L 15 SB 71/95

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 27 Vs 211/90
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SB 71/95
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Für die Zuerkennung des Merkzeichens RF aus psychischen Gründen (Klaustrophobie u. ä.) ist darauf abzustellen, inwieweit der Behinderte zumutbar seine soziale Isolation überwinden kann, nicht, inwieweit er solche Anstrengungen tatsächlich unternimmt.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 18.07.1991 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF".

Bei dem am ...1941 geborenen Kläger hatte das beklagte Land bereits früher Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) getroffen. Mit Bescheiden vom 07.01.1980/19.09.1984 stellte es zunächst folgende Behinderung mit einem Grad (GdB) von 60 bzw 80 fest: "1. Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule 2. Neurose mit psychosomatischen Störungen". Ziff. 2 der Behinderungen wurde mit Bescheiden vom 03.06./ 27.10.1988 und Widerspruchsbescheid vom 28.06.1989 bei einem neuen Gesamt-GdB von 90 sowie unter Zuerkennung des Merkzeichens "G" in "Hirnfunktionsstörung nach Encephalitis" geändert. Der gegen die genannten Entscheidungen anhängige und zum Sozialgericht München (SG) verwiesene Rechtsstreit ruht (Beschluss des SG Mannheim vom 20.10.1989).

Am 06.10.1988 stellte der Kläger beim beklagten Land Antrag auf Merkzeichen "RF", weil es ihm wegen seiner krankheitsbedingten Angst vor Menschenansammlungen in Räumen und einer damit einhergehenden unerträglichen Reizüberflutung nicht mehr möglich sei, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen.

Mit Bescheid vom 21.07.1989/Widerspruchsbescheid vom 09.10.1989 stellte das beklagten Land fest, daß dem Antrag auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht und der Gebührenermäßigung beim Fernsprechhauptanschluß nach der Landesverordnung vom 12.02. 1980 nicht entsprochen werden könne, weil der Kläger nur an bestimmten Veranstaltungen nicht teilnehmen könne und damit nicht ständig von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen sei.

Mit aus San Francisco abgesandtem, am 06.11.1989 beim Beklagten eingegangenem und von diesem an das SG München weitergeleitetem Schreiben vom 22.10.1989 beantragte der Kläger unter Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid vom 09.10.1998, die Klage gegen diesen Bescheid wegen Wohnsitzwechsel beim Sozialgericht München "zuzulassen". Eine von den Bevollmächtigten des Klägers am 06.11.1989 in gleicher Sache erhobene Klage (Akte S 27 Vs 1275/89) wurde zurückgenommen.

Das SG München hat von dem Arzt für Neurologie und Psychatrie Dr ... am 30.09.1990 ein Gutachten zum Beweis des Umfangs des beim Kläger noch vorhandenen Kommunikationsvermögens eingeholt. Nach der Beurteilung des Sachverständigen sei der Kläger wegen der bei ihm vorliegenden weit fortgeschritten Neurose ständig an der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen gehindert. Der Beklagte hat sich diesem Beweisergebnis deshalb widersetzt, weil mit der Zuerkennung des Merkzeichens der soziale Rückzug gefördert und fixiert werden würde. Der nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gehörte Psychiater Prof. Dr ... (Universität Kiel) hat in seinem Gutachten vom 29.04.1991 ein derartiges Ausmaß der Persönlichkeitsveränderung des Klägers festgestellt, daß dieser nicht mehr in der Lage sei, sich in einem größeren Menschenkreis aufzuhalten, weswegen er wegen seiner Leiden ständig an der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen gehindert sei.

Der Kläger ist zum Termin des Sozialgerichts zur mündlichen Verhandlung am 18.07.1991 selbst erschienen. Die Verhandlung dauerte von 11.35 Uhr bis 12.30 Uhr. Im Urteil vom gleichen Tag erfolgte Klageabweisung, weil die von der Bayer. Verordnung über die Befreiung von den Rundfunkgebühren aufgestellten Kriterien nicht erfüllt seien. Auf die "Anhaltspunkte" und die höchstrichterliche Rechtsprechung (BSG vom 03.12.1986 und 23.02.1987) hat das Sozialgericht Bezug genommen. Danach sei es nicht ausreichend, daß der Behinderte nur von einzelnen Veranstaltungen - besonders Massenveranstaltungen - ausgeschlossen sei.

Mit der am 30.09.1991 dagegen eingelegten Berufung wurde weiter Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" begehrt.

Das auf diese Berufung ergangene Urteil des Bayer. Landessozialgerichts (LSG) vom 22.09.1993 (L10 Vs 95/91), in welchem die Streitsache unter Aufhebung des Urteils vom 18.07.1991 an das SG München zurückverwiesen worden war, wurde vom Bundessozialgericht auf die Revision des Klägers mit Urteil vom 16.05.1995 aufgehoben und die Sache an das Bayer. Landessozialgericht zur Entscheidung zurückverwiesen: entgegen der Auffassung des LSG seien die "RF" betreffenden Bescheide vom 21.07./9.10.1989 nicht bestandskräftig, denn bei dem vom beklagten Land an das SG München weitergeleiteten Schreiben des Klägers vom 22.10. 1989 habe es sich um eine auf "RF" gerichtete Klage gehandelt, deren Rechtshängigkeit durch die am 06.11.1989 abgegebenen Rücknahmeerklärung nicht beseitigt worden sei.

In erneuter Sachermittlung hat der Senat Gutachten wegen eines Rechtsstreits aus der gesetzlichen Unfallversicherung beigezogen. Prof. Dr ... (Psychiatrische Klinik der Universität Bonn) hat dabei nach Untersuchung des Klägers 1994 die Diagnosen eines encephalitischen Syndroms mit leichtem dementiellen Abbau, einer organischen Persönlichkeitsstörung und einer organisch bedingten affektiven Störung (ICD 10: F07.1, 07.0, 06.32) gestellt (Gutachten vom 19.06.1995). Weiter hat der Senat einen Kurabschlußbericht über eine sechswöchige stationäre Behandlung 1990 in einem neurologischen Rehabilitationskrankenhaus sowie Gutachten der wegen der Frage einer Berufskrankheit beauftragten Sachverständigen Prof. Dr ..., Prof. Dr ..., Dr ..., Dr ..., Privatdozent Dr ... und Privatdozent Dr ... beigezogen. Der Senat hat abschließend ein Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie/Sozialmedizin Dr ... nach Aktenlage vom 30.09.1997 eingeholt. Danach zeigten die vorliegenden nervenfachärztlichen Gutachten zwar kein klares Bild hinsichtlich der ätiologischen Zuordnung , sie ergäben aber eine leichte organisch-psychische Störung bei einem Restzustand nach Virusgehirnhautentzündung vor dem Hintergrund einer primärneurotisch-narzistischen Persönlichkeitsstruktur als beim Kläger bestehende Gesundheitsstörung. Nach dem daraus resultierenden funktionellen Zustandsbild sei der Kläger teilweise an der Teilnahme an solchen öffentlichen Veranstaltungen gehindert, die mit großen Menschenansammlungen verbunden sind. Daneben gäbe es aber eine Vielzahl von öffentlichen Veranstaltungen und Zusammenkünften jeglicher Art im kleinen Kreis, die der Kläger in zumutbarer Weise besuchen könne.

Der Klägerbevollmächtigte hat diesem Beweisergebnis mit dem Argument widersprochen, daß die Teilnahme an den von Dr ... aufgeführten Veranstaltungen und Zusammenkünften, wie sozialgerichtliche Verhandlungen und Besuch von jahrzehntelang bekannten Ruderkameraden bzw Bahnfahrten, nicht dem durch den begehrten Nachteilsausgleich RF kompensierten Kommunkationsangebot gleichgestellt sein könne.Denn sonst sei fast kein Fall mehr vorstellbar, auf den das Merkzeichen RF Anwendung fände.

Das beklagte Land hat unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG vom 10.08.1993 - Az: 9/9a RVs 7/91) an seiner Verwaltungsentscheidung festgehalten.

Der Kläger stellt den Antrag, den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 18.07.1991 und des Bescheids vom 21.07. 1989 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.10. 1989 zu verurteilen, ihm ab Oktober 1988 das Merkzeichens "RF" zuzuerkennen ...

Der Beklagte stellt den Antrag, die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 18.07.1991 zurückzuweisen.

Bezüglich des weiteren Sachverhalts in den Verfahren des Beklagten und des Sozialgerichts wird gemäß § 202 SGG und § 543 der Zivilprozeßordnung (ZPO) auf den Tatbestand der ergangenen Urteile und die dort angeführten Beweismittel, hinsichtlich des Sachverhalts im Berufungsverfahren auf die Schriftsätze und Erklärungen der Beteiligten, die beigezogenen Akten und den In- halt der Berufungsakte nach § 136 Abs. 2 SGG Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten ist gemäß § 143 des Sozialgerichts gesetzes (SGG) statthaft; ein Ausschluß der Berufung nach § 144 Abs. 1 SGG in der durch das Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz vom 17.12.1990 unveränderten Fassung liegt im Hinblick auf die Neufassung von § 4 Abs. 6 Satz 1 SchwBG vom 24.07.1986 nicht vor. Das Rechtsmittel ist form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 SGG) und damit insgesamt zulässig; es ist aber nicht begründet.

Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf die Feststellung, daß die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des begehrten Nachteilsausgleichs, die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht, bei ihm vorliegen (§ 4 Abs. 4 iVm Abs. 1 SchwbG idF der Bekanntmachung vom 26.08.1986, BGBl I 1421, berichtigt 1550). Denn er erfüllt nicht alle für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erforderlichen Voraussetzungen. Über die Auslegung und Anwendung der für den Kläger, der im Oktober 1989 seinen Wohnsitz von Baden-Württemberg nach Bayern und im Oktober 1990 wieder zurück nach Baden-Württemberg verlegt hat, maßgeblichen Vorschriften des Landes Baden-Württemberg, die inhaltsgleich mit anderen landesrechtlichen Vorschriften sind (vgl. hierzu BSGE 53, 175 = SozR 3870 § 3 Nr. 15), kann das BayLSG entscheiden.

Behinderte sind von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien, wenn sie nicht nur vorübergehend um wenigstens 80 vH in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert sind und wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 der Baden-Württembergischen Landesverordnung vom 12.02.1980; Ges.Bl.S.125). Eine solche Feststellung kann isoliert von den noch nicht bindenden allgemeinen Feststellungen nach dem Schwerbehindertenverfahren (Art und Grad der Behinderung) getroffen werden (BSG vom 29.01.92 - 9 RVs 9/90 = SozR 3-3870 § 4 Nr. 4). Ein wesentliches Erfordernis, nämlich ein Mindest-GdB von 80 steht bereits seit 1984 (Bescheid vom 19.09.1984) bindend fest.

Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. BSGE 53, 175 = BSG SozR 3870 § 3 Nr. 15, BSG aaO Nrn. 24, 25 und SozR 3-3870 § 4 Nr. 2) sind öffentliche Veranstaltungen als Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art definiert. Eine Verhinderung der Teilnahme an solchen Veranstaltungen liegt nur dann vor, wenn der Schwerbehinderte wegen seines Leidens ständig, dh allgemein und umfassend vom Besuch ausgeschlossen ist, also allenfalls an einem nicht nennenswerten bzw. verschwindend geringen Teil der Gesamtheit solcher öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen kann. Allein die Verhinderung an der Teilnahme an Massenveranstaltungen reicht z.B. keinesfalls zur Rundfunkbefreiung aus (vgl. BSG vom 17.03. 1982 - 9a/9 RVs 6/81 = BSGE 53, 175, 180 ff). Nach ständiger Rechtsprechung (BSG vom 10.8.1993-9/9a RVs 7/91 = SozR 3-3870 § 48 Nr. 2 m.w.N.) ist eine enge Auslegung geboten. Dies hat zur Folge,daß die Verhinderung praktisch einer Bindung an das Haus (vgl. die früheren Fassungen der RGVO, in denen alternativ als Befreiungsvoraussetzung die ständige Bindung an die Wohnung aufgeführt war) gleichsteht.

An dieser restriktiven Auslegung ist auch deshalb festzuhalten, weil es zunehmend zweifelhaft erscheint, ob der genannte Nachteilsausgleich den ihm zugedachten Zweck erfüllt. Die Nachteilsausgleiche sollen nach § 48 SchwbG zum Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile oder Mehraufwendungen dienen. Heutzutage ist fast jeder Haushalt mit einem Rundfunk- und einem Fernsehgerät ausgestattet. Die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht gleicht folglich kaum mehr behinderungsbedingte Nachteile/Mehraufwendungen aus (vgl. BSG in SozR 3-3870 § 48 Nr. 2 m.w.N.)

Nach den vom Senat getroffenen Feststellungen leidet der Kläger an einer leichten organisch-psychische Störung bei einem Restzustand nach Virusgehirnhautentzündung vor dem Hintergrund einer primärneurotisch-narzistischen Persönlichkeitsstruktur. Im Symtombild zeigt sich dabei auch eine Klaustrophobie. Diese drückt sich nach den anamnestischen Angaben des Klägers in Ängsten aus, sich in eine Menschenmenge zu begeben, mit mehreren Personen zusammen in Zügen, Bussen oder Flugzeugen zu reisen oder im Bedürfnis, sich von Menschen zurückzuziehen. Ein entsprechendes Krankheitsbild zeichnet auch der Sachverständige Dr ... in für den Senat überzeugender Weise nach umfassender Auswertung der bereits aufgeführten Gutachten und den in der Akte des Beklagten niedergelegten Befunden (z.B. Prof. Dr ... vom 23.07.1987 und Kliniken ... vom 30.03.1990 sowie Feststellungen von Prof. Dr ... vom 26.03. 1991) auf. Der Gesundheitszustand des Klägers ist ab Oktober 1988, dem Antragsdatum für den Nachteilsausgleich und damit dem Beginn des entscheidungserheblichen Zeitraums, weitgehend konstant geblieben, so daß es einer weiteren Untersuchung des Klägers nicht mehr bedurfte. Dr ... stellt in seinem Gutachten vom 30.09.1997 zutreffend dar, daß man bei der Beurteilung der durch dieses Krankheitsbild hervorgerufenen funktionellen Einschränkungen in besonderem Maße auf die Angaben des Klägers angewiesen ist. Objektiv meßbare Kriterien der Verhaltenssteuerung, wie sie bei Organkrankheiten vorliegen, fehlen weitgehend. Das Leistungsprofil läßt sich nur mittelbar durch Feststellungen über das tatsächlich gezeigte Verhalten erschließen. Demgemäß analysierte Dr ... die ihm zugänglich gemachten anamnestisch erhobenen Freizeitaktivitäten des Klägers, so u.a. die Schilderung von Kinobesuchen und die Aussagen des Klägers über seine Mobilität (Herumvagabundieren, Fahrrad fahren, Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, insbesondere auch von Flugzeugen über längere Strecken); auch bezog er z.B. die persönliche Teilnahme des Klägers an der öffentlichen Sitzung des Sozialgerichtes in seine Beurteilung mit ein. Der Sachverständige gelangte so in schlüssiger und überzeugender Weise zu der Feststellung, daß der Kläger aufgrund seiner Phobie zwar gehindert ist, an öffentlichen Veranstaltungen mit großen Menschenansammlungen teilzunehmen; nicht ist es ihm aber verwehrt, öffentliche Veranstaltungen im kleinen Kreis bzw. mit geringer Teilnehmerzahl zu besuchen.

Bei kritischer Abwägung des Außmaßes der Beeinträchtigung des Klägers geht der Senat in Übereinstimmung mit Dr ... davon aus, daß die eng auszulegenden rechtlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" im gegebenen Fall "medizinisch" nicht erfüllt sind. Dabei ist darauf hinzuweisen, daß es allein von Bedeutung ist, inwieweit der Kläger zumutbar seine soziale Isolation überwinden kann, nicht, inwieweit er solche Anstrengungen tatsächlich unternimmt. Auf den glaubhaft vorgebrachten Einwand, der Kläger habe sich aus dem öffentlichen Leben praktisch zurückgezogen, kann hier deshalb nicht abgestellt werden, zumal es auch nicht darauf ankommt, ob konkret am jeweiligen Wohnort vom objektiven Leistungsvermögen her zumutbare Veranstaltungen in nennenswerter Zahl angeboten werden, die den individuellen kulturellen Erwartungen entsprechen. Denn abzustellen ist gewissermaßen abstrakt auf die Gesamtheit der verbreiteten Veranstaltungen ohne Rücksicht auf das jeweilige "lokale Angebot" und die persönlichen Bedürfnisse, Neigungen und Interessen des Klägers (BSG SozR 3870 § 3 Nrn. 24 und 25).

Der Kläger ist seinen eigenen Angaben und den in der Schwerbehindertenakte des Beklagten dokumentierten Behandlungsberichten zufolge u.a.imstande gewesen, Reisen nach Amerika und Afrika zu unternehmen, zu Begutachtungen in München, Konstanz, Bonn, Ulm und Neumünster in Schleswig-Holstein zu erscheinen, sich dabei mehrstündigen Befragungen auszusetzen und nahezu eine Stunde bei einer mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht München aktiv beteiligt zu sein. Damit hat er unter Beweis gestellt, daß er imstande ist, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen und in gewissem Umfang die Nähe anderer Menschen zu ertragen sowie seine Wohnung für eine erhebliche Zeitdauer zu verlassen. Der Senat zählt zwar mündliche Verhandlungen vor Gerichten nicht zum Kernbereich öffentlicher Veranstaltungen, es ist ihm aber nicht verwehrt, das dadurch gezeigte Kommunikationsverhalten als Hinweis für das objektive Leistungsvermögen des Klägers zu werten. Der Kläger hat durch seine dargelegte Mobilität, den zugestandenen Besuch von Kinovorführungen mit geringer Besucherzahl, die Benutzung von Flugzeugen als Transportmittel und sein sonst im Prozeß bekanntgewordenes Verhalten gezeigt, daß er noch in ausreichendem Umfang an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen kann. Selbst wenn man exakt von den Angaben des Klägers (vgl. z.B. Schriftsatz vom 30.9.1991) bezüglich der tolerierbaren Zahl weiterer Veranstaltungsteilnehmer ausgeht, steht dem Kläger nach Auffassung des Senats - bezogen auf die Gesamtheit der Veranstaltungen - immer noch eine nennenswerte Zahl öffentlicher Veranstaltungen (sei es in geschlossenene Räumen oder im Freien) zur Verfügung.

Den Ausführungen der Sachverständigen Dr ... und Prof. Dr ... konnte sich der Senat nicht anschließen, weil diese die oben dargelegten rechtlichen Gesichtspunkte nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt haben.

Die Berufung ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch der Senat von einer Entschei- dung des Bundessozialgericht, des Gemeinsamen Senats der ober- sten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht.
Rechtskraft
Aus
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