L 2 U 138/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 41 U 255/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 138/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 12.10.1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am 1941 geborene Kläger beantragte am 08.01.1991 Verletztenrente wegen eines Arbeitsunfalls, der sich Mitte März 1990 ereignet habe. Während einer Neuraltherapie bei einer übergewichtigen Patientin habe diese kollabiert, sodass er sie vom Fußboden auf die ca. 90 cm hohe Untersuchungsliege habe heben müssen. Dabei habe er einen scharfen Schmerz in der vorderen mittleren Zwerchfellgegend verspürt. Nachdem er monatelang Schmerzen gehabt habe und Magensäure in den Oesophagus aufgestiegen sei, habe er sich am 06.07.1990 krankschreiben lassen. Die Arbeitsunfähigkeit habe bis Ende 1990 gedauert. Zum 01.01. 1991 habe er krankheitshalber die Kassenarztpraxis aufgeben müssen.

In der Unfallanzeige vom 07.04.1991 erklärte der Kläger, bei einer Neuraltherapie bei einer übergewichtigen Patientin habe diese gebeugt und gestützt auf die Untersuchungsliege gestanden. Sie sei plötzlich kollabiert und auf den Fußboden gesunken. Er habe sie auf die Untersuchungsliege gehoben und dabei einen scharfen Schmerz in der Magengrube verspürt. Da er zunächst an eine Bauchmuskelzerrung gedacht habe, habe er wochenlang weitergearbeitet.

Der Kläger übersandte ein Attest des Dr.V. , der bestätigte, der Kläger leide an einer Refluxgastritis, verursacht durch eine Hiatushernie. Der Gastroenterologe Dr.T. bestätigte, dass er eine Hiatushernie und Refluxoesophagitis 1 bis 2 diagnostiziert habe. Arbeitsunfähigkeit bestehe seines Erachtens nicht. Der praktische Arzt E. attestierte den Verdacht auf eine Hiatushernie. Im Bericht des S. Hospital, Malta, vom 20.05.1991 wurde eine einjährige Krankengeschichte mit brennenden Oberbauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und nächtlichem Rückfluss in die Luftröhre beschrieben. Der Patient leide an einer intertestinellen Diverticulosis und Hiatushernie. Dr.M. , Malta, erklärte im Bericht vom 12.07.1991, vor etwa anderthalb Jahren habe der Kläger einen Unfall erlitten, als er eine Patientin hochgehoben habe. Kurz danach habe er unter Übelkeit, nächtlicher Reurgitatio und Magenschmerzen gelitten. Im Gutachten für das Versorgungsamt Schleswig erklärte Dr.B. im September 1990, vor vier Wochen habe Dr.T. bei einer Gastroskopie eine ausgeprägte Hiatushernie mit Refluxoesophagitis und einzelnen Ulzera Oesophagii diagnostiziert. Entsprechend sei das Beschwerdebild mit heftigsten Beschwerden im epigastrischen Winkel, Aufstoßen, Sodbrennen, nächtlichen Schmerzattacken.

Im Gutachten vom 25.03.1994 führte der Internist Dr.Z. aus, der Kläger gebe an, er habe die kollabierende übergewichtige Patientin aufgefangen und auf die ca. 90 cm hohe Liege gehoben. Beim Hochheben und kurz danach habe er einen scharfen Schmerz im Epigastrium mit Ausstrahlung in den Rücken verspürt. Beim Hochheben sei es auch zu einem Stoß des Ellenbogens der Patientin im Bereich des Xiphoids gekommen. Einige Tage später sei erstmals nachts eine Reurgitation mit Hustenreiz aufgetreten. Im Juni 1990 sei der Kläger krankgeschrieben worden. Bei einer zu diesem Zeitpunkt durchgeführten Gastroskopie seien von Dr.T. eine Hiatushernie und Refluxoesophagitis Grad 1 bis 2 diagnostiziert worden. Rein statistisch sei bei einem Patienten mit dem Alter des Klägers eine anlagebedingte Häufigkeit einer Hiatushernie von etwa 25 % gegeben. Eine Erhöhung des intraabdominellen Druckes könne die Entstehung einer Hiatushernie begünstigen oder bei einer bereits vorhandenen Hernie deren Schweregrad verändern. Beim Kläger sei es durch das Heben der Patientin und die damit verbundene Anspannung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer Erhöhung des intraabdominalen Druckes gekommen. Die Druckerhöhung sei mit Wahrscheinlichkeit noch durch einen Stoß, der mit dem Ellenbogen gegen den Processus Xiphoideus erfolgt sei, verstärkt worden. Auf dem Röntgenbild sei eine asymmetrische Form des Processus Xiphoideus mit Umbaureaktionen zu sehen, dies spreche für die Angabe des Klägers, dass ein Stoß erfolgt sei. Es bestehe Wahrscheinlichkeit, dass das Unfallereignis eine bereits vorhandene Hiatushernie verschlimmert habe. Die MdE sei mit 30 v.H. für das Krankheitsbild der axialen Hiatushernie mit Refluxoesophagitis Grad 2 zu bewerten. Für die Verletzung im Bereich des Processus xiphoideus sei eine MdE von 10 v.H. gegeben.

Hierzu erklärte der Beratungsarzt Dr.L. am 19.05.1994, nach Alter, Körpergewicht und Form des Zwerchfellbruches spreche alles für einen Bruch aus innerer Ursache. Der geschilderte Ablauf lasse keinerlei plötzliche, unvorhersehbare Kraftanstrengung mit massiver Druckerhöhung erkennen, die geeignet wäre, die körpereigenen Sicherungsmechanismen zu durchbrechen und somit als geeignetes Ereignis angenommen werden könnte. Im Übrigen sei ein traumatischer Riss derart schmerzhaft, dass sofort ärztliche Hilfe erforderlich würde.

Die Chirurgen Prof.Dr.B. und Dr.B. erklärten im Gutachten vom 27.09.1994, der vom Kläger geschilderte Vorgang vom März 1990 sei keinesfalls geeignet gewesen, einen Riss von Muskeln oder Sehnen des Zwerchfelles hervorzurufen. Hauptursache von Hiatushernien seien Bindegewebsschwäche, Übergewichtigkeit und erhöhtes Druckgefälle zwischen Bauchraum und Brustkorb. Im März 1990 sei beim Auffangen der Patientin der Druckgradient zwischen Bauchraum und Brustkorb kurzfristig höher als üblich gewesen, so dass auf Grund der natürlichen Bindegewebsschwäche Anteile des Magens durch das Zwerchfell nach oben getreten seien. Die wesentliche Teilursache sei die anlagebedingte Bindegewebsschwäche und nicht die plötzliche, scheinbar unübliche Druckerhöhung. Es fehle jeder Beweis, dass beim Kläger eine Verletzung entstanden sei.

Im radiologischen Zusatzgutachten vom 27.09.1994 führte der Radiologe Dr.E. aus, der Processus xiphoideus zeige keinen Hinweis für eine Pseudarthrosenbildung. Er sei auch mit starkem Druck nicht beweglich.

Der Internist Dr.L. kam im Gutachten vom 27.09.1994 zusammenfassend zu dem Ergebnis, es sei nicht vorstellbar, dass es bei dem Ereignis vom März 1990 zu einer Hiatushernie hätte kommen können. Es habe keinerlei Gewalteinwirkung vorgelegen; die geschilderte Situation habe durch koordiniertes Handeln bewältigt werden können. Obwohl der Kläger einen scharfen Schmerz im Epigastrium gespürt habe, habe er weitergearbeitet. Für das Entstehen einer unfallbedingten Hiatushernie bedürfe es starker Gewalteinwirkung, wie bei Verkehrsunfällen oder Stürzen aus größerer Höhe. Es sei davon auszugehen, dass die Hiatushernie bereits seit längerer Zeit bestanden habe, aber erst im Verlauf des Jahres 1990 zu einer Beschwerdesymptomatik geführt habe. Bei den früher beschriebenen Veränderungen des Xiphoids handle es sich wahrscheinlich nur um physiologische Umbauvorgänge, die sich durch die großen anatomischen Variabilitäten des Xiphoids ergäben. Zudem wäre es ohne Belang, ob hier eine unfallbedingte Veränderung vorliege. Die axiale Gleithernie sei in ihrer Häufigkeit altersabhängig und trete mit zunehmendem Lebensalter häufiger auf. Statistisch sei sie bei einem Kollektiv von 50-Jährigen etwa zu 50 % vorhanden. Sie sei durch das Ereignis auch nicht verschlimmert worden. Die Krankheitssymptomatik habe sich unabhängig davon entwickelt.

Mit Bescheid vom 24.09.1996 lehnte die Beklagte die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus Anlass des Ereignisses vom März 1990 ab, da ein Arbeitsunfall im Sinne der RVO nicht vorgelegen habe. Es bestehe zwischen der Hergangschilderung und den objektiv erhobenen Befunden, insbesondere auf Grund der fehlenden starken Gewalteinwirkung, kein ursächlicher Zusammenhang.

Mit Widerspruch vom 27.09.1996 wies der Kläger auf den gebrochenen Processus Xiphoideus hin, der die massive Gewalteinwirkung beweise. Der rechte Ellenbogen der kollabierten Patientin habe sich beim Hochwuchten in das obere Epigastrium gebohrt.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27.02.1997 zurück. Der vom Kläger geschilderte Unfallhergang sei nicht geeignet gewesen, einen Riss des Zwerchfelles hervorzurufen.

Im Klageverfahren hat das Sozialgericht München den Internisten Dr.B. zum ärztlichen Sachverständigen ernannt, der im Gutachten vom 15.04.1999 ausgeführt hat, es bestehe ein Verdacht auf ältere Frakturen im Processus Xiphoideus, die wahrscheinlich im Sinne der Entstehung oder zumindest wesentlich neben anderen Ursachen auf dem Ereignis vom März 1990 beruhten. Das Ereignis erscheine geeignet, eine nicht sehr stabile Knochenstruktur, wie sie der Brustbeinvorsatz von Natur aus darstelle, zu frakturieren. Die Hiatushernie und Refluxoesophagitis beruhten nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Sinne der Entstehung auf diesem Ereignis. Der geschilderte Vorgang des Stützens, Haltens und Hebens einer kollabierenden Patientin habe zweifelsfrei eine mehr oder minder starke Erhöhung des Druckes im Bauch zur Folge. Dies entspreche jedoch nicht dem Druckanstieg bei Verkehrsunfällen, Stürzen aus der Höhe oder Schlägen auf den Bauch. Der Vorgang erscheine nicht eindeutig geeignet, den Gesundheitsschaden hervorzurufen. Unabhängig von Trauma und Vorgeschichte seien als zusätzlich prädisponierende Faktoren die Adipositas und das Lebensalter anzuführen. Es sei die Verschlimmerung einer vorbestehenden, bis dahin symptomlos gebliebenden Hiatushernie anzunehmen. Durch die Frakturen im Processus xiphoideus werde keine MdE bedingt, da das Sternum knöchern konsolidiert sei. Die Verletzung sei folgenlos ausgeheilt. Durch die Hiatushernie und Refluxoesophagitis sei eine MdE von 10 v.H. eingetreten. Ein Ausnahmefall, in dem eine höhere MdE vorliege, sei hier nicht gegeben.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 21.07.1999 darauf hingewiesen, eine Verschlimmerung könne nur dann vorliegen, wenn die Gesundheitsstörung vor Eintritt des Versicherungsfalls bereits als klinisch manifester mit objektivierbaren Veränderungen verbundener Krankheitszustand nachweisbar vorhanden gewesen sei.

Der Kläger hat im Schreiben vom 03.09.1999 erklärt, er sei überzeugt, dass die Hiatushernie traumatisch verursacht worden sei. Die MdE sei mit 20 bis 50 v.H. zu bemessen.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 12.10.1999 hat der Kläger erklärt, die Patientin habe sich leicht auf der Liege abgestützt. Nach der zweiten Spritze sei sie kollabiert. Die Beine seien ihr weggeknickt und es habe ein leichtes Gerangel gegeben, um sie aufzufangen. Da der Untersuchungsraum so klein gewesen sei, dass er die Patientin nicht habe auf den Boden legen können, habe er sie aufgefangen, um sie auf die Liege zu befördern. Bei diesem Bemühen habe er sie an beiden Unterarmen gepackt, dabei habe sich die Patientin vermutlich unterbewusst gewehrt und ihm ihren rechten Ellenbogen in den oberen Bauchraum gestoßen. Gleichzeitig habe er versucht, die Patientin auf die Liege zu wuchten, sodass eine mächtige Kraft auf den Oberbauch eingewirkt habe. Daraufhin habe er ein Reißgefühl wie bei einem Muskelriss verspürt.

Mit Urteil vom 12.10.1999 hat das SG die Klage abgewiesen.

Die Berufung vom 03.04.2000 begründet der Kläger damit, durch Röntgenschichtaufnahmen sei der Beweis für den Bruch des Processus xiphoideus erbracht. Im Hinblick auf die bei ihm bestehenden Beschwerden sei eine MdE von 50 v.H. angemessen.

Im Gutachten vom 13.03.2001 führt der vom Senat zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Internist Dr.S. aus, auf Grund der Kontinuität und Qualität der Eigenschilderung und belegt durch das Ausmaß der Hiatushernie sei es glaubwürdig, dass der Kläger unter den angegebenen Beschwerden leide. Es bleibe spekulativ, ob zum Zeitpunkt des Unfalls noch keine Hernie oder eine Hernie in undefiniertem Umfang vorgelegen habe, die bis dahin symptomlos geblieben sei. Es sei wahrscheinlich, dass sich im Anschluss an das Brust/Bauchtrauma vom März 1990 die Symptome des Gleitbruches und der gastrooesophagealen Refluxerkrankung erstmals manifestiert hätten. Daher sei ein wesentlicher Zusammenhang zwischen dem Ereignis und der Entstehung oder zumindest Verschlimmerung des Leidens des Klägers wahrscheinlich. Es handle sich nicht um eine sog. Gelegenheitsursache. Es spreche mehr für den Zusammenhang zwischen Leiden und Unfall als dagegen, allerdings könnte eine gewisse Disposition zur spontanen Entwicklung einer Hernie eine Rolle gespielt haben. Die ausgeprägte Adipositas sei ein mitdisponierender Faktor für die Entstehung einer Hiatushernie. Jedoch müsse zumindest von einer Verschlimmerung ausgegangen werden. Die MdE liege bei 30 v.H., da beim Kläger eine besonders ausgeprägte Form des Leidens vorliege.

Im Röntgenbefund des Prof.Dr.G. vom 21.02.2001 wird ausgeführt, Sternum und Xiphoid seien völlig unauffällig, es zeige sich kein Nachweis einer Fraktur.

Die Beklagte übersendet eine Stellungnahme des Chirurgen Dr.K. vom 17.05.2001, der erklärt, die Hiatushernie entstehe anlagebedingt durch konstitutionelle Veränderungen. Ein Ellenbogenstoß reiche nicht aus, eine Verletzung des Zwerchfells hervorzurufen. Bei der Hiatushernie handle es sich um eine unfallunabhängig entstandene Erkrankung.

Hierzu äußert Dr.S. in der Stellungnahme vom 29.06.2001, es sei durchaus vorstellbar und im Fall des Klägers wahrscheinlich, dass eine plötzliche, massive Druckerhöhung im Abdominalraum zu einer traumatisch fortgeleiteten Erweiterung des Zwerchfellschlitzes führen könne, sodass eine bereits im kleineren Umfang vorhandene Hiatushernie sich wesentlich erweitere. Begünstigend könne eine Bindegewebeschwäche wirken, wie auch die Adipositas.

Dr.K. erklärt hierzu im Schreiben vom 02.08.2001, das Abdominaltrauma gehöre in die Kategorie der Hochrasanzverletzungen mit erheblicher Gewalteinwirkung. Nur ganz selten werde die begleitende Ruptur des Zwerchfells beobachtet. Die traumatische Zwerchfellruptur unterscheide sich von den echten Hernien (Hiatusgleithernien), wie sie im vorliegenden Fall ja dokumentiert seien. Die traumatische Zwerchfellruptur liege meist an atypischer Stelle und nicht im Bereich einer sog. Hiatusgleithernie. Die Hiatusgleithernie sei anlagebedingt, eine richtunggebende Verschlimmerung sei nicht vorstellbar, da keine Gewalteinwirkung auf den Bauchraum ausgeübt worden sei, die eine entsprechende traumatische Erweiterung mit Wahrscheinlichkeit erkläre. Selbst bei Annahme einer unfallbedingten Entstehung sei eine rentenberechtigende MdE nicht angemessen.

Der vom Senat zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Unfallchirurg Prof.Dr.S. führt im Gutachten vom 10.11.2001 zusammenfassend aus, der Kläger habe weder im Schreiben vom 08.01. 1991 noch in der Unfallanzeige vom 07.04.1991 geltend gemacht, dass ihm die Patientin ihren Ellenbogen in den Oberbauch gebohrt habe. Er habe nach dem Ereignis wochenlang weitergearbeitet. Röntgenaufnahmen und Computertomogramm ließen traumatische Veränderungen des Schwertfortsatzes des Brustbeins nicht erkennen. Es gebe eine sehr große Anzahl von Formen des Schwertfortsatzes. Ein Trauma durch den Ellenbogen der Patientin oder eine sonstige knöcherne Verletzung sei nicht erwiesen.

Bei traumatischen Zwerchfellrupturen träten in aller Regel so schwere Symptome der Zerreißung auf, dass sofortige ärztliche Behandlung erforderlich werde. Eine Zwerchfellzerreißung erfordere ein massives Trauma wie bei Autounfällen oder Überfahrungen. Das Hochheben einer Patientin erfülle nicht die Kriterien eines schweren Bauchtraumas mit massiver Drucksteigerung, die zum Zerreißen des Zwerchfells führe. Die medizinische Literatur unterscheide streng zwischen einer Zwerchfellzerreißung und einer Hiatushernie. Eine Hiatushernie entwickle sich fast stets auf Grund einer angeborenen Bindegewebeschwäche und einer Übergewichtigkeit. Eine Gleithernie, wie sie nach den Röntgenbildern vorliege, sei die weitaus häufigste Form von Zwerchfellhernien. Eine direkte Gewalteinwirkung von entsprechender Heftigkeit hätte zu Hämatomen und sofort einsetzenden Schmerzen, insbesondere in den oberen Bauchorganen und dem Inneren des Brustkorbes mit Erbrechen und Atemnot geführt. Diese Symptome seien nicht aufgetreten, da der Kläger seine Arbeit weitergeführt habe. Das Heben der Patientin sei lediglich eine Gelegenheitsursache, die bestehende Bindegewebsschwäche erstmals symptomatisch werden zu lassen, gewesen. Eine MdE wegen Unfallfolgen sei nicht gegeben.

Der Kläger wendet dagegen ein, die große Kraftanstrengung im Zusammenwirken mit dem Druck auf das Brustbein seien die Ursache für den Bruch des unteren Brustbeins und den Zwerchfellbruch. Durch den Zwerchfellbruch sei die schwere Hiatushernie entstanden. Der Kläger weist darauf hin, dass er vor dem Unfall kein Übergewicht gehabt habe, dies sei erst nach dem Unfall entstanden. Zum Unfallhergang gibt er an, er habe reflexartig den rechten, sehr spitzen Ellenbogen der kollabierenden, stark übergewichtigen Patientin als Widerlager unter sehr schneller und großer Kraftanstrengung gegen sein unteres Brustbein gedrückt, um die Patientin auf die erhöhte Untersuchungsliege zu wuchten. Dabei sei es zu einer Konzentration von einem großen Gewicht auf wenige Quadratmillimeter in einer sehr kurzen Zeit gekommen. Das habe zu dem Bruch des Brustbeinschwertfortsatzes und der Zwerchfellsehnenplatte geführt.

Der Kläger stellt den Antrag,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 12.10.1999 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24.09.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.02.1997 zu verurteilen, ihm Verletztenrente in Höhe von 50 v.H. der Vollrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Die Entscheidung richtet sich nach den bis 31.12.1996 geltenden Vorschriften der RVO, da der streitige Versicherungsfall vor dem 01.01.1997 eingetreten ist und über einen daraus resultierenden Leistungsanspruch vor dem 01.01.1997 zu entscheiden gewesen wäre (§§ 212, 214 Abs.3 SGB VII i.V.m. § 580 RVO).

Ein Arbeitsunfall setzt gemäß § 548 Abs.1 RVO einen Unfall voraus, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten versicherten Tätigkeiten erleidet. Der Begriff des Unfalls erfordert ein äußeres Ereignis, d.h. einen von außen auf den Körper einwirkenden Vorgang, der rechtlich wesentlich den Körperschaden verursacht hat (vgl. BSGE 23, 139). Das äußere Ereignis muss mit der die Versicherteneigenschaft begründenden Tätigkeit rechtlich wesentlich zusammenhängen. Dabei bedürfen alle rechtserheblichen Tatsachen des vollen Beweises, d.h. sie müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorgelegen haben (vgl. BSGE 45, 285). Die Beweiserleichterung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt nur insoweit, als der ursächliche Zusammenhang im Sinne der wesentlichen Bedingung zwischen der der Versichertentätigkeit zuzurechnenden und zum Unfall führenden Verrichtung und dem Unfall selbst sowie der Zusammenhang betroffen ist, der im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität zwischen dem Arbeitsunfall und der maßgebenden Verletzung bestehen muss (vgl. Krasney, VSSR 1993, 81, 114).

Der vom Kläger bei der Antragstellung geschilderte Hergang vom März 1990 kann grundsätzlich einen Unfall darstellen, denn das äußere Ereignis verlangt zwar einen von außen auf den Körper einwirkenden Vorgang, körpereigene Bewegungen wie Heben und Laufen sind aber auch äußere Vorgänge in diesem Sinn, selbst wenn sie gewohnt und üblich sind (vgl. Kasseler Kommentar, § 7 SGB VII Rdnr.24; Lauterbach, Unfallversicherung, § 8 SGB VII Rdnr.26). Insofern kann auch das Heben einer Patientin einen Unfall darstellen; es hat aber den Körperschaden nicht rechtlich wesentlich verursacht.

Es fällt auf, dass der Kläger den Unfall seit der ersten Antragstellung unterschiedlich geschildert hat. Während er zunächst in der ausführlichen Darstellung am 08.01.1991 ausdrücklich erklärte, er habe die Patientin vom Fußboden auf die 90 cm hohe Untersuchungsliege gehoben, erwähnte er erstmals 1994 gegenüber dem Gutachter Dr.Z. , es sei auch zu einem Stoß des Ellenbogens der Patientin im Bereich des Xiphoids gekommen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 12.10.1999 erklärte er, beim Versuch, die Patientin aufzufangen, habe sie ihm ihren rechten Ellenbogen in den oberen Bauchraum gestoßen. Dagegen gab der Kläger im Schreiben vom 01.02.2002 an, er habe reflexartig den rechten, sehr spitzen Ellenbogen der Patientin als Widerlager unter sehr schneller und großer Kraftanstrengung gegen sein unteres Brustbein gedrückt, um sie auf die Untersuchungsliege zu wuchten. Im Hinblick auf die wechselnden Schilderungen des Klägers ist das Unfallereignis zur Überzeugung des Senats in seinem Ablauf nicht bewiesen.

Aber selbst wenn man die Angaben des Klägers zu Grunde legt, ist kein geeigneter Unfallmechanismus ersichtlich, der die beim Kläger unstreitig diagnostizierte Hiatushernie hätte verursachen oder verschlimmern können.

Eine Hiatushernie entwickelt sich fast stets auf Grund einer angeborenen Bindegewebeschwäche und einer Übergewichtigkeit. Hierdurch kommt es im Lauf des Lebens, meist bei einem Lebensalter von über 50 Jahren, zu einem Eintreten von Magengewebe durch eine Lücke in den Brustraum, das meist langsam erfolgt. Eine Gleithernie, wie sie beim Kläger vorliegt, ist mit 90 % die häufigste Form von Zwerchfellhernien. Es handelt sich, so Prof.Dr.S. , um eine primär anlagebedingte Krankheit. Für das Krankheitsbild sind lageabhängige Lokalbeschwerden wie Druckgefühl, Krämpfe oder Schmerzen charakteristisch. Vor allem in horizontaler Lage kommt es zu einem Reflux von Magensaft in die Speiseröhre. In vielen Fällen besteht aber auch Beschwerdefreiheit (vgl. Schoenberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Auflage 1998, S.882).

Um eine traumatisch bedingte axiale Gleithernie anzunehmen, wäre ein geeignetes Trauma erforderlich, das hier nicht gegeben ist. Zwar ist es sicherlich durch das Anheben bzw. Auffangen der Patientin zu einer Druckerhöhung im Bauchraum gekommen. Aber Prof.Dr.S. weist darauf hin, dass eine Gewalteinwirkung von entsprechender Heftigkeit, die geeignet gewesen wäre, die primär anlagebedingte Erkrankung entscheidend zu beeinflussen, zu Hämatomen und sofort einsetzenden Schmerzen, insbesondere in den oberen Bauchorganen und im Inneren des Brustkorbes, geführt hätte. Es würden Erbrechen und starke Atemnot auftreten. Dies war beim Kläger aber nicht der Fall, da er nach seinen eigenen Angaben lediglich einen scharfen Schmerz in der vorderen bis mittleren Zwerchfellgegend verspürte, aber bis zum 06.07.1991, also fast vier Monate, weiter arbeiten konnte.

Ob der Stoß mit dem Ellenbogen, den der Kläger erst seit 1994 schildert, überhaupt in dieser Form stattgefunden hat, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls hat er, so Prof.Dr.S. , zu keinen wesentlichen Verletzungen geführt. In Übereinstimmung mit dem Radiologen Dr.E. erläutert Prof.Dr.S. , dass der Schwertfortsatz des Brustbeines keine traumatischen Veränderungen erkennen lässt, vielmehr sich eine Zweiteilung im unteren Anteil des Schwertfortsatzes zeigt. Auf den Schichtaufnahmen vom 02.02.1994 und im Computertomogramm vom 15.04.1999 lässt sich weder ein Bruchspalt noch eine Falschgelenkbildung erkennen. Da es, wie Prof.Dr.S. erläutert, eine sehr große Anzahl von Formen des Schwertfortsatzes gibt, darunter auch Formen, die den vorliegenden Röntgenaufnahmen entsprechen, ist weder ein Trauma durch den Ellenbogen der Patientin auf den Schwertfortsatz und damit auf den Oberbauch, noch eine knöcherne Verletzung im Bereich des Schwertfortsatzes des Brustbeines erwiesen. Eine zusätzliche Traumatisierung durch äußere Fremdeinwirkung auf den Oberbauch ist, so Prof.Dr.S. , unwahrscheinlich.

Durch das Auffangen bzw. Hochheben der Patientin ist es auch nicht zu einer traumatischen Zwerchfellruptur gekommen. Sie ist schon darum auszuschalten, weil Zwerchfellrupturen, wie Prof. Dr.S. betont, in aller Regel so schwere Symptome der Zerreißung aufweisen, dass die Patienten sofort ärztlich behandelt werden müssen. Eine traumatische Zerreißung des Zwerchfells muss in aller Regel sofort operiert werden. Als geeigneter Unfallmechanismus wäre ein massives Trauma zu fordern, z.B. eine Überfahrung oder ein Auffahrunfall mit Aufprall des Lenkrades in den Bauch. Diese schweren Gewalteinwirkungen, so Prof. Dr.S. , führen fast stets zu Begleitverletzungen der Bauch- und Thoraxorgane, die sofortige ärztliche Intervention notwendig machen. Zudem entstehen Zwerchfellverreißungen in aller Regel auf der linken Thoraxseite, da diese nicht durch die zwischengelagerte Leber geschützt ist. Auf der rechten Seite kommt es dagegen meist zu Leberzerreißungen statt zu Zwerchfellrupturen.

Die Ausführungen von Prof.Dr.S. werden gestützt durch die gutachtlichen Äußerungen von Prof.Dr.B. , Dr.B. und Dr.L. sowie Dr.E. , deren im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden. Auch Dr.L. hat darauf hingewiesen, dass die Krankheitssymptomatik des Klägers allmählich entstanden ist und damit die Symptome einer traumatischen Zerreißung nicht nachweisbar sind. Insbesondere Dr.E. hat in der Stellungnahme vom 27.09.1994 betont, dass keine Falschgelenkbildung des Schwertfortsatzes nachweisbar ist.

Daher können die Ausführungen von Dr.S. im Gutachten vom 13.03.2001 nicht überzeugen, wenn er erklärt, für einen wesentlichen Einfluss des Traumas sprächen die Befunde, wie sie röntgenologisch bei den Schichtaufnahmen des Xiphoids beschrieben worden seien, nämlich, dass mögliche Umbaureaktionen nach einem Trauma vorlägen. Dem ist entgegenzuhalten, dass eine nur mögliche Umbaureaktion keinen Nachweis einer Verletzung darstellt und dass andererseits die Veränderungen am distal geteilten Xiphoid kein Trauma beweisen, da es, wie Prof.Dr.S. überzeugend dargelegt hat, eine Vielzahl von anlagebedingt unterschiedlichen Xiphoidformen gibt. Den wesentlichen Zusammenhang zwischen dem Ereignis und der Entstehung oder zumindest Verschlimmerung des Leidens begründet Dr.S. in erster Linie mit der Kontinuität und Qualität der Eigenschilderung des Klägers. Diese Argumentation kann aber im Hinblick auf die Ausführungen von Prof.Dr.S. nicht überzeugen, insbesondere nicht, wenn man berücksichtigt, dass, wie auch Dr.S. nicht bestreitet, beim Kläger eine gewisse Disposition, wie z.B. sein Übergewicht und das Lebensalter, eine Rolle gespielt haben.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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