L 19 RJ 95/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 RJ 784/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 RJ 95/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 28.01.1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um Anerkennung von Zeiten der Kindererziehung für den Zeitraum vom 13.10.1955 bis 31.01.1956.

Die am 1937 geborene Klägerin hat sieben Kinder geboren. Als erstes Kind ist am 1955 die Tochter Angelika in S. zur Welt gekommen. Die Klägerin ist am 13.10.1955 ohne ihre Tochter aus der damaligen DDR in die Bundesrepublik Deutschland geflüchtet und konnte diese (nach eigenen Angaben) von da an bis zum 31.07.1956 nicht besuchen. Das Kind befand sich während dieser Zeit in der Obhut seiner Großmutter in S. und lebte erst ab 30.10.1956 wieder bei der Klägerin, die unmittelbar nach der Flucht Aufnahme im Flüchtlingslager Berlin-Marienfeld fand.

Im April 1991 hat die Klägerin die Anerkennung von Zeiten der Kindererziehung beantragt und dabei angegeben, ihre Tochter während der gesamten ersten zwölf Lebensmonate erzogen zu haben. Mit Bescheid vom 08.07.1991 hat die Beklagte u.a. die Zeit vom 01.02.1955 bis 31.01.1956 als Kindererziehungszeit für Angelika anerkannt. Nach einem weiteren, am 06.11.1996 gestellten Antrag der Klägerin auf Anerkennung von Kindererziehungszeiten hat die Beklagte nach mehreren Rückfragen mit Bescheid vom 10.04.1997 die Anerkennung der Kindererziehungszeit vom 13.10.1955 bis 31.01.1956 aufgehoben: Da die Klägerin am 12.10.1955 in das Bundesgebiet zugezogen sei und ihre Tochter Angelika erst ab dem 30.10.1956 wieder in ihrem Haushalt gelebt habe, könne die vorgenannte Zeit als Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeit nicht mehr anerkannt werden. Bei der erstmaligen Berücksichtigung dieser Zeit habe die Klägerin bezüglich der räumlichen Trennung von ihrer Tochter keine Angaben gemacht, obwohl sie nach ihrer Flucht aus der DDR bis zum Nachzug der Tochter keinerlei Kontakt zu dieser hatte (Bezugnahme auf das Schreiben der Klägerin vom 27.01.1997). Der insoweit rechtswidrige Bescheid vom 08.07.1991 müsse gem § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X zurückgenommen werden. Dagegen hat die Klägerin Widerspruch eingelegt und geltend gemacht, sie habe infolge der Flucht aus der früheren DDR zeitweise von ihrem Kind Angelika D. getrennt leben müssen, was eine erhebliche körperliche und seelische Belastung für sie bedeutet habe. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 01.08.1997 zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Die Klägerin sei am 12.10.1955 aus der ehemaligen DDR in das Bundesgebiet zugezogen und habe erst ab 30.10.1956 wieder einen gemeinsamen Wohnsitz mit ihrer Tochter begründet. Kindererziehung im Sinne der §§ 56, 249 SGB VI liege nur dann vor, wenn der erziehende Elternteil regelmäßig Einfluss auf die Entwicklung und Erziehung eines Kindes ausüben könne. Dies sei vorliegend nicht der Fall gewesen, da die Klägerin im fraglichen Zeitraum keinen erzieherischen Einfluss auf ihre Tochter Angelika nehmen konnte.

Dagegen hat die Klägerin am 04.09.1997 Klage beim Sozialgericht Würzburg erhoben und im Wesentlichen vorgebracht, sie habe ihre Tochter wegen der Flucht aus der DDR vorübergehend bei der Großmutter zurücklassen müssen, jedoch ständig heimlichen Kontakt zu beiden gehabt. Mit Urteil vom 28.01.1999 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Die Beklagte habe die Anerkennung der Kindererziehungszeit vom 13.10.1955 bis 31.01.1956 zu Recht aufgehoben, da die Klägerin in ihrem ursprünglichen Antrag vom April 1991 zumindest grob fahrlässig unvollständige Angaben bezüglich der Tochter Angelika gemacht, insbesondere nicht erwähnt habe, dass Angelika in der DDR bei der Großmutter geblieben sei. Der auf diesen Angaben beruhende Bewilligungsbescheid vom 08.07.1991 sei deshalb für die Zeit ab 13.10.1955 rechtswidrig gewesen. Auch wenn der Begriff "Kindererziehung" weit auszulegen sei, müsse im Regelfall die Aufnahme des Kindes in den elterlichen Haushalt oder zumindest eine unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit auf die Erziehung des Kindes gegeben sein. Dies sei nach der Flucht der Klägerin aus der DDR nicht sichergestellt gewesen. Die Beklagte sei deshalb berechtigt gewesen, die ursprüngliche Vormerkung der streitigen Kindererziehungszeit gem § 45 Abs 3 Satz 2 SGB X bis zum Ablauf von 10 Jahren nach der Bekanntgabe zu korrigieren. Die ursprüngliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes habe allein auf den unvollständigen Angaben der Klägerin beruht, weshalb der Beklagten eine andere Art von Ermessungsausübung auch nicht offen gestanden habe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die am 11.02.1999 beim Sozialgericht Würzburg eingegangene Berufung der Klägerin. Das SG habe es versäumt, die Großmutter als Zeugin zu hören. Diese habe zwar während der durch die Flucht bedingten Trennung von ihrer Tochter zeitweise Erziehungsaufgaben übernommen; die eigentliche Erziehung sei aber von ihr (der Klägerin) wahrgenommen worden. Auf Anfrage des Senats hat die Klägerin mitgeteilt: Es sei richtig, dass sie am 13.10.1955 aus der ehemaligen DDR geflohen sei und das Kind Angelika bei ihrer Mutter - S. H. - habe zurücklassen müssen. Sie habe sich jedoch heimlich mit ihrer Mutter und Angelika in Ostberlin am Grenzübergang Checkpoint-Charly getroffen. In der Zeit zwischen 13.10.1955 bis 29.10.1956 seien mindestens 95 solcher Treffen erfolgt. Die Mutter der Klägerin sei wegen einer schweren Erkrankung nicht vernehmungsfähig. Die Beklagte hat dem entgegengehalten, dass die behaupteten Treffen der Klägerin mit ihrer Mutter und ihrer Tochter insgesamt nicht glaubhaft seien; der von der Klägerin genannte Grenzübergang Checkpoint-Charly sei erst 1961 eingerichtet worden.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des SG Würzburg vom 28.01.1999 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 10.04.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.08.1997 insoweit aufzuheben, als damit die Anerkennung der Kindererziehungszeit vom 13.10.1955 bis 31.01.1956 zurückgenommen wurde.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Dem Senat haben die Verwaltungsakten der Beklagten und die Prozessakte des SG Würzburg vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 SGG) und auch im Übrigen zulässig.

Das Rechtsmittel der Klägerin erweist sich als nicht begründet. Die Beklagte durfte den ursprünglichen Bescheid vom 08.07.1991 bezüglich der Anerkennung der Kindererziehungszeit für das Kind Angelika vom 13.10.1955 bis 31.01.1956 gem § 45 SGB X aufheben. Die Klägerin hatte bei ihrem Erstantrag im April 1991 die mit der Flucht aus der damaligen DDR verbundene räumliche Trennung von ihrer Tochter Angelika verschwiegen, so dass die objektiv fehlerhafte Entscheidung im Bescheid vom 08.07.1991 allein auf den unzutreffenden Angaben der Klägerin beruhte. In der Folgezeit hat die Klägerin mitgeteilt, dass sie ihre Tochter nach ihrer Flucht am 23.10.1955 bis einschl. 31.07.1956 nicht habe besuchen können (Schreiben vom 27.01.1997 an die Beklagte). Das Erstgericht hat den streitigen Anspruch auf Vormerkung einer Kindererziehungszeit vom 13.10.1955 bis 31.01.1956 mit zutreffenden Erwägungen verneint. Aus denselben Gründen erweist sich das Rechtsmittel der Klägerin als unbegründet, weshalb der Senat von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absieht und statt dessen auf die schriftlichen Ausführungen des angefochtenen Urteils verweist (§ 153 Abs 2 SGG).

Demgegenüber wirkt das erstmalige Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren, sie habe sich in der Zeit zwischen 13.10.1955 bis 29.10.1956 mindestens 95 mal (also durchschnittlich etwa zwei Mal in der Woche) in Ostberlin am Grenzübergang "Checkpoint-Charly" heimlich mit ihrer Mutter und ihrer Tochter getroffen, völlig unglaubwürdig. Abgesehen davon, dass sich die Klägerin damit eklatant in Widerspruch zu ihren früheren Einlassungen setzt, hat die Beklagte in diesem Zusammenhang mit Recht darauf hingewiesen, dass der Grenzübergang Checkpoint-Charly erst 1961 (nach dem Mauerbau am 13. August) eingerichtet wurde. Auch ist es völlig unwahrscheinlich und widerspricht jeglicher Lebenserfahrung, dass die Mutter der Klägerin - noch dazu in den Herbst/Winter-Monaten Oktober 1955 bis Januar 1956 - mit dem noch nicht einmal 12 Monate alten Enkelkind etwa zwei Mal in der Woche die weite (320 bis 350 km) und - angesichts der seinerzeit unzulänglichen Verkehrs- bzw Straßenverhältnisse - zeitraubende und beschwerliche Reise von Saalfeld/Thüringen nach Berlin unternommen hat, um sich unter erheblicher Gefährdung der beteiligten Personen für kurze Zeit in einem auch schon 1955/56 von der Volkspolizei der DDR intensiv überwachten Gebiet aufzuhalten.

Die Berufung der Klägerin war deshalb zurückzuweisen.

Außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten (§ 193 SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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