L 2 U 126/98

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 U 388/96
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 126/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei einer der Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit dienenden Maßnahme, wie einem Arztbesuch, handelt es sich um eine persönliche Angelegenheit des betreffenden Arbeitnehmers, die grundsätzlich zum unversicherten Lebensbereich gehört. Die Äußerung des Arbeitgebers: "Wenn es morgen nicht besser wird, dann geh zum Arzt", ist nicht als Weisung des Arbeitgebers mit der Folge anzusehen, dass sich der Unfallversicherungsschutz auf den Arztbesuch erstrecken würde.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 26. Februar 1998 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Versicherungsschutz für einen Verkehrsunfall, den der Kläger am 04.11.1994 erlitten hat.

Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt bei der Firma ... in Regensburg als Arbeitnehmer beschäftigt. Nach seinen Angaben wurde er am 03.11.1994 mittags oder nachmittags wegen seiner Grippe-Erkrankung von seinem Arbeitgeber mit der Bemerkung "wenn es morgen nicht besser wird, dann gehe zum Arzt" nach Hause geschickt. Am nächsten Morgen sei er mit dem Pkw in der seiner Arbeitsstelle entgegengesetzten Richtung zum Arzt gefahren und habe um 8.3o Uhr einen Auffahrunfall erlitten. Gegen 12.oo Uhr fand er sich bei dem Arzt Dr ... ein, wo er von dem Unfall berichtete und als Beschwerden Rückenschmerzen, Schwindelgefühl, Kopfschmerzen und Gleichgewichtsstörungen angab. Ab diesem Zeitpunkt war er wegen Tonsillitis, Bronchopneumonie und verschiedener Wirbelsäulensyndrome krankgeschrieben. Der zum betrieblichen Zusammenhang der Fahrt befragte Arbeitgeber gab an, der Kläger habe sich am 04.11.1994 in Urlaub befunden, was vom Kläger jedoch bestritten wird.

Der Kläger machte im Wesentlichen geltend, er wäre ohne die Aufforderung des Arbeitgebers nicht am 03.11.1994 nach Hause gegangen und am 04.11.1994 wäre er trotz Erkältung am Arbeitsplatz erschienen. Den Arzt habe er wegen der entsprechenden Weisung des Arbeitgebers aufgesucht, um sich behandeln, Medikamente geben zu lassen und bei einem Erfolg der Behandlung nach dem Arztbesuch seine Arbeit wieder aufzunehmen. Er habe damit lediglich auf Weisung des Arbeitgebers gehandelt, um seine Arbeitsfähigkeit klären zu lassen und eine Fortsetzung der Arbeitstätigkeit zu ermöglichen.

Mit Bescheid vom 25.09.1996 lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen aus Anlass des Unfalls ab, weil das Aufsuchen des Arztes nicht aus betrieblichen Gründen erfolgt sei. Den anschließenden Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 07.11.1996 als unbegründet zurück.

Die anschließende Klage auf Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall und entsprechende Entschädigung hat das Sozialgericht mit Urteil vom 26.02.1998 als unbegründet abgewiesen, weil der Weg zum Arzt auch dann unversichert sei, wenn er der Wiederherstellung der Gesundheit und damit den Interessen des Arbeitgebers diene. Der mögliche Ausnahmefall des Aufsuchens eines Arztes aus der Arbeit heraus, mit dem Zweck der unverzüglichen Weiterarbeit, liege hier nicht vor.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und wiederholt sein bisheriges Vorbringen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 26.02.1998 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25.09.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.11.1996 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger wegen der Folgen des Unfalls vom 04.11.1994 Entschädigungsleistungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung sind die Akte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts Regensburg in dem vorangegangenen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 SGG besteht nicht.

Die Berufung ist jedoch unbegründet, weil es sich bei dem streitgegenständlichen Unfall nicht um einen Arbeitsunfall handelt.

Für die Entschädigung maßgebliches Recht sind auch im Berufungsverfahren die Vorschriften der RVO, da der Unfall vor dem 01.01.1997 geschehen ist (§ 212 SGB VII).

Ein Versicherungsschutz des Klägers auf dem Weg zum Arzt lässt sich nicht auf § 550 Abs.1 RVO stützen. Nach dieser Vorschrift gilt als Arbeitsunfall auch ein Unfall auf einem mit einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545b RVO genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit. Selbst wenn als sicher angenommen werden könnte, dass der Kläger ohne den Unfall von der Arztpraxis zur Aufnahme seiner Beschäftigung gefahren wäre, wäre er jedoch auf der Wegstrecke zwischen seiner Wohnung und der Arztpraxis nicht unter Versicherungsschutz gestanden, weil sich dieser nur auf den Verkehrsbereich beschränkt hätte, den der Kläger auch sonst auf dem Weg von seiner Wohnung zur Arbeitsstätte zurückgelegt hätte (vgl. BSG-Urteil vom 28.05.1997, Az.: B 2 U 40/97 R; BSG SozR 3-2200 § 550 Nr.2).

Erforderlich für den nach § 548 RVO zu beurteilenden Versicherungsschutz wäre, dass sich der Unfall bei der versicherten Tätigkeit ereignet hat. Dies erfordert eine sachliche Verbindung des zum Unfall führenden Verhaltens mit der Betriebstätigkeit, die es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr.21). Der innere Zusammenhang der zum Unfall führenden Verrichtung mit der versicherten Tätigkeit ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenzen liegt, bis zu welcher Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Im Falle eines sowohl privaten als auch betrieblichen Zwecken dienenden Weges ist für die Frage des wesentlichen inneren Zusammenhanges mit der versicherten Tätigkeit die Gewichtung der Interessen maßgebend. Es ist dabei in erster Linie darauf abzustellen, ob sich der zurückgelegte Weg eindeutig in zwei Teile zerlegen lässt, von denen der eine betrieblichen Zwecken und der andere privaten Interessen gedient hat. Ist eine Trennung nicht möglich, so besteht Versicherungsschutz, wenn die Verrichtung im Einzelfall betrieblichen Interessen wesentlich gedient hat; sie braucht ihnen dabei nicht überwiegend gedient zu haben. Die Wesentlichkeit des betrieblichen Interesses beurteilt sich hierbei in erster Linie nach den aufgrund von objektiven Anhaltspunkten nachvollziehbaren subjektiven Vorstellungen des Versicherten. Entscheidendes Abgrenzungskriterium für die Frage, ob eine gemischte Tätigkeit wesentlich betrieblichen Interessen gedient hat, ist, ob diese Tätigkeit hypothetisch auch dann vorgenommen wäre, wenn der private Zweck entfallen wäre (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr.19 m.w.N.).

Grundsätzlich gilt auch, dass eine Verrichtung der versicherten Tätigkeit zuzuordnen ist, wenn ein Beschäftigter eine Weisung seines Arbeitgebers zu ihrer Durchführung erhalten hat (vgl. Krasney in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts Band 2 Unfallversicherungsrecht § 8 Rdnr.44 m.w.N.).

Den für den Versicherungsschutz erforderlichen inneren Zusammenhang des Weges zur Arztpraxis mit der versicherten Tätigkeit als Beschäftigter nach § 539 Abs.1 Nr.1 RVO hat das Sozialgericht zu Recht verneint. Ebenso wie im Ergebnis das Sozialgericht geht auch der erkennende Senat von den Angaben des Klägers aus. Sie können zu seinen Gunsten als wahr unterstellt werden, weil sich auch auf ihrer Grundlage kein Versicherungsschutz ergibt.

Bei den der Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit dienenden Maßnahmen, wie im vorliegenden Fall dem Arztbesuch, handelt es sich um eine persönliche Angelegenheit des betreffenden Arbeitnehmers, die von seinen eigenen Entschließungen bestimmt wird und somit grundsätzlich zum unversicherten Lebensbereich gehört (BSGE 9, 222; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr.5 m.w.N.). Das damit mittelbar verbundene Interesse des Arbeitgebers an der Erhaltung oder Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit reicht nicht aus, um den dadurch gegebenen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit als rechtlich wesentlich ansehen zu können. Ein solches Interesse des Unternehmens besteht vielmehr auch an zahlreichen anderen Verrichtungen im Rahmen des unversicherten persönlichen Lebensbereichs - wie z.B. Beschaffung und Instandhaltung von Kleidung, ausreichende und gesundheitlich zuträgliche Ernährung, Beschaffung ausreichenden Wohnraums usw. -, ohne die eine ordnungsmäßige Erfüllung der Verpflichtung aus dem Arbeitsverhältnis nicht möglich ist (BSGE 7, 255; E 9, 222). Ein von der Rechtsprechung des BSG als möglich angesehener Ausnahmefall eines dennoch bestehenden betrieblichen Zusammenhanges liegt hier nicht vor. Es ist nichts dafür vorgetragen oder ersichtlich, dass die Erkrankung einer besonderen betrieblichen Gefährdung entsprungen wäre und die Art der Durchführung der Maßnahme erkennen ließe, dass es wesentlich um die Wahrnehmung betrieblicher Belange gegangen wäre und dass das Interesse des Klägers an der Erhaltung oder Wiederherstellung seiner Gesundheit nur Nebenzweck gewesen wäre (vgl. hierzu BSG SozR 3-2200 § 548 Nr.5). Der Arztbesuch des Klägers unterschied sich in keiner Weise von dem eines jeden sonstigen Versicherten, der sich wegen Grippesymptomen zum Arzt begibt, um sich behandeln und ggf. die Arbeitsunfähigkeit attestieren zu lassen.

Der Kläger hat auch nicht aufgrund einer Weisung des Arbeitnehmers gehandelt, die einen inneren Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit herstellen könnte.

Der Senat vermag schon nicht die vom Kläger wiedergegebene Äußerung des Arbeitgebers als Weisung anzusehen, eine dem Unternehmen zu dienen bestimmte Verrichtung auszuführen. Weder ist eine solche Äußerung des Arbeitgebers als Weisung anzusehen, noch war das Aufsuchen des Arztes eine dem Unternehmen zu dienen bestimmte Verrichtung, mit der Folge, dass sich der Unfallversicherungsschutz auf den Arztbesuch erstrecken würde.

Äußerungen der vom Kläger bezeichneten Art gegenüber einem Erkrankten, bei einem Andauern der Erkrankung den Arzt aufzusuchen, auch wenn sie vom Arbeitgeber oder einem Vorgesetzten abgegeben werden, gehören zunächst und in erster Linie zum mitmenschlichen Bereich und teilen dem anderen mit, dass und wie er um sich selbst besorgt sein solle. Dabei verbleibt der zu besorgende Bereich der persönlichen Gesundheit wesentlich allein im privaten und unversicherten Lebensbereich. Daran ändert auch nichts die Tatsache, dass möglicherweise ein wesentliches Interesse des Arbeitgebers an der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit und der damit verbundenen Verwertbarkeit der Arbeitskraft besteht. Damit wird aus dem Bereich der persönlichen Lebensführung, ohne deren vernünftige Besorgung eine ordnungsgemäße Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis nicht möglich ist, noch kein wesentlich betrieblich bestimmter Bereich (BSGE 9, 222).

Es kann auch für den inneren Zusammenhang mit der Beschäftigung grundsätzlich keinen Unterschied machen, ob der Arbeitnehmer die für die ordnungsgemäße Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis erforderliche Gestaltung des unversicherten persönlichen Lebensbereiches, wie z.B. die Beschaffung und Instandhaltung einer auch an der Arbeitsstelle angemessenen Kleidung, einer ausreichenden und gesundheitlich zuträglichen Ernährung oder einen sonst verantwortungsvollen Umgang mit seiner Gesundheit, von sich aus besorgt oder generell oder im Einzelfall vom Arbeitgeber dazu angehalten werden muss. Es wäre nicht einzusehen, wenn insoweit gerade die Vernachlässigung der angemessenen Lebensführung zu Versicherungsschutz im privaten Bereich führen würde, nicht jedoch deren bewußt verantwortungsvolle Gestaltung.

Ein von der Rechtsprechung bislang für möglich gehaltener Ausnahmefall zur Annahme eines Versicherungsschutzes beim Aufsuchen des Arztes liegt hier nicht vor. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob er sich dieser Rechtsprechung anschließen würde.

Die von der Rechtsprechung, soweit ersichtlich, angenommenen Ausnahmefälle (Hessisches Landessozialgericht Breithaupt 1961, 416: Verweisen an den Durchgangsarzt vom Betrieb aus; BSG Die Berufsgenossenschaft 1965 S.73: Weg vom Betrieb zum Arzt aufgrund einer bindenden betrieblichen Anordung; BSG Urteil vom 20.10.1983 - 2 RU 77/82 -: auf betriebliche Anordnung während der Arbeitszeit unternommener Weg zum Arbeitsamt zwecks Abgabe eines Antrages auf Verlängerung der Arbeitserlaubnis) weisen in Abweichung von der grundsätzlichen Verneinung des Versicherungsschutzes für den Weg zum Arzt die Besonderheit auf, dass die Beschäftigten während der Arbeitszeit und unmittelbar an ihrer Arbeitsstelle angehalten worden waren, die Arbeitsstelle bzw. den Betrieb zu verlassen, damit auch eine die unmittelbare Arbeitsleistung betreffende Weisung erhalten hatten und sich dieser Weisung nicht mehr entziehen konnten.

In den entschiedenen Ausnahmefällen hatte die Weisung des Arbeitgebers auch einen Bezug zum Betrieb, der über die allgemeine Sorge zur Wiederherstellung der Gesundheit wesentlich hinausging. Solche Verhältnisse sind im vorliegenden Fall jedoch nicht dargetan und nicht ersichtlich.

Der Kläger stand deshalb auf dem Weg zum Arzt auch dann nicht unter Versicherungsschutz, wenn ihn der Arbeitgeber auf die beschriebene Weise zu dem Arztbesuch aufgefordert hatte.

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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