L 5 RJ 71/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 10 RJ 340/94
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RJ 71/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 24.06.1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der am ...1957 geborene Kläger wanderte 1989 nach Australien aus. Dort wurde er infolge seiner Tätigkeit als Metzger 1992 erwerbsunfähig.

Zuvor hatte er von 1972 bis 1975 (ohne Abschluss) eine Berufsausbildung als Metzger erfahren und war bis zum Grundwehrdienst 1977 bis 1978 in diesem Beruf tätig. Anschließend verrichtete er Tätigkeiten eines Hilfsarbeiters und seit Juni 1980 eines Magaziners in der Warenannahme und -ausgabe. 1983 erlitt er einen Fersenbeinbruch mit anschließender Osteomyelitis mit fast einjähriger Arbeitsunfähigkeit. Rentenleistungen hieraus bezieht der Kläger nicht.

Von November 1989 bis Mai 1991 entrichtete der Kläger freiwillige Beiträge. Anschließend erkundigte er sich nach einer Beitragserstattung und wurde hierüber am 18.09.1991 von der Beklagten aufgeklärt.

Seinen am 23.10.1992 (mittels Formblatt am 18.01.1993) gestellten Rentenantrag begründete der Kläger mit einem am 09.12.1992 in Australien erlittenen Arbeitsunfall, aber auch mit den Folgen des Unfalls im Jahre 1983. Nach Auskunft australischer Ärzte sei er nicht in der Lage, selbst leichte Ausweichtätigkeiten in einem nur begrenzten Zeitumfang auszuüben, weil ein Bandscheibenvorfall nicht zu bekämpfende Schmerzen verursache.

Mit Bescheid vom 13.12.1993 wies die Beklagte den Antrag des Klägers ab, weil zwar ab 23.10.1992 nurmehr ein untervollschichtiges Erwerbsvermögen vorliege, aber die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (3/5-Belegung) nicht gegeben seien. Bis zum September 1992 weise der Versicherungsverlauf des Klägers nur 25 Kalendermonate mit Pflichtbeitragszeiten auf. Mit seinem Widerspruch brachte der Kläger vor, zusammen mit seinen 18 freiwilligen Beiträgen 40 Monate an rentenrechtlichen Zeiten (Anwartschaft) bis zum Versicherungsfall zu besitzen. Eine Mitarbeiterin des Konsulats in Adelaide (Australien) habe die Auskunft erteilt, dass freiwillige Beiträge wie Pflichtbeiträge zählen würden. Dagegen wandte die Beklagte ein, den Kläger im Rahmen der Zulassung zur freiwilligen Weiterversicherung richtig aufgeklärt zu haben, und wies den Widerspruch mit Bescheid vom 05.08.1994 zurück.

Schon zuvor hatte der Kläger am 13.12.1993 Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben und sein bisheriges Vorbringen wiederholt. Das SG hat von dem Arzt C.W ... in Australien ein Gutachten eingeholt, das auf dessen Untersuchungen von Oktober bis November 1995 und Januar 1996 gestützt ist. Danach sei eine Wirbelsäulenoperation mit Verblockung dreier Wirbelkörper (L 3-5) erforderlich. Das linke Bein sei derart lädiert, dass der Kläger nurmehr einen Pkw mit automatischer Kupplung fahren und die mehr als 500 Meter von seiner Wohnung entfernte Bushaltestelle zu Fuß nicht erreichen könne. Das Medizinalreferat der Beklagten hat sich hierzu geäußert (Dr.S ... vom 12.04.1996).

Am 30.01.1999 erstattete der Chirurg Dr.K ... im Auftrag des SG ein Gutachten nach Aktenlage. Danach liege ein Versicherungsfall frühestens im Oktober 1992 aufgrund eines damals stattgehabten Verhebetraumas vor. Die bis zuvor noch ausgeübte selbständige Tätigkeit in Australien spreche gegen einen früheren Zeitpunkt.

Durch Urteil vom 24.06.1999 hat das SG die Klage ohne mündliche Verhandlung abgewiesen und für den von ihm angenommenen Versicherungsfall im Oktober 1992 das Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen verneint.

Dagegen hat der Kläger Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt und wiederum auf seine bereits 1983 diagnostizierte Osteomyelitis und damit eine zeitlich frühere Verursachung seines Versicherungsfalls hingewiesen. Darauf und auf die früheren Befunde seines Hausarztes Dr.A ... (u.a. vom 07.05.1985) sowie des Vertrauensarztes Dr.Sch ... aus dem Jahre 1984 sei der Sachverständige überhaupt nicht eingegangen.

Der Senat hat die Botschaftsangestellte I ... N ... am 06.11.2000 schriftlich darüber befragt, welche Auskünfte dem Kläger erteilt worden seien. Danach sei dem Kläger nur beim Ausfüllen seines Rentenantrags im Januar 1993 geholfen worden. Detailliertes Wissen über die rentenrechtlichen Besonderheiten für Versicherungsfälle der verminderten Erwerbsfähigkeit habe die Botschaft nicht. Rentenbewerber würden insoweit direkt an den Versicherungsträger verwiesen.

Das LSG hat ein Gutachten des Röntgenologen und Internisten Dr.R ... vom 13.09.2000 nach Aktenlage eingeholt, das die Ergebnisse des Gutachtens von Dr.K ... bestätigte. Darüber hinaus beschäftigte sich Dr.R ... auch mit den Folgen der Osteomyelitis, der er keine erwerbsmindernde Bedeutung beimaß. Das entscheidende Ereignis im Gesundheitsverlauf des Klägers sei ein Verhebetrauma im Oktober 1992 gewesen, als dieser im Kühlraum eine Fleischlast zwischen 50 und 55 kg habe anheben müssen. Dabei sei es nach dessen eigenen Aussagen schlagartig zu Rückenschmerzen mit Ausstrahlungen in den linken Oberschenkel gekommen. Ein früherer Schub der Wirbelsäulenbeschwerden 1990 sei wieder abgeklungen und habe den Kläger nicht an der weiteren Ausübung seines Berufs als Metzger gehindert.

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 24.06.1999 sowie des Bescheides vom 13.12.1993 i.d.G. des Widerspruchsbescheides vom 05.08.1994 zu verurteilen, ihm Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab November 1992 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 24.06.1999 zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Dauer gerichtete Berufung ist statthaft und zulässig (§ 144 Abs.1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG- i.d.F. des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 01.03.1993). Sie ist auch fristgemäß eingelegt (§ 153 Abs.1 SGG i.V.m. § 87 Abs.1 Satz 2 SGG).

In der Sache hat sie keinen Erfolg.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Eine solche Rente kann nur beanspruchen, wer

a) die letzten fünf Jahre vor dem Eintritt der Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit mit mindestens drei Jahren Pflichtbeitragszeiten für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt hat (§§ 43 Abs.1 Nr.2, 44 Abs.1 Nr.2 SGB VI) oder b) die Zeit vom 01.01.1984 bis zum Eintritt von Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit mit Anwartschaftserhaltungszeiten (AWZ) voll belegt oder noch belegbar hat (§§ 240 Abs.2, 241 Abs.2 SGB VI) oder c) bei dem die Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit aufgrund eines Tatbestands eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit erfüllt (§§ 43 Abs.4, 44 Abs.4 i.V.m. 53 SGB VI), oder d) bei dem der Leistungsfall spätestens im Jahr 1984 eingetreten ist (§ 240 Abs.2 SGB VI).

Ein Versicherungsschutz nach Alternative a) - sog. versicherungsfallsnahe Belegungsdichte bzw. 3/3-Belegung - bestand beim Kläger längstens nur bis zum Eintritt einer verminderten Erwerbsfähigkeit im Dezember 1991. Denn lediglich im Fünfjahreszeitraum vom Nobember 1986 bis November 1991 sind beim Kläger 36 Monate mit Pflichtbeitragszeiten belegt. Seine zwischen November 1989 und Mai 1991 entrichteten freiwilligen Beiträge vermögen es nicht, diese Variante der Anwartschaft aufrechtzuerhalten. Sowohl nach dem Wortlaut des Gesetzes (§ 43 Abs.1 Nr.2 "Pflichtbeitragszeiten", die gemäß § 55 SGB VI als Zeiten definiert sind, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge gezahlt worden sind) als auch nach dem Sinn der 1984 durch das Haushaltsbegleitgesetz eingeführten Regelung soll damit ein besonderes Äquivalent für den Verlust an echtem Erwerbsvermögen geschaffen werden. Der Verlust des vollen Erwerbsvermögens ist beim Kläger jedoch erst durch das traumatische Ereignis im Oktober 1992 eingetreten. Dies legen die Sachverständigen Dres.K ... und R ... überzeugend dar. Sie stützen sich hierzu auf den gesamten vorliegenden Akteninhalt, nach welchem der Gesundheitszustand des Klägers bereits im Rahmen zweier Verfahren über Heilverfahren 1979 und 1989 dokumentiert gewesen ist. Sie verwerten aber auch die aus Australien beigebrachten Befundschilderung. Schließlich stellen sie auch zulässigerweise darauf ab, dass die anamnestischen Angaben des Klägers mit einem tatsächlichen Arbeitsvermögen (z.T. an 6 Tagen in der Wochen zwischen 8 und 20 Stunden beschäftigt) gegen eine frühere Minderung der Erwerbsfähigkeit sprechen.

Dieselben Überlegungen sprechen auch dagegen, dass ein Versicherungsfall bereits im Jahre 1984 eingetreten ist (oben Alternative d)). Der Arbeitsunfall im Jahre 1983 hat nach den überzeugenden Ausführungen insbesondere des Sachverständigen Dr.R ... nicht zu einer dauerhaften Erwerbsunfähigkeit geführt. Schließlich ist der Kläger danach auch wieder berufstätig gewesen, wie den Unterlagen im Zusammenhang mit den erwähnten Heilverfahren zu entnehmen ist. Auch die vom Kläger angeführten Arztbefunde der Dres.A ... und Sch ... vermögen diese Überzeugung nicht in Frage zu stellen.

Die vom Kläger angeführten freiwilligen Beitragszahlungen haben nicht zu einer Aufrechterhaltung der 1984 erworbenen Anwartschaft bis zum Versicherungsfall 1992 geführt. Dazu (vgl. oben Alternative b)) wäre eine volle Belegung oder eine Belegbarkeit erforderlich gewesen. Die tatsächliche Entrichtung der Beiträge endete bereits im April 1991. Die nachträgliche Entrichtung freiwilliger Beiträge ist seit April 1992 im Falle des Klägers nicht mehr möglich (vgl. § 197 Abs.2 SGB VI). Eine Ablaufhemmung der Frist vom Januar bis März 1992 (vgl. § 198 Nr.2 SGB VI) ist durch den erst im Dezember 1992 gestellten Rentenantrag nicht eingetreten. Die Unterlassung einer rechtzeitigen Beitragszahlung ist auch nicht im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs von der Beklagten zu vertreten. Diese hat den Kläger sowohl bei seinem Antrag auf Zulassung zur freiwilligen Weiterversicherung (am 16.08.1989) als auch bei deren Durchführung selbst (Mitteilung über das Abbuchungsverfahren am 26.09.1989) sowie auch bei seiner Anfrage auf Beitragserstattung (Antwort vom 18.09.1991) richtig beraten und aufgeklärt. Ebenso wenig hat sich eine fehlerhafte Beratung durch einen Botschaftsangehörigen in Australien beweisen lassen. Die Bedienstete N ... teilte vielmehr mit, dass derartige detaillierte Beratungen in keinem Falle, auch nicht dem des Klägers, vorgenommen würden. Damit kann es auch dahingestellt bleiben, ob eine evtl. Fehlberatung durch Botschaftsangehörige noch dem Versicherungsträger zuzurechnen wäre. Hinzu kommt der späte Zeitpunkt der Kontaktaufnahme mit der Botschaft (frühestens im Oktober 1992), der einer unterlassenen Beitragszahlung im März 1992 nicht im Wege gestanden sein kann. Die Erwerbsunfähigkeit des Klägers im Jahre 1992 ist auch nicht im Sinne der Alternative c) (§§ 43 Abs.4, 44 Abs.4 i.V.m. 53 SGB VI) infolge oder durch die Auswirkungen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit eingetreten. Zunächst bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger in seiner Tätigkeit als Metzger einer im Sinne der Berufskrankheitenverordnung geforderten Belastung durch schweres Heben und Tragen ausgesetzt gewesen ist, zumal wegen Fehlens eines gültigen Sozialversicherungsabkommens mit Australien eine Exposition in diesem Land (wobei ohnehin nicht geklärt ist, ob der Kläger dabei versichert gewesen wäre) nicht zu berücksichtigen ist. Ebenfalls wegen Fehlens eines vertraglichen Zustands kann auch nicht das in Australien stattgefundene Ereignis im Oktober 1992 deutschen Arbeitsunfällen gleichgestellt werden. Diesen rechtlichen Erfordernissen genügt lediglich der Arbeitsunfall des Klägers im Jahre 1983. Dennoch führt auch dies nicht zur Fiktion der Erfüllung der notwendigen Wartezeit, weil nach den übereinstimmenden Feststellungen beider Sachverständiger, insbesondere aber des Internisten und Radiologen Dr.R ..., die jetzt beim Kläger bestehende Erwerbsunfähigkeit nicht rechtlich maßgeblich auf das Ereignis 1983 zurückzuführen ist. Wie der Sachverständige Dr.R ... anhang des vorliegenden Akteninhalts feststellt, handelte es sich damals um ein Zustand nach Fersenbeinfraktur mit sekundärer Infektosteomyelites und Fisteleiterung. Eine Beteiligung der Wirbelsäule war nirgends verzeichnet. Allerdings fanden sich schon im Zusammenhang mit dem medizinischen Reha-Verfahren 1989 degenerative Wirbelsäulenerkrankungen; so ist in dem Kurantragsgutachten vom 06.06.1989 von Beschwerden in der linken Schulter und in der Halswirbelsäule die Rede. Läsionen an der Lendenwirbelsäule im Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall ließen sich aber weder dem Arztbrief des Vertrauensarztes Dr.Sch ... vom 22.02.1984 noch den Briefen des Krankenhauses Peißenberg vom 26.09.1984 und 30.03.1987 sowie den Berichten des Hausarztes Dr.A ..., z.B. vom 07.05.1985 entnehmen. Allerdings vermerkt Dr.A ... in losem zeitlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall seit 1984 rezidivierende Wirbelsäulenbeschwerden ohne röntgenologischen Nachweis eines Bandscheibenvorfalles. Deswegen beantragte der Kläger auch 1989 ein Heilverfahren. Vollends weist die Osteomyelitis keinen Zusammenhang mit den später aufgetretenen Beschwerden an der Wirbelsäule auf. Zwar wurde in Australien eine entzündliche Wirbelerkrankung diskutiert, diese ist aber nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr.R ... nicht objektivierbar. Auch wurde in diesen australischen Berichten eine Fistelung nach Osteomyelitis nicht mehr erwähnt. Im Übrigen spricht auch der zeitliche Ablauf der Erkrankung gegen irgendeinen Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall 1983. Zu Recht verzeichnet der Sachverständige Dr.R ..., dass sich nach dem Gutachten des Dr.B ... im Kurantragsverfahren vom Juni 1989 kein Hinweis für neurologische Komplikationen an der Wirbelsäule gezeigt haben, es sich vielmehr ausschließlich um degenerative knöcherne Veränderungen gehandelt hat, die nach Abklingen der akuten Schmerzphase und Schonung sowie einer Behandlung zu keiner dauerhaften Erwerbsminderung geführt haben. Dies ist insbesondere durch die über 10-jährige Arbeitstätigkeit des Klägers in Australien bewiesen. Selbst ein weiterer akuter Schub der Wirbelsäulenbeschwerden 1990, der im Krankenhaus behandelt worden ist, führte zunächst zu keiner dauerhaften Erwerbsminderung.

Damit besteht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch des Klägers auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe zur Zulassung der Revision (§ 160 Abs.1 Nr.1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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