L 2 U 116/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 U 5063/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 116/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 09.02.2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten wegen der Entziehung zweier Stützrenten.

Der Kläger ist am 1928 geboren und war bis 01.12.1991 als Landwirt und bis 31.03.1992 als mithelfender Familienangehöriger in dem an seinen Sohn übergebenen landwirtschaftlichen Betrieb tätig.

Er hatte im Jahre 1954 einen Arbeitsunfall erlitten, bei dem es zu einer Verletzung der rechten Schulter gekommen war. Die Beklagte holte hierzu im Jahre 1998 Gutachten von dem Orthopäden Dr.H. und von der Neurologin und Psychiaterin Dr.K. ein. Die Sachverständigen konstatierten eine Pseudoparalyse des rechten Armes, die jedoch mit dem Unfall nicht in Zusammenhang zu bringen sei und entweder auf eine Aggravation oder eine psychische Überlagerung hindeute. Die vom Unfall verbliebenen Gesundheitsstörungen bedingten eine MdE um 10 v.H. Daraufhin gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 10.11.1997 Stützrente nach einer MdE um 10 v.H.

Der Kläger und sein Sohn meldeten der Beklagten, der Kläger habe am 24.12.1996 bei Waldarbeiten einen Unfall erlitten. Am Unfalltag sei eine Arbeit von 2 1/2 Stunden vorgesehen gewesen, nach 2 Stunden sei der Unfall eingetreten. Der Kläger arbeite sonst überhaupt nicht mehr im Betrieb mit. Am 28.12.1996 begab sich der Kläger zu seinem behandelnden Arzt Dr.F. und anschließend zum Durchgangsarzt. Er gab an, beim Absägen von Ästen eines gefallenen Baumes sei ein Ast gegen die linke Kniescheibe geprallt. Das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Regensburg, das schon durchgangsärztlich tätig gewesen war, konstatierte eine Patellafraktur links. Der Kläger habe anamnestisch schon vor dem Unfall Gehstützen benutzt. Das linke Knie habe eine deutliche medial und retropatellar betonte Gonarthrose aufgewiesen, die weitgehend unfallunabhängig sei. Der Operationsbericht vom 30.12.1996 führt aus, die Verletzung habe nicht zu einer Gelenksbeteiligung geführt. Der Streckapparat sei intakt, desgleichen der Innen- und Außenmeniskus sowie der Kreuzbandapparat.

Der von der Beklagten als Sachverständige gehörte Chirurg Dr.S. kam in seinem Gutachten vom 09.10.1997 zu dem Ergebnis, als Unfallfolge bestehe ein operierter Abrissbruch an der linken Kniescheibe. Es bestehe eine schmerzhafte Beugebehinderung im linken Kniegelenk, die durch unfallfremde Gesundheitsstörungen (Verschleißerscheinungen im linken Kniegelenk) überlagert werde. Das Messblatt hierzu weist eine Beugung von 120° im Verhältnis zu rechts 140° aus. Eine dauernde völlige Erwerbsunfähigkeit habe vor dem Unfall noch nicht bestanden. Der Sachverständige legte eine abgestufte MdE fest, die ab 01.10.1997 mit 10 v.H. eingeschätzt wurde.

Entsprechend dieser Einschätzung gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 10.11.1997 Rente als vorläufige Entschädigung. Gegen die bislang genannten Bescheide legte der Kläger Widerspruch ein und begehrte Renten nach einer höheren MdE.

Bezüglich auch des Unfalles von 1996 holte die Beklagte ein Gutachten von dem Orthopäden Dr.H. vom 23.03.1998 ein. Dieser kam zu denselben Bewegungsmaßen wie der Sachverständige Dr.S. und führte aus, es ließen sich keine dem Unfallereignis zuzuordnenden Folgen feststellen. Geringe chondropathische Zeichen seien an beiden Kniegelenken zu befunden und könnten ebenso wie die radiologischen Befunde der Schadensanlage zugeordnet werden. Bereits 1991 seien Cox- und Gonarthrosen beidseits und eine Krepitatio beider Kniescheiben mit rechtsseitiger Betonung dokumentiert. Ausgehend von den jetzt erhobenen radiologischen Befunden, aber auch von der Aktenlage bestehe keine Veranlassung, die geäußerten Beschwerden dem versicherten Ereignis vom 14.12.1996 zuzuordnen. Sie seien Teil der Schadensanlage, hierfür spreche auch der Bericht des Krankenhauses Rummelsberg vom 26.07.1995, in dem eine retropatellar betonte Gonarthrose beidseits dokumentiert sei. Begründbar sei allenfalls eine vorübergehende Verschlimmerung der durch die Schadensanlage erzeugten Beschwerden, spätestens nach Abschluss der Behandlung sei aber wieder vom ausschießlichen Bestehen der Schadensanlage auszugehen. Die MdE betrage unter 10 v.H.

Nach einer entsprechenden Anhörung entzog die Beklagte mit Bescheiden vom 25.05.1998 die beiden bis dahin gewährten Stützrenten und fügte dem Bescheid bzgl. der Rente nach dem Unfall von 1996 hinzu, gleichzeitig werde die Gewährung einer Rente auf unbestimmte Zeit nach § 62 Abs.2 SGB VII abgelehnt. Die anschließenden Widersprüche des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 21.07.1998 als unbegründet zurück.

Im anschließenden Klageverfahren hat der Kläger den Chirurgen Privat-Dozent Dr.S. als Sachverständigen nach § 109 SGG benannt. Dessen Oberarzt hat mit Schreiben vom 11.01.1999 gegenüber dem Gericht ausgeführt, nach Einsicht der Unterlagen sei nicht zu erwarten, dass die sozialgerichtsmedizinische Begutachtung zu einem wesentlich anderen Ergebnis komme, als in den Vorgutachten angegeben. Der Kläger hat sich dagegen gewandt, dass diese Stellungnahme von einem anderem als den von ihm benannten Arzt abgegeben wurde. Dr.S. hat in einem Schreiben vom 13.07.1999 gegenüber dem Sozialgericht ausgeführt, nachdem ein von ihm empfohlener neurologischer Untersuchungsbericht nicht zu erhalten gewesen sei, beziehe er sich auf den vorherigen Brief vom 11.01.1999, wonach nach den bisherigen Erkenntnissen eine erneute Begutachtung zu keinem wesentlich anderen Ergebnis komme als in den Vorgutachten angegeben. Der Kläger hat daraufhin die Verlängerung der Frist für die Beantragung eines Gutachtens nach § 109 SGG beantragt und dann u.a. den Orthopäden Dr.F. , Freiburg, als Sachverständigen benannt. Vor einer gerichtlichen Entscheidung über diesen Antrag hat er selbst ein Gutachten des Dr.F. vom 27.10.1999 vorgelegt. Dieser kommt darin zu dem Ergebnis, die Folgen des Unfalls von 1954 bedingten eine MdE um 10 v.H., der Kniescheibenspitzenbruch nach dem Unfall vom 24.12.1996 sei folgenlos ausgeheilt und bedinge keine MdE mehr. Die vorgebrachten Beschwerden an den unteren Extremitäten seien auf die degenerativen Veränderungen der Kniegelenke zurückzuführen.

Nach einer entsprechenden Ankündigung hat das Sozialgericht die Klagen mit Gerichtsbescheid vom 9. Februar 2000 als unbegründet abgewiesen und sich auf die angefochtenen Bescheide gestützt.

Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt und beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 09.02.2000 und die Bescheide der Beklagten vom 25.05.1998 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 21.07.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm weiterhin die Stützrenten zu gewähren.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat der Senat ein Gutachten von der Orthopädin Dr.N. vom 20.09.2001 eingeholt. Nach der gutachterlichen Untersuchung weisen beide Kniegelenke gleiche Bewegungsausmaße auf, u.a. eine aktive Beugung bis 120°. Beide Kniegelenke werden ausdrücklich als frei beweglich bezeichnet. Das retropatellare Reiben sei links bedeutend stärker als rechts, es bestehe ein erheblicher Anpressschmerz der Kniescheibe links. Vor dem Unfall habe bereits eine erhebliche medialbetonte Gonarthrose links bestanden, jedoch nur eine geringe Retropatellararthrose. Deswegen und wegen des stärkeren Patellaranpressschmerzes sei von einer Verschlimmerung eines bestehenden Leidens auszugehen. Es bestehe eine unfallbedingte MdE von 10 v.H. auf Dauer.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung sind die Akten der Beklagten über die Arbeitsunfälle des Klägers und die Akten des Sozialgerichts Regensburg aus den vorangegangenen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt und das Ergeb-

Entscheidungsgründe:

Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 SGG besteht nicht.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die Entziehungsbescheide der Beklagten vom 25.05.1998 sind nicht zu beanstanden, so dass dem Kläger auch keine Stützrente zu gewähren ist.

Die Entscheidung über den Rechtsstreit richtet sich bezüglich der Folgen des Arbeitsunfalles im Jahre 1954 noch nach den Vorschriften der RVO, weil es sich nicht um eine erstmalige Rentenfestsetzung nach dem Inkrafttreten des SGB VII zum 01.01. 1997 handelt (§§ 212, 214 Abs.3 SGB VII). Für die Rentengewährung nach dem Unfall im Jahre 1996 gilt jedoch das SGB VII (§ 214 Abs.3 SGB VII).

Für die Entschädigung durch Verletztenrente gilt nach beiden Unfällen, dass eine MdE um 10 v.H. einen Rentenanspruch nur begründen kann, wenn Folgen eines weiteren Arbeitsunfalls mit einer MdE um wenigstens 10 v.H. vorliegen (§ 581 Abs.3 Satz 1 RVO und § 56 Abs.1 Satz 2 und 3 SGB VII). Da im vorliegenden Fall die Aufhebung der Entziehungsbescheide vom 25.05.1998 und die Weitergewährung von Stützrente beantragt ist, entfällt jeder Rentenanspruch, wenn die Folgen wenigstens eines der beiden Unfälle nicht mehr wenigstens eine MdE um 10 v.H. begründen und die Entziehung verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden ist. Dies trifft für die Folgen des Unfalls vom 24.12.1996 zu, ungeachtet der Frage, ob zum Zeitpunkt des Unfalls bereits dauernde völlige Erwerbsunfähigkeit bestand und deshalb möglicherweise eine MdE nicht mehr anzusetzen war (vgl. hierzu BSGE 43, 209 ff.).

Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Gutachten des Dr.H. , dessen Verwertung im Gerichtsverfahren nicht entgegensteht, das es durch die Beklagte im Verwaltungsverfahren eingeholt wurde (BSG SozR Nr.66 zu § 128 SGG). Etwas anderes ergibt sich zur Überzeugung des Senats auch nicht aus dem Gutachten der Sachverständigen Dr.N ...

Die Bemessung der unfallbedingten MdE richtet sich nach dem Umfang der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens des Verletzten durch die Unfallfolgen und den Umfang der dem Verletzten dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs.1 Satz 1, Abs.2 Satz 1 SGB VII). Hierbei kommt es immer auf die Gesamtumstände des Einzelfalles an. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Ärztliche Meinungsäußerungen hierzu haben keine verbindliche Wirkung, sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Bei der Bewertung der MdE sind auch die von der Rechtsprechung und dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend sind, aber Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis bilden (BSG SozR 220 § 581 Nr.23 m.w.N.). Hierbei sind vorbestehende und damit nicht unfallbedingte Funktionsbeeinträchtigungen außer Betracht zu lassen. Diesen Kriterien entspricht das Sachverständigengutachten der Dr.N. nicht. Die von ihr gemessene Bewegungseinschränkung des linken Kniegelenkes würde - ohne Rücksicht auf die Frage nach der Verursachung durch einen Unfall - lediglich eine MdE um 10 v.H. bedingen (vgl. Schönberger-Mehrtens-Valentin Arbeitsunfall und Berufskrankheit 6.Auflage Seite 675). Eine straffe Kniescheibenpseudarthrose mit oder ohne Funktionsbehinderung des Streckapparates ist auch von ihr nicht festgestellt worden. Eine Arthrose darf zur Begründung der MdE nur mit einer entsprechenden Funktionsbehinderung herangezogen werden, weil maßgeblich nicht die Feststellung eines körperlichen Befundes sondern die daraus resultierende Minderung der Erwerbsfähigkeit ist (vgl. Schönberger-Mehrtens-Valentin a.a.O.).

Da auch die Sachverständige Dr.N. der bestehenden Gonarthrose überhaupt keinen Unfallzusammenhang und der von ihr angenommenen Retropatellararthrose nur eine teilweise Unfallbedingtheit zuordnet, kann der Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit durch die Folgen des Unfalls von 1996 nicht gefolgt werden, es liegt vielmehr auf der Hand, dass nach Berücksichtigung der von ihr als nicht unfallbedingt angesehenen Gesundheitsstörungen am Knie die MdE nur mit weniger als 10 v.H. eingeschätzt werden kann.

Die Entziehung der Rente ist nicht zu beanstanden.

Die Beklagte hat die hierfür erforderliche Anhörung nach § 24 SGB X ordnungsgemäß vorgenommen. Sie war bei der Entziehung der Rente als vorläufige Entschädigung und der damit verbundenen Verweigerung einer Rente auf Dauer an die vorherige Feststellung des Grades der MdE nicht gebunden und musste insoweit nach § 62 Abs.2 Satz 2 SGB VII keine Besserung in den Unfallfolgen nachweisen.

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass der Kläger in beiden Rechtszügen nicht obsiegt hat.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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