psychiaters H. , des praktischen Arztes Dr.Ö. und des Orthopäden Dr.R. sowie eine Auskunft des Arbeitgebers des Klägers für die Zeit von 1989 bis 1993 eingeholt.

Die LVA Unterfranken als zuständiger Rehabilitationsträger bewilligte dem Kläger ein stationäres Heilverfahren vom 08.02. bis 22.03.2001. Im Schlussbericht der E.-Klinik B. wurden folgende Diagnosen gestellt: Somatisierte depressive Störung mit Angstzuständen, Alkohol-Abhängigkeit (gegenwärtig Abstinenz), Zustand nach Lärmschwerhörigkeit beidseits mit Tinnitus, retrocochleäre Laesion rechts, Zustand nach Oesophagitis-Rezidiv und Adipositas. Die Entlassung erfolgte als arbeitsfähig für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit eines Rohrleitungsmonteurs.

Der Kläger beantragt (laut Schriftsatz vom 05.12.2000): 1. Das Urteil des SG Würzburg vom 10.10.2000 wird abgeändert. 2. Der Bescheid der Beklagten vom 20.02.1997 in Form des Widerspruchsbescheids vom 25.08.1997 wird aufgehoben. 3. Die Beklagte wird verurteilt, über den 30.09.1996 hinaus Rente wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit zu gewähren. 4. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten des SG und des BayLSG wird zur Ergänzung des Sachverhalts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz = SGG) und auch im Übrigen zulässig (§ 144 SGG). Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis gegeben haben (§ 124 Abs 2 SGG).

In der Sache hat das Rechtsmittel des Klägers keinen Erfolg. Das SG hat vielmehr im angefochtenen Urteil zu Recht festgestellt, dass der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rentenleistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit über den 30.09.1996 hinaus hat; denn der Kläger ist über diesen Zeitpunkt hinaus weder berufs- noch erwerbsunfähig im Sinne des Gesetzes.

Der Kläger ist schon nicht berufsunfähig gemäß des § 43 Abs 1 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung. Das folgt hinsichtlich des ärztlicher Beurteilung unterliegenden Leistungsvermögens aus dem Ergebnis der umfangreichen medizinischen Sachaufklärung im Verwaltungs-, Klage- und Berufungsverfahren. Danach kann der Kläger nach Überzeugung des Senats die während seines versicherten Berufslebens am höchsten qualifizierte, von 1989 bis 1993 nicht nur vorübergehend ausgeübte Tätigkeit als Rohrschlosser bzw Verrichter im Rohrleitungsbau (die sowohl von der Beklagten als auch vom SG als Haupt- bzw Ausgangsberuf beurteilt und der Annahme des Berufsschutzes als "Facharbeiter" zugrunde gelegt worden ist) weiterhin ausüben. Ausschlaggebend für diese Einschätzung seiner Leistungsfähigkeit ist der Entlassungsbericht der E.-Klinik B. (stationäres Heilverfahren vom 08.02. bis 22.03.2001). Der Senat hat keine Bedenken, sich der Beurteilung im Entlassungsbericht dieser Klinik anzuschließen, wonach der Kläger (im Gegensatz zu der im erstinstanzlichen Verfahren abschließend geäußerten Auffassung des Arbeitsmediziners Dr.H.) ab 01.10.1996 wieder in der Lage ist, den Beruf eines Rohrschlossers wettbewerbsfähig auszuüben. Diese Beurteilung resultiert aus einer mehrwöchigen Beobachtung des Klägers in einer Klinik mit den Fachbereichen der Psychosomatik, Orthopädie und Inneren Medizin. Während der dortigen Behandlung erfolgte je ein neurologisch-psychiatrisches Konsil am 21.02. und 07.03.2001. Ausgehend von der zusammenfassenden Leistungsbeurteilung des Entlassungsberichts vom 25.03.2001 lässt sich vorliegend der Leistungsfall der BU bereits aus medizinischer Sicht nicht begründen, weshalb es auf die im angefochtenen Urteil angestellten Erwägungen über die gesundheitliche und fachliche Fähigkeit des Klägers zur Ausübung einer qualifizierten Kontrolltätigkeit in der Metallindustrie sowie über seine Verweisbarkeit (iS sozialer Zumutbarkeit) auf eine solche Tätigkeit nicht mehr ankommt.

Damit steht zugleich fest, dass dem Kläger auch ein Anspruch auf Rente wegen EU, der an noch weitergehende Voraussetzungen geknüpft ist, über den 30.09.1996 hinaus nicht zusteht. Insoweit hat das SG im angefochtenen Urteil das Leistungsvermögen des Klägers ausführlich dargestellt und zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht. Der Senat schließt sich diesen Ausführungen an und sieht gem § 153 Abs 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Auf Grund seines vollschichtigen Einsatzvermögens erfüllt der Kläger auch nicht die Voraussetzungen des durch Art 1 Nr 19 des Rentenreformgesetzes 1999 neu gefassten und durch Art 1 Nr 10 des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 - BGBl I 1827 - geänderten, am 01.01.2001 in Kraft getretenen § 43 SGB VI. Nach dessen Absatz 1 hat bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wer (neben weiteren Leistungsvoraussetzungen) wegen Krankheit oder Behinderung außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Eine quantitative Einschränkung der betriebsüblichen Arbeitszeit von täglich etwa acht Stunden liegt jedoch - wie bereits ausgeführt wurde - beim Kläger nicht vor.

Die Berufung des Klägers musste daher zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gem § 160 Abs 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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